BT-Drucksache 16/12894

Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen durch steuerliche Förderung gezielt stärken

Vom 6. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12894
16. Wahlperiode 06. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kerstin Andreae, Christine Scheel,
Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Krista Sager,
Grietje Staffelt, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert, Anna Lührmann, Brigitte
Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen durch steuerliche
Förderung gezielt stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise muss als Chance zur ökologischen
Modernisierung der Wirtschaft in Deutschland genutzt werden. Dafür müssen
heute die Weichen richtig gestellt werden. Grundlage hierfür sind ambitionierte
und verbindliche Umweltziele, funktionierende Märkte durch fairen Wettbewerb
und verstärkte Investitionen in Forschung und Entwicklung. Nur dieser Drei-
klang schafft nachhaltigen Wohlstand, schont die Umwelt und sichert den Men-
schen Lebensqualität, Arbeit und Einkommen. Die Märkte von morgen sind
grün. Hier liegen die Chancen für Deutschland, für Europa und für die Weltwirt-
schaft. Ohne eine gesunde ökologische Entwicklung gibt es keine gesunde öko-
nomische Entwicklung. Das gilt in Zeiten von Klima- und Wirtschaftskrise mehr
denn je. Die Verknüpfung dieser Herausforderungen macht innovative Lösungen
noch notwendiger. Innovationen brauchen die richtigen Rahmenbedingungen. In
der Wirtschaft kommt es dabei zum einen auf gut ausgebildete Fachkräfte an.
Zentral für das Stimulieren von Innovation sind aber auch effiziente Anreize für
Forschung und Entwicklung in den Unternehmen selbst.

Noch produzieren die deutschen Unternehmen auf der Basis überdurchschnitt-
licher Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, doch schmilzt der Vor-
sprung gegenüber anderen Ländern seit 2003 kontinuierlich. Die Ausgaben von
Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung stagnieren seit Jahren bei
rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Damit sind wir weit vom
3- Prozent-Ziel der Lissabonstrategie entfernt. Andere Länder sind deutlich bes-
ser aufgestellt: Schweden investiert 3,7 Prozent des BIP in Forschung und Ent-
wicklung, auch Japan und Finnland liegen deutlich vor Deutschland. Gleichzei-
tig holen wichtige Schwellenländer rasant auf: So hat China seine Investitionen
in Forschung und Entwicklung seit Mitte der 1990er Jahre mehr als versieben-

facht, die dortigen Unternehmen haben ihre Investitionen sogar mehr als ver-
zehnfacht. Insgesamt hat China dadurch inzwischen Deutschland in der Summe
der absoluten Ausgaben für Forschung und Entwicklung überholt.

Die direkte Förderung von Forschung und Entwicklung in Unternehmen spielt in
Deutschland bisher eine untergeordnete Rolle. So gab im Jahr 2006 der Bund 9,3
Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung aus. 4,3 Mrd. Euro flossen davon in
die institutionelle Förderung an staatlichen Forschungseinrichtungen, 3,8 Mrd.
Euro in die Projektförderung, von der sowohl Forschungseinrichtungen als auch

Drucksache 16/12894 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Unternehmen profitieren. Zwischen 1981 und 2006 ist der staatliche Finanzie-
rungsanteil an Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der Wirtschaft in
Deutschland von 16,9 auf 4,5 Prozent gefallen. In anderen Ländern ist dieser An-
teil konstant und wesentlich höher. Hinzu kommt, dass in Krisenzeiten viele Un-
ternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsausgaben zurückfahren. Um so
fataler wirken sich nun die innovationsfeindlichen Neuregelungen in der Unter-
nehmenssteuerreform der großen Koalition von 2008 aus wie z. B. die steuer-
lichen Verschärfungen bei Funktionsverlagerungen. Denn gerade jetzt sind mehr
Investitionen in Forschung und Entwicklung nötig, um die ökologische Moder-
nisierung voranzutreiben, die die Wirtschaft gestärkt aus der Krise hervorgehen
lässt. Denn Forschungs- und Innovationspolitik ist auch ein zentrales Element
der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunftsvorsorge.

Im Gegensatz zu den meisten OECD-Staaten (OECD: Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) fördert Deutschland Forschung
und Entwicklung (FuE) in Unternehmen bisher nicht steuerlich, sondern be-
schränkt sich auf die Projektförderung. Sie hat den Vorteil, dass der Staat ganz
gezielt in Zukunftsbereiche, wie beispielsweise die Erforschung von Energieeffi-
zienztechnologien, investiert. Allerdings weist die Projektförderung auch einige
Nachteilen auf: Es besteht zum einen ein unübersichtlicher Dschungel aus Pro-
grammen unterschiedlicher Bundesministerien und staatlicher Ebenen und zum
anderen ein relativ hoher bürokratischer und zeitlicher Aufwand durch die not-
wendigen Antrags- und Bewilligungsverfahren. Weiterhin fallen bestimmte in-
novative Ideen von vornherein durch das Förderraster, weil es kein entsprechen-
des Programm gibt, da nicht jede sinnvolle Neuerfindung vorhersehbar ist. Des-
wegen setzen die meisten Staaten auf eine Kombination von Projektförderung
und steuerlicher Förderung und nutzen so die Stärken beider Instrumente für ih-
ren Innovationsstandort.

Damit die ökologische Modernisierung flächendeckend erfolgt, sind Innovatio-
nen in allen Branchen nötig. Gerade in der derzeitigen, wirtschaftlich schwie-
rigen Phase kommt der Forschungs- und Innovationspolitik eine zentrale Rolle
zu. Die Krise der Automobilindustrie trifft auch die Innovationskultur in
Deutschland an einem zentralen Punkt, denn in den letzten Jahren war gerade der
Kapazitätszuwachs im deutschen Automobilbau herausragend hoch: Über die
Hälfte des Zuwachses an FuE-Kapazitäten in Deutschland ist seit 1995 im Auto-
mobilbau geschaffen worden. Seit 2005 hat sich diese Entwicklung sogar noch
verstärkt. Dementsprechend gefährlich wird die Krise im Automobilbau nun für
die Innovationsleistung in Deutschland. Auch die beiden anderen zentralen Inno-
vationsbereiche, Chemieindustrie und Maschinenbau, haben derzeit mit starkem
Nachfragerückgang zu kämpfen.

Um neben diesen etablierten Erfolgsbranchen, die unter starkem Druck stehen,
neue Quellen von Wertschöpfung und Wohlstand konsequenter als bisher zu er-
schließen, müssen vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stärker als
bisher in Forschung und Entwicklung investieren. Gerade bei KMU liegt bisher
in Deutschland ein enormes Innovationspotenzial brach. So stellt das „Gutachten
zu Forschung Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2009“ der Ex-
pertenkommission Forschung und Innovation (EFI) aktuell fest: Nur 14 Prozent
der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Wirtschaft in Deutschland ent-
fallen auf KMU, obwohl sie das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Ge-
rade KMU sind für die ökologische Modernisierung der Wirtschaft von entschei-
dender Bedeutung. Da ressourceneffiziente Produktionsmittel, nachhaltige Pro-
dukte und Umwelttechnologien die Märkte der Zukunft bestimmen, investieren
forschende Unternehmen in diesem Bereich bereits. Doch angesichts der drän-
genden Probleme des Klimawandels und der schrumpfenden Forschungs- und
Entwicklungstätigkeit von Unternehmen in der Wirtschaftskrise muss die Politik

eine umfassende ökologische Neuausrichtung der Wirtschaft aktiv beschleuni-
gen. Denn die Forschungs- und Entwicklungsbudgets der KMU drohen den
Sparzwängen in der Wirtschaftskrise zum Opfer zu fallen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12894

Durch die bisher übliche Projektförderung allein können wir das Innovationspo-
tenzial der KMU nicht halten, geschweige denn zusätzlich aktivieren. Ein großes
Potenzial, die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der deutschen Wirt-
schaft insgesamt deutlich zu erhöhen, liegt vor allem bei den Unternehmen, die
bislang nur gelegentlich Forschung und Entwicklung betreiben. Dies ist für rund
ein Drittel der KMU anzunehmen. Aber auch KMU, die bisher nicht innovativ
tätig waren, können durch diesen Anreiz für mehr Forschungstätigkeit gewonnen
werden. Damit könnten die etwa 60 Prozent der KMU, die im Dienstleistungsbe-
reich angesiedelt sind, für die Forschung gewonnen werden. Ein Bereich, in dem
die Forschungsleistung in Deutschland bisher generell unterdurchschnittlich ist
und dringend der Stärkung bedarf.

Um die Innovationsfähigkeit Deutschlands systematisch zu stärken, bedarf es
deswegen der Einführung einer Steuergutschrift für Forschung und Entwicklung,
die gezielt kleinen und mittleren Unternehmen zu Gute kommt. Diese führt zu
einer Verbesserung der internen Finanzierungsmöglichkeiten und würde eine er-
hebliche mobilisierende Wirkung für zusätzliche Investitionen in Forschung und
Entwicklung entfalten. Denn eine intelligent ausgestaltete steuerliche For-
schungsförderung stimuliert ergebnisoffene Forschungs- und Entwicklungspro-
zesse. Sie ist ein einfaches Mittel, um auf unbürokratische Weise Forschung und
Entwicklung auch in kleinen und mittleren Unternehmen attraktiver zu machen,
und soll neben der Projektförderung als ein weiterer Baustein der Innovations-
politik etabliert werden. Internationale empirische Studien haben gezeigt, dass
Unternehmen langfristig die Steuerersparnis zumindest in etwa gleicher Höhe in
zusätzliche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben investieren, teilweise er-
mitteln Studien auch eine deutlich größere Hebelwirkung.

Die bisherige Innovationsförderung in Deutschland erreicht KMU nur unzu-
reichend und benachteiligt sie im Vergleich zu großen Unternehmen. Auch die
Konzentration der Projektförderung auf bestimmte Technologiefelder schließt
viele KMU von vornherein von einer Förderung aus. Der hohe bürokratische
Aufwand wirkt abschreckend, Informationen und Beratung kommen nicht an.
Zwei Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen glauben, dass es keine För-
derung gäbe, ein Drittel erwartet einen zu hohen Bewerbungsaufwand. Lediglich
ein Drittel der KMU haben sich in den letzten fünf Jahren mit den Möglichkeiten
zur staatlichen Förderung von Forschung und Entwicklung beschäftigt und nur
knapp die Hälfte hiervon stellte schließlich einen Antrag. Im Ergebnis bedeutet
das: Die Wahrscheinlichkeit gefördert zu werden, ist für Großunternehmen zwei-
einhalb Mal größer als für KMU. Die Bundesregierung versucht dieser Benach-
teiligung durch den Ausbau der themenoffenen Förderung von Forschung und
Entwicklung im Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) entgegen-
zuwirken. Doch dieser halbherzige Schritt reicht nicht aus, um das Innovations-
potenzial von KMU nachhaltig zu aktivieren.

Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen für die Finanzierung von For-
schung und Entwicklung für KMU in Deutschland schlecht sind und in der Krise
noch schlechter werden. Viele innovative Betriebe und Start-Ups haben keinen
ausreichenden Zugang zu Wagniskapital als Finanzierungsquelle. Deswegen hat
die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits konkrete Forde-
rungen eingebracht, mit denen die steuerlichen Rahmenbedingungen für innova-
tionsstarke KMU in Bezug auf Wagniskapital deutlich verbessert würden (Bun-
destagsdrucksache 16/4758). Allerdings hat die Große Koalition den Antrag
schon im Sommer 2008 abgelehnt.

Bisher müssen Forschung und Entwicklung in der Regel aus Eigenkapital bestrit-
ten werden. Die traditionell niedrige Eigenkapitalquote deutscher KMU wird
dadurch zu einem starken Innovationshemmnis. Die im Steuerrecht schon lange

angelegte steuerliche Benachteiligung von Eigenkapital ist durch die konkrete
Ausgestaltung der Abgeltungsteuer durch die Große Koalition noch einmal ver-
schärft worden.

Drucksache 16/12894 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Mittel für die steuerliche Forschungsförderung müssen zusätzlich zur Pro-
jektförderung aufgebracht werden. Die zu erwartenden Steuermindereinnahmen
von jährlich ca. 600 Mio. Euro könnten auf der Bundesseite u. a. durch eine Um-
widmung von Mitteln innerhalb des Haushalts des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung gedeckt werden. So werden die jährlich rund 230 Mio. Euro
für die Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Versuchs- und Demonstrations-
anlagen in Zukunft aus der Kernbrennstoffsteuer aufgebracht werden können,
die Bundesminister Sigmar Gabriel einführen will. Auch die Mittel der For-
schungsprämie sollten zukünftig für die steuerliche Forschungsförderung einge-
setzt werden. Diese Fördermittel sind gut eingesetzt, denn vergleichende interna-
tionale Studien zeigen, dass sie im Durchschnitt einen gesamtwirtschaftlichen
Wohlstandsgewinn von rund einem Drittel des Gesamtvolumens der Fördermaß-
nahmen bewirken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zügig einen mit den Ländern abgestimmten Gesetzentwurf vorzulegen, der die
steuerlichen Bedingungen für Forschung und Entwicklung in kleinen und mitt-
leren Unternehmen (KMU) zielgenau verbessert.

Dieser sollte folgende Kernpunkte umsetzen:

● Anspruchsberechtigt sind alle Unternehmen, die nicht von einem oder mehre-
ren zusammenwirkenden Großunternehmen beherrscht werden, bis zu einer
Größe von 250 Mitarbeitern, unabhängig von der Rechtsform.

● Die Steuergutschrift beträgt 15 Prozent der nachgewiesenen Forschungs- und
Entwicklungsaufwendungen.

● Übersteigt die Steuergutschrift die Steuerschuld, wird der entsprechende
Betrag an das Unternehmen ausgezahlt.

● Als Bemessungsgrundlage wird der Gesamtbetrag der Aufwendungen für
Forschung und Entwicklung zugrunde gelegt.

● Sowohl Personalkosten als auch Sachausgaben und Investitionen für For-
schung und Entwicklung werden berücksichtigt.

● Eine praxistaugliche Abgrenzung der förderfähigen Aufwendungen soll in
Anlehnung an das „Frascati-Manual“ der OECD gemeinsam von Wirtschaft
und Finanzverwaltung erarbeitet werden.

● Auftragsforschung wird beim Auftraggeber berücksichtigt.

● Um die Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt der Europäischen Union
zu garantieren, sind von vorneherein die Vorgaben der EU-Kommission mit
einzubeziehen.

● Die Wirkung der Steuergutschrift wird erstmalig zwei Jahre nach der Einfüh-
rung und dann regelmäßig im Rahmen des EFI-Gutachtens überprüft.

Außerdem müssen Bund und Länder sich angesichts der ökonomischen Krise
dringend auf eine Straffung und Vereinfachung der Projektfördersysteme einigen
und die Transparenz in den jeweiligen Vergabeverfahren erhöhen.

Schließlich wird die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich die steuerli-
chen Rahmenbedingungen für innovationsstarke KMU in Bezug auf Wagniska-
pital deutlich zu verbessern. Entsprechende Vorschläge liegen schon vor (siehe
Bundestagsdrucksache 16/4758).

Berlin, den 6. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.