BT-Drucksache 16/12289

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gewährleisten

Vom 18. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12289
16. Wahlperiode 18. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe,
Kerstin Andreae, Markus Kurth, Jerzy Montag, Christine Scheel, Irmingard
Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Einführung der
elektronischen Gesundheitskarte gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Integration der Gesundheitsversorgung verlangt eine informationstech-
nische Grundlage. Eine bessere Zusammenarbeit der Gesundheitseinrichtungen
und -berufe ist ohne einen schnellen und geschützten Informationsfluss nicht
denkbar. Die elektronische Gesundheitskarte und die mit ihr verbundene Tele-
matikinfrastruktur können hierfür wichtige Schrittmacherdienste leisten. Aller-
dings müssen sie zugleich zu einer Stärkung des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten beitragen. Dafür müssen die
Grundsätze des Datenschutzes strikt eingehalten werden und die Implementa-
tion der elektronischen Gesundheitskarte konsequent nutzerorientiert verlaufen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

beim weiteren Umsetzungsprozess folgende Grundsätze zu beachten. bzw. Maß-
nahmen zu ergreifen:

1. Die Freiwilligkeit der medizinischen Anwendungen der elektronischen Ge-
sundheitskarte darf unter keinen Umständen aufgegeben werden.

2. Das Freiwilligkeitsprinzip muss auch für Ärztinnen und Ärzte und andere
Anbieter von Gesundheitsleistungen gelten. Diese müssen selbst entscheiden
können, ob sie am Onlinebetrieb der elektronischen Gesundheitskarte teil-
nehmen oder nicht.

3. Die kommerzielle Verwertung aller gespeicherten Patientendaten muss auch
künftig wirksam ausgeschlossen sein. Der Zugriff von Krankenkassen muss
auch künftig auf die Fälle des EU-Berechtigungsnachweises und Leistungs-
daten beschränkt bleiben.
4. Die Patientinnen und Patienten müssen die notwendige Unterstützung erhal-
ten, um die mit der Gesundheitskarte verbundenen Wahlentscheidungen
informiert treffen zu können.

5. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist zu einem Bestandteil der Ausbil-
dung von Ärztinnen und Ärzten zu machen.

Drucksache 16/12289 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. Auch bei Patientinnen und Patienten, die aus körperlichen oder seelischen
Gründen mit der Handhabung der Gesundheitskarte überfordert sind, muss
eine Autorisierung des Datenzugriffs erfolgen.

7. Bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist unangemessener
Zeitdruck zu vermeiden. In jeder weiteren Entwicklungsstufe bedarf es eines
Evaluierungsprozesses, bevor die nächste Stufe angegangen wird.

Berlin, den 18. März 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die Regelungen zur elektronischen Gesundheitskarte in § 291a des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) werden von Datenschützern als nahezu vor-
bildlich bezeichnet. In vielerlei Hinsicht seien mit der Gesundheitskarte die
Ansprüche des Datenschutzes besser zu gewährleisten als mit den papiergebun-
denen Patientenakten. So sei mit der Anwendung von Verschlüsselungstechno-
logien, der erforderlichen doppelten Autorisierung durch Patientin bzw. Patient
sowie Ärztin bzw. Arzt sowie dem vorgesehenen Protokollierungsverfahren ein
echter Zugewinn an Datensicherheit verbunden. Dazu komme, dass die elektro-
nische Gesundheitskarte mit ihren hohen Schutzvorschriften einen Damm gegen
die drohende Kommerzialisierung von elektronischen Patientenakten bilden
könne. Diese seien durch ihre Anbindung an das Internet nicht sicher und wür-
den – anders als die elektronische Gesundheitskarte – keine Gewähr dafür
bieten, dass die Patientendaten nicht kommerziell weiterverwendet werden.

Trotz dieser wichtigen Argumente für die elektronische Gesundheitskarte gibt es
sowohl in weiten Teilen der Ärzteschaft als auch unter Bürgerrechtlern große
Befürchtungen. Dabei geht es oft weniger um konkrete rechtliche oder tech-
nische Defizite als um die Sorge, dass Politik und Krankenkassen mit ihr das
Kontrollpotenzial der Informationstechnik weiter ausschöpfen wollen. Diese
Skepsis gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte ist ernst zu nehmen,
schon deshalb, weil sie auf die Zustimmung ihrer (potenziellen) Anwenderinnen
und Anwender angewiesen ist. Denn die Anwendung der Gesundheitskarte über
die administrativen Daten und das elektronische Rezept hinaus darf immer nur
mit Zustimmung der Patientinnen und Patienten erfolgen.

Diese notwendige Akzeptanz wird nur zu erreichen sein, wenn die Bundesregie-
rung im weiteren Prozess der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte
glaubhaft machen kann, dass erstens die gesetzlichen Garantien für den Daten-
schutz von ihr strikt beachtet werden und zweitens die Patientinnen und Patien-
ten bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
auch konkret unterstützt und gefördert werden.

Zu Nummer 1

Die Freiwilligkeit der medizinischen Anwendungen ist das zentrale Instrument,
um die informationelle und medizinische Selbstbestimmung der Patientinnen
und Patienten zu gewährleisten. Sie darf weder direkt noch indirekt in Frage
gestellt werden.

Zu Nummer 2
Ärztinnen und Ärzte und auch andere Anbieter von Gesundheitsleistungen dür-
fen nicht dazu gezwungen werden, am Onlinebetrieb der elektronischen Ge-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12289

sundheitskarte teilzunehmen. Das wäre für die Akzeptanz der Karte verheerend.
Sollte sie sich in der täglichen Praxis bewähren und von den Patientinnen und
Patienten als Gewinn betrachtet, wird die Skepsis gegenüber ihrer Anwendung
auch auf Leistungserbringerseite ohnehin schnell nachlassen.

Zu Nummer 3

Bislang lassen die geltenden Regelungen des SGB V keinen Zugriff kommerziel-
ler Dritter auf die gespeicherten Patientendaten zu. Den Krankenkassen ist der
Zugriff auf Daten nach § 291a Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 bis 5 SGB V ver-
wehrt. Es muss auch künftig ausgeschlossen werden, dass etwa im Zuge der
Implementierung weiterer Anwendungen Dritte wie Krankenkassen oder kom-
merzielle Anbieter diese Daten verarbeiten oder nutzen.

Zu Nummer 4

Beispielsweise ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund
brauchen Unterstützung und Beratung im Umgang mit der neuen Technologie
um ihrer Wahlrechte wahrnehmen zu können. Die bisher vorgesehene Informa-
tion der Krankenkassen reicht nicht aus. Daher sollen zusätzliche unabhängige
Unterstützungsangebote entwickelt werden und dabei in die Patientenverbände
und Selbsthilfeorganisationen eingebunden werden. Die für die Patientenunter-
stützung notwendigen Aufwendungen sind bei der Kostenkalkulation der elek-
tronischen Gesundheitskarte zu berücksichtigen.

Zu Nummer 5

Künftig werden Ärztinnen und Ärzte nicht nur selbst mit Informationstechnolo-
gien umgehen, sondern auch Patientinnen und Patienten mit geringer Medien-
kompetenz unterstützen müssen. Diese neuen und veränderten Anforderungen
müssen sich in ihrer Ausbildung widerspiegeln.

Zu Nummer 6

Bei den Feldtests der elektronischen Gesundheitskarte hat sich gezeigt, dass sich
insbesondere viele ältere Patientinnen und Patienten ihre sechsstellige Persön-
liche Identifikationsnummer nicht merken konnten. Doch auch für diese Patien-
tinnen und Patienten muss der Grundsatz der Vertraulichkeit ihrer medizi-
nischen Daten gelten. Deshalb ist ein Verfahren zu entwickeln, das diesem
Anspruch gerecht wird. In der Diskussion ist derzeit unter anderem, dass in
diesen Fällen Ärztinnen oder Ärzte des Vertrauens die Geheimzahl aufbewah-
ren. In jedem Fall muss dieses praktische Problem vor der Onlineschaltung der
Gesundheitskarte gelöst werden.

Zu Nummer 7

Als Projekt „einwilligungsbasierter Datenverarbeitung“ ist die elektronische
Gesundheitskarte auf die Zustimmung von Patienten und Ärzten angewiesen.
Diese ist weitaus wichtiger als das Einhalten politisch gesetzter Zeitpläne. Dabei
gilt diese Prioritätensetzung nicht nur für die Einführungsphase. Die elektro-
nische Gesundheitskarte wird sich zunächst von der bisherigen Krankenver-
sichertenkarte nur durch ein Lichtbild des Versicherten und die Funktion des
elektronischen Rezepts unterscheiden. Die weiteren Anwendungen bis hin zur
elektronischen Patientenakte sollen erst in einem mehrere Jahre dauernden Pro-
zess jeweils mit Zustimmung des Patienten dazu kommen. Auf jeder dieser Ent-
wicklungsstufen muss eine Evaluierung unter Einbeziehung möglichst sämt-
licher Betroffener erfolgen. Gegebenenfalls notwendige Korrekturen sind vor-
zunehmen, bevor die nächste Entwicklungsstufe betreten wird. Dabei ist auch
darauf zu achten, dass die notwendigen Beratungsangebote für die Anwender

der Karte mit der Weiterentwicklung ihrer technischen Möglichkeiten Schritt
halten.

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