BT-Drucksache 16/13391

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen zum Europäischen Rat am 18. und 19. Juni 2009 in Brüssel

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13391
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Renate Künast, Fritz Kuhn, Jürgen Trittin, Rainder Steenblock,
Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des
Auswärtigen

zum Europäischen Rat am 18. und 19. Juni 2009 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Beim Europäischen Rat in Brüssel am 18. und 19. Juni 2009 wollen die Staats-
und Regierungschefs José Manuel Barroso, den bisherigen Präsidenten der
Europäischen Kommission, für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsident
nominieren. Diese Nominierung wurde bereits vor der Europawahl vom 7. Juni
2009 von verschiedenen Regierungen unterstützt und so den Ergebnissen der
Wahl vorgegriffen. Eine Debatte fand nicht statt. Auch die Nominierung selbst
soll erfolgen, bevor sich das neu gewählte Europäische Parlament konstituiert
hat und mit den Fraktionen gesprochen worden ist.

José Manuel Barroso erfüllt nicht die Anforderungen, die gerade in Zeiten der
dreifachen Krise: Wirtschafts- und Finanz-, Klima- sowie Ernährungskrise an das
Amt des Kommissionspräsidenten gestellt werden. Zu spät, zu halbherzig und das
Europäische Parlament sowie eigene Kommissare ignorierend – so kann die
Europäische Kommission nicht erfolgreich geführt werden. Auf die Wirtschafts-
und Finanzkrise hat die Kommission unter Führung ihres Präsidenten verspätet
und nur unter Druck durch den Ministerrat reagiert. Wiederholt hat José Manuel
Barroso Befürchtungen des Europäischen Parlaments über Hedgefonds und
Private Equity ignoriert. Die Neuorientierung der Lissabon-Strategie zur wirt-
schaftlichen, ökologischen und sozialen Neuausrichtung der EU wurde von José
Manuel Barroso auf einen kurzfristigen Wachstums- und Arbeitsplatzansatz ein-
geschränkt; die anderen beiden Säulen der Strategie stark vernachlässigt. José
Manuel Barroso gab erstmals die traditionelle Neutralität der EU-Kommission in
der Frage der Nutzung der Atomenergie auf und er ignorierte die Mehrheit der
Mitgliedstaaten und der Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Frage der

Zulassung von gentechnisch veränderten Getreidearten in der EU. Dabei hat er
bewusst verkürzt und unwahr argumentiert.

Insgesamt zeigt die Bilanz seiner ersten Amtszeit, dass José Manuel Barroso für
das Amt des Kommissionspräsidenten nicht geeignet ist.

Drucksache 16/13391 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

der Nominierung von José Manuel Barroso nicht zuzustimmen.

Berlin, den 17. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die geringe Wahlbeteiligung bei der vergangenen Europawahl zeigt, dass eine
Demokratisierung der europäischen Verfahren dringend notwendig ist. Spitzen-
positionen wie die des Präsidenten oder der Präsidentin der Europäischen Kom-
mission dürfen nicht von Regierungen heimlich ausgehandelt, sondern müssen
mit einer öffentlichen Debatte und im politischen Wettbewerb entschieden wer-
den. Der Präsident der Europäischen Kommission muss von den Abgeordneten
des Europäischen Parlaments gewählt werden. Dann können die Wählerinnen
und Wähler durch ihre Stimme europäische Politik auch sanktionieren. Zudem
darf eine sich in Abwicklung befindende Regierung keinen Kommissionspräsi-
denten nominieren, dies kann nur mit dem neu gewählten Bundestag erfolgen.
Die vorzeitige Nominierung von José Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit
ist daher abzulehnen.

Die Bilanz der ersten Amtszeit von José Manuel Barroso ist Ausdruck einer
schlechten Führung durch den derzeitigen Kommissionspräsidenten. So haben
José Manuel Barroso und sein Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy
wiederholt Befürchtungen des Europäischen Parlaments über Hedgefonds und
Private Equity ignoriert. Jahrelang hat Barrosos Kommission Anträge, Erspar-
nisse durch eine Überarbeitung des Einlagensicherungssystems besser zu schüt-
zen, abgelehnt und ist erst aktiv geworden, als die Krise schon ausgebrochen
war. Erst unter dem Druck des Ministerrates hat die Kommission Maßnahmen
vorgeschlagen, um die Auswirkungen der Finanzkrise abzuschwächen.

Zudem hat es Barrosos Kommission jahrelang versäumt, verbindliche Ziele für
den Ausstoß von CO2-Emissionen durch PKW vorzuschlagen. Erst als die Auto-
industrie selbst einräumte, dass sie nicht einmal die selbstformulierten Ziele ein-
halten würde, wurde die Kommission aktiv. Dabei ignorierte José Manuel Barroso
seinen eigenen Umweltkommissar, der eine Emissionsgrenze von 120 Gramm pro
Kilometer bis zum Jahr 2012 vorgeschlagen hatte.

José Manuel Barroso versuchte gegen die Mehrheit der Mitgliedstaaten sowie
Verbraucherinnen und Verbraucher die Zulassung von gentechnisch veränderten
Getreidearten in der EU zu erzwingen. Mit der unwahren Behauptung, dass eine
Entscheidung der Welthandelsorganisation (WTO) über GVO-Gesetze der EU,
das Recht der EU-Mitgliedstaaten in Frage stellte GVO zu verbieten, überschritt
José Manuel Barroso seinen Aufgabenbereich. Denn die WTO-Entscheidung
legt lediglich die Kriterien für ein Verbot fest.

Erstmals hat José Manuel Barroso die traditionelle Neutralität der EU-Kommis-
sion in der Frage der Nutzung der Atomenergie aufgegeben und aktiv die För-
derung des Europäischen Atomenergieforums betrieben.

José Manuel Barroso hat die Forderung nach einer EU-Richtlinie zur Daseins-
vorsorge jahrelang blockiert. Dadurch bleiben Dienste wie Ver- und Entsorgung
oder Dienstleistungen im Gesundheits- und Pflegebereich den alleinigen Regeln
des freien Marktes ausgeliefert. Gerade Kommunen werden so weiter in ihren

Rechten beschnitten, diese Dienste zu finanzieren und zu organisieren, wie sie
es für richtig halten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13391

Auf Druck der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Europäische
Parlament im Mai 2008 eine umfassende Liste mit Maßnahmen vorgelegt, um
die undurchsichtigen Aktivitäten der Lobbyverbände in Brüssel zu beenden. Die
EU-Kommission erarbeitete daraufhin jedoch nur ein freiwilliges Register, in
das sich bisher lediglich 20 Prozent der geschätzten 2 600 Lobbygruppen Brüssels
eingetragen haben. Dabei ist der von der EU-Kommission erarbeitete Verhal-
tenskodex für Lobbyisten weitaus nachlässiger als jener, den die Lobbyverbände
sich selbst auferlegt haben.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.