BT-Drucksache 16/11685

Entschädigungsregelung für durch Blutprodukte mit HCV infizierte Bluter schaffen

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11685
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Kersten Naumann, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Ilja Seifert, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigungsregelung für durch Blutprodukte mit HCV infizierte Bluter schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung lehnt es bisher ab, eine Entschädigungsregelung für die
Hämophilen (Bluter) zu schaffen, die sich in den 1980er Jahren mit Hepatitis-C-
Viren (HCV) infizierten. Diese Weigerung ist unhaltbar. Nach Auffassung des
Deutschen Bundestages ist eine solche Regelung aufgrund schuldhafter Versäum-
nisse des Bundes, der Pharmaindustrie, der Blutspendedienste und der Behandler
überfällig.

Nach dem Untersuchungsbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen
Bundestages der 12. Wahlperiode erfüllte das Bundesgesundheitsamt trotz besse-
ren Wissens seine Aufgabe nicht, für die Sicherheit der Medikamente zu sorgen.
Hätte das Bundesgesundheitsamt seine Aufgaben erfüllt, wären die meisten Patien-
ten nicht infiziert worden.

Der Deutsche Bundestag weist die Einschätzung der Bundesregierung, die
Infektionen seien unvermeidbare Ereignisse gewesen und daher läge juristisch kein
Grund für eine Entschädigungslösung vor (vgl. die Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 16/6934),
zurück. Diese Auffassung ist durch den Untersuchungsbericht widerlegt. Auch die
pharmazeutische Industrie, die Blutspendedienste und die behandelnden Ärzte und
Krankenhäuser tragen eine Mitverantwortung an den Infektionen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) unabhängig von juristischen Erwägungen einer Amtshaftung eine zivilisato-
risch angemessene humanitäre Entschädigungslösung für die Betroffenen zu
schaffen,

b) unter Nutzung politischer und rechtlicher Handhaben eine gerechte Beteili-
gung der Pharmaindustrie, der Blutspendedienste und der Behandler an der
anderenfalls vom Bund alleine zu tragenden Entschädigungsregelung zu er-
reichen,
c) da eine Entschädigungsregelung schon seit vielen Jahren überfällig ist, eine
Rechtsgrundlage für rückwirkende Zahlungen oder Einmalzahlungen zu
schaffen.

Berlin, den 20. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/11685 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Bluter benötigen lebensnotwendige Medikamente. Je nach Art der Krankheit
fehlen die Gerinnungsfaktoren IX oder VIII und müssen durch Medikamente er-
setzt werden. Bis vor wenigen Jahren wurden diese Medikamente ausschließlich
aus Blut gewonnen. Wie bei allen Blutprodukten besteht dabei eine gewisse In-
fektionsgefahr.

Der 3. Untersuchungsausschuss nach Artikel 44 des Grundgesetzes „HIV-Infek-
tionen durch Blut und Blutprodukte“ (Bundestagsdrucksache 12/8591) hat fest-
gestellt: Bereits seit Mitte der 1970er Jahre war demnach die Gefahr der Infektion
durch Blutprodukte mit einer Virushepatitis bekannt (1975 Prof. Dr. Schimpf).
Seit 1977 stand ein inaktiviertes und damit sicheres Präparat zur Behandlung der
Hämophilie B (Gerinnungsfaktor IX) zur Verfügung. Seit 1981 gab es auch ein
sicheres Präparat zur Behandlung der Hämophilie A (Gerinnungsfaktor VIII).
Nichtinaktivierte Gerinnungsfaktor-IX-Präparate waren ab 1. Oktober 1980
nicht mehr verkehrsfähig nach § 5 des Arzneimittelgesetzes (AMG). Nichtinak-
tivierte Gerinnungsfaktor-VIII-Präparate durften ab der Jahreswende 1981/82
nur noch dann verabreicht werden, wenn keine risikoärmeren Alternativen zur
Verfügung standen, um die lebensbedrohliche Krankheit zu behandeln. Ab
Spätherbst 1983 waren diese Medikamente nicht mehr verkehrsfähig i. S. v. § 5
AMG.

Frühzeitig haben Hämophilieverbände dazu aufgerufen, auf die neuen Medika-
mente umzustellen. Dennoch wurden diese Medikamente mit Duldung des Bun-
desgesundheitsamtes bis mindestens 1987 verabreicht. Es wurden im Zeitraum
seit 1983 noch weitere inaktivierte Präparate zugelassen. Erst 1989 wurde die
Inaktivierung zur Auflage gemacht.

Der vom Deutschen Bundestag eingesetzte 3. Untersuchungsausschuss nach
Artikel 44 des Grundgesetzes „HIV- Infektionen durch Blut und Blutprodukte“
hat bereits 1994 in seinem Schlussbericht festgestellt, dass das Bundesgesund-
heitsamt seine Aufgaben nicht erfüllt hat und es infolge zu einer Infektion von
etwa 3 000 Menschen mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) kam. Durch dieselben
Medikamente kam es auch zu Infektionen mit HIV. Für die Gruppe der HIV-
Infizierten wurde 1995 eine Entschädigungsregelung geschaffen, das HIV-
Hilfegesetz.

Bis heute gibt es keine fachlich plausiblen Gründe, warum der Staat den HIV-
Infizierten hilft und die aus dem gleichen Grund HCV-Infizierten ignoriert.
Auch nachdem die Fraktion DIE LINKE. sich für ein Berichterstattergespräch
eingesetzt hatte, an dem Vertreter aller Fraktionen im Ausschuss für Gesundheit
des Deutschen Bundestages und Vertreter der Bundesregierung teilgenommen
hatten, und nach einem Brief des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen
Bundestages an die zuständige Ministerin, blieb die Bundesregierung bei ihrer
Position, eine Entschädigungsregelung nicht schaffen zu wollen.

Der Untersuchungsausschuss stellte unmissverständlich fest: „Das Fehlen jeg-
licher Reaktionen seitens des Bundesgesundheitsamtes auf die Gefahr der Hepa-
titisinfektionen muss als Versäumnis und folglich als Amtspflichtverletzung
gewertet werden.“ Diese Aussage ist nicht mit der Aussage zu vereinbaren, dass
die Infektionen ein „unvermeidbares Ereignis“ gewesen seien. Genau damit be-
gründet die Bundesregierung ihr Nichthandeln.

Die Infektion der Hämophilen wäre durch ein umsichtiges Handeln des Bundes-
gesundheitsamtes, der pharmazeutischen Industrie und der Blutspendedienste
seit der Verfügbarkeit sicherer Medikamente zum größten Teil vermeidbar ge-
wesen. Da dies nicht erfolgt ist, tragen die Bundesrepublik Deutschland, die
Pharmaindustrie und die Blutspendedienste zumindest moralisch-politische und

möglicherweise auch juristische Verantwortung für die Infektionen und das Leid
der Betroffenen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11685

Daher ist eine Entschädigungsregelung spätestens seit dem Abschlussbericht
des 3. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vor 14 Jahren
überfällig. Bei Betroffenen und Beobachtern drängt sich seitdem der Eindruck
auf, dass die Bundesregierung dieses Problem so lange ungelöst lassen will, bis
sich eine biologische Lösung gefunden hat. Um diesen verheerenden Eindruck
zu vermeiden und um den Betroffenen eine gerechte Zahlung zukommen zu las-
sen, sollte die Bundesregierung Einmalzahlungen oder rückwirkende Zahlungen
erwägen.

In vielen anderen Staaten gibt es für diese und ähnliche Personengruppen Ent-
schädigungsregelungen. Das gilt etwa für Irland, Großbritannien, Italien, Spa-
nien, Schweden und Ungarn. 2008 ist auch Japan hinzugekommen. Dort hat die
Regierung ihre Verantwortung für die Infektionen ausdrücklich anerkannt, bei
den Betroffenen um Entschuldigung gebeten und eine Einmalzahlung von bis zu
etwa 250 000 Euro pro Person beschlossen.

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