BT-Drucksache 16/11493

Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz - PVVG)

Vom 18. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11493
16. Wahlperiode 18. 12. 2008

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Dr. Hans Georg Faust, Dr. Herta Däubler-Gmelin,
Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Wolf Bauer, Clemens Binninger, Eva
Bulling-Schröter, Dr. Diether Dehm, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Enak Ferlemann,
Hartwig Fischer (Göttingen), Herbert Frankenhauser, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof),
Jochen-Konrad Fromme, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Holger Haibach, Inge
Höger, Klaus Hofbauer, Franz-Josef Holzenkamp, Eike Hovermann, Dr. Hakki
Keskin, Katja Kipping, Eckart von Klaeden, Jan Korte, Dr. Rolf Koschorrek,
Thomas Kossendey, Dr. Martina Krogmann, Dr. Max Lehmer, Paul Lehrieder,
Eduard Lintner, Thomas Mahlberg, Dr. Angela Merkel, Laurenz Meyer (Hamm),
Maria Michalk, Dr. h. c. Hans Michelbach, Marlene Mortler, Carsten Müller
(Braunschweig), Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier, Rita Pawelski, Hans Raidel,
Katherina Reiche (Potsdam), Johannes Röring, Paul Schäfer (Köln),
Hermann-Josef Scharf, Dr. Andreas Scheuer, Dr. Konrad Schily, Kurt Segner,
Marion Seib, Thomas Silberhorn, Jens Spahn, Gero Storjohann, Max Straubinger,
Matthäus Strebl, Hans Peter Thul, Dr. Wolfgang Wodarg, Willi Zylajew

Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von
Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz – PVVG)

A. Problem

Die moderne Medizin hat neue Möglichkeiten eröffnet, auch im hohen Alter und
bei schweren Erkrankungen Leben zu erhalten und zu verlängern. Diese Ent-
wicklung stellt zunächst ohne Zweifel eine Errungenschaft für jeden einzelnen
Menschen und die Gesellschaft dar. Es lässt sich jedoch auch feststellen, dass
das Sterben durch den medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritt
bisweilen jedoch nicht mehr als ein natürlicher Prozess empfunden wird, son-
dern als eine Folge menschlicher Entscheidungen, die die Beendigung oder den
Verzicht auf lebensverlängernde medizinische Maßnahmen zum Inhalt haben.

Vielen Menschen flößt insbesondere die Vorstellung, am Lebensende zum Ob-
jekt einer hochtechnisierten Medizin zu werden, Angst ein. Deshalb wird seit
Jahren vermehrt die Frage aufgeworfen, wie das Sterben in einer modernen Ge-
sellschaft menschenwürdig gestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang
wird zunehmend auch erörtert, ob Ärzte das menschliche Leben unter Aus-

schöpfung aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten um jeden Preis bis zu-
letzt erhalten sollten und inwiefern Therapieziele in den unterschiedlichen Pha-
sen einer Krankheit angepasst werden müssen. Vor diesem Hintergrund setzen
sich immer mehr Menschen frühzeitig mit der eigenen Behandlung am Lebens-
ende auseinander und ziehen dabei häufig auch in Betracht, mit Hilfe einschlä-
giger rechtlicher Instrumente Vorsorge für sich zu treffen. Derzeit haben etwa
sieben bis acht Millionen Bundesbürger eine Patientenverfügung erstellt.

Drucksache 16/11493 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mit der Patientenverfügung weist der Patient den Arzt für den Fall seiner Ein-
willigungsunfähigkeit im Voraus an, bestimmte medizinische Maßnahmen nach
seinen persönlichen Vorstellungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Die Pa-
tientenverfügung, die Betreuungsverfügung und die Vorsorgevollmacht sind
mittlerweile gängige rechtliche Instrumente, derer sich Patienten bedienen, um
ihren Willen in Bezug auf ärztliche und pflegerische Maßnahmen verbindlich
festzuhalten und dessen Durchsetzung sicherzustellen. Während die Betreu-
ungsverfügung und die Vorsorgevollmacht gesetzlich geregelt sind, ist der Um-
gang mit Patientenverfügungen bislang keinen spezifischen, sondern allgemei-
nen rechtlichen Regelungen zu entnehmen.

Besondere Bedeutung entfalten Patientenverfügungen bei der Sterbebegleitung,
also im Zusammenhang mit einem natürlichen Prozess, dessen Verlauf nach dem
Patientenwillen gestaltet werden soll. Ein aktives Herbeiführen des Lebensen-
des ist nach diesem Verständnis nicht möglich.

Das Gesetz über die Wirksamkeit von Patientenverfügungen bekennt sich zu
dem Grundsatz, dass jedes Leben lebenswert ist, auch Leben mit Schwäche,
Krankheit und Behinderung. Auch und gerade dann ist es Aufgabe unserer Ge-
sellschaft dafür einzutreten, dass Menschen akzeptiert und nach ihren Bedürf-
nissen gepflegt und umsorgt werden. Die Akzeptanz dieses Grundsatzes bedeu-
tet aber auch, dass jeder Mensch – und nur er – in einem höchstpersönlichen
Entscheidungsprozess festlegt, wann er sich gegen den natürlichen Sterbepro-
zess nicht mehr wehren und auf den Einsatz der Intensivmedizin verzichten will.
Deshalb beinhaltet der Anspruch auf menschenwürdiges Sterben auch die Fest-
stellung, dass die höchstpersönliche Einsicht des Patienten, wann seine Zeit zu
sterben gekommen ist, respektiert werden muss.

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass der Sterbeprozess nicht allein
nach medizinischen Kriterien definiert wird – was ohnehin in der Praxis so gut
wie unmöglich ist, denn kein Arzt kann regelmäßig zweifelsfrei (und gerichts-
fest) feststellen, wann der Sterbeprozess einsetzt.

Im Zusammenhang mit der Schaffung einer rechtlichen Regelung zur Verbind-
lichkeit und Umsetzung von Patientenverfügungen ist es geboten, Forderungen
nach rechtlicher Zulassung der sog. Tötung auf Verlangen, die in der Öffentlich-
keit häufig als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet wird, Einhalt zu gebieten und zu-
gleich die Bedeutung der palliativmedizinischen, palliativpflegerischen und
hospizlichen Versorgung hervorzuheben. Unter anderem mit der Einführung der
spezialisierten ambulanten Palliativversorgung in den §§ 37b, 132d des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), der Erweiterung des Förderbereichs der am-
bulanten Hospizarbeit in § 39a Absatz 2 SGB V und der Berücksichtigung der
spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in der letzten Lebens-
phase wurden unlängst entscheidende Verbesserungen bei der Versorgung am
Lebensende eingeleitet. Die konsequente Fortführung einer an der Würde des
Menschen ausgerichteten Sozial- und Gesundheitspolitik muss auch weiterhin
Maßstab des politischen Handelns bleiben. Es ist in diesem Zusammenhang
auch darauf zu achten, dass ein Klima vermieden wird, in dem die Gesellschaft
auf schwerstkranke und sterbende Menschen Druck dahingehend ausübt, die
Behandlung am Lebensende mithilfe einer Patientenverfügung zu beenden.
Denn das unumstößliche Bekenntnis des Staates und der Gesellschaft zu der Tat-
sache, dass jegliches Leben als lebenswert zu achten ist, darf auch in Zukunft
weder unter ökonomischen noch sonstigen Gesichtspunkten relativiert werden.

Die Bundesärztekammer hat in den Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebeglei-
tung1 und in den „Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Pa-
tientenverfügung in der ärztlichen Praxis“2 grundlegende Aussagen festgehal-
1 Deutsches Ärzteblatt, Jg. 101, Heft 19 vom 7. Mai 2004, A 1297.
2 Deutsches Ärzteblatt, Jg. 104, Heft 13 vom 30. März 2007, A 891ff.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11493

ten, die Ärzten und Patienten eine Hilfestellung bei der Bewältigung der
vielfältigen und schwierigen Fragen im Zusammenhang mit dem Lebensende
und dem Wunsch nach einem menschenwürdigen Sterben geben sollen. Sie ba-
sieren auf der Erkenntnis, dass die Situationen am Lebensende hochkomplex
und individuell sind. Sie geben den Ärzten Leitlinien an die Hand, sowohl für
Beratungsgespräche mit Patienten über Vorsorgevollmachten und Patienten-
verfügungen als auch für die Begleitung Sterbender. Die Grundsätze und die
erwähnten Empfehlungen respektieren grundsätzlich den antizipierten Willen
eines Patienten, der in einer Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung nieder-
gelegt wurde, und zwar unabhängig von der Art oder dem Stadium einer Erkran-
kung.

Der Bundesgerichtshof hat in der grundlegenden Entscheidung vom 17. März
2003 (BGHZ 154, 205 ff.) die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen als
Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts des Patienten anerkannt
und diese gestärkt. In der Praxis bestehen jedoch nach wie vor Unsicherheiten
und Zweifel im Einzelfall bezüglich der Frage, wie und in welchem Umfang der
im Voraus festgelegte Wille des Patienten umzusetzen ist. Auch der Bundesge-
richtshof hat in der zitierten Entscheidung eine gesetzliche Regelung zur Frage
der Notwendigkeit einer vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung ausdrück-
lich als wünschenswert bezeichnet und zugleich im Rahmen richterlicher
Rechtsfortbildung dargetan, inwiefern er eine derartige Entscheidung für den
Fall einer Nichteinwilligung des Betreuers in lebensverlängernde oder -erhal-
tende Maßnahmen für notwendig erachtet.

Der Gesetzentwurf zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügun-
gen ist geprägt von der Erkenntnis, dass Leben und Sterben in ihrer Komplexität
nicht normierbar sind und sich pauschalen Kategorien entziehen. Deshalb lässt
er Raum für die Betrachtung des Einzelfalls und vermeidet schematische Lösun-
gen, indem er einen breiten Anwendungsbereich eröffnet, der die individuelle
Bewertung und Würdigung jeder einzelnen Patientenverfügung ermöglicht. Die
Verbindlichkeit einer Patientenverfügung unabhängig von Art und Verlauf der
Krankheit eröffnet nämlich im Gegensatz zu weit verbreiteten Fehlvorstellun-
gen keinen Automatismus in der Umsetzung.

Vor diesem Hintergrund ist es das vorrangige Ziel des Entwurfs, die in der Praxis
bestehende Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Verbindlichkeit von Patien-
tenverfügungen zu beseitigen. Dabei werden die verfassungsrechtlichen Vorga-
ben zur Menschenwürde und zum Selbstbestimmungsrecht einfachgesetzlich
umgesetzt, indem klargestellt wird, dass Patientenverfügungen verbindlich sind.
Entsprechend dem Wunsch des Bundesgerichtshofs wird darüber hinaus festge-
legt, in welchen Fällen das Vormundschaftsgericht einzuschalten ist. Der Geset-
zesentwurf dient somit der Klarstellung der Rechtslage und der Schaffung von
Verhaltenssicherheit für alle Beteiligten. Die Bestimmungen beschränken sich
dabei auf die Regelung des materiell- und verfahrensrechtlich Unerlässlichen. In
einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die die Selbstbestimmung und
damit die Selbstverantwortung des Menschen respektiert und fördert, verbietet
sich jegliche Überregulierung. Denn eine über das Unerlässliche hinausgehende
Regelung der Patientenverfügung liefe insbesondere im Kernbereich der privaten
Lebensgestaltung Gefahr, die elementaren Grundrechte der Menschenwürde, der
allgemeinen Handlungsfreiheit, der körperlichen Unversehrtheit sowie der Glau-
bens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit unnötigerweise zu beschränken.

Nicht die individuell definierte Missbrauchsbekämpfung kann Ziel eines Ge-
setzentwurfs zur Stärkung der Patientenverfügung sein, sondern die Orien-
tierung an Freiheit, Individualität und Selbstbestimmung. Deshalb darf nicht
jeglicher potenzieller Missbrauch zum Maßstab der Freiheitseinschränkung ge-

macht werden. Denn dann wären Freiheit, Individualität und Selbstbestimmung
selbst preisgegeben.

Drucksache 16/11493 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Angestrebt wird daher ein praktikables Verfahren, das unnötige Vorgaben und
bürokratische Prozeduren vermeidet und deshalb geeignet ist, der Individualität
des Sterbens in einer humanen Gesellschaft gerecht zu werden.

B. Lösung

Der Entwurf verankert die Patientenverfügung erstmals gesetzlich im Betreu-
ungsrecht (§ 1901b BGB), trifft eine Regelung zur Beteiligung des Vormund-
schaftsgerichts entsprechend den Vorgaben des Bundesgerichtshofs (§ 1904
BGB) und ergänzt die verfahrensrechtlichen Regelungen im Gesetz über die An-
gelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG).

Der Entwurf sieht dabei im Wesentlichen folgende Regelungen vor:

– Die Patientenverfügung wird zunächst definiert. Darüber hinaus wird in
Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage klargestellt, dass sowohl der
ausdrücklich erklärte als auch der zu ermittelnde mutmaßliche Wille des Pa-
tienten nach dem Verlust der Einwilligungsfähigkeit fortwirkt. Wegen der
hierzu herrschenden Unsicherheit über die Auslegung der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs wird festgelegt, dass Patientenverfügungen unab-
hängig von Art und Verlauf der Erkrankung verbindlich sind.

– In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage wird gesetzlich klarge-
stellt, dass sowohl der Betreuer als auch der Bevollmächtigte verpflichtet
sind, dem Willen des Patienten Ausdruck und Geltung zu verschaffen.

– Der bereits heute übliche Prozess der Indikationsstellung und der Ermitt-
lung des Patientenwillens durch Arzt, rechtlichen Vertreter des Patienten
und – wenn nötig weitere nahestehende Personen und Pflegekräfte – wird
gesetzlich umrissen: damit wird deutlich, dass die Umsetzung des Patien-
tenwillens nicht unreflektierter Automatismus ist.

– In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird
die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in
eine Untersuchung, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff, die
lebensverlängernd oder -erhaltend wirken, der Genehmigung des Vormund-
schaftsgerichts unterworfen, wenn Arzt und Betreuer bei der Ermittlung des
Patientenwillens keine Einigkeit erzielen.

– In verfahrensrechtlicher Hinsicht werden einige wenige Bestimmungen ge-
troffen, die der Wahrung des Grundrechtsschutzes des Betroffenen dienen,
die Qualität der richterlich gefundenen Entscheidung verfahrensrechtlich ab-
sichern und somit zu einer größtmöglichen Akzeptanz der Entscheidung bei
Verfahrensbeteiligten und Dritten beitragen.

C. Alternativen

Ohne eine gesetzliche Regelung bestünden die von der Rechtsprechung und den
allgemeinen Regeln geprägte Rechtslage, aber auch die in der Praxis bestehen-
den Unsicherheiten fort. Das Einschreiten des Vormundschaftsgerichts würde
bis auf Weiteres auf der richterlichen Rechtsfortbildung fußen.

D. Kosten

Zusätzliche Kosten für die öffentlichen Kassen von Bund und Ländern werden
durch den Entwurf nicht verursacht. Auch die neu geschaffenen Verfahrens-
regeln zur Bestellung eines Verfahrenspflegers und zur vormundschaftlichen
Genehmigung von Entscheidungen des Betreuers verursachen keine oder nur

unerhebliche zusätzliche Kosten, da sie der von der Rechtsprechung geprägten
gegenwärtigen Rechtslage entsprechen.

Ermittlung des Patientenwillens im Falle der
Entscheidungsunfähigkeit des Betreuten

oder des Widerrufs der Einwilligung des Betreuers nach
(1) Der Arzt prüft, welche Behandlungsmaßnahme im
Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des
Patienten indiziert ist, und erörtert diese unter Berück-
sichtigung des verbindlichen Patientenwillens nach
§ 1901b mit dem Betreuer. Der Betreuer willigt in die
vorgeschlagene medizinische Behandlungsmaßnahme

§ 1904 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder die
Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine
Sterilisation nach § 1905 Absatz 2 des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs ist.“

2. § 69a wird wie folgt geändert:

a) Absatz 4 erhält folgende Fassung:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/11493

Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von
Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz – PVVG)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekannt-
machung vom … (BGBl. I S. …), zuletzt geändert durch …,
wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht werden nach der Angabe zu
§ 1901a folgende Angaben eingefügt:

„§ 1901b Patientenverfügung

§ 1901c Form der Patientenverfügung

§ 1901d Ermittlung des Patientenwillens im Falle der
Entscheidungsunfähigkeit des Betreuten“.

2. Nach § 1901a werden folgende §§ 1901b, 1901c und
1901d eingefügt:

㤠1901b
Patientenverfügung

(1) Erklärungen zur Behandlung und Entscheidungen
über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in be-
stimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen,
die eine einwilligungsfähige, natürliche Person geäußert
hat (Patientenverfügung), gelten unabhängig von Art und
Stadium der Erkrankung nach Verlust der Einwilligungs-
fähigkeit fort, es sei denn, dass diese Person sie widerru-
fen hat oder an ihnen erkennbar nicht festhalten will. Der
Betreuer hat ihnen Ausdruck und Geltung zu verschaffen.

(2) Absatz 1 gilt auch hinsichtlich des zu ermittelnden
mutmaßlichen Willens einer natürlichen Person.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Bevoll-
mächtigten.

§ 1901c
Form der Patientenverfügung

Die Patientenverfügung soll in schriftlicher Form ver-
fasst werden und angeben, zu welcher Zeit (Tag, Monat
und Jahr) und an welchem Ort sie verfasst wurde. Sie soll
in regelmäßigen Abständen bestätigt werden.

§ 1901d

(2) In Zweifelsfällen sollen Arzt und Betreuer Pflege-
personen, Mitglieder des Behandlungsteams und dem Pa-
tienten nahestehende Personen, wie Ehegatten, Lebens-
partner, Eltern, Pflegeeltern und Kinder sowie vom
Betreuten schriftlich hierfür benannte Personen, zur Er-
mittlung des Patientenwillens nach Absatz 1 hinzuzie-
hen.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Bevoll-
mächtigten.“

3. § 1904 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 2 erhält folgende Fassung:

„(2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der
Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des
Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder
einen ärztlichen Eingriff, die lebensverlängernd oder
-erhaltend wirken, bedarf der Genehmigung des Vor-
mundschaftsgerichts, wenn Arzt und Betreuer bei der
Ermittlung des Patientenwillens nach § 1901d keine
Einigkeit erzielen.“

b) Es wird folgender Absatz 3 angefügt:

„(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für die Einwil-
ligung, die Nichteinwilligung und den Widerruf der
Einwilligung des Bevollmächtigten. Sie sind nur
wirksam, wenn die Vollmacht schriftlich erteilt ist und
die in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 genannten Maß-
nahmen ausdrücklich umfasst.“

Artikel 2

Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliede-
rungsnummer 315-1, veröffentlichten bereinigten Fassung,
zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 13 des Gesetzes vom
19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122 mit Wirkung vom 1. Januar
2009), wird wie folgt geändert:

1. § 67 Absatz 1 Satz 5 wird wie folgt gefasst:

„Die Bestellung ist stets erforderlich, wenn Gegenstand
des Verfahrens die Genehmigung der Nichteinwilligung
ein, wenn sie dem fortgeltenden Patientenwillen nach
§ 1901b entspricht.

„(4) Die Genehmigung der Nichteinwilligung oder
des Widerrufs der Einwilligung nach § 1904 Absatz 2

Drucksache 16/11493 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird erst zwei Wochen
nach Bekanntmachung an den Betreuer oder den Be-

Heike Hänsel
Holger Haibach
Inge Höger
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Eike Hovermann
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Eckart von Klaeden
Jan Korte
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Johannes Röring
Paul Schäfer (Köln)
Hermann-Josef Scharf
Dr. Andreas Scheuer
Dr. Konrad Schily
Kurt Segner
Marion Seib
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Max Straubinger
Gero Storjohann
Matthäus Strebl
Hans Peter Thul
Dr. Wolfgang Wodarg
Willi Zylajew
vollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger oder
im Falle des § 67 Abs. 1 Satz 7 an den Verfahrensbe-
vollmächtigten wirksam.“

b) Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5.

3. In § 69d Absatz 2 Satz 1 werden nach den Wörtern „der
Einwilligung“ ein Komma gesetzt und die Wörter „der
Nichteinwilligung oder des Widerrufs der Einwilligung“
eingefügt.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am … (Tag nach der Verkündung) in
Kraft.

Berlin, den 18. Dezember 2008

Wolfgang Zöller
Dr. Hans Georg Faust
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Monika Knoche
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Wolf Bauer
Clemens Binninger
Eva Bulling-Schröter
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Jochen-Konrad Fromme
Wolfgang Gehrcke

Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Eduard Lintner
Thomas Mahlberg
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer (Hamm)
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Marlene Mortler
Carsten Müller (Braunschweig)
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Rita Pawelski
Hans Raidel
Katherina Reiche (Potsdam)

stellt den erklärten Willen des Patienten dar, der als solcher weise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen
auch nach dem Verlust der Einwilligungsfähigkeit fortgilt
und alle handelnden Personen (seien es Betreuer, Ärzte, Pfle-

Behandlung oder Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen ist,
sofern der Patient mit dem Abbruch mutmaßlich einverstanden ist.
Denn auch in dieser Situation ist das Selbstbestimmungsrecht des
Patienten zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/11493

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Problem und Ausgangslage

1. Grundsätzliches zum Sterben in Würde

Allen Sterbenden eine Existenz in Würde bis zum Ende des
Lebens zu ermöglichen, ist wesentliches Element einer Ge-
sellschaft, deren Verfassung die Würde des Menschen für
unantastbar erklärt. Angesichts der Möglichkeiten, die der
medizinische und medizinisch-technische Fortschritt eröff-
net, geht der modernen Gesellschaft zunehmend der Bezug
zum Sterben, zu Tod und Trauer verloren. Häufig wird das
Sterben deshalb als ein Versagen der Medizin empfunden
und dabei außer Acht gelassen, dass dieser Prozess unab-
dingbarer Teil des menschlichen Lebens ist.

Die Hospizbewegung, die Palliativpflege und die Palliativ-
medizin haben sich darum verdient gemacht, die Sorgen,
Ängste und Nöte der Menschen aufzunehmen und sie ent-
sprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen am Lebensen-
de zu versorgen. Es kann jedoch nicht außer Acht gelassen
werden, dass es weiterhin eine Vielzahl von Menschen gibt,
die den medizinischen und medizinisch-technischen Auf-
wand am Lebensende aus ethischen Gründen ablehnen. Ge-
rade deshalb ist es von außerordentlicher Wichtigkeit, an
dem zentralen Prinzip festzuhalten, dass jeder medizinische
Eingriff in die Integrität des Patienten seiner Einwilligung
bedarf. Wird diese Einwilligung nicht erteilt oder später wi-
derrufen, haben medizinische Maßnahmen auch dann zu un-
terbleiben, wenn sie objektiv sinnvoll sind. Dabei geht es
nicht um die Rechtfertigung der auch weiterhin strafbaren
aktiven Sterbehilfe, ebensowenig ist jedoch eine Lebensver-
längerung um jeden Preis – und erst recht nicht gegen den
Willen des Patienten – angezeigt.

Ziel des Umgangs mit Grenzsituationen am Lebensende
sollte es sein, einen natürlichen Verlauf des Lebens und Ster-
bens entsprechend dem Verständnis des Patienten zuzulas-
sen. Wertmaßstab und Leitbild des Vorgehens aller handeln-
den Personen muss dabei immer die unantastbare Würde des
betroffenen Menschen sein.

2. Die gegenwärtige Rechtslage

Während Betreuungsverfügungen und Vorsorgevollmachten
ausdrücklich gesetzlich verankert sind, ist der Umgang mit
Patientenverfügungen bislang keinen spezifischen, sondern
allgemeinen rechtlichen Regelungen zu entnehmen. Dabei
ist im Hinblick auf die rechtliche Relevanz jedes medizini-
schen Eingriffs anerkannt, dass der Betroffene einwilligen
muss und diese Einwilligung jederzeit verweigern kann1.
Nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts ist eine Patien-
tenverfügung keinem Formzwang unterworfen und daher
auch als mündliche Erklärung verbindlich2. Sie ist nicht le-
diglich Indiz eines mutmaßlichen Patientenwillens, sondern

gefachkräfte oder sonstige Dritte) bindet. Dabei kommt ins-
besondere der sorgfältigen Auslegung dieses Willens ein
hoher Stellenwert zu.

Das Selbstbestimmungsrecht steht dem Patienten unabhän-
gig von der zugrunde liegenden Erkrankung zu und ohne
dass es darauf ankäme, ob seine Beweggründe vernünftig
oder für andere nachvollziehbar wären3. Denn auf die Ein-
schätzung Dritter oder der Allgemeinheit kommt es nicht an,
wenn es um einen Eingriff in die körperliche Integrität des
Patienten geht: er selbst muss eine Entscheidung für oder ge-
gen einen ärztlichen Eingriff treffen, da er diesen nicht nur
erdulden muss, sondern auch die Konsequenzen des Ein-
griffs zu tragen hat. Insbesondere Zwangsbehandlungen sind
– auch wenn sie lebenserhaltend wirken – unzulässig4. Nur
vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich auch die sehr strikte
Rechtsprechung der Zivilgerichte zur ärztlichen Aufklärung
vor einem Eingriff.

Auch die strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung wird
geprägt durch die Auffassung, dass medizinische Eingriffe
jeder Art als Körperverletzungen zu werten sind, die der
Einwilligung des Betroffenen bedürfen. Insbesondere im
Hinblick auf die strafrechtliche Relevanz ärztlicher Maß-
nahmen am Lebensende besteht eine sehr ausdifferenzierte
Rechtsprechung, die grundlegend von der Achtung der han-
delnden Personen vor dem Willen und der Würde des Pa-
tienten geprägt ist5.

3 „Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das die Aufklärung si-
chern soll, schützt auch eine Entschließung, die aus medizinischen
Gründen unvertretbar erscheint.“ (BGHZ 90, 103, 111).

4 Palandt/Diederichsen, 66. Auflage 2007, Einf. von § 1896 Rn. 9
m. w. N.

5 „Kann der todkranke Patient nicht mehr selbst entscheiden und wird
für ihn auch kein Pfleger bestellt, so ist sein mutmaßlicher Wille und
nicht das Ermessen der behandelnden Ärzte rechtlicher Maßstab dafür,
welche lebensverlängernden Eingriffe zulässig sind und wie lange sie
fortgesetzt werden dürfen. Die Ausschöpfung intensivmedizinischer
Technologie ist, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Pa-
tientenwillen widerspricht, rechtswidrig.“ (BGHSt 37, 376, 378).
„Sterbehilfe ist nur entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen
Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensver-
längernder Maßnahmen zulässig, um dem Sterben – gegebenenfalls un-
ter wirksamer Schmerzmedikation – seinen natürlichen, der Würde des
Menschen gemäßen Verlauf zu lassen.“ (BGHSt 37, 376, 379).
„Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein Fall der
sog. passiven Sterbehilfe nicht vorliegt. Sterbehilfe in diesem Sinne
setzt voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher
Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf
angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird … Im
vorliegenden Fall hatte der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt.
Frau Sch. war – abgesehen von der Notwendigkeit künstlicher Ernäh-
rung – lebensfähig… Der Senat ist der Auffassung, dass angesichts
der besonderen Umstände des hier gegebenen Grenzfalles ausnahms-
1 Palandt/Diederichsen, 66. Auflage 2007, Einf. von § 1896 Rn. 9.
2 Palandt/Diederichsen, 66. Auflage 2007, Einf. von § 1896 Rn. 9.

grundsätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf.“
(BGHSt 40, 257, 259f, 260, 262).

Drucksache 16/11493 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

In Anlehnung an diese Rechtsprechungstradition hat der
Bundesgerichtshof in der grundlegenden Entscheidung vom
17. März 2003 (BGHZ 154, 205 ff.) die Verbindlichkeit
von Patientenverfügungen als Ausdruck des fortwirkenden
Selbstbestimmungsrechts des Patienten anerkannt und diese
gestärkt. Gleichzeitig hat er verdeutlicht, dass der Gesetzge-
ber die Frage, wann das Vormundschaftsgericht die Nicht-
einwilligung des Betreuers in lebenserhaltende oder -ver-
längernde Maßnahmen genehmigen muss, weder gesetzlich
geregelt hat noch sie sich in analoger Anwendung der be-
stehenden gesetzlichen Regelungen beantworten lässt. Der
Bundesgerichtshof hat sodann in dem eingangs zitierten Be-
schluss eine gesetzliche Regelung zur Frage der Notwen-
digkeit einer vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung
ausdrücklich als wünschenswert bezeichnet und zugleich im
Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung dargetan, inwiefern
er eine derartige Entscheidung für den Fall einer Nichtein-
willigung des Betreuers in lebensverlängernde oder -erhal-
tende Maßnahmen für notwendig erachtet1.

3. Regelungsbedarf

Es erscheint angezeigt, für die Bevölkerung und insbesondere
die handelnden Personen Rechtssicherheit im Umgang mit
Patientenverfügungen zu schaffen und deren Verbindlichkeit
entsprechend der bisherigen Rechtslage gesetzlich festzule-
gen. Das seit Januar 2005 vorliegende Rechtsgutachten zum
Inhalt eines Patientenrechtegesetzes (PatRG) in Deutschland
von Prof. Dr. Dieter Hart und Prof. Dr. Robert Francke wid-
met sich ebenfalls der Frage, ob eine gesetzliche Regelung
von Patientenrechten notwendig sei. Ein Defizit wird dabei
insbesondere im Bereich der Patientenautonomie am Lebens-
ende festgestellt. Die Autoren sehen daher einen Bedarf für
eine Regelung, die grundsätzlich der Patientenautonomie den
Vorrang vor der ärztlichen Fürsorge einräumt, obwohl dieser
Grundsatz bereits dem bestehenden Recht zugrunde liegt.

Der Bundesgerichtshof hat dargelegt, dass die Frage, wann
ein Vormundschaftsgericht im Hinblick auf die Zulassung
ärztlicher Maßnahmen einzuschalten ist, durch das Betreu-
ungsrecht nicht hinreichend geklärt ist. Angesichts der Tat-
sache, dass der Bundesgerichtshof eine gesetzliche Rege-
lung dieser Frage für notwendig hält, ist der Gesetzgeber zur
Regelung aufgerufen.

Um jeglicher Gefahr einer Gefährdung der Grundrechte des
Betroffenen zuvorzukommen, ist es sinnvoll, durch die Fest-
schreibung einiger weniger Verfahrensvorschriften den
Grundrechtsschutz effektiv sicherzustellen.

II. Die Lösung des Entwurfs

1. Verbindlichkeit von Patientenverfügungen

Der Entwurf stellt in § 1901b Absatz 1 Satz 1 eingangs klar,
dass die Patientenverfügung auch nach dem Verlust der Ein-
willigungsfähigkeit fortgilt. Die Wünsche und Entscheidun-

gen des Patienten, die auf die Zulässigkeit medizinischer und
pflegerischer Maßnahmen gerichtet sind, bleiben für die
handelnden Personen somit auch bei Eintritt der Einwilli-
gungsunfähigkeit unmittelbar verbindlich. Dies entspricht
dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 130 Absatz 2, des
§ 183 Satz 1 BGB.

In § 1901b Absatz 1 Satz 1 a. E. wird weiterhin klargestellt,
dass die Willensbekundung des Patienten jederzeit widerruf-
lich ist. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 130
Absatz 1 Satz 2, des § 183 Satz 1 BGB verliert auch die Wil-
lensbekundung im Rahmen einer Patientenverfügung ihre
Wirksamkeit, wenn sie widerrufen wurde. Ein derartiger Wi-
derruf kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Durch
die Anwendung dieses Grundsatzes können unter anderem
sowohl die Fälle gelöst werden, in denen der Patient aus-
drücklich klarstellt, dass er an dem einmal geäußerten Willen
nicht festhalten möchte, als auch diejenigen Fälle, in denen
der Patient zu erkennen gibt, dass sich sein ursprünglicher
Wille geändert hat, selbst wenn dies lediglich den Umstän-
den zu entnehmen ist. Dabei können jegliche Anzeichen ge-
wertet werden, aus denen sich den Umständen nach ergibt,
dass der Patient an dem zuletzt erklärten Willen nicht festhal-
ten möchte, wobei es nicht auf das Vorliegen der Einwilli-
gungsfähigkeit, sondern auf den natürlichen Willen des Pa-
tienten ankommt.

Die Verbindlichkeit der Patientenverfügung für den Betreuer
und den Bevollmächtigten ergibt sich aus § 1901b Absatz 1
Satz 2 und Absatz 3. Als Willensbekundung des Patienten
bedarf die Patientenverfügung der Auslegung entsprechend
dem Rechtsgedanken des § 133 BGB. Dabei ist der wirkli-
che Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem
buchstäblichen Wortlaut der Erklärung festzuhalten. Durch
die Anwendung des Rechtsgedankens des § 133 BGB, der
die Auslegung nach dem Wortlaut, den Begleitumständen
und dem Grundsatz von Treu und Glauben vornimmt, wird
gewährleistet, dass der tatsächliche Wille des Patienten, der
in der Willensbekundung Ausdruck gefunden hat, umfas-
send ermittelt werden kann. In diesem Zusammenhang wer-
den auch diejenigen Begleitumstände zu berücksichtigen
sein, die für die Willensbildung im Hinblick auf die Ein-
schätzung des medizinischen und medizinisch-technischen
Fortschritts, der krankheitsspezifischen medizinischen und
medizinisch-technischen Möglichkeiten sowie des Krank-
heitsverlaufs und seiner Auswirkungen maßgeblich waren.
In Einzelfällen kann es dabei auch nötig sein, die Interessen-
lage entsprechend dem Rechtsgedanken des § 157 BGB ein-
zubeziehen. Im Rahmen der sorgfältigen Ermittlung des hin-
ter der Willensbekundung stehenden tatsächlichen Willens
können unter anderem auch diejenigen Fälle einer angemes-
senen Lösung zugeführt werden, in denen die Patientenver-
fügung die eingetretene Situation nicht oder nicht hinrei-
chend konkret beschreibt oder auf einer fehlerhaften
Einschätzung und Beurteilung der für die Willensbildung im
Einzelfall relevanten Tatsachen beruht.

Im Übrigen können weder der Betreuer noch sonstige Dritte
an einen dem Recht oder den guten Sitten zuwiderlaufenden
Willen gebunden werden, da eine derartige Willensbekun-
dung nichtig ist. Für die Sittenwidrigkeit lässt sich dies dem
allgemeinen Rechtsgedanken des § 138 BGB und für das
gesetzliche Verbot dem Rechtsgedanken des § 134 BGB

1 „Das Unterlassen (erst recht die Weigerung) des Betreuers, in eine
lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung einzuwilligen, ist
– wie einleitend dargelegt – zwar tauglicher Gegenstand einer vor-
entnehmen. Dabei können insbesondere im Hinblick auf die
Sittenwidrigkeit nicht nur der Zeitpunkt der Willensbekun-

mundschaftsgerichtlichen Kontrolle, setzt aber notwendig ein ärzt-
liches Behandlungsangebot voraus.“ (BGHZ 154, 205, 225).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/11493

dung, sondern auch die weitere Entwicklung entsprechend
dem Rechtsgedanken des § 242 BGB berücksichtigt werden.

Die Verbindlichkeit des Patientenwillens ist nicht abhängig
von Art oder Stadium der Erkrankung.

Das Erfordernis einer Reichweitenbegrenzung lässt sich
nicht aus der Rechtsprechung des BGH ableiten. Die viel-
zitierte Entscheidung des BGH vom 5. November 2003 wird
zwar immer wieder im Sinne einer Reichweitenbegrenzung
interpretiert. Der Entscheidung kann jedoch eine solche
nicht entnommen werden:

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag der Abbruch
einer Sondenernährung bei einem Komapatienten zugrunde.
Der Patient hatte für den Fall der irreversiblen Bewusstlosig-
keit die Einstellung der Sondenernährung in einer Patienten-
verfügung angeordnet. Der Patient befand sich mithin weder
in unmittelbarer Todesnähe noch in einer Krankheitsphase,
die demnächst zum Tode geführt hätte. Wäre die Sonden-
ernährung fortgesetzt worden, hätte der Patient durchaus
noch längere Zeit am Leben bleiben können. Gleichwohl ist
der Bundesgerichtshof von einer Bindungswirkung der Pa-
tientenverfügung ausgegangen.

Eine Reichweitenbegrenzung, also eine Begrenzung der
Wirksamkeit von Patientenverfügungen auf bestimmte
Krankheits- oder Sterbephasen, ist im Übrigen für den Le-
bensschutz untauglich, denn sie bietet nur einen scheinbaren
Patientenschutz.

Die Gründe dafür sind:

– Eine Reichweitenbegrenzung stellt ein Werturteil über das
Leben mit Krankheit in der Endphase dar. Sie degradiert
das Leben mit Krankheit in seiner Endphase als weniger
schützenswert im Vergleich zu allen anderen Lebenspha-
sen. Denn über das Leben mit Krankheit in der Endphase
– und nur darüber – darf demnach verfügt werden.

– Dies kann auch für den Arzt zum unlösbaren Konflikt
werden: Unterlässt er eine Behandlung, läuft er Gefahr,
strafrechtlich belangt zu werden. Nimmt er eine Behand-
lung innerhalb der Reichweitenbegrenzung einer wider-
sprechenden Patientenverfügung vor und verwirklicht
sich das Behandlungsrisiko, so haftet er möglicherweise
für die Konsequenzen, weil er ohne Einwilligung des Pa-
tienten gehandelt hat.

– Die Voraussetzungen, wann die Reichweite einer Patien-
tenverfügung begrenzt sein soll, sind in der Praxis nicht
klar abgrenzbar. Kein Arzt kann gerichtsfest feststellen,
zu welchem Zeitpunkt genau ein irreversibel tödlicher
Verlauf beginnt.

– Der Betreuer als Wächter des Patientenwohls wird in den
meisten Situationen von den Entscheidungen über ärztli-
che Maßnahmen ausgeschlossen. Außerhalb des sog. ir-
reversibel tödlichen Verlaufs entscheidet demnach allein
der behandelnde Arzt über ärztliche Maßnahmen. Der
Betreuer hat in diesen Fällen kein Mitspracherecht.

2. Ermittlung des Patientenwillens als dialogischer Pro-
zess zwischen behandelndem Arzt und rechtlichem
Vertreter

Die Umsetzung des Patientenwillens des entscheidungsunfä-
higen Patienten ist kein Automatismus, weder wenn er in

beschränkung der Patientenverfügung schützt den Patienten
vor Druck, Täuschung oder Übereilung, sondern der dialogi-
sche Umsetzungsprozess der Patientenverfügung zwischen
Arzt und rechtlichem Vertreter (Betreuer oder Bevollmäch-
tigter) in der konkreten Behandlungssituation.

Zunächst hat der Arzt die medizinische Indikation für Auf-
nahme, Abbruch oder Aufrechterhaltung einer medizini-
schen Maßnahme unter Berücksichtigung des aktuellen All-
gemeinzustands und der Prognose des Patienten zu prüfen.
Liegt keine medizinische Indikation vor, muss die Behand-
lungsmaßnahme schon aus diesem Grunde unterbleiben. Bei
der Erörterung der medizinisch indizierten Maßnahmen mit
dem Patientenvertreter hat der Arzt darzulegen, ob diese aus
seiner Sicht vom Patientenwillen abgedeckt sind.

Der rechtliche Vertreter überprüft die vom Arzt empfohlene
medizinische Maßnahme darauf, ob sie vom Patientenwillen
abgedeckt ist. Der Patientenwille, der in einer Patientenver-
fügung niedergelegt ist, ist dann verbindlich, wenn er rechts-
fehlerfrei (vom zur Zeit der Abfassung einwilligungsfähigen
Patienten frei von Zwang oder Irrtum) gebildet ist, und nicht
später (ausdrücklich oder konkludent) widerrufen wurde und
die in der Patientenverfügung geschilderte Krankheitssitua-
tion der eingetretenen entspricht.

Die Umsetzung des Patientenwillens in der konkret eingetre-
tenen Behandlungssituation ist ein dialogischer Prozess der
gegenseitigen Überprüfung und Bewertung zwischen Arzt
und rechtlichem Vertreter, unabhängig davon, ob der Patien-
tenwille unter Einhaltung der Soll-Vorschriften des § 1901c
BGB oder auf eine andere Weise geäußert wurde, oder aber
auf den mutmaßlichen Willen zurückgegriffen werden muss.
Diese Bewertung fällt aber umso leichter, wenn der Patient
die Patientenverfügung schriftlich abgefasst und nach einem
gewissen Zeitablauf bestätigt hat. Deshalb wird dies mit ei-
ner Sollregelung empfohlen. Damit wird gleichzeitig ver-
mieden, dass eine Verfügung, die dies nicht einhält, keine
rechtliche Verbindlichkeit hat. Der dialogische Prozess hat
eine noch größere Bedeutung, wenn zur Ermittlung des Pa-
tientenwillens auf den mutmaßlichen Willen zurückgegriffen
werden muss, also etwa auf frühere Äußerungen des Patien-
ten. In diesen dialogischen Prozess können bei Bedarf weite-
re nahestehende Personen, Pflegekräfte und Mitglieder des
Behandlungsteams (auch psychosoziale) beratend einbezo-
gen werden. Damit ist auch eine ausreichende Kontrolle des
Entscheidungsprozesses gewährleistet, ohne die ohnehin
schwierige und belastende Entscheidung mit unnötigen bü-
rokratischen Hürden zu versehen.

Dies gewährleistet ein hohes Maß an Sicherheit für den Pa-
tienten, denn er wird durch die drei folgenden Kriterien ge-
schützt:

1. Ärzte und Betreuer/Bevollmächtigte müssen sich mit je-
der einzelnen Patientenverfügung intensiv auseinander-
setzen. Sie haben die Pflicht, beim entscheidungsunfähi-
gen Patienten den Patientenwillen sorgfältig zu ermitteln,
also ob der in der Patientenverfügung geäußerte Wille mit
der aktuellen Situation übereinstimmt.

2. Der Betreuer/Bevollmächtigte ist gemäß § 1901 Absatz 2
BGB bei der Ausübung seiner Tätigkeit stets verpflichtet,
sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben am Wohl des
einer Patientenverfügung niedergelegt ist noch wenn der
mutmaßliche Wille maßgeblich ist. Nicht eine Reichweiten-

Betreuten zu orientieren. Dieser Grundsatz gilt für alle
Bereiche seines Wirkens.

Drucksache 16/11493 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Besteht Uneinigkeit zwischen dem behandelnden Arzt
und dem Betreuer/Bevollmächtigten über diese Fragen,
ist das Vormundschaftsgericht zur Klärung anzurufen.
Dieses wird also nicht generell, sondern nur in diesem
Ausnahmefall angerufen und stellt fest, ob der Wille des
Patienten richtig ermittelt wurde.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass einerseits durch diese
Schutzmechanismen sichergestellt wird, dass Patientenver-
fügungen nicht gleichsam mechanisch nach deren Wortlaut
umgesetzt werden, andererseits aber das Selbstbestim-
mungsrecht nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird.

3. Notwendigkeit einer Entscheidung des Vormund-
schaftsgerichts

Der Bundesgerichtshof hat in dem Beschluss vom 17. März
2003 (BGHZ 154, 205 ff.) in richterlicher Fortbildung des
Rechts die Nichteinwilligung des Betreuers in eine lebens-
verlängernde oder -erhaltende medizinische Maßnahme der
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts unterworfen,
wenn ein ärztliches Behandlungsangebot vorliegt. Der Ent-
wurf übernimmt diese Rechtsprechung und legt fest, dass
eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Nicht-
einwilligung oder des Widerrufs der Einwilligung des Be-
treuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine
Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff, die lebens-
verlängernd oder -erhaltend wirken, der Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts bedürfen, wenn sich Arzt und recht-
licher Vertreter des Patienten bei der Ermittlung des Patien-
tenwillens nicht einig werden. Hierdurch wird sichergestellt,
dass in den Fällen, in denen der Betreuer eine Behandlung
ablehnt, obwohl der Arzt diese unter Berücksichtigung der
Patientenverfügung ausdrücklich befürwortet, die Entschei-
dung des Betreuers zum Wohle des Patienten in einem ge-
richtlichen Verfahren überprüft wird. Dabei muss das Vor-
mundschaftsgericht den Patientenwillen anhand der oben
dargestellten allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts ausle-
gen und auf Willensmängel hin überprüfen. Es stehen ihm
dafür alle Mittel des auf dem Grundsatz der Amtsermittlung
beruhenden Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit zur
Verfügung.

4. Gewährleistung des Grundrechtsschutzes durch das
Verfahren

Der Entwurf stellt durch einige wenige Änderungen im Ver-
fahrensrecht sicher, dass der Grundrechtsschutz des Betrof-
fenen durch das Verfahren effektiv gewahrt wird. Hierzu
werden die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Pa-
tienten vorgeschrieben, die gerichtliche Genehmigung nicht
unmittelbar, sondern erst zwei Wochen nach ihrer Bekannt-
gabe für wirksam erklärt und ein Gleichlauf mit dem bishe-
rigen Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung herge-
stellt. Ziel der Vorschriften ist die Umsetzung des
Grundsatzes, dass die Durchsetzung der Grundrechte auch
durch verfahrensrechtliche Bestimmungen sicherzustellen
ist (Grundrechtsschutz durch Verfahren).

Der Verfahrenspfleger hat in diesem Zusammenhang die
Aufgabe, die Interessen des Patienten zu vertreten und als

„Anwalt des Betroffenen“ am Verfahren teilzunehmen, der
ausschließlich dessen Interessen verpflichtet ist.

Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes des Be-
troffenen, der durch die Möglichkeit eines sich anschließen-
den Beschwerdeverfahrens sichergestellt wird, ist es erfor-
derlich, dem potentiellen Beschwerdeführer die Möglichkeit
zu geben, sich effektiv für oder gegen ein weiteres Vorgehen
entscheiden zu können. Da mit der Umsetzung einer Patien-
tenverfügung am Lebensende unter Umständen sehr schnell
vollendete Tatsachen geschaffen werden, ist es angezeigt,
die Wirksamkeit der Entscheidung erst zwei Wochen nach
ihrer Bekanntgabe eintreten zu lassen.

Das Gericht ist darüber hinaus – in Anlehnung an den bishe-
rigen Wortlaut des § 69d Absatz 2 Satz 1 FGG – in den Fäl-
len des § 1904 Absatz 2 BGB ebenfalls verpflichtet, vor
seiner Entscheidung ein medizinisches Sachverständigen-
gutachten einzuholen. Im Übrigen gelten auch die weiteren
Regelungen in Absatz 2, die schon bisher die Genehmigung
einer Einwilligung nach § 1904 Absatz 1 BGB betrafen,
nunmehr auch für die Genehmigung der Nichteinwilligung
und des Widerrufs der Einwilligung nach § 1904 Absatz 2
BGB. Hierdurch wird ein Gleichlauf aller Verfahren zur vor-
mundschaftsgerichtlichen Genehmigung bei ärztlichen Maß-
nahmen erzielt.

III. Kosten

Durch den vorliegenden Entwurf werden keine zusätzlichen
Kosten für die öffentlichen Kassen des Bundes und der Län-
der verursacht. Bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage
bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf einer Ein-
willigung des Betreuers bei lebensverlängernden oder -er-
haltenden Maßnahmen einer vormundschaftsgerichtlichen
Genehmigung, wenn ein ärztliches Behandlungsangebot
vorliegt (BGHZ 154, 205, 225).

Die Festlegung der Bestellung eines Verfahrenspflegers in
§ 67 Absatz 1 FGG entspricht der gegenwärtigen Hand-
habung in der Praxis und verursacht deshalb keine oder nur
unerhebliche zusätzliche Kosten.

Kostenbelastungen für die Wirtschaft sowie Auswirkungen
des Gesetzes auf Einzelpreise, auf das Preisniveau und das
Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.

IV. Bundeskompetenz

Die Bundeskompetenz für das Betreuungsrecht und die zu-
gehörigen Verfahrensregeln folgt aus Artikel 74 Absatz 1
Nummer 1 des Grundgesetzes.

Das Gesetz ist nicht zustimmungsbedürftig, da keine Pflich-
ten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwer-
ten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen ge-
genüber Dritten begründet werden. Bei den Ausgaben für die
Vergütung der Betreuer, soweit sie nicht aus dem Vermögen
des Betreuten entrichtet werden, und für die Vormund-
schaftsgerichte handelt es sich um Verwaltungskosten. Diese
fielen auch bisher bereits an, da die geltende Rechtslage
durch den Entwurf nur lediglich gesetzlich klargestellt wird.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/11493

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetz-
buchs)

Zu Nummer 1 (Änderung des Inhaltsverzeichnisses)

Hierbei handelt es sich um eine Änderung des Inhaltsver-
zeichnisses, welche auf der Einfügung der neuen §§ 1901b,
1901c sowie 1901d BGB beruht.

Zu Nummer 2 (Einfügung der §§ 1901b, 1901c sowie
1901d BGB)

Zu § 1901b

Zu Absatz 1

Zu Satz 1

In § 1901b Absatz 1 Satz 1 wird zunächst definiert, was un-
ter einer Patientenverfügung zu verstehen ist. Es handelt sich
hierbei um Erklärungen zur Behandlung und Entscheidun-
gen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in be-
stimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen, die
eine einwilligungsfähige natürliche Person geäußert hat.
Diese Erklärungen und Entscheidungen sind Willensbekun-
dungen einer Person, die auf die Zulässigkeit medizinischer
und pflegerischer Maßnahmen durch den Arzt und die Pfle-
gekräfte gerichtet und für diese unmittelbar verbindlich sind.
Dabei muss sich der Verfasser einer Patientenverfügung kei-
ner medizinischen oder juristischen Fachterminologie bedie-
nen. Es ist ausreichend, wenn die Patientenverfügung so
bestimmt ist, dass ihr Sinn im Wege der Auslegung in An-
wendung des Rechtsgedankens des § 133 BGB ermittelt
werden kann. Hinsichtlich einer derartigen Willensbekun-
dung wird klargestellt, dass sie auch nach dem Verlust der
Einwilligungsfähigkeit fortgilt.

In § 1901b Absatz 1 Satz 1 a. E. wird klargestellt, dass die
Willensbekundung der betroffenen natürlichen Person jeder-
zeit widerruflich ist. Hierbei können neben ausdrücklichen
Willensbekundungen jegliche Anzeichen gewertet werden,
aus denen sich den Umständen nach ergibt, dass die Person
an dem zuletzt erklärten Willen nicht festhalten möchte. Für
den Widerruf kommt es dabei nicht auf das Vorliegen der
Einwilligungsfähigkeit, sondern auf den natürlichen Willen
dieser Person an.

Klargestellt wird außerdem, dass die Verbindlichkeit der
Patientenverfügung zudem nicht von einem bestimmten
Krankheitsverlauf oder -stadium abhängt (keine Reichwei-
tenbeschränkung).

Durch eine Patientenverfügung kann die Basisversorgung
(menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körper-
hygiene, Stillen des Hunger- und Durstgefühls, Lindern von
Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Vermeidung von Wundlie-
gen u. a.) nicht ausgeschlossen werden. Dies muss nicht ge-
sondert geregelt werden, denn der Grundsatz der Menschen-
würde und das Verbot der sittenwidrigen Erklärungen
verbieten es, bei Patienten die Basisversorgung zu unterlas-
sen. Daher kann dies auch nicht in einer Patientenverfügung
verlangt werden (§§ 134, 138 BGB).

postuliert wird: „Unabhängig von anderen Zielen der medi-
zinischen Behandlung hat der Arzt in jedem Fall für eine Ba-
sisbetreuung zu sorgen. Dazu gehören u. a.: menschenwürdi-
ge Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von
Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger
und Durst.“

Zu Satz 2

Durch Absatz 1 Satz 2 wird im Einklang mit der bisherigen
Rechtsprechung die Verbindlichkeit von Patientenverfügun-
gen grundsätzlich bestätigt und klargestellt, dass der Betreu-
er der Willensäußerung des Betreuten Ausdruck und Geltung
zu verschaffen hat. Im Rahmen der Betreuung hat er den
Willen des Patienten auszulegen, den wahren Willen zu er-
forschen und diesem Willen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Zu Absatz 2

In Absatz 2 wird klargestellt, dass dem zu ermittelnden mut-
maßlichen Willen des Patienten dieselbe Bedeutung zu-
kommt wie dem ausdrücklich erklärten Willen.

Zu Absatz 3

Die für den Betreuer geltenden Regelungen werden durch
Absatz 3 auf denjenigen Bevollmächtigten erstreckt, wel-
cher vom Patienten zur Wahrnehmung der Gesundheitsvor-
sorge ermächtigt wurde.

Zu § 1901c

Die Prüfung der Patientenverfügung im Dialog zwischen
rechtlichem Vertreter und behandelndem Arzt bei der Ent-
scheidung über die medizinische Behandlung nach § 1901d
BGB fällt umso leichter, wenn sie schriftlich abgefasst und
vom Patienten nach einem gewissen Zeitablauf (etwa alle
fünf Jahre) aktualisiert wurde. Gerade auch im Hinblick auf
die Frage der Aktualität und der Widerrufsmöglichkeit einer
Patientenverfügung ist die Angabe von Zeit und Ort der Ab-
fassung der schriftlichen Patientenverfügung sinnvoll. Des-
halb werden diese Formelemente dem Patienten mit einer
Sollvorschrift empfohlen, wie sie sich vergleichbar z. B.
auch in § 2247 Absatz 2 BGB findet. Gleichzeitig wird si-
chergestellt, dass auch der auf andere (formlose) Weise ge-
äußerte Patientenwille seine Verbindlichkeit im dialogischen
Umsetzungsprozess behält. Dies kommt auch Patienten zu
Gute, die nicht in der Lage sind, sich schriftlich zu äußern,
wie z. B. Menschen mit einer entsprechenden Behinderung
oder Analphabeten. Damit können auch Aussagen, die auf
Tonträgern, Videos oder ähnlichen Medien dokumentiert
sind, verbindliche Patientenverfügungen darstellen. Darüber
hinaus ist aber grundsätzlich auch die mündlich geäußerte
Erklärung als Patientenverfügung wirksam. Denn viele Pa-
tienten können aus unterschiedlichen Gründen (z. B. wegen
des plötzlichen Eintritts oder der Art einer Krankheit) weder
das Schriftformerfordernis noch eine andere Art der Doku-
mentation erfüllen. Denn auch hier gelten die allgemeinen
Regeln des Zivilrechts, nach denen grundsätzlich Formfrei-
heit für Erklärungen herrscht. Die Festlegung auf eine be-
stimmte Form würde eine Einschränkung des Selbstbestim-
mungsrechts beinhalten. Formalerfordernisse dürfen die
Dies deckt sich auch mit den Richtlinien der Bundesärzte-
kammer zur ärztlichen Sterbebegleitung (2004), in denen

Verwirklichung des Patientenwillens jedoch nicht unnötig
erschweren.

Drucksache 16/11493 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zu § 1901d

Zu Absatz 1

Die Ermittlung des Patientenwillens bei einem entschei-
dungsunfähigen Patienten ist ein dialogischer Prozess zwi-
schen behandelndem Arzt und rechtlichem Vertreter des
Patienten. An der Spitze steht die Feststellung der medizini-
schen Indikation durch den Arzt. Die Auslegung und Über-
prüfung des Patientenwillens unterliegt einer doppelten
Kontrolle: der fortgeltende Patientenwille bestimmt die ärzt-
liche Behandlungsentscheidung nach Feststellung der Indi-
kation und ist zugleich Maßstab für die Entscheidung durch
den Betreuer. Der Patientenwille gilt nur fort, wenn die Vor-
aussetzungen des § 1901b Absatz 1 erfüllt sind und die be-
schriebene Behandlungssituation eingetreten ist. Dies gilt
auch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens nach
§ 1901b Absatz 2.

Zu Absatz 2

In Zweifelsfällen sollen sich Arzt und Betreuer mit weiteren
nahestehenden Personen, Pflegekräften und sonstigen Mit-
gliedern des Behandlungsteams zur Ermittlung des Patien-
tenwillens beraten (beratendes Konsil).

Zu Absatz 3

Die für den Betreuer geltenden Regelungen werden durch
Absatz 3 auf denjenigen Bevollmächtigten erstreckt, wel-
cher vom Patienten zur Wahrnehmung der Gesundheitsvor-
sorge ermächtigt wurde.

Zu Nummer 3 (Neufassung von § 1904 BGB)

Zu Buchstabe a

Zu Absatz 2

Entsprechend den Vorgaben, die der Bundesgerichtshof in
richterlicher Fortbildung des Rechts entwickelt hat, werden
die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung
des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustan-
des, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff, die
lebensverlängernd oder -erhaltend wirken, der Genehmi-
gung des Vormundschaftsgerichts unterworfen, wenn sich
behandelnder Arzt und Betreuer über die Auslegung des Pa-
tientenwillens nicht einig sind. Damit wird klargestellt, dass
in den Fällen, in denen der Betreuer eine Behandlung ab-
lehnt, obwohl der Arzt diese unter Berücksichtigung der Pa-
tientenverfügung ausdrücklich befürwortet, die Entschei-
dung des Betreuers zum Wohle des Patienten in einem
gerichtlichen Verfahren überprüft wird.

Zu Buchstabe b

Zu Absatz 3

Durch Absatz 3 wird klargestellt, dass die Nichteinwilligung
und der Widerruf der Einwilligung auch durch den Bevoll-
mächtigten erfolgen können und im gleichen Umfang wie
beim Betreuer der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts
unterliegen. Dabei werden – wie bisher nach § 1904 Ab-
satz 2 Satz 2 BGB – die zustimmungspflichtigen Entschei-
dungen eines Bevollmächtigten nur wirksam, wenn die Voll-

Zu Artikel 2 (Änderung des Gesetzes über die
freiwillige Gerichtsbarkeit – FGG)

Zu Nummer 1 (Änderung von § 67 Absatz 1 Satz 5 FGG)

Durch die Ergänzung in § 67 Absatz 1 Satz 5 FGG wird für
Verfahren, die eine gerichtliche Genehmigung der Nicht-
einwilligung oder des Widerrufs der Einwilligung nach
§ 1904 Absatz 2 BGB zum Gegenstand haben, die Bestel-
lung eines Verfahrenspflegers für den betroffenen Patienten
vorgeschrieben. Ziel der Vorschrift ist die Umsetzung des
Grundsatzes, dass die Achtung der Grundrechte durch ver-
fahrensrechtliche Bestimmungen sicherzustellen ist (Grund-
rechtsschutz durch Verfahren). Der Verfahrenspfleger hat
deshalb die Aufgabe, die Interessen des Patienten zu vertre-
ten, und nimmt in diesem Sinne als „Anwalt des Betroffenen“
am Verfahren teil. Die Bestellung des Verfahrenspflegers ist
ein geeignetes rechtliches Instrument, um zu verhindern,
dass der selbst nicht beteiligungsfähige Patient zum bloßen
Objekt des Verfahrens wird.

Zu Nummer 2 (Änderung des § 69a FGG)

Zu Buchstabe a (Änderung des Absatzes 4)

Der in § 69a FGG neu eingefügte Absatz 4 legt fest, dass die
gerichtliche Genehmigung einer Entscheidung nach § 1904
Absatz 2 BGB erst zwei Wochen nach ihrer Bekanntmachung
wirksam wird. Da die Umsetzung der genehmigten Entschei-
dung des Betreuers oder des Bevollmächtigten in der Regel
schon kurzfristig vollendete Tatsachen schaffen kann, sollte
die Genehmigung nicht sogleich mit ihrer Bekanntmachung
wirksam werden. Zur Gewährleistung eines effektiven
Rechtsschutzes durch ein möglicherweise anschließendes
Beschwerdeverfahren ist es erforderlich, dem potentiellen
Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, sich effektiv
für oder gegen ein weiteres Vorgehen entscheiden zu können.

Zu Buchstabe b (Einfügung des Absatzes 5)

Es handelt sich um eine Folgeänderung der Änderung des
Absatzes 4.

Zu Nummer 3 (Änderung des § 69d Absatz 2 Satz 1 FGG)

§ 69d FGG regelt, welche besonderen Verfahrensvorschrif-
ten bei der Erteilung von vormundschaftsgerichtlichen Ge-
nehmigungen zu beachten sind. Auch diese Vorschriften sind
Ausgestaltungen des Grundsatzes, dass ein effektiver Grund-
rechtsschutz durch die Schaffung verfahrensrechtlicher Re-
gelungen zu gewährleisten ist. Das Gericht ist deshalb – in
Anlehnung an den bisherigen Wortlaut des § 69d Absatz 2
Satz 1 FGG – auch in den Fällen des § 1904 Absatz 2 BGB
verpflichtet, vor seiner Entscheidung ein medizinisches
Sachverständigengutachten einzuholen.

Im Übrigen gelten die Regelungen in Absatz 2, die schon
bisher die Genehmigung einer Einwilligung nach § 1904
Absatz 1 BGB betrafen, nunmehr auch für die Genehmigung
der Nichteinwilligung und des Widerrufs der Einwilligung
nach § 1904 Absatz 2 BGB. Hierdurch wird ein Gleichlauf
der Verfahren zur vormundschaftsgerichtlichen Genehmi-
gung bei ärztlichen Maßnahmen erzielt.
macht schriftlich erteilt ist und sie diese Entscheidungen
ausdrücklich umfasst.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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