BT-Drucksache 16/11418

Lebensleistung von Migrantinnen und Migranten würdigen - Anerkennungsverfahren von Bildungsabschlüssen verbessern

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11418
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick
Meinhardt, Ina Lenke, Miriam Gruß, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Dr. Konrad
Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Lebensleistung von Migrantinnen und Migranten würdigen –
Anerkennungsverfahren von Bildungsabschlüssen verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das deutsche Bildungs- und Qualifizierungssystem ist, trotz der bekannten
Schwächen, international wettbewerbsfähig und wird, gerade mit Blick auf das
System der dualen beruflichen Bildung, außerhalb Deutschlands auch als Vor-
bild gehandelt. Nicht zuletzt die geringe Quote im Bereich der Jugendarbeits-
losigkeit und das allgemein hohe Kompetenzniveau unserer Bürgerinnen und
Bürger weisen auf die Funktionalität unserer Bildungseinrichtungen und den
Erfolg der hiesigen Leistungsdokumentations- und Zertifizierungsverfahren hin.
Diese hohen Standards müssen, gerade im Bereich der sicherheitsrelevanten
Berufsfelder, auch künftig gewährleistet werden.

Nicht die deutschen Standards, sondern der Vergleich und die Umsetzung nicht-
deutscher Abschlüsse in unser Zertifizierungssystem gestalten sich proble-
matisch. Viele Zuwanderer und Spätaussiedler erfahren den Versuch, die im
Herkunftsland erworbenen Bildungsabschlüsse in Deutschland anerkennen zu
lassen, als hochgradig frustrierend. Das häufig langwierige Prüfverfahren mit

ungewissem Ausgang wird als Demütigung empfunden, da die persönliche Bil-
dungskarriere und die im Herkunftsland erbrachte Leistung in Frage gestellt
werden. Dieses belastende Verfahren ist darauf zurückzuführen, dass das stark
formalisierte System der Bildungs- und Berufsabschlüsse in Deutschland eine
angemessene Einschätzung und Einstufung der im Ausland erworbenen Kom-
petenzen und Qualifikationen deutlich erschwert. Migrantinnen und Migranten
können ihr Potential dann erst mit großer Verzögerung oder gar nicht nutzbar

Drucksache 16/11418 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

machen. Die Stärke des differenzierten deutschen Bildungssystems wird für die
Neubürger zum Nachteil.

Die Zuständigkeiten für die Anerkennung sind sehr unterschiedlich geregelt. Je
nach Schul-, Hochschul- oder Berufsabschluss variieren die Ansprechpartner;
dazu kommen noch länderspezifische Eigenheiten, die es zu beachten gilt. Wer
eine ganze Bildungskarriere anerkannt bekommen möchte, hat sich mit einer
Vielzahl von Stellen, Vorschriften und Formularen auseinanderzusetzen. Dabei
haben ausschließlich Spätaussiedler sowie Unionsbürger einen Rechtsanspruch
auf ein Anerkennungsverfahren. Zuwanderer aus Drittstaaten scheitern häufig
schon an der mangelnden Bereitschaft der zuständigen Stellen, eine Begutach-
tung durchzuführen. Beim dritten Integrationsgipfel am 6. November 2008 in
Berlin wurden die Strapazen eines Anerkennungsprozesses mit den Herausfor-
derungen einer Mondlandung gleichgesetzt – ein zutreffender Vergleich. Selbst
die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
hat in ihrem Siebten Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland auf das Fehlen eines einheitlichen Anerkennungsverfahrens hin-
gewiesen (Siebter Ausländerbericht, Dezember 2007, S.113).

Zentrales Kriterium im Anerkennungsprozess ist das Kriterium der Gleichwer-
tigkeit. Für Abschlüsse, die im Laufe der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbil-
dungskarriere erworben wurden, werden deutsche Äquivalente gesucht und mit
diesen verglichen. Dieses Verfahren soll eine möglichst reibungslose Überfüh-
rung und Eingliederung in das deutsche System garantieren, vor allem in den
reglementierten Berufen wie etwa im Gesundheits- oder Schulbereich. Doch
dieser Prozess ist problembehaftet und so bleiben die Stärken anderer Bildungs-
systeme in unserem Land ungenutzt.

Das im Rahmen des Europarates 1997 verabschiedete Übereinkommen über die
Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen
Region (Lissabonner Anerkennungskonvention) wurde von der Bundesrepublik
Deutschland im Mai 2007 ratifiziert. Innerhalb der Europäischen Union wurde
die Anerkennungsrichtlinie 2005/36/EG erlassen. Sowohl mit der Anerken-
nungsrichtlinie als auch mit der Konvention sollen flexible und transparente
Anerkennungsverfahren geschaffen werden.

Der Deutsche Bundestag hat die Anerkennungsrichtlinie im Bereich der Ge-
sundheitsberufe 2007 mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/
EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Be-
rufsqualifikationen der Heilberufe (BGBl. I 2007, 2686) umgesetzt. Allerdings
wurde im nationalen Aktionsplan Bologna 2006 der Bundesregierung zur Lissa-
bonner Anerkennungskonvention im Rahmen des Bologna-Prozesses eine Ver-
änderung der seitherigen Anerkennungsstandards abgelehnt. Damit wird die
Chance vertan, andere kulturelle Erfahrungen im Rahmen eines Konzeptes der
Vielfalt positiv zu bewerten.

In der Europäischen Union wurde der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR)
zur Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen eingeführt, der wiederum durch
einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) sinnvoll ergänzt werden soll. Da-
rin werden die Bildungs- und Ausbildungsinhalte einem acht Kompetenzstufen
umfassenden System zugeordnet, um so die Vergleichbarkeit innerhalb eines
europäischen Referenzrahmens herzustellen. Damit sollen langfristig Anerken-
nungsrichtlinien und Gleichwertigkeitsprüfungen in Europa deutlich erleichtert,
wenn nicht gar überflüssig werden.

Im Nationalen Integrationsplan haben sich Bund, Länder und Wirtschaft ver-
pflichtet, Anerkennungsverfahren und Maßnahmen zu verbessern, um die volks-
wirtschaftlichen Potentiale der Zuwanderer besser zu erschließen und damit
Integration konkret zu fördern. Unter anderem hat sich das Bundesamt für

Migration und Flüchtlinge verpflichtet, ein Konzept zur beruflichen Integration

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11418

zugewanderter Akademikerinnen und Akademiker vorzulegen. Leider ist dies
im vorgelegten ersten Fortschrittsbericht zum Nationalen Integrationsplan nicht
enthalten.

Das von der Bundesregierung geförderte Netzwerk „Integration durch Qualifi-
zierung – IQ“, in dessen Rahmen u. a. eine Studie zur Anerkennung von auslän-
dischen Qualifikationen in Deutschland (Brain Waste, Augsburg 2007) vorge-
legt wurde, empfiehlt eine Ausweitung des Rechtsanspruchs auf ein Anerken-
nungsverfahren analog zum Bundesvertriebenengesetz auf alle Migrantinnen
und Migranten.

Qualifizierte Zuwanderung ist für die Entwicklung unserer Gesellschaft mit
Blick auf die demografische Entwicklung und die Chancen der Globalisierung
unverzichtbar. Migrantinnen und Migranten müssen dann aber ihre mitgebrach-
ten Fähigkeiten ausüben und ihre Potentiale ausschöpfen können. Die Aner-
kennungsverfahren sind immer noch vom Geist der Abschottung geprägt, die
Antragsteller sind Bittsteller der Bildungsverwaltung. Wir brauchen einen Para-
digmenwechsel, ein Signal, dass Menschen mit ihren Qualifikationen willkom-
men sind und sie die Chance haben, sich mit ihrem Können unter gleichzeitiger
Wahrung der hiesigen Standards einzubringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren auf jede Migrantin und
jeden Migranten, die/der sich seit sechs Monaten rechtmäßig in Deutschland
aufhält, analog zum Bundesvertriebenengesetz auszudehnen;

● bei der Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) darauf
hinzuwirken, die Eingruppierung von Kompetenzen der betreffenden Perso-
nengruppen in den Referenzrahmen zu ermöglichen und damit der Integra-
tion in die Arbeitswelt Vorschub zu leisten;

● zusammen mit den Bundesländern die Zuständigkeiten für die Beratung,
Durchführung und Betreuung von Anerkennungsverfahren im Sinne einer
One-stop-Agency klar zu definieren. Hier sollen auch individuelle Bildungs-
pläne auf dem Weg zu einem möglicherweise angestrebten Bildungsab-
schluss entwickelt und aufgezeigt werden;

● gemeinsam mit den Bundesländern einen Informationspool zur Vergleichbar-
keit von internationalen Schul-, Hochschul- und Berufsabschlüssen zu erstel-
len;

● die Zuwanderung von Arbeitskräften auf den deutschen Arbeitsmarkt durch
ein Auswahlverfahren mit Punktesystem zu steuern.

Berlin, den 17. Dezember 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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