BT-Drucksache 16/12823

Hausarztverträge - Honorarsteigerungen zulasten der Versicherten

Vom 30. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12823
16. Wahlperiode 30. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert
und der Fraktion DIE LINKE.

Hausarztverträge – Honorarsteigerungen zulasten der Versicherten

Nach dem im Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) neu gefassten § 73b des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) gilt Folgendes: „Zur flächen-
deckenden Sicherstellung des Angebots nach Absatz 1 haben Krankenkassen
allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum
30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die
Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des
Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten.“ Ab 1. Juli 2009 können
die Vereinigungen ein Schiedsverfahren einleiten, sollte bis dann kein Ab-
schluss vorliegen. Die Ärztevereine können also Verhandlungen verschleppen
und auf ein Schiedsverfahren setzen, falls ihnen die Angebote der Kassen nicht
ausreichen. Dies geschieht auch derzeit in Bayern. Der § 73b zwingt die Kassen
zum Vertragsabschluss, auch zu schlechten Konditionen.

Diese Neuregelung ersetzt ein altes Monopol, das der Kassenärztlichen Vereini-
gungen (KV), durch ein neues Monopol, da in aller Regel nur der Deutsche
Hausärzteverband das Kriterium erfüllt, mindestens die Hälfte der an der haus-
ärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte zu vertreten. Dieses neue
Monopol ist jedoch politisch kaum kontrollierbar, da nun großflächige Versor-
gungsverträge mit eingetragenen Vereinen geschlossen werden müssen. Es ist
nicht mehr die KV als Körperschaft des öffentlichen Rechts, also als staatsnahe
Institution, die über die für die Menschen überaus wichtige Versorgungsauf-
gabe der Kassenärzte und deren Sicherstellung wacht.

Diese Regelung führt zu gefährlichen „Blüten“: In Bayern hat bereits Ende
2008 der Bayerische Hausärzteverband mit der AOK Bayern einen Versor-
gungsvertrag abgeschlossen. Für die Hausärzte heißt das im Kern, dass sie für
vergleichbare Leistungen mehr Geld erhalten.

Den Fragestellern liegen Schreiben von Ärzten vor, die ihre Patientinnen/
Patienten in Folge aufforderten, dem AOK-Hausarztvertrag beizutreten. Hier-
für wurde teilweise eine bessere Behandlung von AOK-Patientinnen/Patienten

versprochen und teils auch gewährt (z. B. kürzere Wartezeiten). Es existiert
auch ein Schreiben des Bayerischen Hausärzteverbandes, in dem gefordert
wird, die Ärzte sollen den Versicherten außerhalb des Hausarztvertrages nur
noch eine zweistündige Notfallsprechstunde anbieten. All dies ist rechtlich
natürlich vollkommen inakzeptabel, aber eben auch eine direkte Folge des
GKV-OrgWG, das ein solches Verhalten offenbar honoriert.

Drucksache 16/12823 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Verträge, z. B. in Baden-
Württemberg mit den MEDI-Verträgen.

Der „Dienst für Gesellschaftspolitik“ (dfg) vom 26. März 2009 schreibt auf
S. 2 von „höheren prozentualen Verwaltungskosten“, die diese Hausarztver-
träge kosten und die an MEDI und den Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV)
fließen. 3,5 Prozent des Honorars seien von den teilnehmenden Ärzten an ihre
Berufsverbände zu zahlen (S. 5).

Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, Thomas Ballast, hat
von Mehrbelastungen der Kassen durch den § 73b SGB V von vier Mrd. Euro
gesprochen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es zu, dass die Hausärzteverträge Vorteile für die Versicherten brin-
gen?

Wenn ja, welche zusätzlichen Leistungen können die Versicherten all-
gemein und durch die einzelnen Verträge erwarten?

2. Haben die Ärzte zusätzliche Leistungen zu erbringen gegenüber der Ver-
sorgung durch Verträge mit der KV?

3. Erhalten die Ärzte in den bestehenden Hausarztverträgen höhere Honorare
als bei einer vergleichbaren Leistung innerhalb der Verträge mit der KV?

4. Trifft es zu, dass die Notfallversorgung bei Urlaubsaufenthalten der einge-
schriebenen Versicherten in anderen Bundesländern nicht gewährleistet ist?

Wenn doch, auf welcher rechtlichen Grundlage?

5. Welche finanziellen Folgen hat die Budgetbereinigung um die Hausarzt-
honorare für das Budget der KVen?

6. Welche finanziellen Folgen haben die bestehenden Hausarztverträge nach
§ 73b SGB V für die beteiligten Krankenkassen gegenüber der gewöhn-
lichen vertragsärztlichen Versorgung?

Ist die Schätzung des Verbandes der Ersatzkassen von vier Mrd. Euro
Mehrkosten schlüssig?

7. Sind diese Mehrkosten in die Kalkulation der Ausgaben der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) für 2009 eingeflossen oder werden diese Zu-
satzbeiträge für die Versicherten zur Folge haben?

8. Hat die Bundesregierung mit der Einführung des § 73b SGB V eine Stär-
kung der Position der Hausärzte in Honorarverhandlungen beabsichtigt?

9. Wie können sich Krankenkassen gegen zu hohe Honorarforderungen der
Ärzte wehren?

Welche Handlungsoptionen haben die Kassen, wenn es nur einen mög-
lichen Vertragspartner gibt, mit dem sie aber laut Gesetz bis Ende Juni
2009 einen Vertrag abgeschlossen haben müssen?

10. Wie schätzt die Bundesregierung die Höhe der vereinbarten Honorierung
pro Patient und Quartal bei den Hausarztverträgen im Vergleich mit den
Vereinbarungen der KVen mit den Kassen ein?

11. Stehen Hausarztverträge, die bislang eine deutlich höhere Honorierung
vorsehen als die kassenärztliche Versorgung im Einklang mit dem Grund-
satz der sparsamen Mittelverwendung?

Gibt es hierzu aufsichtsrechtliche Prüfungen, und wenn ja, welche?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12823

12. Wie hoch sind die Verwaltungskosten der einzelnen KVen/der Etat der
KVen pro Versichertem gemessen an den gesamten Ausgaben der GKV pro
Versichertem?

13. Wie hoch ist der Etat des Bayerischen Hausärzteverbandes pro eingeschrie-
benem Versicherten gemessen an den gesamten GKV-Ausgaben pro einge-
schriebenem Versicherten?

14. Wie viel zahlen die an den Hausarztverträgen teilnehmenden Hausärzte an
ihre Organisationen?

Sind die in „Dienst für Gesellschaftspolitik 13-09“ auf S. 5 genannten
3,5 Prozent richtig?

15. Müssen Ärzte, die nicht Mitglied in der vertragsabschließenden Organisa-
tion sind, höhere Provisionen an diese zahlen?

16. Wird nach Ansicht der Bundesregierung durch die Regelung im § 73b
SGB V ein altes Monopol (KV) durch ein neues Monopol (Hausärztever-
band) ersetzt?

17. In welchen Bundesländern wird der in § 73b SGB V geforderte Organisa-
tionsgrad von 50 Prozent der Hausärzte erfüllt, und um welche Verbände
handelt es sich jeweils?

Berlin, den 28. April 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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