BT-Drucksache 16/11244

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/10808, 16/11197, 16/11234- Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11244
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/10808, 16/11197, 16/11234(neu) –

Entwurf eines Gesetzes
zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006
zum Übereinkommen der Vereinten Nationen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Zustandekommen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz: Behindertenrechtskonven-
tion) darf zweifelsohne als Meilenstein in der Behindertenpolitik bezeichnet
werden, der vor allem dem jahrzehntelangen engagierten Kampf von Men-
schen mit Behinderungen zu verdanken ist. Die Behindertenrechtskonven-
tion hebt die Behindertenpolitik weltweit von der Ebene der Fürsorge auf die
Ebene der Menschenrechtspolitik. Sie bietet hervorragende Möglichkeiten,
die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte dadurch zu stärken, indem sie
endlich auch von Menschen mit Behinderungen in vollem Umfang geltend
gemacht werden können.

2. Subjektive Ansprüche für Menschen mit Behinderungen ergeben sich erst
durch Überführung der in der Konvention benannten Rechte und Pflichten in
innerstaatliches Recht. Genau dieser Herausforderung stellt sich der vorlie-
gende Gesetzentwurf nicht. Regelungen, die der Umsetzung des Inhalts der
Behindertenrechtskonvention auf nationaler Ebene dienen, lässt die Bundes-
regierung vollständig vermissen. Insbesondere fehlt ein Umsetzungsplan, der
verbindlich festlegt, wie und in welchem Zeitraum die deutsche Rechtsord-
nung den inhaltlichen Anforderungen des Übereinkommens nachkommen
wird.

3. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt den Ratifizierungsprozess ab. Er
regelt die Zustimmung und Bekanntmachung des Übereinkommens. Mit

Drucksache 16/11244 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ausnahme der Kosten für die Einrichtung einer unabhängigen Monitoring-
stelle soll es keinen Vollzugsaufwand geben. Im Gesetzentwurf heißt es:
„Durch das Gesetz entstehen für Bund, Länder und Gemeinden keine weite-
ren Kosten.“ Da die volle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf
kostenneutralem Wege realistisch betrachtet nicht erreichbar sein wird, resul-
tieren aus dieser Initiative der Bundesregierung zunächst keinerlei Verände-
rungen bzw. Verbesserungen für diese Personengruppe.

4. Die in Artikel 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs mit dem Attribut „amtli-
che“ versehene deutsche Übersetzung der Behindertenrechtskonvention ist
nicht mit der in New York von den Beteiligten und Betroffenen ausgehandel-
ten (englischen) Originalfassung gleichzusetzen. Aufgrund der inadäquaten
Übersetzung von Wörtern mit hohem Bedeutungsgehalt wie „inclusion“ – in
der vorliegenden Fassung mit Integration statt mit Inklusion übersetzt oder
„to facilitate“ mit „erleichtern“ statt mit „ermöglichen“ – warnten Fachkreise
bereits im Vorfeld erfolglos vor einer inhaltlichen Abschwächung des Kon-
ventionstextes. Diese Übersetzungsmängel können weit reichende Auswir-
kungen auf die Umsetzungspraxis beispielsweise im Hinblick auf die ge-
meinsame Bildung behinderter und nicht behinderter Kinder haben. Wenn
auch das Übereinkommen offiziell nur in den sechs Amtssprachen der Ver-
einten Nationen rechtlich verbindlich ist, wird in der innerstaatlichen Praxis
dennoch vorrangig die deutsche Fassung in Verwaltungs- und Gerichtsver-
fahren zu Rate gezogen werden.

5. Die dem vorliegenden Gesetzentwurf angehängte Denkschrift enthält Erläu-
terungen und Interpretationen der in der Konvention formulierten Artikel
sowie eine Stellungnahme der Bundesregierung zum innerstaatlichen Umset-
zungsstand, welche die Realität allerdings verzerrt darstellt. Insbesondere
bieten die Rechtsvorschriften im Grundgesetz, Neunten Buch Sozialgesetz-
buch, Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und in den Behindertengleich-
stellungsgesetzen ungenügenden Schutz vor Diskriminierung. Sie ermögli-
chen auch nicht, Chancengleichheit und Teilhabe in der Gesellschaft in der
Praxis vollumfänglich herzustellen. Eine Denkschrift ist zwar rechtlich un-
verbindlich, dennoch wird sie als Teil des Gesetzentwurfes zu einem histori-
schen Argument. Die Denkschrift erhält dadurch den Status eines Referenz-
dokumentes/einer Auslegungshilfe – sowohl für nachfolgende Bundesregie-
rungen sowie für die Länder, Kommunen und weitere für die Umsetzung
verantwortlichen Institutionen als auch für Gesetzkommentierungen und Ge-
richtsprozesse.

6. Die Behindertenrechtskonvention enthält zahlreiche Bestimmungen, die bun-
deseinheitliches Vorgehen bzw. bundeseinheitliche Normen und Standards
anregt für Bereiche, die in der Zuständigkeit der Länder liegen. Dies betrifft
unter anderem das Heim- und Baurecht (barrierefreies Bauen) sowie die Bil-
dungspolitik. Insofern ist der Bund gefordert, hier initiativ zu werden und ge-
gebenenfalls auch bestehende Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern
auf den Prüfstand zu stellen.

7. Die Behindertenrechtskonvention enthält Bestimmungen, die Veränderungen
der in den Bundesländern erlassenen Gesetze über Schutz und Hilfen für psy-
chisch kranke Menschen (Psychischkrankengesetz, Unterbringungsgesetz,
Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen etc.) not-
wendig machen. Dies betrifft insbesondere eingriffsintensive Maßnahmen,
welche die Selbstbestimmung und Würde dieser Personengruppe massiv ein-
schränken bzw. übergehen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11244

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bis zum 30. Juni 2009 ein Umsetzungsgesetz vorzulegen, das einen konkre-
ten Umsetzungsplan sowie den Auftrag an Bund, Länder und Kommunen
enthält, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen entsprechende gesetzgeberische Änderungen
unverzüglich einzuleiten. Menschen mit Behinderungen und sie vertretende
Organisationen sind dabei aktiv und stetig einzubeziehen;

2. in Abstimmung mit den Menschen mit Behinderungen und sie vertretenden
Organisationen eine Übersetzung als zukünftiges Referenzdokument zu erar-
beiten, die der Zielsetzung des Übereinkommens entspricht und die deutsche
– als „amtlich“ bezeichnete – Übersetzung der Behindertenrechtskonvention
ersetzt. Dabei sollte die von der Betroffenenorganisation NETZWERK
ARTIKEL 3 e. V. vorgelegte „Schattenübersetzung“ als Grundlage dienen;

3. unmissverständlich klar zu stellen, dass es sich bei der dem Gesetzentwurf
anhängenden Denkschrift nicht um ein für die Auslegungspraxis relevantes
Dokument handelt;

4. bestehende Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern auf den Prüfstand
zu stellen, um den Umsetzungsprozess der Behindertenrechtskonvention,
insbesondere in den Bereichen Baurecht, Bildungspolitik und Heimrecht,
sicherzustellen;

5. darauf hinzuwirken, die von den Bundesländern erlassenen Gesetze über
Schutz und Hilfen für psychisch kranke Menschen auf den Prüfstand zu stel-
len und unter aktiver Einbeziehung von Menschen mit psychischen Krank-
heiten zu debattieren, inwieweit Freiheitsentziehung zum Zweck der Gefah-
renabwehr – konkret Selbst- und Fremdgefährdung – erlaubt sein kann.

Berlin, den 2. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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