BT-Drucksache 16/1188

Schutz von Frauen und Mädchen vor der Verstümmelung weiblicher Genitalien

Vom 6. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1188
16. Wahlperiode 06. 04. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Dr. Karl Addicks, Burkhardt Müller-Sönksen,
Ina Lenke, Miriam Gruß, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der FDP

Schutz von Frauen und Mädchen vor der Verstümmelung weiblicher Genitalien

Weltweit werden jährlich drei Millionen Mädchen und Frauen Opfer der genita-
len Verstümmelung, 130 Millionen Frauen sind weltweit genital verstümmelt.
Täter sind überwiegend Frauen, so genannte Beschneiderinnen und Hebammen,
die sich einer Tradition verpflichtet sehen. Die Zahl der von Ärzten vorgenom-
menen Verstümmelungen nimmt zu.

Durch Migration leben auch in Deutschland Frauen und Mädchen, die genital
verstümmelt sind, und solche, die der Gefahr der genitalen Verstümmelung aus-
gesetzt sind, auch durch Verbringung in ihr Heimatland zur Ferienzeit.

Die Verstümmelung weiblicher Genitalien ist ein in der ganzen Welt, unab-
hängig vom religiösen Hintergrund und vom Wohlstandsniveau geübter Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit von Frauen und Mädchen. Die genitale Ver-
stümmelung von Frauen (international ist die Abkürzung FGM für „female ge-
nital mutilation“ gebräuchlich) wird seit der 4. VN-Weltkonferenz zu Frauen in
Peking 1995 weltweit als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung geächtet.
Die genitale Verstümmelung beschneidet absichtlich die Frauen nicht nur an
ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen, ihre sexuelle Erlebnisfähigkeit und
partnerschaftliche Bindungsfähigkeit wird lebenslänglich beeinträchtigt. Die
schweren Formen der Beschneidung mit anschließendem Vernähen der Scham-
lippen (Infibulation) führen zu einer erhöhten Sterblichkeit und zu Komplika-
tionen bei nachfolgenden Geburten und auch zu Schädigungen der Kinder. Die

genitale Verstümmelung stellt einen besonderen, nachhaltigen und menschen-
rechtswidrigen Auswuchs von Gewalt an Frauen dar.

Die weltweit geübte Praxis der genitalen Verstümmelung von Mädchen und
Frauen war in der 13. und 14. Wahlperiode Gegenstand parlamentarischer
Anfragen und Beschlüsse (Bundestagsdrucksachen 13/8281, 13/9335, 13/9401,
13/10682, 14/6682). Die letzte Antwort einer Bundesregierung hierzu datiert

Drucksache 16/1188 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

vom 11. Juli 2001. Es ist an der Zeit, den Erfolg der Anstrengungen in der Be-
kämpfung der Genitalverstümmelung zu überprüfen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Anzahl der von
Genitalverstümmelung betroffenen Frauen, die in Deutschland leben, vor?

2. Wie hoch wird die Dunkelziffer geschätzt?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Fälle, in denen Ärzte
oder anderes medizinisches Personal genitale Verstümmelungen oder nach
einer Geburt eine Wiederherstellung des vernähten Zustands („Reinfibula-
tion“) in Deutschland vorgenommen haben?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Strafverschärfung für gefährliche
und schwere Körperverletzung durch das am 1. April 1998 in Kraft getrete-
ne Sechste Gesetz zur Reform des Strafgesetzbuches in ihrer Wirkung für
die Ahndung und Verhinderung von Genitalverstümmelungen an in
Deutschland lebenden Migrantinnen?

5. Inwiefern ist nach Auffassung der Bundesregierung Genitalverstümmelung
an hier lebenden Ausländerinnen im Ausland von den §§ 3 bis 7 des Straf-
gesetzbuches in Verbindung mit dem Weltrechtsprinzip erfasst, und wenn
nicht, plant die Bundesregierung hier initiativ zu werden, um diese straf-
rechtliche Lücke zu schließen?

6. In welchen europäischen Ländern ist die Genitalverstümmelung als eigen-
ständiger Straftatbestand mit Strafe bedroht?

7. Welchen Einfluss nimmt die Bundesregierung auf die Verbände von Ärzten,
Hebammen und Pflegeberufen, dass den Angehörigen dieser Berufsgruppen
eine Beteiligung an solchen Eingriffen in der Berufsordnung untersagt
wird?

8. Wie hoch ist die Anzahl von Frauen, die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 des Auf-
enthaltsgesetzes nicht abgeschoben werden?

9. Hält die Bundesregierung die Kodifizierung der drohenden Genitalverstüm-
melung im Heimatland als Abschiebungshindernis i. S. d. § 60 des Aufent-
haltsgesetzes für sinnvoll in Umsetzung des Urteils des Verwaltungs-
gerichtshofes Hessen vom 23. März 2005, das die im Heimatland drohende
Beschneidung als Abschiebungshindernis angesehen hatte?

10. In welchen außereuropäischen Ländern ist die Genitalverstümmelung noch
nicht unter Strafe gestellt?

11. Welche Internationalen Vereinbarungen haben die Ächtung und Bekämp-
fung der Genitalverstümmelung zum Gegenstand?

12. Mit welchem Ziel, Konzept und Fortschritt verhandelt die Bundesregierung
auf internationaler Ebene, um die Praxis der Genitalverstümmelung welt-
weit zu bekämpfen?

13. Welche diplomatischen Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung
im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, um auf eine strafrechtliche
Sanktionierung in den betroffenen Staaten hin zu wirken?

14. Welche entwicklungspolitischen Maßnahmen ergreift die Bundesregierung
im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung oder hat sie bereits ergriffen, um dieses Ziel der
inländischen Strafbewehrung in den betroffenen Staaten zu erreichen?
15. Wie hoch ist der Mittelansatz der Bundesregierung für die Bekämpfung der
Genitalverstümmelung im Ausland in den Jahren 2001 bis heute?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1188

16. Wofür und in welchen Ländern werden diese Mittel eingesetzt?

17. Inwieweit wird Genitalverstümmelung bei Schulungen und in der Ausbil-
dung von Jugendamtsmitarbeitern, Sozialarbeitern, Lehrern, Polizisten und
Ärzten thematisiert, um gefährdete Mädchen und Frauen zu identifizieren
und ihnen helfen zu können?

18. Inwiefern ist medizinisches Personal, das illegal in Deutschland lebenden
Frauen medizinische Hilfe bei der Bewältigung ihrer aus der Verstümme-
lung folgenden Beschwerden leistet, von Strafverfolgung bedroht?

19. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung ausreichende Rechtssicher-
heit hinsichtlich einer Straffreiheit für die Hilfeleistenden?

20. In welchem Maße hält die Bundesregierung die Einbeziehung der von Be-
schneidung bedrohten Mädchen in den Adressatenkreis der vom Familien-
ministerium projektierten bundesweiten „Helpline“ für von Gewalt betrof-
fene Frauen für notwendig und sinnvoll?

21. Welche sonstigen niederschwelligen Beratungs- und Aufklärungsangebote
hält die Bundesregierung für sinnvoll, welche werden praktiziert, und wie
sollten diese finanziert werden?

22. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung zusammen mit
Ländern und Kommunen, um Netzwerke und den Erfahrungsaustausch von
Polizisten, Sozialarbeiten, Lehrern, Ärzten und Jugendamtmitarbeitern zu
unterstützen?

23. Inwiefern hat die Bundesregierung ihre Ankündigung von 2001 in Ihrer
Antwort zu Frage 8 auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 14/6682) wahr gemacht, wonach sie
„ihre Informationspolitik zu diesem Thema einschließlich der Veröffent-
lichungen weiterhin regelmäßig aktualisieren und dem aktuellen Bedarf an-
passen“ wird?

Berlin, den 5. April 2006

Sibylle Laurischk
Dr. Karl Addicks
Burkhardt Müller-Sönksen
Ina Lenke
Miriam Gruß
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan

Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Martin Zeil
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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