BT-Drucksache 16/11761

Kontrollrechte aus Bundesbeteiligungen strategisch nutzen

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11761
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Andreae, Alexander Bonde, Christine Scheel,
Dr. Gerhard Schick, Dr. Thea Dückert, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Birgitt Bender, Kai Gehring, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk,
Dr. Harald Terpe und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kontrollrechte aus Bundesbeteiligungen strategisch nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bisher verfolgt der Bund beim Umgang mit den Kontrollrechten aus seinen
Beteiligungen keine Strategie und versäumt die Schulung von Aufsichtsrats-
mitgliedern und Vertretern auf Hauptversammlungen. Die massiven Probleme im
Management von Unternehmen mit bedeutenden staatlichen Beteiligungen oder
Mehrheitsbeteiligungen wie Deutsche Telekom AG, Deutsche Bahn AG oder
Deutsche Post AG haben die Bundesregierung nicht zu einer Änderung dieser
Haltung bewegen können. Dabei drängt sich die Frage auf, ob der Staat bei der
Kontrolle seiner Beteiligungen versagt. Auch bei dem Bankenrettungspaket ist
ein ähnliches Versagen zu befürchten, da der Bund auch dort auf verbindliche
Vorgaben für die Geschäftspolitik der Banken verzichtet und eine aktive Rolle als
Anteilseigner ausschließt. Wenn die Bundesregierung jetzt nicht ihre Haltung zur
Ausübung der aus den Bundesbeteiligungen erwachsenden Kontrollrechte ändert,
sind die nächsten Skandale durch Missmanagement vorprogrammiert.

Der Staat muss sich als Aktionär zu Problemen wie Überwachungsskandalen,
unausgereiften Rationalisierungskonzepten oder Fehlinvestitionen bei den Un-
ternehmen, an denen er beteiligt ist, verantwortungsbewusst verhalten. Es reicht
nicht, an die Unternehmen zu appellieren. Als Anteilseigner hat die öffentliche
Hand wie jeder Investor weitere Möglichkeiten, bewusst Einfluss zu nehmen
und Kontrolle auszuüben.

Es soll dabei nicht um eine Rückkehr zu Wirtschaftsdirigismus und Wirt-
schaftslenkung oder um direkte Eingriffe ins operative Management gehen,
sondern darum, eine Kontrollfunktion auszufüllen, die auch jeder private In-
vestor in den Unternehmen einnimmt, an denen er große Beteiligungen hält.
Zudem muss der Staat grundlegende Ansprüche, die er an Unternehmensfüh-
rung und Good Governance formuliert, auch in den Unternehmen einfordern,
an denen er selbst maßgeblicher Anteilseigner ist und so die Grundsätze guter

Unternehmensführung und die Einhaltung des Deutschen Corporate Gover-
nance Kodexes aktiv befördern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine nachvollziehbare Strategie für den Umgang der aus den Bundesbeteili-
gungen entstehenden Kontrollrechte zu entwickeln und offenzulegen;

Drucksache 16/11761 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. durch geeignete Maßnahmen die Vertreterinnen und Vertreter der öffent-
lichen Hand in Aufsichtsräten sowie auf Hauptversammlungen auf ihre
Rolle vorzubereiten, zu schulen und sie mit der Strategie des Bundes beim
Umgang mit Kontrollrechten vertraut zu machen;

3. die Kriterien und Entscheidungswege offenzulegen, nach denen Vertrete-
rinnen und Vertreter der öffentlichen Hand in Aufsichtsräte und Hauptver-
sammlungen entsandt werden, und diese regelmäßig zu überprüfen;

4. in Unternehmen mit Bundesbeteiligung bei der Besetzung von Aufsichts-
räten nur Personen zu berücksichtigen, die bisher nicht mehr als vier Auf-
sichtsratsmandate halten, und den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichts-
rat desselben Unternehmens zu untersagen;

5. ergänzend zu einer Verpflichtung der Unternehmen mit Bundesbeteiligung
auf die Umsetzung des Deutschen Corporate Governance Kodexes ökolo-
gische und soziale Kriterien für die Unternehmenspolitik zu entwickeln
und die Kontrolle der Einhaltung des Deutschen Corporate Governance
Kodexes und dieser Kriterien durch die vom Bund benannten Vertreterin-
nen und Vertreter in Aufsichtsräten und auf Hauptversammlungen zu ge-
währleisten;

6. eine regelmäßige Evaluierung der Umsetzung der Beteiligungsstrategie
des Bundes durchzuführen und dem Parlament vorzulegen;

7. ein umfassendes Angebot an Schulungen sowohl für Vertreterinnen und
Vertreter der öffentlichen Hand in Aufsichtsräten sowie auf Hauptver-
sammlungen als auch für mit Beteiligungen des Bundes befasste Ange-
stellte und Beamte auszuarbeiten und umzusetzen;

8. eine abgestimmte Strategie für Initiativen in Bezug auf die Beteiligungen
des Bundes auszuarbeiten, um Verbesserungen bei der Investitionspolitik,
der Standortpolitik, dem Datenschutz, den technischen Kontrollen bei
Maschinen und Geräten, der Umsetzung des Deutschen Corporate Gover-
nance Kodexes und der Umsetzung von ökologischen und sozialen Krite-
rien bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung zu erreichen;

9. vor dem Hintergrund der zu entwickelnden Beteiligungsstrategie des Bun-
des ein einheitliches, mit den jeweiligen Fachministerien koordiniertes Be-
teiligungsmanagement zu entwickeln;

10. im Rahmen der Umsetzung ihrer Konjunkturpakete auf diese besondere
wirtschaftliche Situation abgestimmte Konzepte zum Umgang mit Unter-
nehmensbeteiligungen zu entwickeln, die sich aus der Umsetzung der
Konjunkturpakete ergeben;

11. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Auswahl von auf Veranlassung
des Bundes zu wählenden oder zu entsendenden Mitgliedern der Auf-
sichtsgremien von der Zustimmung der für den Geschäftsbereich des
Unternehmens und das Beteiligungsmanagement des Bundes zuständigen
Ausschüsse des Deutschen Bundestages abhängig macht;

12. im Rahmen des Haushaltsrechts eine effektive Kontrolle des Deutschen
Bundestages über privatisierte Teile des Staatsvermögens sicherzustellen,
deren Effizienz insbesondere nicht durch Geheimhaltungspflichten unter-
laufen werden darf.

Berlin, den 28. Januar 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11761

Begründung

Immer wieder geraten Unternehmen im staatlichen Besitz, mit staatlicher
Mehrheit bei den Anteilen oder mit maßgeblicher staatlicher Beteiligung in die
Schlagzeilen. Die Medien berichten über die Überwachungsskandale bei der
Deutschen Telekom AG und der Deutschen Bahn AG. Rationalisierungsmaß-
nahmen der Deutschen Telekom AG bei den Servicecentern führen in zahlrei-
chen Regionen zu starken Protesten. Die Deutsche Bahn AG ist mit den Proble-
men beim ICE-Einsatz in der Kritik. Die Deutsche Post AG musste nach den
Verlusten auf dem US-Paketmarkt ihre Gewinnerwartungen drastisch reduzie-
ren. Managementprobleme bei der KfW Bankengruppe und den Landesbanken
haben sowohl die Medien als auch Bund und Länder stark beschäftigt.

Der Staat – und damit auch das Bundesministerium der Finanzen als Vertreter
des Anteilseigners – wird bei seinen Beteiligungen seiner besonderen Verant-
wortung nicht gerecht. Zwar äußern auch Regierungspolitiker an Unternehmen
mit öffentlicher Beteiligung immer wieder deutliche Kritik, aber hieraus folgt
keine Initiative der öffentlichen Hand auf den Hauptversammlungen oder in
den Aufsichtsräten.

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 29. Dezember 2008 (Bundestagsdrucksa-
che 16/11536) zum Beteiligungsmanagement des Bundes zeigt: Zwar sprechen
die „Hinweise für die Verwaltung von Bundesbeteiligungen“ des Bundesminis-
teriums der Finanzen davon, dass der Einfluss des Bundes bei Beteiligungen an
Unternehmen entsprechend sichergestellt werden muss und beschreibt die Auf-
gaben seiner Vertreterinnen und Vertreter in den Unternehmen. Das wirkt so,
als würde ein engagierter und verantwortlicher Umgang mit diesen Kontroll-
rechten erfolgen.

Die Praxis lässt aber deutliche Zweifel zu. In seinen Antworten vom
23. Dezember 2008 stellt das Bundesministerium der Finanzen dagegen fest:
„Eine gesonderte Vorbereitung der Mitglieder von Überwachungsorganen oder
der Vertreter in den Anteilseignerversammlungen erfolgt bislang nicht.“ (Ant-
wort zu Frage 1). Stattdessen werden sie mit dieser Aufgabe allein gelassen:
„Grundsätzlich wird erwartet, dass sich die auf Veranlassung des Bundes
gewählten oder entsandten Vertreter in Überwachungsorganen selbst diese
Kenntnisse aneignen, soweit sie nicht bereits über diese verfügen.“ (Antwort zu
Frage 5). Die Kontrollrechte des Bundes werden nicht genutzt, um Verbesse-
rungen bei der Unternehmensführung zu erreichen: „Die Unternehmenspla-
nung und -organisation (…) ist grundsätzlich Aufgabe des Vorstandes bzw. der
Geschäftsleitung (…)“ (Antwort zu Frage 7).

Die Bundesregierung hat aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt und
wird diese entsprechend ihren Antworten auch bei den weiteren Maßnahmen
zur Bewältigung der Finanzmarktkrise fortschreiben: „Aus den aktuellen Ent-
wicklungen in der Wirtschaft und der Finanzwelt sind derzeit keine Anhalts-
punkte ersichtlich, auf Grund derer strategische Überlegungen zu treffen sind.“
(Antwort zu Frage 10).

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.