BT-Drucksache 16/11271

Verbesserte Anwendung des Völkerstrafgesetzbuchs in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11271
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Daniel Volk, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Verbesserte Anwendung des Völkerstrafgesetzbuchs in der Bundesrepublik
Deutschland

Zeitgleich zum Inkrafttreten des Rom-Status zur Gründung des Internationalen
Strafgerichtshofes trat 2002 in der Bundesrepublik Deutschland das Völkerstraf-
gesetzbuch (VStGB) in Kraft. Dieses ermöglicht es, im Ausland begangene
schwerste Straftaten wie Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen
die Menschlichkeit auch in der Bundesrepublik Deutschland zu ahnden.

Im Herbst 2005 reiste der usbekische Innenminister Zakirjon Almatow, der für
ein Massaker an Zivilisten vom Mai 2005 in der usbekischen Stadt Andijan mit
verantwortlich gemacht wird, zur medizinischen Behandlung in die Bundes-
republik Deutschland ein. Dazu wurde ihm aus humanitären Gründen eine Aus-
nahme von einem Einreiseverbot gewährt, welches die EU gegen ihn sowie neun
weitere Hauptverantwortliche für das Andijan-Massaker verhängt hatte. Die
Deutsche Botschaft in Moskau stellte Zakirjon Almatow das Visum aus. Men-
schenrechtsgruppen und Anwälte der Familien der Opfer von Andijan reichten
beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Zakirjon Almatow ein. Die Bun-
desanwaltschaft sah jedoch von Ermittlungen ab, da Zakirjon Almatow ihren
Angaben zufolge zum Zeitpunkt des Anzeigeneingangs die Bundesrepublik
Deutschland bereits wieder verlassen hatte.
Eine Expertenanhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe des Deutschen Bundestags vom 24. Oktober 2007 bestätigte, dass es bei
der Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuchs in der Bundesrepublik Deutschland
weiterhin Defizite gibt. Es wurde angemahnt, dass die Zusammenarbeit zwi-
schen dem Generalbundesanwalt einerseits und deutschen Behörden anderer-
seits hinsichtlich der Fälle verbessert werden muss, bei denen ein hinreichender
Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat nach dem Völkerstrafgesetz-

Drucksache 16/11271 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

buch vorliegt. Dies gilt insbesondere für die visaerteilenden Stellen des Aus-
wärtigen Amts und seiner Auslandsvertretungen, wenn diese von der geplanten
Einreise von Verdächtigen gemäß VStGB in die Bundesrepublik Deutschland
erfahren. Die Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag hat einen entsprechen-
den Antrag (Bundestagsdrucksache 16/7734) vorgelegt, der Verbesserungsmaß-
nahmen aufzeigt.

Nur wenige Tage nach Aufhebung des EU-Einreiseverbots gegen führende us-
bekische Regierungsmitglieder reiste am 23. Oktober 2008 eine weitere Person
in die Bundesrepublik Deutschland ein, gegen die sich die Anzeige der Angehö-
rigen der Opfer des Andijan-Massakers richtete. Es handelte sich um Rustan
Inojatow, den usbekischen Geheimdienstchef. Die Bundesanwaltschaft sah
jedoch keine Möglichkeit zum Eingreifen, da Rustam Inojatow sich auf „amtli-
che Einladung“ in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt, welche gemäß § 20
Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes einer strafrechtlichen Verfolgung im
Wege stand.

Ziel dieser Anfrage ist, zu ermitteln, welche Vorkehrungen zur konsequenten
Anwendung des VStGB derzeit getroffen sind. Dabei ist zu prüfen, ob die Defi-
zite, die im Fall des ehemaligen usbekischen Innenministers Zakirjon Almatow
deutlich wurden, beseitigt worden sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann reiste der usbekische Geheimdienstchef Rustam Inojatow in die Bun-
desrepublik Deutschland ein, und wie lange dauerte sein Aufenthalt?

2. Welche deutschen Behörden waren im Vorhinein zu welchem Zeitpunkt über
den geplanten Aufenthalt von Rustam Inojatow in der Bundesrepublik
Deutschland informiert?

3. Auf wessen „amtliche Einladung“ hin reiste Rustam Inojatow in die Bundes-
republik Deutschland?

4. Wann und durch wen wurde die Bundesanwaltschaft über den geplanten Auf-
enthalt von Rustam Inojatow in Kenntnis gesetzt?

5. Wie erklärt die Bundesregierung ihre Aussage, dass gegen Rustam Inojatow
kein Verfahren nach dem VStGB anhängig sei (vgl. Antwort vom
19. November 2008 zu der schriftlichen Frage 8 auf Bundestagsdrucksache
16/11004 des Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen), obwohl Rustam
Inojatow neben dem ehemaligen Innenminister Zakirjon Almatow unter den
Personen ist, gegen die Anwälte der Opfer des Massakers von Andijan am
12. Dezember 2005 Anzeige bei der Bundesanwaltschaft wegen Straftaten
nach dem VStGB gestellt haben?

Hat die Bundesanwaltschaft in diesem Einzelfall die Eröffnung eines Ermitt-
lungsverfahrens geprüft, und wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

6. Wie viel Zeit stand der Bundesanwaltschaft zur Verfügung, um zu prüfen, ob
Ermittlungen gegen Rustam Inojatow einzuleiten wären?

7. Sieht die Bundesregierung Defizite bei der Anwendung des Völkerstrafge-
setzbuchs und der Durchsetzung des völkerrechtlichen Strafanspruchs inner-
halb der Bundesrepublik Deutschland?

Wenn ja, welche und warum?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11271

8. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, damit die Zusam-
menarbeit deutscher Behörden mit der Bundesanwaltschaft bei Einreisen
von Personen, gegen die ein Anfangsverdacht wegen Straftaten nach dem
VStGB besteht, soweit verbessert wurde, dass die Bundesanwaltschaft um-
gehend informiert wird, um die Aufnahme von Ermittlungen zu prüfen?

9. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung nach der Expertenanhörung
im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestags vom 24. Oktober
2007 zur Anwendung des VStGB, insbesondere durch die Bundesanwalt-
schaft sowie das Bundeskriminalamt, ergriffen?

10. Hat die Bundesregierung insbesondere die Schaffung einer Spezialeinheit
beim Bundeskriminalamt zur Ermittlung von Völkerstraftaten geprüft?

Wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

Inwieweit flossen dabei Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten ein,
in denen solche Spezialeinheiten bereits erfolgreich arbeiten, und wie be-
gründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

11. Hat die Bundesregierung ein Interesse daran, dass Völkerstraftaten nach
dem Legalitätsprinzip verfolgt werden?

Wenn ja, was unternimmt sie, damit die Ermittler ihre Aufgabe erfüllen
können?

12. Angezeigte Personen

a) Wie viele der angezeigten Personen haben (auch) die deutsche Staats-
angehörigkeit, wie viele sind Ausländer?

b) Wie viele Anzeigen von Deutschen bzw. von nichtdeutschen Personen
beziehen sich auf Taten in der Bundesrepublik Deutschland, wie viele je-
weils auf Auslandstaten?

c) In wie vielen Fällen hielt sich eine angezeigte Person zumindest zeit-
weise im Bundesgebiet auf, nachdem die Anzeige erstattet worden war?

13. Wie viele Anzeigen sind bis dato bei der Bundesanwaltschaft im Zusam-
menhang mit dem VStGB eingegangen, und wie viele haben zur Aufnahme
von Ermittlungen geführt?

14. In wie vielen Fällen hat die Bundesanwaltschaft gemäß § 153f der Strafpro-
zessordnung (StPO) die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt, bzw. be-
gonnene Ermittlungen gemäß § 153f StPO eingestellt?

15. Zu welchen Ergebnissen haben die Anzeigen sowie Ermittlungen ansonsten
geführt?

16. Wie viele Ermittlungen zu Straftaten nach dem VStGB haben zur Erhebung
von Anklagen in der Bundesrepublik Deutschland geführt?

17. Wie viele Personen sind derzeit bei der Bundesanwaltschaft sowie dem
Bundeskriminalamt mit der Bearbeitung von Vorgängen im Zusammen-
hang mit dem Völkerstrafgesetzbuch ausschließlich, wie viele teilweise be-
traut, und wie sind diese organisiert?

18. Wie viel Zeit vergeht in der Regel zwischen Einreichung einer Anzeige we-
gen Straftaten nach dem VStGB und der Entscheidung, ob Ermittlungen
aufgenommen werden?

19. Wie lange dauern in der Regel Ermittlungen von Straftaten nach dem
VStGB?

Drucksache 16/11271 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
20. Welche Position hat die Bundesregierung zu Forderungen von Menschen-
rechtsorganisationen, einen Richtervorbehalt über Entscheidungen der
Bundesanwaltschaft einzuführen, wenn diese bei Anzeigen nach dem
VStGB von Ermittlungen gemäß § 153f StPO absehen will?

21. Hält die Bundesregierung die Einführung einer Möglichkeit zur Klage-
erzwingung gemäß § 172 StPO bei Anzeigen nach dem VStGB für sinnvoll,
und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

22. Hat die Bundesregierung sich auf EU-Ebene dafür eingesetzt, dass die eu-
ropäische Justizbehörde EUROJUST sich mit dem Informationsaustausch
und der Koordination der europäischen Justizbehörden in Fällen internatio-
naler Völkerstraftaten befasst, und wie begründet die Bundesregierung ihre
Auffassung?

23. Wie koordiniert sich die Bundesanwaltschaft bisher mit ihren europäischen
Partnerbehörden bei Fällen internationaler Völkerstraftaten?

Berlin, den 3. Dezember 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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