BT-Drucksache 16/117

Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

Vom 30. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/117
16. Wahlperiode 30. 11. 2005

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, Ernst Burgbacher, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter
Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb,
Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Ina Lenke, Michael Link, Markus Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Jörg Rohde, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes

A. Problem

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die damit zusammen-
hängenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages stehen immer wieder
im Mittelpunkt öffentlicher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbe-
dienung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den Umfang und die
Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden. Dabei wird übersehen, dass dies nicht
dem Willen der Abgeordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vorge-
geben ist.

B. Lösung

Berufung einer unabhängigen Sachverständigenkommission durch den Bundes-
präsidenten, die die angemessene Abgeordnetenentschädigung gemäß Artikel
48 Abs. 3 des Grundgesetzes ermittelt und festlegt.
C. Alternativen

Beibehaltung der geltenden Rechtslage.

D. Kosten

Kosten für die Arbeit der Kommission.

Dr. Heinrich L. Kolb Martin Zeil

Hellmut Königshaus Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Mechthild Dyckmans
Ernst Burgbacher
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch

Ina Lenke
Michael Link
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Drucksache 16/117 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordneten-
gesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Abgeordnetengesetzes

Das Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I S. 326), zuletzt geän-
dert durch …, wird wie folgt geändert:

§ 30 wird wie folgt gefasst:

㤠30
Anpassungsverfahren

(1) Der Bundespräsident beruft nach Inkrafttreten dieses
Gesetzes eine Kommission unabhängiger Sachverständiger.
Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Angemessen-
heitsgebotes und unter Berücksichtigung der allgemeinen
Einkommens- und Preisentwicklung setzt die Kommission
jährlich zum 1. März die die Unabhängigkeit des Mandats

sichernde Abgeordnetenentschädigung fest. Hierüber be-
richtet sie dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, der
den Bericht veröffentlicht.

(2) Bis zum 1. September 2006 überprüft die Kommission
die rechtliche Angemessenheit der Altersversorgung und un-
terbreitet dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag, wie
das bestehende Altersversorgungsrecht insbesondere unter
dem Gesichtspunkt einer stärkeren Eigenverantwortung der
Mitglieder des Bundestages geändert werden kann.

(3) Die Kommission wird jeweils für die Amtszeit des
Bundespräsidenten berufen.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 29. November 2005

Jörg van Essen
Dr. Max Stadler
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk

dung über die Höhe der Diäten in den Händen des Deutschen Mitglieder des Bundestages besser entsprechen. Das Europa-

Bundestages selbst liegt. Sie sollte daher stattdessen von ei-
ner unabhängigen, vom Bundespräsidenten einzusetzenden
Sachverständigenkommission getroffen werden. Nur so

parlament hat dies für seine Mitglieder beispielhaft geregelt.
Deshalb wird der Auftrag der Kommission unabhängiger
Sachverständiger erweitert, bis 1. September 2006 die recht-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/117

Begründung

Zu Artikel 1

Nach Artikel 48 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) haben die
Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unab-
hängigkeit sichernde Entschädigung. Das ist eine zwingende
Konsequenz des Artikels 38 GG, der Wesen und Auftrag des
Mandats bestimmt und den Abgeordneten von Weisungen
und Aufträgen freistellt. Allgemeine, freie und gleiche Wah-
len als Grundvoraussetzung eines demokratischen Staates
erfordern zudem zwingend, dass jeder Wahlberechtigte sich
rechtlich und tatsächlich auch um ein Mandat bemühen darf
und kann, und dass nach der Wahl auch die unabhängige, von
Aufträgen und Weisungen freie Wahrnehmung des Mandats
gewährleistet ist.

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die
damit zusammenhängenden Entscheidungen des Deutschen
Bundestages stehen immer wieder im Mittelpunkt öffentli-
cher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbedie-
nung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den
Umfang und die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden.
Dabei wird übersehen, dass dies nicht dem Willen der Abge-
ordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vorgege-
ben ist. Der Gesetzgeber hat über die Rechtsstellung der Ab-
geordneten – hierzu gehört nicht nur die rechtliche, sondern
auch die materielle Ausgestaltung des Mandats – durch Ge-
setz zu befinden.

Der Deutsche Bundestag hat immer wieder versucht, unab-
hängigen Sachverstand zumindest in den Vorbereitungspro-
zess parlamentarischer Entscheidungen über die Abgeordne-
tenentschädigung einzubeziehen, um den Vorwurf der
Selbstbegünstigung zu entkräften. So berief er etwa 1974 zur
Frage der Besteuerung der Diäten den Beirat für Entschädi-
gungsfragen, 1990 ein Gremium unabhängiger Persönlich-
keiten zur Beratung der Bundestagspräsidentin bei der Über-
prüfung der für die Mitglieder des Bundestages bestehenden
materiellen Regelungen und Bestimmungen und zuletzt
1992 die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des
Abgeordnetenrechts. Auswirkungen auf Form und Ausmaß
der öffentlichen Kritik hat die Einschaltung dieser Gremien
aber kaum gehabt. Die Berichterstatter in der Gemeinsamen
Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat ha-
ben erwogen, durch eine Änderung des Artikels 48 Abs. 3
GG die Entscheidung über die Höhe der Diäten einer vom
Bundespräsidenten einzusetzenden unabhängigen Kommis-
sion zu übertragen. Die Beratungen wurden allerdings nicht
zu Ende geführt.

Auch die 1995 beschlossene Orientierung der Abgeordne-
tenentschädigung an den Bezügen eines Richters bei einem
obersten Gerichtshof des Bundes oder eines kommunalen
Wahlbeamten auf Zeit hat nicht dazu beigetragen, dem Vor-
wurf der Selbstbedienung die Grundlage zu entziehen. Die-
ser Vorwurf wird so lange erhoben werden, wie die Entschei-

passung der Abgeordnetenentschädigung wiedergewonnen
und somit das Ansehen des Deutschen Bundestages insge-
samt gestärkt werden. Das Vertrauen der Bevölkerung in die
Entscheidungen der Politik ist eine wesentliche Vorausset-
zung für das Funktionieren der parlamentarischen Demokra-
tie. Eine grundlegende strukturelle Reform der Abgeordne-
tenentschädigung ist dafür unerlässlich.

Die Kommission unabhängiger Sachverständiger wird be-
auftragt,

a) zu Beginn ihrer Tätigkeit eine für die Angemessenheit der
Abgeordnetenentschädigung maßgebliche Bezugsgröße
festzusetzen,

b) nach eigener Abwägung unter Berücksichtigung der Ein-
kommens- und Preisentwicklung die Abgeordnetenent-
schädigung festzusetzen und

c) dem Präsidenten des Deutschen Bundestages hierüber
Bericht zu erstatten.

Bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung sind
die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundsätze
(BVerfG E 40, 296, 315 f.) zu beachten. Danach muss die
Entschädigung

– für die Abgeordneten und Familien während der Dauer
des Mandats eine ausreichende Existenzgrundlage abge-
ben können;

– der Bedeutung des Amtes unter Berücksichtigung der da-
mit verbundenen Verantwortung und Belastung und des
diesem Amt im Verfassungsgefüge zukommenden Ran-
ges gerecht werden;

– die Abgeordneten in die Lage setzen, sich ihrer parlamen-
tarischen Tätigkeit auch um den Preis eines völligen oder
teilweisen Verzichts auf berufliches Einkommen zu wid-
men.

Auch bei der Altersvorsorge der Abgeordneten wird die Ori-
entierung an beamtenrechtlichen Regelungen dem besonde-
ren Status der Abgeordneten nicht gerecht. 1977 wurde die
eigenständige beitragsgebundene Alterssicherung für Abge-
ordnete aufgegeben und ein beamtenrechtlicher Pensionsan-
spruch eingeführt. Nach dem Grundgesetz und den Länder-
verfassungen sind Abgeordnete jedoch weder Beamte noch
Angestellte. Sie sollten daher weder die bisher gewährten be-
amtenähnlichen Pensionen erhalten noch in die Rentenkasse
einzahlen. Es ist ganz allein Sache des Abgeordneten, Vor-
sorge für den Fall der Arbeitsunfähigkeit und des Alters zu
treffen. Ein privatwirtschaftliches Versicherungsmodell, das
den Abgeordneten größtmögliche Entscheidungsfreiheit be-
lässt, sich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch
in solchen Altersversorgungssystemen abzusichern, denen
sie aufgrund vorausgegangener beruflicher Tätigkeit bereits
angehören, würde dem verfassungsrechtlichen Status der
kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine an
objektiven Maßstäben orientierte Entscheidung über die An-

liche Ausgestaltung der Altersversorgung ebenfalls unter
Vorgabe des verfassungsrechtlichen Angemessenheitsgebo-

Drucksache 16/117 destag – 16. Wahlperiode

– 4 – Deutscher Bun

tes zu überprüfen und dem Deutschen Bundestag einen Vor-
schlag zu unterbreiten, wie das bestehende Altersversor-
gungsrecht für die Abgeordneten so geändert werden kann,
dass

a) einer stärkeren Eigenverantwortung der Abgeordneten
Rechnung getragen wird,

b) die Abgeordneten sich mit Eigenbeiträgen selbst an der
Finanzierung beteiligen können,

c) die Kompatibilität mit anderen Altersversorgungssyste-
men gewährleistet bleibt,

d) der formalisierte Gleichheitssatz im Blick auf identische
Versorgungsanwartschaften für gleiche Mandatszeiten
gewahrt wird und

e) die Gleichwertigkeit von mandatsbedingtem Nachteils-
ausgleich einerseits und Vermeidung einer das Verblei-
ben im Parlament beeinflussenden Überversorgung ande-
rerseits Beachtung findet.

Zu Artikel 2

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Gesetzentwurf
Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.