BT-Drucksache 16/13060

Keine Sonderstellung der Bundeswehr an Schulen

Vom 14. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13060
16. Wahlperiode 14. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Sonderstellung der Bundeswehr an Schulen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Maßgebend für die Planung und Durchführung der politischen Bildung an den
Schulen sollte der sogenannte Beutelsbacher Konsens von 1976 sein, der drei
Prinzipien für den Unterricht festgelegt hat: Überwältigungsverbot, Kontrover-
sität und Schülerorientierung. Das Münchener Manifest von 1997 ergänzt dies
um eine weitere wichtige Leitlinie: Politische Bildung im öffentlichen Auftrag
soll pluralistisch, überparteilich und unabhängig erfolgen. Hiergegen wird in der
Praxis verstoßen: Allein im letzten Jahr hielten die 94 Jugendoffiziere der Bun-
deswehr etwa 3 900 Vorträge zu außen- und sicherheitspolitischen Themen an
den Schulen, mehr als 400 Seminare und 80 sogenannte „Besuche bei der
Truppe“ wurden organisiert. In der Regel herrscht für die Schülerinnen und
Schüler hierbei Anwesenheitspflicht. Auf diese Art und Weise konnte die Bun-
deswehr 2008 etwa 130 000 Schülerinnen und Schülern exklusiv ihre Weltsicht
vermitteln. Neben den Jugendoffizieren entsendet die Bundeswehr auch regel-
mäßig Wehrdienstberater an die Schulen, um für die Bundeswehr Nachwuchs zu
rekrutieren. Dabei wird in Einzelfällen auch militärisches Gerät auf dem Schul-
gelände präsentiert. Einen vergleichbaren Zugang zu den Jugendlichen genießt
kein anderes Bundesministerium. Gegen diese Bundeswehraktivitäten regt sich
auch bei den Schülerinnen und Schülern Protest. Am 15. März 2009 hat die Lan-
desschülervertretung Nordrhein-Westfalen auf ihrer Landesdelegiertenkonfe-
renz einen entsprechenden Antrag verabschiedet.

Für die außen- und sicherheitspolitischen Bildungsinhalte des Schulunterrichts
sind in erster Linie die Schulen verantwortlich. Das Lehrpersonal ist hierfür zu
qualifizieren. Außerhalb der Schulen existiert zudem eine breite Bildungs-
landschaft, u. a. in Jugendverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und anderen
Verbänden und Initiativen, die in der Lage sind, unabhängige Expertisen für die
schulische Bildung zur Verfügung zu stellen. Diese Potentiale müssen für die

Bildungsarbeit im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik sowie friedlicher
Konfliktlösung stärker als bisher gefördert und genutzt werden. Bislang profi-
tierte in erster Linie die Bundeswehr von dem Kapazitätsabbau im schulischen
Sektor. Weniger Lehrpersonal, weniger Lehrmittel, weniger Gelder für Aus-
flüge ermöglichen es der Bundeswehr den Schulen vermeintlich attraktive
Angebote zu unterbreiten: Die Jugendoffiziere bieten den Schulen bzw. dem
Lehrpersonal nicht nur Vorträge und Bundestagsbesuche an, sondern organisie-

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ren auch Truppenbesuche für die in der Regel minderjährigen Schülerinnen und
Schüler, inklusive Schießübungen bzw. Schießsimulationen. Außerdem enga-
gieren sich die Jugendoffiziere zunehmend in der Ausbildung der Lehrkräfte
und Referendarinnen und Referendare. Im Dezember 2008 wurde zum Beispiel
in Nordrhein-Westfalen eine entsprechende Kooperationsvereinbarung unter-
zeichnet. In jedem Bundesland gibt es u. a. einen Bezirksjugendoffizier, der den
Kontakt auf der Arbeitsebene zu den Schulaufsichtsbehörden bis hin zum Kul-
tusministerium hält und die Angebote der Jugendoffiziere kommuniziert. Darü-
ber hinaus profitiert die Bundeswehr auch davon, dass weder das eigentlich für
die Außen- und Sicherheitspolitik zuständige Auswärtige Amt noch das Bun-
desministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit ver-
gleichbaren Mitteln ausgestattet ist und auch andere gemeinnützige Initiativen
aus dem Bildungssektor dem Lehrpersonal keine ähnliche Angebotspalette an-
bieten können. Die Bundeswehr beteiligt sich sogar inhaltlich und finanziell an
der Erstellung und Verbreitung von Lehr- und Unterrichtsmaterialien, die offi-
ziell von gemeinnützigen Vereinen, wie der Arbeitsgemeinschaft „Jugend und
Bildung e. V.“, erstellt und verbreitet werden. Damit wird gerade im sensiblen
Bereich der Verteidigungspolitik eine auf Pluralität und Kontroversität basie-
rende Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler verhindert. Es kann nicht
erwartet werden, dass das Lehrpersonal regelmäßig in der Lage wäre, vis-a-vis
der Bundeswehr die Alternativen, wie z. B. zivilgesellschaftliche Konflikt-
lösungsstrategien, kompetent zu vertreten.

Die gegenwärtige Praxis seitens des Bundesministeriums der Verteidigung,
eigene Kapazitäten für die schulische Bildung zu unterhalten, muss beendet
werden. Die privilegierte Einflussnahme der Bundeswehr auf minderjährige
Schülerinnen und Schüler ist nicht vereinbar mit den Grundsätzen der poli-
tischen Bildung. Die Bundeswehr ist weder unabhängig noch in der Lage glaub-
würdig die Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze zur Wehrpflicht, zum Auftrag
der Bundeswehr und zu den Zielen der Außen- und Sicherheitspolitik darzustel-
len. Mit ihrer Arbeit an den Schulen verfolgen die Jugendoffiziere vor allem drei
Ziele: die Legitimation für den auch völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundes-
wehr als Instrument der Außenpolitik, die indirekte Nachwuchswerbung für die
Bundeswehr und die Informationssammlung über die Meinungslage unter
Jugendlichen zur Verbesserungen der eigenen Werbestrategie. Die Arbeit der
Jugendoffiziere an den Schulen ist darüber hinaus fest eingebunden und abge-
stimmt mit den anderen Maßnahmen der Bundeswehr zur Verbesserung der
gesellschaftlichen Akzeptanz der Streitkräfte und ihres Images als attraktiver
und interessanter Arbeitgeber, wie z. B. den feierlichen Gelöbnissen und
Zapfenstreichen an repräsentativen Orten, dem Bau eines Ehrenmals für
Bundeswehrsoldaten, Sportevents, Kasernentouren, „Tag der offenen Tür“ und
anderen Veranstaltungen für Jugendliche, der Teilnahme an Rüstungsmessen,
wie z. B. der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung, sowie nicht
zuletzt der Tätigkeit der Wehrdienstberater.

Unabhängig davon, dass die Ausgestaltung des Schulunterrichts und die Inan-
spruchnahme von Angeboten Dritter im Rahmen der politischen Bildung an den
Schulen weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer fällt, hat die
Bundesregierung die Möglichkeit und die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Ent-
wicklung eigener Angebote und der Umgang mit Anfragen aus den Schulen an
Einrichtungen des Bundes dem Gebot der Pluralität, Kontroversität und Unab-
hängigkeit gerecht wird. Gerade im Bereich der außen- und sicherheitspoliti-
schen Information bedeutet dies, die privilegierte Stellung der Bundeswehr zu
überwinden.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen nur dann zu genehmigen, wenn
im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen die Pluralität durch die Teil-
nahme anderer gesellschaftlicher Verbände und Initiativen gewährleistet ist;

2. jede Einbindung der Bundeswehr in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräf-
ten und Referendarinnen und Referendare zu unterlassen und bereits be-
stehende Kooperationsvereinbarungen mit den Bundesländern aufzukün-
digen;

3. Sorge dafür zu tragen, dass die Bundeswehr weder unmittelbar noch mittel-
bar Lehr- und Unterrichtsmaterialien zur Verwendung an zivilen Schulen er-
stellt;

4. Anfragen von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zur Unterstüt-
zung der ergänzenden politischen Bildung von Kindern und Jugendlichen in
Zukunft durch ziviles Personal abzudecken und hierfür geeignete Maßnah-
men unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
und mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung und des
Auswärtigen Amts zu ergreifen;

5. dafür zu sorgen, dass kein militärisches Gerät auf dem Schulgelände ausge-
stellt wird.

Berlin, den 14. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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