BT-Drucksache 16/11682

Diskriminierung bekämpfen - Vertragsfreiheit sichern

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11682
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Joachim Günther (Plauen),
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun
Kopp, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Diskriminierung bekämpfen – Vertragsfreiheit sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag verurteilt jede Diskriminierung wegen des Ge-
schlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltan-
schauung, wegen Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Der
Schutz vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht und wesentliches Element
einer jeden demokratischen Gesellschaft. Freiheit zu garantieren heißt auch, die
Rechte von Minderheiten zu schützen. Das Grundgesetz enthält in Artikel 3 so-
wohl einen Schutz vor Benachteiligung als auch das Gebot, grundsätzlich alle
Menschen gleich zu behandeln. Der Deutsche Bundestag fühlt sich auch Arti-
kel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem darin enthaltenen
Diskriminierungsverbot verpflichtet. Gerade in der europäischen Wertegemein-
schaft müssen Benachteiligungen beseitigt und die Rechte von Minderheiten
gestärkt werden.

Die EU-Kommission hat in den vergangenen Jahren bereits vier Richtlinien
vorgelegt, die den Schutz vor Diskriminierung regeln. Der Schwerpunkt lag da-
bei im Bereich von Beschäftigung und Beruf. Bezüglich der Diskriminierungs-
merkmale Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht sahen die Richtlinien

auch Regelungen im Zivilrecht beim Zugang zu öffentlich angebotenen Gütern
und Dienstleistungen vor. In Deutschland sind die Richtlinien mit der Verab-
schiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in deutsches Recht
umgesetzt worden. Das Gesetz beschränkt sich dabei nicht auf den Regelungs-
gehalt der Richtlinien, sondern weitet den Anwendungsbereich weit darüber
hinaus aus. So gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Zivilrecht
nicht nur für die europarechtlich verpflichtend vorgegebenen Merkmale Rasse,

Drucksache 16/11682 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ethnische Herkunft und Geschlecht, sondern auch für Religion, Behinderung,
Alter und sexuelle Identität.

Die EU-Kommission hat 2008 erneut einen Vorschlag für eine Richtlinie zur
Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion
oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen
Ausrichtung vorgelegt (KOM(2008) 426). Danach soll der Schutz vor Diskri-
minierung ausgeweitet werden auf Bereiche außerhalb von Beschäftigung und
Beruf. Mit der neuen Richtlinie soll in allen Lebensbereichen, wie z. B. beim
Einkauf, bei Dienstleistungen oder der Wohnungssuche wegen der in dem
Richtlinienentwurf genannten Diskriminierungstatbestände vor Benachteili-
gung geschützt werden. Ausnahmen gelten nur für rein private Vermieter. Den
im deutschen Recht beschränkten Anwendungsbereich auf sog. Massenge-
schäfte lehnt die EU-Kommission ab. Der Richtlinienentwurf sieht ein Ver-
bandsklagerecht und eine Umkehr der Beweislast vor. Für Menschen mit
Behinderung umfasst das Diskriminierungsverbot die generelle Zugänglichkeit
sowie den Grundsatz „angemessener Vorkehrungen“. Die EU-Kommission be-
absichtigt mit ihrem Vorschlag eine umfassende Regelung, um unterschiedliche
Regelungen für einzelne Diskriminierungsgründe zu vermeiden.

Der Richtlinienentwurf enthält eine Fülle an unbestimmten Rechtsbegriffen
(„eine weniger günstige Behandlung“, „unverhältnismäßige Belastung“, „grund-
legende Veränderung“, „angemessene Vorkehrungen“). Er fördert daher die
Rechtsunsicherheit bei den Unternehmen, da für sie nicht absehbar ist, welche
Art von Maßnahmen von ihnen konkret verlangt werden. Die Maßnahmen
müssen von den Unternehmen bereits „im voraus vorgesehen“ werden, unab-
hängig davon, ob eine Nachfrage von Kunden mit Behinderung überhaupt vor-
liegt. Betroffen sind davon insbesondere kleine mittelständische Unternehmen,
für die die geforderten Maßnahmen ein erheblicher finanzieller und bürokra-
tischer Aufwand darstellt. Bedenken bestehen auch gegen den verschuldens-
unabhängigen Schadenersatzanspruch, der „nicht durch eine im Voraus fest-
gelegte Höchstgrenze limitiert werden“ darf. Sehr problematisch ist das Diskri-
minierungsmerkmal „Weltanschauung“, gerade in Bezug auf den Missbrauch
durch radikale Gruppierungen. Der Gesetzgeber hat sich daher bei der Ver-
abschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bewusst dafür ent-
schieden, auf das Merkmal „Weltanschauung“ zu verzichten. Der Gesetzgeber
sah die Gefahr, dass z. B. Anhänger rechtsradikalen Gedankenguts versuchen,
sich Zugang zu Geschäften zu verschaffen, die ihnen aus anerkennenswerten
Gründen verweigert würden. Der Richtlinienentwurf führt auch zu einer Aus-
weitung des Verbandsklagerechts, da die Anforderungen an die betroffenen
Verbände und Organisationen hinsichtlich ihrer Qualifikation abgesenkt wer-
den.

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission greift schwerwiegend in die Ab-
schluss- und Gestaltungsaspekte der Vertragsfreiheit ein. Im Zivilrecht gilt
grundsätzlich Vertrags- und Wahlfreiheit und damit das Recht, keine Gründe
dafür benennen zu müssen, einen Vertrag abzuschließen oder zu verweigern.
Würde man jede Bevorzugung als Diskriminierung ansehen, so stünde der ge-
samte Zivilrechtsverkehr unter generellem Diskriminierungsverdacht. Es ist der
Vertragsfreiheit fremd, dem Einzelnen vorzuschreiben, welche Gesichtspunkte
für den Abschluss oder die Gestaltung eines Vertrages maßgeblich sein dürfen.
Der Richtlinienentwurf ist insgesamt nicht geeignet, die Freiheit des Einzelnen
mit berechtigtem Anliegen von Wirtschaft und Gesellschaft zu einem vernünf-
tigen Ausgleich zu bringen. Es wäre bedauerlich, wenn das Ziel Gerechtigkeit
durch Gleichbehandlung zu schaffen und Diskriminierung auch im Privatrecht
zu vermeiden, wegen mangelnder Akzeptanz einer ausufernden Regelung ver-
fehlt würde.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11682

Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat am 3. Juni 2000 auf dem
94. Deutschen Katholikentag in Hamburg ausgeführt: „Wir dürfen das Grund-
gesetz und die Grundrechte aber auch nicht falsch verstehen. Nicht jede Unter-
scheidung ist eine Diskriminierung und so ein Verstoß gegen das Gleichheits-
gebot. Die Vielfalt menschlichen Lebens gebietet es, nicht alle und nicht alles
über einen Kamm zu scheren. Unterscheidung und Differenzierung sind kein
Verstoß gegen die Grundrechte. Im Gegenteil: Sie entsprechen der Menschen-
würde. Wo aber Unterschiede zur Diskriminierung missbraucht werden, da ist
unser Einspruch gefragt. Die Grundrechte zu schützen und durchzusetzen, ist
oberste Pflicht allen staatlichen Handelns. Der Erfolg hängt entscheidend von
der Einstellung und vom praktischen Engagement jedes einzelnen Staatsbür-
gers und jeder Staatsbürgerin ab.“ Der Abbau von Diskriminierungen lässt sich
nicht nur per Gesetz verordnen. Er ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Was wir brauchen ist eine Veränderung des Bewusstseins. Wir müssen eine
Kultur des Miteinanders entwickeln, in der Diskriminierung und Vorurteile ge-
ächtet und Vielfalt und Unterschiedlichkeit nicht nur akzeptiert und toleriert,
sondern als Bereicherung empfunden werden.

Die Bundesregierung steht der Initiative der EU-Kommission ablehnend ge-
genüber. Sie verweist darauf, dass zunächst die Erfahrungen mit dem in Kraft
getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes abgewartet werden sollen
(Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages, Ausschuss-
drucksache 16(11)951). Im Gegensatz zur EU-Kommission ist die Bundesre-
gierung der Auffassung, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz richtli-
nienkonform umgesetzt wurde. Zudem verteidigt die Bundesregierung die
Differenzierung nach „Massengeschäften“ bei der Vermietung als Wohnraum
als vereinbar mit der Richtlinie. Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2000/43/EG
bestimme, dass der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der
in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleiben soll (Stellungnahme
der Bundesregierung vom 7. März 2007 zum Schreiben der Kommission vom
24. Januar 2007).

Der Deutsche Bundestag begrüßt die kritische Haltung der Bundesregierung zu
dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission und lehnt in Übereinstimmung
mit der Bundesregierung den Richtlinienentwurf der EU-Kommission ab.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– ihre ablehnende Haltung hinsichtlich des Richtlinienentwurfs der EU-Kom-
mission zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet
der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder
der sexuellen Ausrichtung weiterhin aufrechtzuhalten;

– die EU-Kommission dazu zu bewegen, den Richtlinienentwurf zurückzuzie-
hen oder sich hilfsweise im Rat dafür einzusetzen, dass der Entwurf nicht
beschlossen wird.

Berlin, den 21. Januar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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