BT-Drucksache 16/11954

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/11740, 16/11801- Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland

Vom 12. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11954
16. Wahlperiode 12. 02. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Ulrike Flach, Otto Fricke, Dr. Claudia
Winterstein, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr
(Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Dr. Daniel Volk, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
– Drucksachen 16/11740, 16/11801 –

Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität
in Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutschen Erfahrungen in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
zeigen unmissverständlich, dass sich der Staat mit der Übernahme der Verant-
wortung für die Glättung des Konjunkturzyklus übernimmt. Im Ergebnis wur-
den die Wachstumskräfte nicht gestärkt, sondern geschwächt und die Finanz-
lage durch immer weiter steigende Defizite des Staates nachhaltig
verschlechtert.
Der Verzicht auf keynesianische Konjunkturprogramme bedeutet nicht Untätig-
keit der Politik. Im Gegenteil. Es bedarf besonderer Anstrengungen, der Wirt-
schaft den notwendigen Anpassungsprozess zu erleichtern und einen nachhalti-
gen Strukturwandel zu begleiten.

Das Konjunkturpaket II mit einem Volumen von 50 Mrd. Euro ist ein über
Schulden finanziertes Maßnahmenpaket. Es löst die strukturellen Probleme

Drucksache 16/11954 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

etwa in den Bereichen Steuer und Gesundheit nicht und stellt die ordnungspoli-
tisch falschen Weichen.

Es ist geprägt von steuerpolitischer Verzagtheit, zum Teil ökonomisch zweifel-
haften Ausgabenprogrammen und einer unzureichenden Beschäftigungswir-
kung. Die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann hiermit
nicht abgewehrt werden. Die dafür notwendigen gesamtwirtschaftlichen Ef-
fekte werden verfehlt.

Zudem verhindert das Konjunkturpaket II durch Subventionen für einzelne
Branchen die dort notwendigen Anpassungsprozesse, führt zu Wettbewerbsver-
zerrungen und letztlich zu möglichen Preissteigerungen in den finanziell unter-
stützten Branchen.

Ein weiterer negativer Aspekt ist die sich verschärfende Verschuldungsproble-
matik und die Schaffung eines Schattenhaushalts mit der Bildung des Sonder-
vermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ in Höhe von 21 Mrd. Euro.

Das auf Parteienwünsche und Verteilungseffekte ausgerichtete Konjunkturpaket II
der Bundesregierung mag eine kleine – eher geringfügige – konjunkturelle Wir-
kung entfalten. Größer aber ist die Gefahr, dass die steigende Staatsverschuldung
die zukünftigen Handlungsspielräume einschränkt und mittelfristig zu einer
Wachstumsbremse wird.

Allein der Bund wird möglicherweise schon im Jahr 2009 eine Bundesschuld
von 1 000 Mrd. Euro aufweisen. Für dieses Jahr kann auch nicht ausgeschlossen
werden, dass Deutschland wieder beide Schuldenregelungen des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes verletzen wird. So ist für das Jahr 2009 zu befürchten, erstma-
lig nach drei Jahren neben der Schuldenstandsquote wieder gegen die 3-Pro-
zent-Grenze beim Staatsdefizit zu verstoßen.

Deshalb ist eine verbindliche, frühzeitig einsetzende und sowohl für Bund und
Länder geltende Schuldenbegrenzungsregel mit einem konkreten Schuldentil-
gungsplan notwendig.

Fatalerweise geht die Bundesregierung einen anderen Weg. Solide Staatsfinan-
zen geraten aus dem Blick und der Generationenaspekt wird negiert. Zugleich
erfolgt eine den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen zuwiderlaufende Prio-
ritätensetzung: Statt den finanziellen Spielraum von Bürgern und Unternehmen
durch Steuersenkungen und den Abbau bürokratischer Hemmnisse deutlich
auszuweiten, wird mit staatlichen Ausgaben der Weg in die Staatswirtschaft
verstärkt beschritten.

Ursache hierfür ist eine fehlerhafte Analyse in der Einschätzung über effektive
und wirkungsvolle Maßnahmen.

Die aktuelle Lage erfordert die Konzentration auf Wachstumsziele. Deshalb
müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden, die sowohl konjunkturell als auch
strukturell wirken und somit die langfristigen Wachstumskräfte in Deutschland
stärken. Hierzu zählt auch der weitere Abbau noch bestehender Handelshemm-
nisse. Ausdrücklich kontraproduktiv ist die geplante Ausweitung der staatli-
chen Investitionskontrolle.

Die weltwirtschaftliche Dimension der Krise verlangt eine weltwirtschaftliche
Antwort, erforderlich ist eine konsistente Strategie in allen Wirtschaftsräumen.

Steuerpolitik

Der aktiven Finanzpolitik fällt eine elementare Bedeutung zu. Eine wesentliche
Komponente ist dabei eine breit angelegte Steuerentlastung über eine struktu-
relle Vereinfachung und Modernisierung des Steuerrechts. Der Einwand, die

Menschen würden die Entlastungen nicht zum Konsum einsetzen, ist ökono-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11954

misch nicht haltbar. Studien belegen, dass zwei Drittel des zusätzlichen Ein-
kommens in den Konsum fließen.

Eine Steuerentlastung entlastet u. a. auch die Bürger unserer Gesellschaft, die
investiv tätig sein können. Sollten diese jedoch sparen, stellen sie dem Kapital-
markt zusätzliche Mittel zur Verfügung und verbilligen bei den Banken die Re-
finanzierung. Damit stärken sie zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Banken-
systems. Konsumieren sie, werden hochwertige Güter erworben, deren
Produktion Wachstumsimpulse für den deutschen Standort erzeugen, ohne
gleichzeitig protektionistisch zu wirken.

Vor allem muss mit einer Steuersenkung bei den Bürgern und den Unternehmen
ein positiver Erwartungseffekt ausgelöst werden, um notwendige Impulse zu
setzen.

Einmalige Zahlungen wie der Kinderbonus in Höhe von 100 Euro helfen in der
von der Bundesregierung konzipierten Form nicht weiter. Wenn diese Sonder-
zahlung am Jahresende mit dem Kinderfreibetrag verrechnet wird und bei be-
stimmten Einkommen komplett wieder an den Staat fällt, dann wird sich der
unterstellte Nachfrageimpuls nicht einstellen.

Eine Steuersenkung nutzt zudem wenig, wenn sie sich als Zuschuss von ein
paar Euro darstellt, keine Anreizperspektive für alle Steuerzahler darstellt und
wenn für Investoren nicht erkennbar ist, dass sie mit ihren Investitionswagnis-
sen in einen Bereich spürbar niedriger Besteuerung vorstoßen. Wer Dynamik
will, der muss den gesamten Effekt der Maßnahmen im Auge haben. Völlig un-
verständlich ist, dass die leistungsfeindlichen Gegenfinanzierungsmaßnahmen
der Unternehmensteuerreform wie Zinsschranke, Verlustverrechnung, die Be-
steuerung von Funktionsverlagerungen und die Gewerbesteuerpflicht von
Mieten, Zinsen und Leasingraten beibehalten werden. Es ist widersinnig, dass
der Staat einerseits mit milliardenschweren Schulden Investitionen anregen
will und andererseits mit diesen Steuerregelungen die Investitionen verteuert.

Mit einer Steuerentlastung wird den Bürgern zudem das zurückgegeben, was
ihnen in den vergangenen drei Jahren mit jährlichen Belastungen von bis zu
55 Mrd. Euro genommen wurde und was ihnen zusteht, weil die Nominalein-
kommen von Bürgern mit mittleren Einkommen in Zeiten steigender Inflation
viel zu rasch in hohe Progressionsstufen geraten.

Ausgabenprogramme

Im Vergleich zu Steuerentlastungen liegen die Nachteile von Ausgabenpro-
grammen auch dann auf der Hand, wenn sie wachstumsfördernd sind. Dies ist
der Tatsache geschuldet, dass die Wirksamkeit von Investitionsprogrammen
verzögert einsetzt. Die Programme sind entweder nicht startbereit oder wenn
sie es sind, erfordern sie die Mitwirkung von verschiedenen Gebietskörper-
schaften mit entsprechenden Abstimmungs- und Finanzierungsproblemen. Zu-
dem beinhalten sie eine implizierte Förderung bestimmter Branchen. So kann
nicht gewährleistet werden, dass die Kapazitäten kurzfristig verfügbar sind,
Preissteigerungen nicht ausgelöst, gegebenenfalls durch Vorzieheffekte später
entsprechende Einbrüche hervorgerufen und somit zyklische Ausschläge ver-
schärft anstatt gedämpft werden. Das kommunale Investitionsprogramm wird
jedenfalls mittelfristig keine nennenswerte ökonomische Wirkung entfalten.
Die strenge enumerative Aufzählung der Förderbereiche verhindert nachhaltige
Investitionen in Bereichen mit erheblichem Investitionsbedarf. Ohne eine Ent-
bürokratisierung und Vereinfachung von Vergabe- und Bewilligungsverfahren
werden selbst kurzfristige Belebungseffekte nicht zu erzielen sein.

Drucksache 16/11954 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Anpassungsprozess

Mit dem Konjunkturpaket II werden zudem notwendige Anpassungsprozesse
in der Wirtschaft verzögert. Sektorspezifische beziehungsweise unternehmens-
spezifische kreditfinanzierte Programme sind ökonomisch wie finanzpolitisch
unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zielführend. Denn es kann
nicht ausgeschlossen werden, dass Deutschland am Ende der Krise nicht nur
vor den gleichen Problemen steht, sondern durch zusätzliche Fehlentwicklun-
gen belastet ist. Der mit dem Konjunkturpaket II verbundene Einsatz von Steu-
ermitteln oder staatlichem Vermögen erschwert die sozialpolitisch gebotene
Rückführung der Steuer- und Abgabenlast, gefährdet eine generationenge-
rechte Haushaltskonsolidierung, engt den Spielraum für Zukunftsinvestitionen
ein und erodiert dadurch letztlich das Vertrauen der Bürger in die freiheit-
lich-soziale Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland über die
gegenwärtige Krise hinaus.

Mit branchenspezifischen Programmen beziehungsweise Subventionen werden
Kapazitäten aufrechterhalten oder sogar ausgeweitet, die in der mittelfristigen
Perspektive gesamtwirtschaftlich möglicherweise nicht bedarfsgerecht sind. Es
ist zudem erwartbar, dass ein einzelner staatlicher Ersteingriff in den Wirt-
schaftsprozess immer weiter ausdehnende Folgeeingriffe in das Wirtschaftssys-
tem und letztlich eine Interventionsspirale nach sich zieht. Beispielsweise sind
mit der Umweltprämie, die einen Anreiz zur Vernichtung von volkswirtschaftli-
chem Vermögen schafft, bereits Marktverwerfungen im Automobilhandel- und
Werkstättenmarkt zu beobachten.

Die aktuelle Situation erfordert daher die Konzentration auf das Wesentliche.
Dieses Konjunkturpaket verbessert – wenn überhaupt – nur kurzfristig die
Wachstumsaussichten, langfristig verschlechtern sich jedoch die Zukunftschan-
cen Deutschlands.

Sozialausgaben

Dies zeigt sich u. a. in einem immer höheren staatlichen Transfer in die Sozial-
versicherungen, ohne strukturelle Verbesserungen in den Systemen zu erzielen.
Die Grenze zwischen Staatsausgaben und ursprünglich rein beitragsfinanzier-
ten Leistungen der Sozialversicherung verschiebt sich immer stärker zu Lasten
des Bundes und damit letztendlich auch zu Lasten des Steuerzahlers. So sollen
in den Jahren 2009 und 2010 kreditfinanziert zusätzlich insgesamt 9,5 Mrd.
Euro aus dem Bundeshaushalt für den Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt
werden. Ab dem Jahr 2012 fließen dann jährlich 14 Mrd. Euro. Es werden auf
diese Weise pauschal Bundesmittel in ein weiterhin reformbedürftiges Gesund-
heitswesen gegeben, ohne dass dem strukturelle Verbesserungen vorausgegan-
gen sind. Wohin dies führt, zeigen die jährlichen Zahlungen von rund 80 Mrd.
Euro aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung.

Auch bei der Arbeitslosenversicherung wird durch die vorgesehene Stundung
von Darlehen des Bundes im Fall von Liquiditätsengpässen die Grenze zwi-
schen Sozialversicherung und Staatshaushalt verwischt. Steuergelder ersetzen
keine Strukturreform.

II. Der Deutsche Bundestag lehnt den Gesetzentwurf ab.

Berlin, den 12. Februar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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