BT-Drucksache 16/13093

Zur Milchpolitik der Bundesregierung

Vom 20. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13093
16. Wahlperiode 20. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Herbert Schui, Hüseyin-Kenan Aydin,
Eva Bulling-Schröter, Karin Binder, Heike Hänsel, Katrin Kunert und der Fraktion
DIE LINKE.

Zur Milchpolitik der Bundesregierung

Drastisch sinkende Milchpreise führen 2009 zur Existenzbedrohung von bis zu
30 000 Betrieben allein in Deutschland. Das Preisniveau ist im Bundesdurch-
schnitt auf unter 24 Cent pro Liter Milch gesunken und damit für nahezu alle
Milch produzierenden Betriebe in Deutschland nicht mehr kostendeckend.

Eine wesentliche Ursache für die sinkenden Erzeugerpreise ist ein Überangebot
an Rohmilch, das durch die Erhöhung der von der EU-Kommission vergebenen
Milchquoten um zwei Prozent verstärkt wird. Weitere Erhöhungen von jeweils
einem Prozent pro Jahr sollen in den nächsten drei Jahren nach einer Überprü-
fung folgen.

Die EU-Kommission hat im Zuge der Beschlüsse zum sogenannten „Gesund-
heitscheck“ der europäischen Agrarpolitik (GAP) den Entschluss zum Auslau-
fen der Quotenregelung 2015 bekräftigt und in der Zeit bis dahin ein sogenann-
tes „Soft Landing“ angeboten. Damit sollen sich die Milchbetriebe langsam auf
den weltweit liberalisierten Milchmarkt mit Hilfe von Begleitprogrammen zum
Auslaufen der Milchquoten einstellen.

Die Bundesregierung hat angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs schnelle
Hilfe für die Milchbetriebe angekündigt und einige Initiativen in Aussicht ge-
stellt, die in der agrarpolitischen Debatte nicht unumstritten sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche kurz- und mittelfristige Entwicklung der Milchmärkte erwartet die
Bundesregierung, und wie werden sich die Erzeugerpreise für Milch nach
ihrer Einschätzung kurz- bzw. mittelfristig entwickeln?

2. Wie viele Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger haben in den vergangenen
zwölf Monaten die Milchviehhaltung aufgegeben?

3. Welche konkreten Ziele verfolgt die Bundesregierung mit den vorgeschlage-
nen Maßnahmen im Rahmen des so genannten Milchfonds?
4. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung von Milcherzeugerbetrie-
ben nach einer Stärkung ihrer Rechtsposition in der Wertschöpfungskette
(Milchverarbeitung, Milchvermarktung)?

5. Von welchem Umfang der Betriebsaufgaben geht die Bundesregierung in
den nächsten Jahren bei der Milchproduktion aus, und wie will sie darauf
reagieren?

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6. Wie viele Arbeitsplätze bzw. Familienexistenzen wären davon betroffen
(bitte getrennt nach Bundesländern)?

7. Sieht die Bundesregierung in Zukunft die Notwendigkeit, auf eine Über-
produktion von Milch in Deutschland zu reagieren?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

8. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der Milcherzeugerinnen
und Milcherzeuger, die Saldierung abzuschaffen, um die Produktions-
menge wirksam zu reduzieren?

9. Geht die Bundesregierung davon aus, dass eine Milchüberproduktion in
Deutschland oder der EU nach 2015 ohne jegliche Mengenregelung ver-
hindert werden kann?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

10. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben aus Sicht der Bundesregierung
die einzelnen Mitgliedstaaten der EU, die Menge der Milcherzeugung zu
steuern?

11. Wie hoch liegen nach Kenntnis der Bundesregierung die Produktionskos-
ten je Liter Rohmilch in Abhängigkeit von Herdengröße, Flächenintensität,
Haltungsform und Region?

12. Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung die wichtigsten Input-
güter in der Rohmilchproduktion, und wie haben sich in den vergangenen
Jahren die Inputpreise für Milchproduzenten entwickelt?

13. Wie viel Prozent der milcherzeugenden Betriebe können nach Kenntnis der
Bundesregierung bei den aktuellen Erzeugerpreisen ihre Kosten decken?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Schuldenstand der
Milchviehbetriebe, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen
Daten?

15. Haben die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger aus Sicht der Bundes-
regierung vorwiegend ein vorübergehendes Liquiditätsproblem oder eher
ein langfristiges Problem, kostendeckende Preise zu erzielen?

16. Inwieweit werden die in der letzten Frage angesprochenen Probleme durch
die Vorziehung von EU-Direktzahlungen an Landwirtinnen und Landwirte
um einige Monate aus Sicht der Bundesregierung gelöst?

17. Besteht aus Sicht der Bundesregierung ein Gefälle in der Marktmacht zwi-
schen Rohmilchproduzenten und Einzelhandel, im Speziellen Lidl und Aldi,
welche nach Ministeriumsangaben zwei Drittel der Nachfrage abdecken
(FAZ vom 24. März 2009), und wie begründet sie ihre Position?

18. Sieht die Bundesregierung Hinweise, dass der Einzelhandel im Falle der
Milchpreise gegen das wettbewerbsrechtliche Dumpingverbot verstößt, und
welche Schritte plant sie in diesem Zusammenhang?

19. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer gesetzlichen Erweite-
rung des Dumpingverbotes für den Lebensmittelhandel mit dem Ziel, den
Verkauf unter den Herstellungskosten generell zu verbieten, und wie be-
gründet sie ihre Position?

20. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Bundeskartellamtes, dass
der Milchlieferstopp der Milchproduzenten im Mai 2008 eine Beschrän-

kung von Wettbewerb darstellte, und falls ja, wie begründet sie dies ange-
sichts der Konzentration im Einzelhandel?

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21. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass Steuererleichterungen für
Landwirtinnen und Landwirte aufgrund der Marktmacht des Einzelhandels
weitgehend durch sinkende Erzeugerpreise zunichte gemacht werden und
deshalb im Ergebnis zu höheren Gewinnen des Einzelhandels führen?

22. Hält die Bundesregierung angesichts der Marktmacht des Einzelhandels
Eingriffe in die Preisgestaltung bei Rohmilch für notwendig, und wie be-
gründet sie ihre Position?

23. Wie bewertet die Bundesregierung im Nachhinein die Wirksamkeit der Zu-
sage der Supermarktkette Lidl vom Juni 2008, aus „soziale[r] Verantwor-
tung der deutschen Landwirtschaft gegenüber“ mehr für Milch zu bezah-
len, und welche gesetzlichen Maßnahmen sind geplant, um den Einzelhan-
del stärker auf seine soziale Verantwortung zu verpflichten?

24. Sind der Bundesregierung empirische Belege für die Annahme bekannt,
dass steigende Exporte von Milcherzeugnissen aus Deutschland dazu füh-
ren könnten, die Erzeugerpreise für Rohmilch auf ein für Durchschnitts-
betriebe kostendeckendes Niveau zu heben, und wie lauten diese?

25. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorwurf von Entwicklungsorgani-
sationen wie Oxfam oder Deutsche Welthungerhilfe, die EU würde mit
ihren Exportsubventionen für Milchprodukte die Landwirtschaft in Ent-
wicklungsländern zerstören, und wie begründet sie ihre Position?

26. Welche Schritte plant die Bundesregierung gegen Exportsubventionen der
EU für Milchprodukte?

27. Welche Rolle spielt nach Kenntnis der Bundesregierung in Kanada die
Mengenquotierung der Rohmilchproduktion, und wie wird dort die kurz-
fristige Anpassung an die Entwicklung des Verbrauchs vorgenommen?

28. Ist es für die Bundesregierung vorstellbar, die Beschlüsse zur kompletten
Abschaffung der Milchquotenregelung zu revidieren und ein System
flexibler Mengenregulierung – angelehnt an das kanadische Modell – zu
prüfen?

29. Wie und durch wen wird in Kanada nach Kenntnis der Bundesregierung
der Erzeugerpreis für Rohmilch festgesetzt?

30. Wie und durch wen wird nach Kenntnis der Bundesregierung die Quote für
Rohmilch in Norwegen festgesetzt?

31. Wie viel Prozent der Milchquoten wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit 1997 vom norwegischen Staat aufgekauft und aus dem Markt ge-
nommen?

32. Erwägt die Bundesregierung, durch die Förderung von freiwilligem Liefer-
verzicht durch Milchbäuerinnen und Milchbauern die Produktionsmenge
von Rohmilch in Deutschland zu verringern, und, falls nicht, wie begründet
sie dies?

33. Wie und durch wen wird in Norwegen nach Kenntnis der Bundesregierung
der Ziel- bzw. Referenzpreis für Rohmilch festgesetzt?

34. Wie wird in Norwegen nach Kenntnis der Bundesregierung sichergestellt,
dass der tatsächliche Rohmilchpreis sich nicht zu weit vom Ziel- bzw.
Referenzpreis entfernt?

Berlin, den 18. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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