BT-Drucksache 16/12374

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes

Vom 20. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12374
16. Wahlperiode 20. 03. 2009

Gesetzentwurf

der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Norman Paech,
Bodo Ramelow, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth und der Fraktion
DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes

A. Problem

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet Abgeordnete. Eine solche
nachrichtendienstliche Beobachtung beeinflusst und beschränkt die politische
Arbeit von Abgeordneten in gravierender Weise. Abgeordnete können ihr Amt
nicht mehr frei und unabhängig wahrnehmen, wenn sie dies in der Erwartung tun
müssen, dabei durch den Verfassungsschutz beobachtet und erfasst zu werden.
Der für die Abgeordnetentätigkeit unerlässliche Kommunikationsprozess mit
den Bürgerinnen und Bürgern wird durch die Tatsache nachrichtendienstlicher
Beobachtung erschwert. Bürgerinnen und Bürger werden von einer Kontakt-
aufnahme abgehalten, wenn sie befürchten müssen, dadurch selbst unter ge-
heimdienstliche Beobachtung zu geraten. Die Exekutive hat es in der Hand, poli-
tische Konkurrenten mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz
öffentlich zu stigmatisieren.

Der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Immunität (Artikel 46
Absatz 2 bis 4 des Grundgesetzes – GG) unterwirft den Zugriff von Gerichten
oder Behörden auf einzelne Abgeordnete der parlamentarischen Genehmigung.
Neben der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments soll die Immunität
auch davor schützen, dass missliebige Abgeordnete durch Eingriffe der anderen
Gewalten in ihrer parlamentarischen Arbeit behindert werden (vgl. BVerfG,
NJW 2002, S. 1111). Die Immunität schützt nach einhelliger Auffassung in
Rechtsprechung und juristischer Literatur indes nicht vor der Beobachtung von
Abgeordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Der ebenfalls
grundgesetzlich verbürgte Grundsatz der Indemnität (Artikel 46 Absatz 1 GG)
bietet den Abgeordneten nur unzureichenden Schutz, da er lediglich das inner-
parlamentarische Verhalten betrifft.

Abgeordnete sind damit – im Widerspruch zu ihrer verfassungsrechtlichen Stel-

lung – den Nachrichtendiensten weitgehend schutzlos ausgeliefert. Der Rechts-
weg ist im Bereich der Nachrichtenddienste oftmals schon aus in der Natur der
Sache liegenden Gründen heraus eingeschränkt, weil den überwachten Abge-
ordneten in der Regel die Tatsache ihrer Überwachung nicht bekannt ist und
nicht bekannt gemacht wird. Im Übrigen kann ein angemessener Schutz des Par-
laments nicht durch gerichtliche Einzelfallentscheidungen sichergestellt wer-
den.

Drucksache 16/12374 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B. Lösung

In Anlehnung an das Immunitätsverfahren wird sichergestellt, dass ein Eingriff
anderer Gewalten in die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten nur erfolgen
kann, wenn das Parlament selbst mit dem Vorgang befasst war. Wegen der
besonderen Sachnähe erfolgt die Befassung im Parlamentarischen Kontroll-
gremium.

Durch eine Ergänzung des Kontrollgremiumgesetzes wird dem Parlamentari-
schen Kontrollgremium ein Vetorecht eingeräumt, mit dem es die Beobachtung
von Abgeordneten verhindern kann. Wegen der natürlichen politischen Nähe
zwischen den Fraktionen der Regierungsparteien und der Exekutive wird dieses
Vetorecht als Minderheitenrecht ausgestaltet.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Durch die Informationspflichten entstünden zusätzliche Kosten in sehr gerin-
gem Umfang. Es ist jedoch zu erwarten, dass das eingeführte Vetorecht des Par-
laments dazu führen wird, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in den
allermeisten, heute öffentlich diskutierten Fällen von vornherein von einer Be-
obachtung absehen wird. Insofern ist eher mit einer Kostenersparnis zu rechnen.

Berlin, den 19. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar L
Beabsichtigt das Bundesamt für Verfassungsschutz, Infor-
mationen über Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu
sammeln und auszuwerten (Beobachtung), so hat es zuvor
dem Präsidenten oder der Präsidentin des Deutschen Bun-
destages Mitteilung zu machen. Dem Präsidenten oder der
Präsidentin ist halbjährlich Mitteilung zu machen, welche
Abgeordneten des Deutschen Bundestages beobachtet wer-
den. Der Präsident oder die Präsidentin informiert in den Fäl-
len der Sätze 1 und 2 unverzüglich das betroffene Mitglied.
Die Beobachtung hat zu unterbleiben, wenn ein Fünftel der
Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums wider-
spricht. Eine laufende Beobachtung ist nach einem Be-
schluss des Parlamentarischen Kontrollgremiums, der der
Zustimmung eines Fünftels seiner Mitglieder bedarf, unver-
züglich einzustellen. Die in Dateien gespeicherten Daten
sind unverzüglich zu löschen und die zur Person geführten
Akten unverzüglich zu vernichten.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

afontaine und Fraktion
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12374

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Kontrollgremiumgesetzes

In das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nach-
richtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom 11. April 1978
(BGBl. I S. 453), das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 1 des
Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254) geändert
worden ist, wird nach § 2e folgender § 2f eingefügt:

㤠2f
Beobachtung von Abgeordneten

jedoch noch nicht ergangen.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Unabhängig von dem Ergebnis dieser Entscheidung wird mit

der vorgesehenen Änderung dem Parlament ein Vetorecht Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Begründung

A. Allgemeines

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet Abgeord-
nete. Eine solche nachrichtendienstliche Beobachtung beein-
flusst und beschränkt die politische Arbeit von Abgeordne-
ten in gravierender Weise. Ein Abgeordneter kann sein Amt
nicht mehr frei und unabhängig wahrnehmen, wenn er dies
in der Erwartung tun muss, dabei durch den Verfassungs-
schutz beobachtet und erfasst zu werden. Der für die Abge-
ordnetentätigkeit unerlässliche Kommunikationsprozess mit
den Bürgerinnen und Bürgern wird durch die Tatsache nach-
richtendienstlicher Beobachtung erschwert. Bürgerinnen
und Bürger werden von einer Kontaktaufnahme abgehalten,
wenn sie befürchten müssen, dadurch selbst unter geheim-
dienstliche Beobachtung zu geraten. Die Exekutive hat es in
der Hand, politische Konkurrenten mit der Beobachtung
durch den Verfassungsschutz öffentlich zu stigmatisieren.

Der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Immuni-
tät (Artikel 46 Absatz 2 bis 4 GG) unterwirft den Zugriff von
Gerichten oder Behörden auf einzelne Abgeordnete der par-
lamentarischen Genehmigung. Neben der Sicherung der
Funktionsfähigkeit des Parlaments soll die Immunität auch
davor schützen, dass missliebige Abgeordnete durch Ein-
griffe der anderen Gewalten in ihrer parlamentarischen Ar-
beit behindert werden (BVerfG, NJW 2002, S. 1111). Die
Immunität schützt nach einhelliger Auffassung in Rechtspre-
chung und juristischer Literatur indes nicht vor der Beobach-
tung von Abgeordneten durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz oder andere bundesdeutsche Nachrichtendiens-
te. Der ebenfalls grundgesetzlich verbürgte Grundsatz der
Indemnität (Artikel 46 Absatz 1 GG) bietet den Abgeordne-
ten nur unzureichenden Schutz, da er lediglich das innerpar-
lamentarische Verhalten betrifft.

Abgeordnete sind damit – im Widerspruch zu ihrer verfas-
sungsrechtlichen Stellung – den Nachrichtendiensten weit-
gehend schutzlos ausgeliefert. Der Rechtsweg ist im Bereich
der Nachrichtenddienste oftmals schon aus in der Natur der
Sache liegenden Gründen heraus eingeschränkt, weil den
überwachten Abgeordneten in der Regel die Tatsache ihrer
Überwachung nicht bekannt ist und nicht bekannt gemacht
wird. Im Übrigen kann ein angemessener Schutz des Parla-
ments nicht durch gerichtliche Einzelfallentscheidungen
sichergestellt werden.

Ob die Sammlung personenbezogener Daten über Abgeord-
nete einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf, ist in
Rechtsprechung und Literatur noch nicht abschließend ge-
klärt (vgl. grundlegend zu dieser Thematik Brenner, Abge-
ordnetenstatus und Verfassungsschutz, in: Brenner/Huber/
Möstl (Hrsg.), Festschrift für Peter Badura, Tübingen 2004).
Zwar sprechen die besseren Gründe dafür, eine Spezialrege-
lung für erforderlich zu halten. Eine Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts, die diese Frage klären könnte, ist

eingeräumt, um den verfassungsrechtlich garantierten be-
sonderen Status von Abgeordneten gegenüber dem Bundes-
amt für Verfassungsschutz besser abzusichern. Wegen der
besonderen Sachnähe erfolgt eine Befassung des Parlamen-
tarischen Kontrollgremiums.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (§ 2f – neu – PKGrG)
Nach Satz 1 der Vorschrift hat das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz, wenn es Informationen über Abgeordnete des
Deutschen Bundestages zu sammeln oder auszuwerten beab-
sichtigt, den Präsidenten oder die Präsidentin des Deutschen
Bundestages zu informieren. Die Informationspflicht ent-
spricht derjenigen in Immunitätsangelegenheiten. Dort ha-
ben Staatsanwaltschaften und Gerichte in Fällen, in denen
der Deutsche Bundestag für die Dauer einer Wahlperiode die
Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder
des Bundestages wegen Straftaten genehmigt hat, vor Einlei-
tung eines Ermittlungsverfahrens den Präsidenten oder die
Präsidentin zu informieren.
Satz 2 sieht eine halbjährliche Informationspflicht über alle
laufenden Fälle der Beobachtung von Abgeordneten vor. Da-
mit wird zum einen sichergestellt, dass das Parlament auch
von solchen Fällen, in denen die Beobachtung vor Inkraft-
treten dieses Gesetzes begonnen hat, Kenntnis erhält. Zum
anderen behält das Parlament einen Überblick darüber, über
welchen Zeitraum eine Beobachtung andauert.
Satz 3 sieht die Information der betroffenen Abgeordneten
vor.
Nach Satz 4 ist eine Beobachtung in jedem Fall unzulässig,
wenn ein Fünftel der Mitglieder des Parlamentarischen Kon-
trollgremiums widerspricht. Das niedrige Quorum dient dem
Schutz von Abgeordneten der parlamentarischen Minder-
heit. Die Exekutive hat es aus sachwidrigen politischen Er-
wägungen heraus in der Hand, politische Konkurrenten mit
der Beobachtung durch den Verfassungsschutz öffentlich zu
stigmatisieren. Die Interessenlage der die parlamentarische
Mehrheit stellenden Fraktionen entspricht derjenigen der
Bundesregierung. Das Vetorecht ist daher zwingend als Min-
derheitenrecht auszugestalten.
Satz 5 gibt der Minderheit von einem Fünftel der Mitglieder
des Parlamentarischen Kontrollgremiums die Möglichkeit,
eine laufende Beobachtung eines Abgeordneten durch das
Bundesamt für Verfassungsschutz zu beenden. Dadurch wird
sichergestellt, dass das Parlament – auch wenn zunächst das
für die Verhinderung einer Beobachtung erforderliche
Quorum nicht erreicht wurde – eine Beobachtung jederzeit
beenden kann.
Satz 6 sieht vor, dass in den Fällen des Satz 5 die gesammel-
ten Informationen vernichtet werden.
Drucksache 16/12374 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

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