BT-Drucksache 16/118

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

Vom 30. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/118
16. Wahlperiode 30. 11. 2005

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, Ernst Burgbacher, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Michael Link,
Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Jörg Rohde, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

A. Problem

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die damit zusammen-
hängenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages stehen immer wieder
im Mittelpunkt öffentlicher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbe-
dienung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den Umfang und die
Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden. Dabei wird übersehen, dass dies nicht
dem Willen der Abgeordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vorge-
geben ist.

B. Lösung

Mit der Ergänzung des Artikels 48 Abs. 3 des Grundgesetzes wird die rechtliche
Grundlage für eine vom Bundespräsidenten zu berufende, unabhängige Sach-
verständigenkommission zur Ermittlung und Festsetzung der angemessenen
Abgeordnetenentschädigung geschaffen.
C. Alternativen

Beibehaltung der geltenden Rechtslage.

D. Kosten

Kosten für die Arbeit der Kommission.

Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp

Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Drucksache 16/118 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch …,
wird wie folgt geändert:

In Artikel 48 Abs. 3 wird nach Satz 1 folgender neuer Satz 2
eingefügt:

„Die Höhe der Entschädigung wird von einer unabhängigen,
vom Bundespräsidenten einzusetzenden Sachverständigen-
kommission festgelegt.“

Die bisherigen Sätze 2 und 3 werden die Sätze 3 und 4.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 29. November 2005

Jörg van Essen
Dr. Max Stadler
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Mechthild Dyckmans
Ernst Burgbacher
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß

Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Michael Link
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms

ser Vorwurf wird so lange erhoben werden, wie die Entschei- restriktiven Interpretation von Artikel 79 Abs. 3 GG durch
dung über die Höhe der Diäten in den Händen des Deutschen
Bundestages selbst liegt.

das Bundesverfassungsgericht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/118

Begründung

Zu Artikel 1

Nach Artikel 48 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) haben die
Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unab-
hängigkeit sichernde Entschädigung. Das ist eine zwingende
Konsequenz des Artikels 38 GG, der Wesen und Auftrag des
Mandats bestimmt und den Abgeordneten von Weisungen
und Aufträgen freistellt. Allgemeine, freie und gleiche Wah-
len als Grundvoraussetzung eines demokratischen Staates
erfordern zudem zwingend, dass jeder Wahlberechtigte sich
rechtlich und tatsächlich auch um ein Mandat bemühen darf
und kann, und dass nach der Wahl auch die unabhängige, von
Aufträgen und Weisungen freie Wahrnehmung des Mandats
gewährleistet ist.

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die
damit zusammenhängenden Entscheidungen des Deutschen
Bundestages stehen immer wieder im Mittelpunkt öffentli-
cher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbedie-
nung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den
Umfang und die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden.
Dabei wird übersehen, dass dies nicht dem Willen der Abge-
ordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vorgege-
ben ist. Der Gesetzgeber hat über die Rechtsstellung der Ab-
geordneten – hierzu gehört nicht nur die rechtliche, sondern
auch die materielle Ausgestaltung des Mandats – durch Ge-
setz zu befinden.

Der Deutsche Bundestag hat immer wieder versucht, unab-
hängigen Sachverstand zumindest in den Vorbereitungspro-
zess parlamentarischer Entscheidungen über die Abgeord-
netenentschädigung einzubeziehen, um den Vorwurf der
Selbstbegünstigung zu entkräften. So berief er etwa 1974 zur
Frage der Besteuerung der Diäten den Beirat für Entschädi-
gungsfragen, 1990 ein Gremium unabhängiger Persönlich-
keiten zur Beratung der Bundestagspräsidentin bei der Über-
prüfung der für die Mitglieder des Bundestages bestehenden
materiellen Regelungen und Bestimmungen und zuletzt
1992 die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des
Abgeordnetenrechts. Auswirkungen auf Form und Ausmaß
der öffentlichen Kritik hat die Einschaltung dieser Gremien
aber kaum gehabt. Auch die Berichterstatter in der gemein-
samen Verfassungskommission von Bundestag und Bundes-
rat haben erwogen, durch eine Änderung des Artikels 48
Abs. 3 GG die Entscheidung über die Höhe der Diäten einer
vom Bundespräsidenten einzusetzenden unabhängigen
Kommission zu übertragen. Die Beratungen wurden aller-
dings nicht zu Ende geführt.

Auch die 1995 beschlossene Orientierung der Abgeordne-
tenentschädigung an den Bezügen eines Richters bei einem
obersten Gerichtshof des Bundes oder eines kommunalen
Wahlbeamten auf Zeit hat nicht dazu beigetragen, dem Vor-
wurf der Selbstbedienung die Grundlage zu entziehen. Die-

Deutschen Bundestages bei den Bürgern immer wieder zu
beeinträchtigen und das Vertrauen in das Parlament und sei-
ne Tätigkeit zu schwächen. Das Vertrauen der Bevölkerung
in die Entscheidungen der Politik zählt zu den wesentlichen
Voraussetzungen für das Funktionieren der parlamentari-
schen Demokratie.

Deshalb ist Artikel 48 Abs. 3 GG zu ergänzen, um die recht-
liche Grundlage für eine unabhängige, vom Bundespräsiden-
ten zu berufende Sachverständigenkommission zu schaffen.
Die Verlagerung von Entscheidungen aus dem Parlament
heraus, sei es auf das Bundesverfassungsgericht, sei es auf
die Bundesbank, ist der Verfassung nicht fremd.

Die Kommission wird vom Bundespräsidenten, der zu über-
parteilicher Amtsführung verpflichtet ist und der hohes An-
sehen genießt, berufen. Auf diesem Weg kann das Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger in eine an objektiven Maßstäben
orientierte Entscheidung über die Höhe und Anpassung der
Abgeordnetenentschädigung wiedergewonnen und das An-
sehen des Deutschen Bundestages gestärkt werden. Hierzu
ist eine grundlegende strukturelle Reform unerlässlich.

Die gegen eine Änderung des Grundgesetzes vorgebrachte
Argumentation stützt sich auf eine Ausführung des Bundes-
verfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 (BVerfG E 40, 296,
316 f.). Dieses hatte dargelegt, auch Artikel 48 Abs. 3 GG
zähle zu den „Essentialien des demokratischen Prinzips“ und
sei dementsprechend für den Gesetzgeber unantastbar. Diese
Formulierung ist jedoch missverständlich, da der durch
Artikel 79 Abs. 3 GG geschützte unabänderliche Kern des
Grundgesetzes bei verfassungssystematischer Betrachtung
nicht berührt wird.

Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip (Artikel 20 Abs. 2
GG) liegt nicht vor, weil die Kompetenz zur Festsetzung der
Abgeordnetenentschädigung durch eine souveräne Entschei-
dung des Gesetzgebers in einem Einzelfall und in eigener Sa-
che auf die Kommission übertragen wird. Nur die Entschei-
dung über die Anpassung der Leistungen wird vom Parla-
ment auf die Kommission verlagert. Dem Parlament ver-
bleibt die Kompetenz, Grundentscheidungen durch
entsprechende Vorgaben im Abgeordnetengesetz selbst zu
schaffen. Im Abgeordnetengesetz müssen die materiellen
Vorgaben getroffen werden, welche Bestandteile aufgrund
der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten zwin-
gend zur Abgeordnetenentschädigung gehören. Das sich aus
Artikel 38 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 77 Abs. 1 und Arti-
kel 110 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Recht des Parlaments
über die auf einer Grundentscheidung des Parlaments auf-
bauende Anpassung der Entschädigungsleistung zu ent-
scheiden, kann nicht dem verfassungsänderungsfesten
Kernbereich gemäß Artikel 79 Abs. 3 GG des Demokratie-
prinzips zugerechnet werden. Dies entspricht auch der sehr
Zudem ist zu beachten, dass das Festhalten an der geltenden
Rechtslage weiter dazu beitragen würde, das Ansehen des

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)
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