BT-Drucksache 16/11404

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 11./12. Dezember 2008

Vom 16. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11404
16. Wahlperiode 16. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Eva Bulling-Schröter, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke,
Heike Hänsel, Inge Höger, Hans-Kurt Hill, Michael Leutert, Ulla Lötzer,
Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der Fraktion
DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des
Auswärtigen zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 11./12. Dezember
2008

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Klimakompromiss des Europäischen Rates am 11. und 12. Dezember
2008 ist ein Rückschritt in der europäischen Klimaschutzpolitik. Die EU-
Staaten geben mit ihrem Beschluss die reklamierte Vorreiterrolle im Klima-
schutz und damit ihre internationale Glaubwürdigkeit auf. Mit der Subven-
tionierung von fossil befeuerten Kraftwerken für die Zeit von 2013 bis 2020
fordern die leistungsstarken EU-Länder die Schwellen- und Entwicklungs-
länder geradezu zum Nichthandeln im Klimaschutz auf. Die unentgeltliche
Abgabe von „Verschmutzungsrechten“ an die Energiekonzerne bzw. direkte
Subventionen für den Neubau von Kohlekraftwerken mindern die Lenkungs-
wirkung des Emissionshandels drastisch. Darüber hinaus bedeuten sie für die
Energiekonzerne leistungslos erzielte Extraprofite zu Lasten der Bürgerinnen
und Bürger und öffentlichen Haushalte in dreistelliger Milliardenhöhe. Die
Beschlüsse des EU-Gipfels – auch die pauschalen Ausnahmen von der
Auktionierung für die energieintensive Industrie – gefährden so den Ab-
schluss eines ambitionierten Kyoto-Nachfolgeabkommens.

2. Angesichts der für 2009 prognostizierten Verschärfung der Rezession stellen
die Beschlüsse des Europäischen Rates keine zureichende Antikrisenpolitik
zur Belebung der Konjunktur dar. Die Bundesregierung hat im Vorfeld des
Gipfels die Anstrengungen der EU-Kommission für ein koordiniertes und
schnelles Handeln boykottiert und Maßnahmen des europäischen Nachbarn
als unsinnig und hektisch verleumdet. Im Ergebnis haben der ECOFIN und
der Europäische Rat selbst noch die Absichten der EU-Kommission verwäs-
sert. Der geforderte Konjunkturimpuls von 1,5 Prozent der europäischen

Wirtschaftsleistung (EU 2008: 194 Mrd. Euro), der sich aus 1,2 Prozent
nationalen und 0,3 Prozent EU-Programmen zusammensetzen soll, bleibt im
Hinblick auf den unverbindlichen Maßnahmenkatalog und die Frage, welche
Maßnahmen angerechnet werden können, widersprüchlich.

Der Bundestag kritisiert gleichzeitig die Weigerung, den Stabilitäts- und
Wachstumspakt zu lockern und das Festhalten an neoliberalen Strukturrefor-

Drucksache 16/11404 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

men zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, des Bürokratieabbaus und die
Aufforderung zum Abschluss der Doha-Runde.

3. Die vom Europäischen Rat beschlossenen Ziele, die „Fähigkeiten zur mili-
tärischen und zivilen Intervention (der EU) zu stärken“ (Frankfurter Allge-
meine Zeitung), stellen weitere Schritte zur Militarisierung der Europäischen
Union dar: Für Kampfeinsätze außerhalb der EU sollen künftig innerhalb von
60 Tagen 60 000 Mann mobilisiert werden können, verstärkt durch den Ein-
satz von EU-Battle Groups und der Durchführung zivil-militärischer Inter-
ventionen für die zusätzlich 3 000 Mann innerhalb von 90 Tagen einsetzbar
sein sollen. Die EU soll in die Lage versetzt werden, gleichzeitig sieben mili-
tärische und ein Dutzend „zivile“ Missionen planen und durchführen zu kön-
nen.

4. Der Europäische Rat hat die Regierung der Republik Irland aufgefordert, die
Ablehnung des Vertrags von Lissabon und den entsprechenden demokratisch
artikulierten Willen des irischen Volkes nicht zu respektieren, sondern noch
im Jahr 2009 erneut eine Volksabstimmung über den Vertrag durchzuführen.
Dabei hat er vorgegeben, den Bedenken gegen den Vertrag durch bestimmte
Erklärungen zum Vertrag entgegenzukommen. Dieses Vorgehen ist schon
deshalb außerordentlich fragwürdig, weil diese Erklärungen entweder recht-
lich unverbindlich sind oder aber zu ihrer Verbindlichkeit der förmlichen Ra-
tifikation durch alle Mitgliedstaaten bedürften, was aber nicht vorgesehen ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. über die Ergebnisse des Europäischen Rates hinaus im Bereich der Klima-
politik weitere und wirksamere Maßnahmen zu ergreifen bzw. auf der Ebene
der Europäischen Union durchzusetzen:

a) ab sofort die Einnahmen aus nicht versteigerten Emissionszertifikaten
vollständig mit einer Gewinnabschöpfungssteuer zu belegen und die Ein-
nahmen für Maßnahmen zur sozialen und klimagerechten Umgestaltung
des Energiesektors zu verwenden,

b) die Klimaschutzanstrengungen in Deutschland unabhängig von den
schwachen Ergebnissen in Brüssel weiter zu verstärken, indem die
Senkung der Klimagasemissionen um 40 Prozent bis 2020 als verbind-
liches Mindestziel gesetzlich verankert wird,

c) die Energieeffizienz bis 2020 um ein Drittel zu steigern, insbesondere
durch einen sparsamen Umgang mit Energie und den konsequenten Aus-
bau der Kraft-Wärme-Kopplung auf mindestens 30 Prozent,

d) den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 im Strombereich auf mindes-
tens ein Drittel und im Wärme-/Kältebereich auf mindestens ein Viertel zu
steigern,

e) eine CO2-bezogene Kfz-Steuer in der Art einzuführen, dass nur Pkw mit
einem CO2-Ausstoß von weniger als 80 g/km steuerfrei gestellt werden
und Fahrzeuge mit mehr als 120 g/km deutlich höher besteuert werden,

f) die Einfuhr von Agroenergien, die außerhalb der 27-EU-Staaten erzeugt
werden, zu verbieten, da sie eine negative Klimabilanz aufweisen und eine
soziale und umweltverträgliche Produktion nicht kontrolliert werden
kann;

2. auf nationaler wie auf europäischer Ebene zusätzliche und weitergehende
wirtschaftspolitische Maßnahmen zu ergreifen bzw. zuzulassen:

a) den Widerstand gegen ein entschlossenes und europäisch koordiniertes

Handeln der Europäischen Union aufzugeben,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11404

b) ihren nationalen Beitrag gegen die Wirtschaftskrise massiv auszuweiten
und dazu im nächsten Jahr ein Konjunkturprogramm in Höhe von 50 Mrd.
Euro aufzulegen, das öffentliche Investitionen in Umwelt und Infrastruktur
(30 Mrd. Euro) und eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und der ge-
setzlichen Rente (20 Mrd. Euro) sowie die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns umfasst,

c) dafür einzutreten, dass die nationalen Konjunkturprogramme um ein
EU- Investitionspaket zur Beschäftigungssicherung und zur ökologischen
Modernisierung in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ergänzt
werden,

d) dafür einzutreten, dass auf EU-Ebene Maßnahmen zum Schutz vor Ent-
lassungen, Lohnkürzungen und zur Stärkung der sozialen Sicherungs-
systeme koordiniert und mit klaren Zielvorgaben versehen werden;

3. die weitere Entwicklung der EU zur Militärmacht zu stoppen und Schritte auf
dem Weg zu einer Politik der Abrüstung und der Friedenssicherung durch-
zusetzen:

a) EU-Militärinterventionen zu beenden und EU-Interventionstruppen und
EU-Battle Groups aufzulösen,

b) die militärische Zusammenarbeit von EU und NATO einzustellen,

c) Aufrüstungsprojekte zur Herstellung globaler militärischer Interventions-
fähigkeit nicht weiter fortzusetzen,

d) die EU-Rüstungsagentur in eine Agentur für Abrüstung und Rüstungskon-
trolle umzubauen,

e) die Verflechtung von militärischen und zivilen Kapazitäten zu beenden,

f) die Kapazitäten ziviler Konfliktlösung und der Entwicklungshilfe auf
nationaler wie auf EU-Ebene zu stärken,

g) die Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen und Energie nicht durch
Kriege und Militärinterventionen anzustreben,

h) die Militärberatungsmissionen, die autoritäre Regimes unterstützen, ein-
zustellen;

4. das Verfahren der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon auszusetzen und
kurzfristig Änderungen des Primärrechts durch die Einführung einer „soziale
Fortschrittsklausel“ durchzusetzen, wie es nach den Gewerkschaften und der
Partei DIE LINKE. inzwischen auch die SPD in ihrem aktuellen „Europama-
nifest“ verlangt. Weitergehend sind Initiativen zur Erarbeitung der Verfas-
sung für eine demokratische, soziale, ökologische und den Frieden sichernde
Europäische Union und zur demokratischen Neubegründung der EU durch
Volksabstimmungen über eine solche Verfassung in allen Mitgliedstaaten zu
ergreifen.

Berlin, den 16. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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