BT-Drucksache 16/11940

Politische Lösungsansätze für Somalia

Vom 11. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11940
16. Wahlperiode 11. 02. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marina Schuster, Florian Toncar, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner
Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann,
Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Daniel Volk, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Politische Lösungsansätze für Somalia

Seit 18 Jahren befindet sich Somalia in einem nahezu ununterbrochenen Bürger-
kriegszustand. In Ermangelung einer handlungsfähigen Zentralregierung haben
wechselnde Konstellationen gegeneinander kämpfender Gruppen und Milizen
das Land in Chaos und Anarchie versinken lassen. Die Konsequenzen sind fatal,
sowohl für die somalische Zivilbevölkerung, als auch für die ganze Region am
Horn von Afrika. Mehr als 1,5 der insgesamt 8,8 Millionen Somalier sind auf der
Flucht, viele haben Zuflucht im benachbarten Ausland gefunden. 3,3 Millionen
Menschen sind von internationaler Hilfe abhängig. Der Anstieg der Hochsee-
piraterie vor den Küsten Somalias hat darüber hinaus gezeigt, dass die rechts-
freien Räume im „gescheiterten Staat“ Somalia auch eine ernstzunehmende
Gefahr für die internationale Sicherheit darstellen.

Internationale Friedensinitiativen für Somalia haben bisher wenig Wirkung ge-
zeigt. Die im Oktober 2004 im kenianischen Exil gebildete und von den USA
und der EU unterstützte Übergangsregierung (TFG) hat sich bis heute nicht
konsolidieren können. Nach der Machtübernahme der Union der Islamischen
Gerichtshöfe (UIC) in weiten Teilen Südsomalias konnte sie erst durch die
Intervention äthiopischer Truppen wieder begrenzte Kontrollfunktionen über-
nehmen. Das am 9. Juni 2008 unter Vermittlung der Vereinten Nationen (VN)
in Djibuti geschlossene Übereinkommen zwischen der TFG und den aus der
UIC hervorgegangenen moderaten Islamisten (ARS-Djibuti) drohte, insbeson-

dere durch den ausbleibenden Abzug der äthiopischen Truppen aus Somalia,
erneut zu scheitern.

Der Rücktritt des umstrittenen Präsidenten der TFG, Abdullahi Yussuf Ahmed,
am 29. Dezember 2008, wie auch der am 25. Januar 2009 vollendete Rückzug
der äthiopischen Interventionstruppen eröffnen eine bedeutsame, wenn auch
fragile Chance für eine neue politische Dynamik in Somalia. Die Aufnahme
von Teilen der Opposition in das Übergangsparlament, wie auch die darauf

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folgende Wahl von Sheikh Sharif Ahmed, dem Chef der ARS-Djibuti und ehe-
maligen Führer der UIC, zum Präsidenten, nährt die Hoffnung auf eine erfolg-
reiche Einbindung der moderaten Vertreter der islamischen Gerichtshöfe in den
Friedensprozess.

Doch weder die aus Sicherheitsgründen in Djibuti tagende TFG, noch die ARS-
Djibuti verfügen über ernstzunehmende Kontrollmöglichkeiten auf somali-
schem Territorium. Das Land bleibt faktisch in drei Regionen geteilt: in das au-
tonome, aber international nicht anerkannte Somaliland, das halb-autonome
Puntland und den nach Abzug der äthiopischen Truppen weitgehend von
jihadistischen Shabab-Milizen kontrollierten Süden des Landes. Die aus dem
radikalen Arm der UIC hervorgegangenen und von den USA als Terrororgani-
sation eingestuften Shabab haben jedoch erklärt, den Djibuti-Friedensprozess
weiterhin abzulehnen und internationale Truppen in Somalia zu bekämpfen.
Die seit Januar 2007 hauptsächlich in Mogadischu stationierten Friedenstrup-
pen der Afrikanischen Union (African Union Mission to Somalia – AMISOM)
werden zunehmend zum Ziel der Angriffe der Shabab und sind in erster Linie
mit ihrem Selbstschutz beschäftigt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Zukunft des Djibuti-Friedensprozes-
ses vor dem Hintergrund der Wahl von Sheikh Sharif Ahmed zum Präsiden-
ten der somalischen Übergangsregierung und dem Abzug der äthiopischen
Truppen aus Südsomalia?

2. Welche Informationen liegen der Bundesregierung vor, ob der Abzug der
äthiopischen Truppen vollständig durchgeführt wurde?

3. Wann, wo, und mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung in den letz-
ten zwölf Monaten mit Vertretern der Übergangsregierung bzw. mit Vertre-
tern der ARS-Djibuti in Kontakt gestanden bzw. plant sie dies zu tun?

4. Inwiefern hat sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Somalia-
Kontaktgruppe (International Somalia Contact Group) als ein effektives
Steuerungselement für den Friedensprozess bewährt?

Aus welchen Gründen beteiligt sich die Bundesregierung nicht mehr aktiv in
diesem Gremium?

5. Welche Verbindungen besitzt die Shabab nach Informationen der Bundes-
regierung zum Al-Qaida-Netzwerk?

Wie bewertet die Bundesregierung das Szenario, dass die Shabab in Süd-
somalia einen islamistischen Staat nach dem Vorbild der Taliban errichten
könnten?

6. Welche Konsequenzen hätte eine langfristige Machtübernahme der Shabab
in Südsomalia nach Ansicht der Bundesregierung für die weitere Zusam-
menarbeit der internationalen Staatengemeinschaft mit der somalischen
Übergangsregierung?

7. Inwiefern erwartet die Bundesregierung, dass die US-Regierung unter
Barack Obama eine strategische Neudefinition ihres Umgangs mit dem poli-
tischen Islam am Horn von Afrika durchführen wird?

8. Wie bewertet die Bundesregierung aus menschenrechtlicher Perspektive das
Vorgehen der Shabab in Südsomalia?

9. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Menschenrechtsver-
letzungen der äthiopischen Armee gegenüber Zivilisten in Südsomalia vor,

und welche politischen Konsequenzen hat sie daraus gezogen, so auch
gegenüber der äthiopischen Regierung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11940

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die südsomalische Juba
Valley Alliance (JVA) und über die Gruppierung Ahlu-Sunna (militärische
Kapazitäten, Führung, religiöser Hintergrund, Aktionsraum, Beziehung zu
den Shabab und zur TFG)?

11. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen dem andau-
ernden Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Äthiopien und der Bürger-
kriegssituation in Somalia?

12. Wann, wo, und mit welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung der For-
derung des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 16/5754) nach-
gekommen, „aktiv an bereits eingeleiteten Initiativen mitzuwirken, den
Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea einer dauerhaften friedlichen
Lösung zuzuführen […]“, bzw. plant sie dies zu tun?

13. Wann, wo, und mit welchem Ergebnis ist die Bundesregierung der Forde-
rung des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 16/5754) nach-
gekommen, „sorgfältig [zu] prüfen, ob derzeit Initiativen friedenspolitisch
sinnvoll sind, die den Klärungsprozess in Bezug auf eine internationale
Anerkennung eines unabhängigen Somalilands fördern […]“?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die rechtstaatlichen Verhältnisse im
faktisch autonomen Somaliland?

Inwiefern könnte dies Auswirkungen auf eine direkte entwicklungspoliti-
sche Zusammenarbeit haben?

Welche Kontakte unterhält die Bundesregierung mit Vertretern aus Somali-
land (politisch, wirtschaftlich, kulturell, Unterstützung beim Aufbau rechts-
staatlicher Strukturen, Menschenrechte)?

15. Welche Kontakte unterhält die Bundesregierung mit Vertretern aus Puntland
(politisch, wirtschaftlich, kulturell, Unterstützung beim Aufbau rechtsstaat-
licher Strukturen, Menschenrechte)?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Vertretung der Region Puntland in
den derzeitigen Djibuti-Friedensgesprächen?

17. Welche Länder haben nach Informationen der Bundesregierung in den ver-
gangenen zwölf Monaten das Waffenembargo der Vereinten Nationen
(VN) unterlaufen?

Welche Staaten sind Hauptlieferanten?

Auf welchen Transportwegen erreichten die Waffenlieferungen Somalia
überwiegend?

18. Inwiefern ist die Bundesregierung den Forderungen des Deutschen Bun-
destages (Bundestagsdrucksache 16/5754) nachgekommen, „Initiativen
und Maßnahmen zu unterstützen, den Grenzverkehr sowie die See- und
Luftverkehrswege wirkungsvoller zu überwachen, damit das VN-Waffen-
embargo nicht unterlaufen wird“, bzw. plant sie dies zu tun?

19. In welchem Umfang beteiligt sich die Bundesregierung direkt an der Finan-
zierung der Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) in Somalia
(AMISOM)?

20. Wie bewertet die Bundesregierung derzeit die Möglichkeit einer Über-
führung von AMISOM in eine VN-Friedensmission?

21. Inwiefern sieht die Bundesregierung im Aufbau einer lokalen Polizei in
Südsomalia eine Alternative für einen internationalen Truppeneinsatz?

Wie will sie diese ggf. unterstützen?

Drucksache 16/11940 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
22. Welche Maßnahmen schlägt die Bundesregierung vor, um dem illegalen
Fischfang in der ausschließlichen Wirtschaftszone vor der Küste Somalias
entgegenzuwirken?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die ansteigenden Migrationsbewegun-
gen von Somalia über den Golf von Aden in den Jemen?

Berlin, den 11. Februar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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