BT-Drucksache 16/11260

Wirtschaftspolitische Bewertung der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11260
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Frank Schäffler, Gudrun Kopp, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel
Volk, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Wirtschaftspolitische Bewertung der Verordnung des Europäischen Parlaments
und des Rates über Ratingagenturen

Mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Rating-
agenturen [KOM(2008) 704 endgültig] werden gemeinschaftsrechtliche Grund-
sätze eingeführt, welche der Erstellung erstklassiger Ratings auf transparente
Art und Weise bei weitgehender Vermeidung von Interessenkonflikten dienen
sollen. Der Vorschlag führt ein rechtsverbindliches Registrierungs- und Auf-
sichtssystem für Ratingagenturen ein, deren Ratings von Kreditinstituten, Wert-
papierhäusern, Lebens-, Nichtlebens- und Rückversicherungsunternehmen,
Organismen für gemeinsame Anlagen und Pensionsfonds hauptsächlich für
Regulierungszwecke verwendet werden.

Der Regulierungsvorschlag führt erstmals europarechtlich verbindliche Vor-
schriften für juristische Personen ein, deren reguläre und hauptsächliche Tätig-
keit in der Vergabe von Ratings besteht. Aus wirtschaftspolitischen Gründen ist
ein gemeinschaftsrechtliches Vorgehen unerlässlich. Anderenfalls besteht die
Gefahr, dass die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene unterschiedliche Maß-
nahmen treffen. Dies würde dazu führen, dass die für Finanzinstitute in der
Gemeinschaft tätigen Ratingagenturen in den einzelnen Mitgliedstaaten unter-
schiedlichen Vorschriften unterliegen, was die ordnungsgemäße Funktions-
weise des Binnenmarkts unmittelbar beeinträchtigen und behindern würde.

Außerdem könnten uneinheitliche Qualitätsanforderungen an Ratings einen
unterschiedlich hohen Anleger- und Verbraucherschutz nach sich ziehen.
Letztlich gilt es, negative Wettbewerbseffekte für deutsche und europäische
Emittenten zu vermeiden.

Drucksache 16/11260 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Unternehmen, die nach der Definition gemäß Artikel 3 Absatz 1
eine Ratingagentur sind, haben ihren satzungsmäßigen Sitz in der Bundes-
republik Deutschland und/oder einem anderen Mitgliedstaat der Euro-
päischen Union (Tabelle nach Unternehmen und Mitgliedstaat)?

2. Welche dieser Unternehmen haben aus Sicht der Bundesregierung in den letz-
ten drei Jahren Beratungsleistungen nach Anhang I Abschnitt B Nummer 4 der
Verordnung gegenüber Kunden erbracht, die gleichzeitig Auftraggeber eines
Ratings nach Artikel 3 der Verordnung waren?

3. Welche Unternehmen (Konzernsicht), an denen der Bund beherrschend be-
teiligt ist, haben in den letzten drei Jahren Ratingagenturen beauftragt, und
wie beurteilt die Bundesregierung insgesamt die Qualität dieser Ratings?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Begriffsbestimmungen in Artikel 3
der Verordnung hinsichtlich der Einengung des Ratingbegriffs auf Bonitäts-
urteile, so dass Fondsratings, Versicherungsratings und andere Beurteilun-
gen von Finanzprodukten von den Regeln zur Unabhängigkeit und Vermei-
dung von Interessenkonflikten ausgeklammert bleiben?

5. Welche Rechtsverpflichtung erwächst verbundenen Unternehmen, die ihren
Sitz außerhalb der Gemeinschaft haben, aus Artikel 4 der Verordnung, wenn
diese von Unternehmen gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung mit Sitz
innerhalb der Gemeinschaft konsolidiert werden?

Ergibt sich hier ein Sachverhalt der Extraterritorialität?

6. Welche Rechtsfolge ergibt sich aus Artikel 4 der Verordnung für bestehende,
langjährige Verträge zwischen Unternehmen gemäß Artikel 2 Absatz 1 der
Verordnung und einer Ratingagentur nach Artikel 3 der Verordnung, wenn
die Ratingagentur keine Registration nach Titel III Kapitel I realisiert?

Sind Finanzinstitutionen dann der Situation ausgesetzt, zum einen beste-
hende Verträge weiterhin zu bedienen oder unter Konventionalstrafe zu kün-
digen und gleichzeitig für die aufsichtsrechtliche Anerkennung ein zusätz-
liches Rating bei einer nach Titel III Kapitel I registrierten Ratingagentur zu
beauftragen?

Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung dies aus rechtsstaatlichen Erwä-
gungen?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, dass gemäß Artikel 4
der Verordnung Ratings über ein Unternehmen/ein Finanzinstrument mit
Sitz/Emission außerhalb der Europäischen Union, welche von einer markt-
nahen außergemeinschaftlichen Ratingagentur nach Artikel 3 der Verord-
nung erfolgen, nicht von Unternehmen gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Ver-
ordnung genutzt werden können?

Ist dies aus Sicht der Bundesregierung ein Beitrag zur Steigerung der Quali-
tät der Ratingergebnisse?

Könnte sich hier ein Sachverhalt der Extraterritorialität ergeben?

8. Welche Einschränkungen könnten sich aus der Verordnung für die Ge-
schäftstätigkeit nicht registrierter Ratingagenturen ergeben?

9. Stärkt oder schwächt Artikel 4 der Verordnung aus Sicht der Bundesregie-
rung die Freiheit des globalen Kapital- und Dienstleistungsverkehrs?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11260

10. Stellt Artikel 4 der Verordnung aus Sicht der Bundesregierung eine nicht-
tarifäre Handelsbarriere dar?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, in welcher Form wird diese Registrationsvorschrift auf Ebene der
Welthandelsorganisation WTO thematisiert?

11. Welche Rechtsfolge ergibt sich aus Titel III Kapitel I in den Fällen, in
denen eine Ratingagentur nach Artikel 3 der Verordnung ihren Sitz außer-
halb der Gemeinschaft hat und eine Registratur beantragt, damit Unter-
nehmen gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung ihre Rating für auf-
sichtsrechtliche Zwecke nutzen können?

Wer soll in diesen Fällen als zuständige Behörde fungieren?

12. Welche Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland eignen sich aus
Sicht der Bundesregierung, als zuständige Behörde gemäß Artikel 19 der
Verordnung zu fungieren?

Wie begründet die Bundesregierung die jeweilige Eignung im Detail?

13. Welche Ressorts werden bei der Benennung der zuständigen Stelle in der
Bundesrepublik Deutschland eingebunden, in welchem wird die Feder-
führung liegen?

14. Welche Funktionen werden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht (BaFin) zur Durchführung der Registrierung und Überwachung
von Ratingagenturen auferlegt?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung das mehrstufige Registrierungsverfah-
ren nach Titel III Kapitel I der Verordnung, das eine geteilte Zuständigkeit
zwischen mindestens einer zuständigen Behörde des Herkunftsmitglied-
staats und dem Commitee of European Securities Regulators (CESR) vor-
sieht, hinsichtlich Effektivität, Effizienz und Kosten-Nutzen-Relation?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vereinbarkeit des in Artikel 20 der
Verordnung postulierten Gebots, dass sich die zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten nicht in den Inhalt der Ratings einzumischen haben, mit
den in Artikel 21 der Verordnung eingeräumten Rechten, dass die zuständi-
gen Behörden der Mitgliedstaaten ein Verbot zur Abgabe von Ratings und
die Aussetzung der Verwendung von Ratings veranlassen können?

17. Welchen Beitrag zur Qualitätssteigerung von Ratings leistet aus Sicht der
Bundesregierung die in Anhang I Abschnitt B Nummer 2 festgelegte Pflicht,
den Namen bewerteter Unternehmen zu veröffentlichen, von denen die
Ratingagentur mehr als fünf Prozent der Jahreseinnahmen erhält, und
welchen Mehrwert bringt diese Vorschrift in Bezug zu Anhang I Ab-
schnitt E Römisch 2 Nummer 2, nach der eine Liste der 20 größten Kunden
aufgeschlüsselt nach Umsatzerlösen regelmäßig zu veröffentlichen ist?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung Artikel 16 der Verordnung hinsichtlich
der Möglichkeit, dass unterschiedliche Registrationsgebühren seitens der
Mitgliedstaaten wettbewerbsverzerrend wirken können?

19. Plant die Bundesregierung, die Registrationsgebühren nach Artikel 16 der
Verordnung auf Basis fester Sätze auszugestalten?

Wenn ja, warum?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Regelung zum Widerruf der Regis-
trierung nach Artikel 17 Nummer 1, wonach die zuständige Behörde eine
Registratur zu widerrufen hat, wenn die Ratingagentur in den letzten sechs
Monaten kein Rating vergeben hat?

Drucksache 16/11260 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
21. Impliziert diese Widerrufsregelung aus Sicht der Bundesregierung eine
aktive laufende Beaufsichtigung der registrierten Ratingagenturen durch
die zuständige Behörde?

22. Wer trägt aus Sicht der Bundesregierung die Verwaltungskosten des Wider-
rufs, und wie werden diese der Höhe nach ermittelt?

23. In welcher Form und in welchem Umfang haben welche Mitglieder der
Bundesregierung (Institution, Ressort, Abteilung) bei der Erstellung der
Verordnung mitgewirkt?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Verordnung aus wirtschaftspoliti-
scher Sicht?

Sind die Regelungen notwendig und für die Erreichung der mit der Verord-
nung verbundenen Ziele sachdienlich?

25. Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige Wettbewerbsintensität
im Markt für Ratings aus Sicht von Emittenten mit Sitz in der Europäi-
schen Union?

26. Welche Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität im Markt für Ratings
erwartet die Bundesregierung aus den Vorgaben der Verordnung?

Nehmen die Markteintrittsbarrieren aus Sicht der Bundesregierung zu
oder ab?

Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Marktaustritte als Folge
dieser Regulierung zu verzeichnen sein werden?

27. Welche Konsequenzen erwartet die Bundesregierung für den Wettbewerb
zwischen registrierten und nicht registrierten Ratingagenturen?

28. Auf welche Änderungen im Rahmen der Beratungen des Rates wird die
Bundesregierung hinwirken?

29. In welchen Sitzungen (Datumsangabe erwünscht) des ECOFIN ist geplant,
die Verordnung zu thematisieren, und bis zu welchem Datum soll der Rat
abschließend hierüber votieren?

30. Bis zu welchem Datum soll das Europäische Parlament abschließend über
die Verordnung votieren?

31. In welcher Form sind die Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschafts-
raums von der Verordnung betroffen, die nicht Mitglied der Europäischen
Union sind?

32. Inwieweit ist damit zu rechnen, dass die Schweiz beziehungsweise die Eid-
genössische Bankenkommission nach gleichen Regeln verfahren wird?

Berlin, den 3. Dezember 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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