BT-Drucksache 16/12424

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel

Vom 24. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12424
16. Wahlperiode 24. 03. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum NATO-Gipfel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Mit der Amtsübernahme der US-Präsidentschaft durch Barack Obama ent-
steht die Chance für die Entwicklung einer tragfähigen Perspektive für mehr
Frieden und Sicherheit in den internationalen Beziehungen. Die europäischen
Staaten müssen diese Gelegenheit nutzen, die Fehler der Vergangenheit zu
korrigieren und Versäumtes nachzuholen. Schon einmal eröffnete sich mit
der Pariser Charta 1990 die große Chance auf ein vereinigtes, friedliches
Europa. Die Weichen schienen auf Dialog, Annäherung und Abbau der Rüs-
tungspotenziale gestellt. Diese historische Chance wurde vertan – auch weil
Deutschland und andere westeuropäische Staaten beharrlich eine Zukunft für
das Militärbündnis North Atlantic Treaty Organization (NATO) suchten.
Mehr noch: Diese Politik hat in eine Sackgasse geführt. Die NATO hat nach
dem Ende des Kalten Krieges keinen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit
und zur Förderung des Friedens in Europa geleistet. Vor allem der Konfron-
tations- und Isolationskurs der NATO gegenüber Russland, verhinderte eine
kooperative und friedliche Lösung der europäischen Sicherheitsprobleme.
Der August-Krieg zwischen Georgien und Russland hat zudem deutlich ge-
zeigt, welche zukünftigen Risiken eine Fortsetzung des NATO-Ausdeh-
nungskurses birgt.

2. Die dringendsten Zukunftsfragen – Klimawandel, umweltverträgliche Ener-
gieversorgung, Frauen- und Menschenrechte, Unterentwicklung und welt-
weite Ächtung von Massenvernichtungswaffen – können nur gemeinsam von
den Staaten erfolgreich beantwortet werden. Voraussetzung hierfür ist das
Bekenntnis zu einem friedlichen Miteinander und eine Absage an die Durch-
setzung machtpolitischer Interessen mit militärischen Mitteln. Vor diesem
Hintergrund eröffnen gerade die Vorschläge des russischen Staatspräsiden-

ten, Verhandlungen über einen neuen europäischen Sicherheitsvertrag zu be-
ginnen, neue Perspektiven für Europa und die USA.

3. Die Zeit ist reif für ein deutliches Zeichen, dass auch in den NATO-Staaten
Abrüstung und Rüstungskontrolle als Voraussetzungen für gegenseitiges Ver-
trauen und eine friedensorientierte Außenpolitik angesehen werden. Derzeit
werden mehr als zwei Drittel der weltweiten Militärausgaben von den
NATO-Staaten bestritten. Notwendig ist deswegen eine Zäsur in der Militär-

Drucksache 16/12424 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

und Rüstungspolitik der NATO – insbesondere in der Atomwaffenpolitik.
Nicht nur, dass die NATO – im Widerspruch zum Nichtverbreitungsvertrag –
weiterhin an der nuklearen Teilhabe festhält, die NATO reklamiert für sich
auch das Recht auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen. Ein Großteil der
NATO-Staaten, darunter auch Deutschland, hat bei den Vereinten Nationen
bislang gegen den Vorschlag einer Konvention über die weltweite Ächtung
von Atomwaffen gestimmt. Diese Blockade gilt es jetzt aufzulösen und die
Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Europa anzugehen.

4. Europa braucht eine Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Zusam-
menarbeit in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) und anderen Institutionen, um die legitimen Sicherheitsbedürfnisse
der europäischen Staaten einvernehmlich und kooperativ zu gewährleisten.
Damit muss auch eine Neubewertung der Rolle der NATO verbunden sein,
denn die NATO steht auch nach 60 Jahren nach wie vor für die Deregulierung
der internationalen Beziehungen, für die Schwächung des Völkerrechts, für
Hochrüstung und für das Streben nach militärischer Dominanz. Die Aufstel-
lung der NATO Response Force steht zudem exemplarisch für die Ausrich-
tung der NATO auf eine militärische Interventionspolitik im globalen Maß-
stab. In Afghanistan ist bereits jetzt das Scheitern dieser Interventionspolitik
klar und deutlich zu erkennen: Die militärische Eskalation seitens der NATO
führte zu einer beispiellosen Verschlechterung der Sicherheitslage und ge-
fährdet den Wiederaufbau in Afghanistan.

5. Im Mittelpunkt einer zukünftigen kooperativen und friedensorientierten Si-
cherheitspolitik müssen zivile Instrumente stehen. Die Bestrebungen der
NATO, das militärische Aufgabenspektrum kontinuierlich auszuweiten sind
damit nicht vereinbar. Die geplante Überarbeitung des Strategischen Kon-
zepts der NATO soll als neue Legitimationsgrundlage für das Militärbündnis
und ihre Interventionspolitik dienen. Der NATO-Gipfel am 3. bis 4. April
2009 ist der geeignete Ort und Zeitpunkt diese Politik grundlegend in Frage
zu stellen und mit der Abwicklung dieser anachronistisch gewordenen Mili-
tärallianz zu beginnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf dem NATO-Gipfel eine Initiative für einen Verzicht auf den Ersteinsatz
von Atomwaffen und die Beendigung des Systems der Nuklearen Teilhabe
im Rahmen der NATO vorzulegen, den Abzug der US-Atomwaffen aus
Deutschland und Europa einzufordern und sich zugleich für die die Schaf-
fung einer atomwaffenfreien Zone in Europa und die Unterstützung einer
Konvention für eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen;

2. sich auf dem NATO-Gipfel für einen Abzug der NATO-Truppen aus Afgha-
nistan einzusetzen und gleichzeitig mit dem Abzug der Bundeswehr aus Af-
ghanistan zu beginnen;

3. die sofortige Aufhebung des am 4. Oktober 2001 beschlossenen Bündnisfalls
zu beantragen;

4. die Bedingungen für Vertrauen und Sicherheit in Europa zu verbessern durch
Initiierung neuer Verhandlungen über eine Anpassung des Vertrages über
Konventionelle Streitkräfte in Europa mit den Zielen der deutlichen Absen-
kung der Höchstgrenzen für konventionelle Waffensysteme und Streitkräfte
um ein Drittel und einer klaren Absage an die Stationierung von US-Streit-
kräften an den Grenzen zu Russland;

5. ein deutliches Zeichen für weltweite Abrüstung zu setzen und auf dem
NATO-Gipfel eine Initiative zur Reduzierung der Verteidigungshaushalte

sämtlicher NATO-Mitgliedstaaten um jährlich fünf Prozent vorzulegen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12424

6. die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO Response Force zu beenden
und auf dem NATO-Gipfel einen Plan für den vollständigen Abbau der Inter-
ventionskapazitäten der NATO vorzulegen;

7. sich zum einen weder bilateral noch innerhalb der NATO an der Entwicklung
und dem Aufbau eines Systems zur Abwehr interkontinentaler ballistischer
Raketen zu beteiligen;

8. Verhandlungen über eine Neuordnung der gesamteuropäischen Sicherheit
anzustreben, die sich vor allem auf zivile Instrumente einer kooperativen und
friedensorientierten Sicherheitspolitik abstützt, und die Initiativen des russi-
schen Präsidenten Medwedjew für eine neuen europäischen Sicherheitsver-
trag und des französischen Präsidenten Sarkozy für ein Gipfeltreffen der
OSZE aktiv zu unterstützen.

Berlin, den 24. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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