BT-Drucksache 16/11660

Krankenhausinfektionen vermeiden - Multiresistente Problemkeime wirksam bekämpfen

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11660
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Kersten Naumann, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Ilja Seifert, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Krankenhausinfektionen vermeiden – Multiresistente Problemkeime wirksam
bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es gibt in Deutschland sehr viele vermeidbare Infektionen, die aufgrund eines
Krankenhausaufenthaltes ausgelöst werden. Die Bundesregierung trägt eine
Mitverantwortung, unhygienische Zustände in den Krankenhäusern zu beenden.

In Deutschland erleidet etwa jeder 20. bis 30. Patient in einem Krankenhaus eine
Krankenhausinfektion (nosokomiale Infektion). Die Gesundheitsberichterstat-
tung des Bundes geht bei 16,9 Millionen (2006) Patienten von 500 000 bis
800 000 Infektionen jährlich1 aus und etwa 20 000 bis 40 0002, 3 Patienten ster-
ben daran. Damit ist die im Krankenhaus erworbene Infektion die mit Abstand
häufigste Form ernsthafter Infektionskrankheiten in Deutschland. Es müssen
daher nachhaltige Anstrengungen unternommen werden, um diese Zahlen zu
senken.

30 bis 50 Prozent3 dieser Infektionen sind durch das Einhalten einfacher und be-
kannter Regeln der Hygiene vermeidbar. Empirische Beispiele aus angrenzen-
den Staaten zeigen, dass auch noch deutlich geringere Infektionszahlen erreich-
bar sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) zu prüfen, auf welchem Weg sie folgende Ziele am besten erreichen kann und
die notwendigen Schritte zu einer erfolgreichen Eindämmung der Kranken-
hauskeime zu unternehmen:

1. Wirkungsvolle verbindliche Regelungen, um mit den bekannten, geeigne-
ten Maßnahmen Infektionen nicht nur zu einem zu späten Zeitpunkt zu
erfassen und zu heilen, sondern sie durch Präventionsmaßnahmen bereits
in ihrer Entstehung zu verhindern,
1 Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 8, Nosokomiale Infektionen.
2 Die nosokomiale Infektion als Todesursache. Gesundheitswesen 56 (1994) 122–125 Inst., Zastrow KD,

Schöneberg I.
3 Delveloping quality of care through information system (Worning, Anne Maruie, Mertens, Ralf (WHO/

Europe) Journal of healthcare materiel management Jan/Feb 1991.

Drucksache 16/11660 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. die Einsetzung von Ärztinnen und Ärzten für Hygiene und Hygienefach-
kräften in Krankenhäusern in allen Bundesländern gemäß dem Vorbild
von Berlin, Sachsen und Bremen,

3. die Befähigung des Fachpersonals der Gesundheitsämter durch personelle
Aufstockung und Qualifizierung, um deren Aufsichtspflicht besser zu
gewährleisten,

4. die konsequente Umsetzung der bestehenden Richtlinie des Robert Koch-
Instituts zur Prävention von MRSA (Methicillin-resistenter Staphylo-
coccus aureus);

b) dafür Sorge zu tragen, dass die Einführung und Etablierung von wirksamen
Präventionsstrategien und -maßnahmen gegen Krankenhausinfektionen für
die Krankenhäuser auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sind, damit es nicht
zum Verzicht auf derartige Investitionen kommt;

c) eine Meldepflicht für MRSA und ggf. andere gefährliche Krankenhauskeime
einzuführen;

d) bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen auch die Beispiele erfolgreicher
europäischer Nachbarländer heranzuziehen.

Berlin, den 21. Januar 2009

Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Hunderttausende der im Krankenhaus erworbenen Infektionen sind vermeidbar.
Bei diesen Patienten wird der Krankenhausaufenthalt um 5,7 bis 23,7 Tage ver-
längert4.

Geht man in einer Beispielrechnung davon aus, dass 400 000 Patienten 10 Tage
zusätzlich im Krankenhaus verbleiben, ergibt dies 4 Millionen vermeidbare
Pflegetage. Das Robert Koch-Institut geht von ca. 2 Millionen Pflegetagen aus.
Bei mittleren Kosten von 750 Euro pro Tag bedeutet dies also vermeidbare Kos-
ten von 1,5 bis 3 Mrd. Euro.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich zum Teil katastrophale Einzelschicksale.
Vor allem Patienten mit einem relativ schwachen Immunsystem sind betroffen,
also oft Neugeborene und ältere Menschen. In zahlreichen Bundesländern
wurden trotz wiederholter Appelle, immer noch keine Krankenhaushygiene-
Verordnungen verabschiedet, die dringend notwendig wären.

Die Einsetzung von Ärzten für Hygiene und von Hygienefachkräften in Kran-
kenhäusern ist erforderlich, um die geeigneten und fortlaufend an die neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnisse anzupassenden Maßnahmen in den Kranken-
häusern zu etablieren, zu überwachen und um ein Bewusstsein für die Not-
wendigkeit der Maßnahmen herzustellen. Ansonsten werden leicht vermeidbare
Infektionen weiterhin schwerste Schäden anrichten.

Staphylococcus aureus (S. aureus) ist der wichtigste im Krankenhaus erworbene
Krankheitserreger, der lange Zeit durch Antibiotika zu therapieren war. 1990 be-
trug der Anteil von MRSA gegenüber den Methicillin-sensiblen S. aureus
(MSSA) an allen Staphylococcus-aureus-Isolaten in Deutschland etwa 1,7 Pro-
4 Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 8, Nosokomiale Infektionen (S. 14).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11660

zent, 10 Jahre später regional bis 15 Prozent und gegenwärtig durchschnittlich
bei 22 Prozent5.

Der Anteil von S. aureus an allen Krankenhausinfektionen beträgt 40 Prozent,
also bis zu 320 000 Fälle pro Jahr. Ein Ende des Anstiegs der MRSA-Keime ist
bei den derzeit tatsächlich getätigten Maßnahmen nicht absehbar.

MRSA-Infektionen sind mit

– verlängertem Krankenhausaufenthalt und hierdurch bedingten erheblichen
Mehrkosten,

– einem höheren Krankheits- und Sterberisiko und

– höheren Kosten für die Antibiotikatherapie verbunden.

Mit dem Auftreten von MRSA ergeben sich neben schweren Krankheitsbildern
erhebliche ökonomische Belastungen. Bei einem mit MRSA kolonisierten/oder
infizierten Patienten ergeben sich etwa 3 000 bis 10 000 Euro an zusätzlichen
Kosten.

Derzeit ist es leider so, dass sich eine wirkungsvolle Strategie der Kranken-
häuser gegen Krankenhauskeime betriebswirtschaftlich nicht lohnt und daher
nicht erfolgt. Ist z. B. eine MRSA-Infektion eines Patienten erst einmal erkannt,
wird es teuer für das Krankenhaus. Daher wird oft erst gar nicht auf MRSA
untersucht.

Es handelt sich hierbei um eines der gravierendsten Probleme des öffentlichen
Gesundheitsschutzes.

Das Vorbild Dänemarks zeigt jedoch eindrucksvoll, dass eine national einheit-
lich durchgesetzte Präventionsstrategie die Ausbreitung von MRSA drastisch zu
reduzieren vermag.

Aufgrund der praktisch zeitgleichen Durchsetzung einer ähnlichen Strategie seit
Anfang der 70er Jahre in den Niederlanden konnte dort das Vorkommen von
MRSA bis zum jetzigen Zeitpunkt auf unter 1 Prozent begrenzt werden.

In Deutschland hingegen ist weiterhin ein europaweit überdurchschnittlicher
Anstieg von MRSA zu verzeichnen.

Hinzu kommt, dass die verbleibenden noch wirksamen Antibiotika (z. B. Van-
comycin) z. T. für die Patienten höhere Belastungen bringen als die nicht mehr
wirksamen.
5 European Antimicrobial Resistance Surveillance Study.

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