BT-Drucksache 16/11639

Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für Conterganbetroffene

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11639
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für Conterganbetroffene

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag beauftragt die Bundesregierung, schnellstmöglich
einen Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vorzulegen,
der Folgendes beinhaltet:

1. Die von der Firma Grünenthal GmbH zur Verfügung stehenden 50 Mio. Euro
werden insgesamt als Einmalleistung an die Conterganbetroffenen, spätes-
tens zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, ausbezahlt.

2. Die monatlichen Entschädigungsleistungen werden rückwirkend zum 1. Januar
2009 um 50 Prozent erhöht und darüber hinaus alljährlich entsprechend der
Inflationsrate dynamisiert.

3. § 12 Satz 2 des Conterganstiftungsgesetzes und damit die Ausschlussfrist für
Antragstellerinnen und Antragsteller wird aufgehoben. Neuanträge sind
kurzfristig zu entscheiden, Zahlungen aus dem Stiftungsfonds sollten mit
dem Datum der Antragsstellung erfolgen. Über den Umfang von rückwirken-
den Zahlungen entscheiden die Stiftungsgremien nach Neubesetzung im
Sinne von Nummer 4.

4. Stiftungsvorstand sowie Stiftungsrat müssen mindestens paritätisch mit Con-
terganbetroffenen besetzt werden.

Berlin, den 20. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Es besteht kein Zweifel daran, dass die noch rund 2 800 Conterganbetroffenen
unter massiven Beeinträchtigungen und zunehmend auch unter Spätfolgeschä-

den leiden. Sie bedürfen erheblicher materieller und finanzieller Leistungen, um
die Möglichkeit einer umfassenden Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ent-
sprechend der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderun-
gen zu haben und für die entstandenen Schäden und Schmerzen entschädigt zu
werden. Hier steht der Bund seit Inkrafttreten des Conterganstiftungsgesetzes
am 31. Oktober 1972 infolge des 1971 geschlossenen „Vergleichs“ in besonde-
rer Verantwortung.

Drucksache 16/11639 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Diese erforderlichen Leistungen sind auch durch die Verdopplung der so genann-
ten Conterganrenten zum 1. Juli 2008 und durch die derzeitigen Leistungen aus
den Sozialversicherungen nicht ausgeglichen. Dies und der wirkliche Bedarf
sind spätestens seit der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend am 28. Mai 2008 bekannt und es herrschte auch über alle
Fraktionen Einigkeit, dass die Verdopplung der monatlichen Entschädigung nur
ein erster Schritt sein kann.

Zu Nummer 1: Die Firma Grünenthal GmbH – der Verursacher des Contergan-
skandals – hatte 2008 zugesagt, weitere 50 Mio. Euro für die Contergangeschä-
digten zur Verfügung zu stellen. Dieses Geld sollte sofort und vollständig an die
Betroffenen ausgezahlt werden.

Zu Nummer 2: Eine weitere spürbare Erhöhung der monatlichen Entschädigung
um 50 Prozent wäre eine wichtige Soforthilfe. Dazu kann unter anderem auch
ein großer Teil des bestehenden Stiftungsvermögens herangezogen werden.

Zu Nummer 3: Es gibt verschiedene Gründe, warum Contergangeschädigte
nicht fristgerecht ihren Antrag stellten. Eine Ursache ist, dass nicht orthopädi-
sche Conterganschäden in einigen Fällen erst Jahrzehnte nach der Geburt des
Kindes festgestellt werden – so etwa im Fall eines gedoppelten Uterus oder an-
derer innerer Organschäden. Weitere Ursachen sind, dass Eltern, zum Beispiel
aus Scham, gegenüber ihren Kindern die Ursache der Behinderung verschwie-
gen. Dies wurde im Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für be-
hinderte Kinder“ (Errichtungsgesetz) von 1971 noch nicht berücksichtigt. Dem-
zufolge ist dort nach § 13 nur leistungsberechtigt, wer „die Leistungen bis zum
31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht“ hat. Die Streichung des
Verweises in § 12 Satz 2 des Conterganstiftungsgesetzes auf § 13 des Errich-
tungsgesetzes ist daher längst überfällig.

Zu Nummer 4: Derzeit ist lediglich der Bundesverband der Contergangeschä-
digten e. V. im Stiftungsrat vertreten. Erforderlich ist – auch mit Blick auf die
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen –, dass die
Betroffenen maßgeblich selbst über die für sie (über die Conterganstiftung) zur
Verfügung stehenden Mittel entscheiden sollten. Auch muss der Tatsache Rech-
nung getragen werden, dass der Bundesverband der Contergangeschädigten
e. V. nicht alle 2 800 Contergangeschädigten vertritt und weitere Interessenver-
tretungen der Betroffenen existieren. Die Benennung der Personen sollte durch
die Betroffenen selbst, zum Beispiel mit Briefwahl in Anlehnung an Betriebs-
ratswahlen, erfolgen.

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