BT-Drucksache 16/128

Gegen eine europaweit verpflichtende Vorratsdatenspeicherung

Vom 1. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/128
16. Wahlperiode 01. 12. 2005

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Sibylle Laurischk, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Ina Lenke,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Jörg Rohde,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Gegen eine europaweit verpflichtende Vorratsdatenspeicherung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag bekräftigt angesichts des nunmehr vorliegenden
Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie zur Vorrats-
datenspeicherung von Telefon- und Internetdaten seine bereits in der
15. Wahlperiode zum Ausdruck gekommene Ablehnung einer Mindest-
speicherungsfrist für Verkehrsdaten.

2. Rechtstatsachen, die eine Neubewertung der Position des Deutschen Bun-
destages erforderten, sind nicht ersichtlich. Die im Rahmen der Beratungen
zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes formulierten und in der
Entschließung zum 19. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den
Datenschutz (Bundestagsdrucksache 15/4597 vom 22. Dezember 2004) be-
kräftigten Vorbehalte bestehen fort.

3. Die Speicherung von Daten auf Vorrat begegnet unverändert grundsätz-
lichen Bedenken in rechtsstaatlicher, wirtschaftlicher und technischer Hin-

sicht:

a) Eine obligatorische generelle Vorratsdatenspeicherung greift in das un-
verletzliche Grundrecht auf eine vertrauliche Kommunikation ein. Sie
steht in deutlichem Gegensatz zum vom Bundesverfassungsgericht im
Zusammenhang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
mung hervorgehobenen grundsätzlichen Verbot der Vorratsdatenspeiche-
rung. Das Ziel, organisierte Kriminalität und Terrorismus verhüten bzw.

Drucksache 16/128 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
bekämpfen zu wollen, wird vom Deutschen Bundestag ausdrücklich an-
erkannt. Dieses Ziel rechtfertigt es jedoch nicht, das Kommunikations-
verhalten der europäischen Bevölkerung lückenlos elektronisch zu er-
fassen und für Ermittlungszwecke zu speichern. Hieran vermag auch eine
gegenüber früheren Vorschlägen kürzere Speicherungsfrist nichts zu
ändern. Solange die Speicherung verdachtsunabhängig erfolgen soll, ist
die Frist letztlich beliebig und rechtsstaatlich nicht begründbar, vielmehr
ausschließlich an sicherheitspolitischen Erwägungen orientiert. Beden-
ken gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bestehen auch im Hin-
blick darauf, dass es Methoden gibt, die weniger stark in die Privatsphäre
eingreifen, z. B. das so genannte Quickfreeze-Verfahren.

b) Die Einführung einer Pflicht zu umfassender Datenspeicherung führt zu
erheblichen Investitions- und Betriebskosten bei den betroffenen Unter-
nehmen. Sie kann zu einem Verlust wirtschaftlicher Dynamik führen und
steht in einem Spannungsverhältnis zu dem vom EU-Gipfel in Lissabon
2000 beschlossenen Ziel, Europa bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbs-
stärksten Wirtschaftsregion der Welt zu machen. Auch sind hiermit
unkalkulierbare Risiken für die öffentlichen Haushalte verbunden. Wenn
private Unternehmen zur vorsorglichen Speicherung von Daten in die
Pflicht genommen werden, müssten Regelungen zur Übernahme der Kos-
ten durch die Mitgliedstaaten getroffen werden. Insoweit ist zu berück-
sichtigen, dass Sicherheitspolitik eine originäre Staatsaufgabe ist, die der
Staat grundsätzlich aus den Mitteln des öffentlichen Haushaltes zu be-
streiten hat. Eine solche Kostenerstattungspflicht müsste europaweit ein-
heitlich geregelt werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr von Wett-
bewerbsverzerrungen, die der Schaffung eines einheitlichen europäischen
Binnenmarktes zuwiderliefen.

c) In technischer Hinsicht bestehen Bedenken gegen die Beherrschbarkeit
der anfallenden Datenmengen. Bei den auch nach dem Vorschlag der
Kommission zu erwartenden enormen Datensätzen ist eine kurzfristige
Auswertung nicht möglich. Hinzu kommen zahlreiche einfache Um-
gehungsmöglichkeiten, die die Effektivität und den Sicherheitsnutzen der
Vorratsdatenspeicherung insgesamt in Frage stellen.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Willen des Deutschen Bundestages, eine Mindestspeicherungsfrist für
Verkehrsdaten zu verhindern, zur Grundlage ihrer Verhandlungen auf EU-
Ebene zu machen;

2. einen etwaigen Beschluss in den Gremien der Europäischen Union, der eine
solche Verpflichtung für Unternehmen in Deutschland vorsähe, nicht mitzu-
tragen.

Berlin, den 30. November 2005

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Antrag
Gegen eine europaweit verpflichtende Vorratsdatenspeicherung

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.