BT-Drucksache 16/12543

Rentenerhöhung 2009 und Auswirkungen der Konjunkturkrise auf die Rentenentwicklung bis 2013

Vom 1. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12543
16. Wahlperiode 01. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
Martina Bunge, Diana Golze, Katja Kipping, Elke Reinke, Frank Spieth, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Rentenerhöhung 2009 und Auswirkungen der Konjunkturkrise auf die
Rentenentwicklung bis 2013

Die Rentenerhöhung 2009 liegt seit Jahren erstmals wieder über der Inflations-
rate. Darauf brach nach Meldung der „Frankfurter Rundschau“ anscheinend ein
Wettrennen aus, wer diese Zahlen zuerst veröffentlicht, so „jubilierte Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) bereits eine Viertelstunde, bevor Sozialminister Olaf
Scholz die offiziellen Zahlen vorlegte“ (Frankfurter Rundschau vom 17. März
2009 „Mehr Rente gegen die Krise“).

„Die Rentenerhöhung von 2,41 Prozent ist eine Ausnahme, in den nächsten
Jahren drohen weitere Nullrunden.“ (Sozialverband Deutschland e. V. – SOVD:
www.verbaende.com/News.php4?m=60176). Mit den Rentenreformen seit
2001 wurden verschiedene Kürzungsfaktoren eingeführt. Diese sorgen dafür,
dass die Rentenerhöhungen langfristig hinter der Lohnentwicklung zurückblei-
ben. Einer davon ist der „Riesterfaktor“ (Altersvorsorgeanteil). Ein weiterer der
Nachhaltigkeitsfaktor. Die Aussetzung des Altersvorsorgeanteils sowie die
positive Entwicklung des Rentenquotienten im Nachhaltigkeitsfaktor sorgen in
diesem Jahr ausnahmsweise dafür, dass die Renten rund 1 Prozent stärker stei-
gen.

Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Rentenanpassung 2008 den Al-
tersvorsorgeanteil auf die Jahre 2012 und 2013 verschoben. Dadurch ergibt sich
im Jahr 2008 eine um 0,64 Prozentpunkte und für dieses Jahr eine um 0,63 Pro-
zentpunkte höhere Rentenanpassung. „DER TAGESSPIEGEL“ stellt fest: „Für
die Sonderrentenerhöhung im Jahr der Bundestagswahlen gebe es außer
wahltaktischen Erwägungen keinen plausiblen Grund.“ (Tagesspiegel vom
18. März 2009: www.tagesspiegel.de/politik/Rente;art771,2753751). Diese
Ausnahmeerhöhung von insgesamt rund 1,3 Prozentpunkten wird aufgrund der
Wiedereinsetzung des Altersvorsorgeanteils ab dem Jahr 2012 von den Renten
abgezogen.

Aufgrund der positiven konjunkturellen Entwicklung und der Zunahme sozial-
versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse wirkt sich der Nachhaltig-

keitsfaktor in diesem Jahr rentensteigernd aus. Denn er berücksichtigt die Ver-
änderung des Verhältnisses von Beitragszahlenden zu den Rentnerinnen und
Rentner. Bereits im nächsten Jahr ist damit zu rechnen, dass aufgrund des
Beschäftigungsrückgangs der Nachhaltigkeitsfaktor wieder kürzend auf die
Rente wirkt. Ein Prozentpunkt der Rentenerhöhung geht also allein auf ein-
malige Effekte zurück.

Drucksache 16/12543 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Im Osten kommt ein weiterer einmaliger Effekt in Höhe von einem Prozent-
punkt hinzu. Mit zwei Prozentpunkten ist dort also mehr als die Hälfte der
Erhöhung ein einmaliger Effekt. Nach Aussagen des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales (BMAS) sind die Löhne im Osten aufgrund eines einma-
ligen statistischen Effekts stärker gestiegen als im Westen: „Der höhere Wert im
Osten ist darauf zurückzuführen, dass das Statistische Bundesamt für die letz-
ten Jahre in den neuen Bundesländern nun ein höheres Lohnniveau ausweist als
im vergangenen Jahr.“ (Pressemitteilung des BMAS vom 16. März 2009). Das
statistische Bundesamt geht davon aus, dass dies die Ausnahme bleibt: „Ein
weiteres deutliches Aufholen der neuen Länder ist nicht zu beobachten“. Und
für 2009 erwartet es, dass die Lohnentwicklung „leicht hinter der Entwicklung
in den alten Ländern zurückbleibt“ (zitiert aus „Information zur Rentenanpas-
sung 2009“ vom Statistischen Bundesamt; Stand 17. März 2009).

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Olaf Scholz erklärte die überra-
schend deutliche Anhebung im Osten mit der guten Lohnentwicklung im Os-
ten. Er betonte, dass sich der Aufholprozess zwischen Ost und West in den ver-
gangenen Jahren fortgesetzt habe (z. B. dpa-Meldung vom 16. März 2009).
Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu derjenigen des Statistischen
Bundesamtes, wonach die Entgelte sich „seit einigen Jahren ähnlich entwi-
ckeln“ und deshalb „ein weiteres deutliches Aufholen der neuen Länder“ nicht
zu beobachten sei (zitiert aus „Information zur Rentenanpassung 2009“ vom
Statistischen Bundesamt, Stand 17. März 2009).

Die Rentenanpassung 2009 ist also dem kurzzeitigen Abweichen vom prinzi-
piellen Kurs der Bundesregierung geschuldet, das Leistungsniveau der Renten-
versicherung zu kürzen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Olaf
Scholz erklärt dem gegenüber zur Rentenerhöhung 2009: „es ist eine gute
Nachricht … und ein schöner Beweis für die Kraft des Sozialen in unserer
Marktwirtschaft“ (Pressemitteilung des BMAS vom 16. März 2009).

Von Interesse ist die Entwicklung der Renten ab 2010. Dabei insbesondere die
Jahre 2012 und 2013, wenn die Kürzung durch den Riesterfaktor nachgeholt
wird. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung die weitere
Entwicklung der Bruttolöhne und Gehälter in den neuen Bundesländern ein-
schätzt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie stark würden die Renten zum 1. Juli 2009 steigen, wenn der Altersvor-
sorgeanteil nicht ausgesetzt gewesen wäre und wenn der Nachhaltigkeitsfak-
tor wie im langfristigen Mittel gewirkt hätte (bei gleichbleibenden ökono-
mischen Rahmenbedingungen)?

2. Wie wirkt sich der oben benannte statistische Einmaleffekt bei den Löhnen
und Gehältern auf den Anstieg des jeweiligen Durchschnittslohns und der
jeweiligen Rentenerhöhung aus (bitte für Ost- und Westdeutschland ange-
ben)?

3. Mit welchem Rückgang der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung
und der versicherungspflichtigen Entgelte rechnet die Bundesregierung bis
zum Ende des Jahres 2009?

Welche Auswirkungen hätte danach der Nachhaltigkeitsfaktor bei der Ren-
tenanpassung 2010?

4. Wie hoch fallen die Auswirkungen auf die Rentenanpassung 2010 durch die
Wiedereinsetzung des Altersvorsorgeanteils aus?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12543

5. Welche Auswirkungen hätten die Berücksichtigung des Altersvorsorgean-
teils und des Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenformel unter den genann-
ten Annahmen zusammen auf die Rentenerhöhung 2010?

6. Von welcher Erhöhung der durchschnittlichen Löhne und Gehälter geht die
Bundesregierung bis Ende 2009 aus?

Welche Rentenerhöhung ergäbe sich daraus zum 1. Juli 2010?

7. Welche Rentenerhöhung ergäbe sich aus dem Zusammenspiel von Riester-
faktor, Nachhaltigkeitsfaktor sowie Bruttolohnsteigerungen nach den An-
nahmen der Bundesregierung für 2010?

8. Welche Wirkung hätte der Nachhaltigkeitsfaktor für die Rentenerhöhung
2010, wenn in 2009

a) 200 000 durchschnittliche versicherungspflichtige Beschäftigungsver-
hältnisse (Äquivalenzbeitragszahler) wegfielen,

b) 400 000 durchschnittliche versicherungspflichtige Beschäftigungsver-
hältnisse (Äquivalenzbeitragszahler) wegfielen,

c) 600 000 durchschnittliche versicherungspflichtige Beschäftigungsver-
hältnisse (Äquivalenzbeitragszahler) wegfielen,

d) jeweils 10, 20 und 30 Prozent der unter den Buchstaben a bis c genannten
wegfallenden Beschäftigungsverhältnisse zusätzliche Eintritte in durch-
schnittlich um zwei Jahre vorgezogene Altersrenten wären?

9. Wie hoch fielen modellhaft die jährlichen Rentenerhöhungen (Ost und
West) bis 2013 aus, wenn sich die Zahl der versicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnisse und die Bruttolöhne und -gehälter in den Jahren
2009 bis 2013 entwickeln würde, wie sich diese in den Jahren 2002 bis
2006 entwickelt haben (die übrigen Faktoren entwickeln sich wie im Ren-
tenversicherungsbericht 2008 angegeben)?

10. Mit welchem Rückgang der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung
und der versicherungspflichtigen Entgelte rechnet die Bundesregierung bis
zum Ende des Jahres 2009, unter der modellhaften Annahme eines Rück-
gangs der Wirtschaftsleistung um 2,5, 3, 4, 5 und 6 Prozent?

Welche Auswirkungen hätte danach der Nachhaltigkeitsfaktor bei der Ren-
tenerhöhung in 2010?

11. Was sind die vom Statistischen Bundesamt erwähnten „verschiedenen
neuen Informationen, die bis 2004 zurückreichen“, die in die Berechnung
der Löhne und Gehälter aufgenommen wurden, und wie wirken sich diese
Informationen jeweils in den einzelnen Jahren auf die Bruttolöhne und -ge-
hälter in Ost und West?

12. Welche Auswirkungen hätte die vom Statistischen Bundesamt erwähnte
Berücksichtigung der so genannten statistischen Überarbeitungseffekte auf
Höhe des aktuellen Rentenwerts und des aktuellen Rentenwerts Ost der je-
weiligen Jahre gehabt?

13. Wann wurden seit 1990, jeweils um welche Beträge und rückwirkend für
welchen Zeitraum, die Bruttolöhne und -gehälter durch welche „neuen In-
formationen“ bereinigt, und welche Auswirkungen hatte dies auf die Ren-
tenerhöhung des jeweiligen Jahres gehabt?

14. Wie hoch ist dieser „statistische Überarbeitungseffekt“ in der Lohnent-
wicklung?

15. Welche Auswirkungen hat dieser statistische Effekt auf die Rentenerhö-

hung?

Drucksache 16/12543 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
16. Wird damit gerechnet, dass sich dieser statistische Effekt in den nächsten
Jahren wiederholen wird?

17. Warum wurde die Deutschen Rentenversicherung Bund erst am 16. März
2009, dem Tag der Verkündung der Rentenanpassung 2009, durch das
BMAS über die Rentenanpassung 2009 informiert?

18. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass die Aussetzung des
Riesterfaktors, begründet mit dem Argument, die Rentnerinnen und Rent-
ner am Aufschwung zu beteiligen, ursprünglich eine prozyklische Maß-
nahme war (bitte begründen)?

Wusste die Bundesregierung bereits im Frühjahr des Jahres 2008, dass eine
solche Rentenerhöhung im Jahr 2009 als antizyklische Maßnahme wirken
würde?

19. Wie erklärt sich die Bundesregierung den Widerspruch zwischen der Aus-
sage des Bundesministers Olaf Scholz, wonach für die überraschend deut-
liche Anhebung im Osten die Lohnentwicklung verantwortlich sei und sich
damit der Aufholprozess in den vergangenen Jahren fortgesetzt habe (z. B.
dpa-Meldung vom 16. März 2009) und dem Informationspapier zur Ren-
tenanpassung 2009 des Statistischen Bundesamtes, wonach ein weiteres
deutliches Aufholen der neuen Länder nicht zu beobachten sei und in der
Zeitenreihenbetrachtung die Entgeltsteigerung für das Jahr 2009 in den
neuen Ländern mit dem Zuwachs um 2,1 Prozent sogar leicht hinter der
Entwicklung in den alten Ländern sogar zurückbleibe?

20. Was bedeutet dies für die weitere Angleichung der anpassungsrelevanten
Bruttolöhne und -gehälter und der Rentenwerte in Ost- und Westdeutsch-
land?

21. Plant die Bundesregierung noch in dieser Wahlperiode eine Angleichung
der Rentenwerte in Ost- und Westdeutschland durch Gesetzesänderung
durchzuführen oder zumindest eine solche einzuleiten?

22. Wann haben sich die Ost-Ministerpräsidenten zuletzt mit Bundesminister
Olaf Scholz (SPD) getroffen, um über ein einheitliches Rentenrecht bzw.
die Angleichung der Rentenwerte Ost an West zu beraten, und für wann ist
das nächste Treffen terminiert?

23. Wie viele Vorschläge hat der von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
am 24. September im Kabinett damit beauftragte Bundesminister Olaf
Scholz zur Vereinheitlichung des Rentensystems Ost-West geprüft (vgl.
Antwort zu der Frage 19 der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk vom
11. Februar 2009, Plenarprotokoll 16/207, S. 22082B)?

Berlin, den 27. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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