BT-Drucksache 16/11189

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Zivil- und Sozialpakt - Grundlagen für einen unteilbaren und universellen Menschenrechtsschutz

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11189
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Ulla Jelpke, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Lothar
Bisky, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel,
Cornelia Hirsch, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Jan Korte, Kersten Naumann,
Dr. Norman Paech, Petra Pau, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Zivil- und Sozialpakt –
Grundlagen für einen unteilbaren und universellen Menschenrechtsschutz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 10. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nati-
onen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Flankiert wird die Allge-
meine Erklärung der Menschenrechte durch den Internationalen Pakt über bür-
gerliche und politische Rechte (Zivilpakt) von 1966 und den Internationalen
Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), ebenfalls
von 1966. Zusammen bilden sie das Fundament des internationalen menschen-
rechtlichen Normensystems. Seine Prinzipien sind Universalität und Unteilbar-
keit.

Im System des Menschenrechtsschutzes haben sich Schutzmechanismen im
Rahmen einzelner UN-Konventionen herausgebildet. Hierbei wendet sich der
Bundestag entschieden gegen alle Bestrebungen, die Forderung nach Gültigkeit
der Menschenrechte als Vorwand zu nutzen, um weltweit kapitalistische Ver-
hältnisse zu erzwingen, multinationalen Konzernen den Zugang zu Rohstoffen
und Energiequellen zu sichern oder völkerrechtswidrige Angriffskriege gegen
missliebige Staaten zu legitimieren.

Menschenrechte haben eine soziale und zivile – keine militärische – Logik. Ge-
rade angesichts des Angriffskrieges der NATO gegen Jugoslawien 1999, der mi-
litärischen Intervention in Afghanistan 2001 und des seit 2003 im Irak andauern-
den Krieges der USA und ihrer Verbündeten hält es der Bundestag für
erforderlich, auf die Folgen der Instrumentalisierung von Menschenrechten hin-
zuweisen. Dies untergräbt nicht nur die Glaubwürdigkeit jeder Menschenrechts-
politik, sondern bedeutet auch einen gravierenden Bruch des Völkerrechts. Es
gibt keine „humanitären“ Militärinterventionen. Krieg ist immer inhuman und

die gravierendste Menschenrechtsverletzung.

Der UN-Menschenrechtsrat, der 2006 eingerichtet wurde, überwacht weltweit
die Menschenrechtslage. Die Resolution, auf deren Grundlage der Menschen-
rechtsrat eingerichtet wurde, fordert von seinen Mitgliedstaaten höchste Men-
schenrechtsstandards im eigenen Land. Die damit verbundenen Erwartungen
sind bisher nicht durchgängig erfüllt worden. In vielen Ländern werden Men-
schenrechte verletzt.

Drucksache 16/11189 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Staat, der eher einen hohen Menschen-
rechtsstandard aufweist. Aber auch die Bundesrepublik Deutschland verletzt
Menschenrechte.

So heißt es in Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:

„1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und be-
friedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.

2. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

3. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entloh-
nung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entspre-
chende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale
Schutzmaßnahmen.“

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt der Bruttostundenverdienst
von Frauen aber um 23 Prozent unter dem der Männer. Die wichtigsten Struktur-
ursachen dafür sind die überdurchschnittliche Beschäftigung von Frauen in
schlecht bezahlten Berufen und die ungenügende Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Infolge der Zunahme von Leiharbeit wird zudem das Gebot der Lohn-
gleichheit bei gleicher Arbeit massiv verletzt. Das gilt auch für die geringeren
Löhne bei gleicher Arbeit und längerer Arbeitszeit in den neuen Bundesländern.
Auch das fundamentale Grundprinzip, dass jeder von seiner Arbeit in Würde
leben können muss, ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht gesichert. Die
genannten Mängel sind nicht Ausdruck ungenügender Reichtumsproduktion,
sondern stellen in einer sozialen Demokratie lösbare Probleme dar. Es muss die
Einheit von politischen und sozialen Menschenrechten gewährleistet werden.

Doch nicht nur gegen das Sozialstaatsprinzip, sondern auch gegen die politi-
schen Grundrechte wird in der Bundesrepublik Deutschland vielfach verstoßen.
Festzustellen ist dies insbesondere bei der Behandlung von Flüchtlingen. So
werden Asylsuchende nur mit einem Bruchteil des Sozialhilfesatzes abgespeist;
mitunter erhalten sie lediglich Gutscheine oder Essenspakete, was gegen das
Diskriminierungsverbot in Artikel 7 verstößt: „Alle Menschen sind vor dem Ge-
setz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das
Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung,
die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derar-
tigen Diskriminierung.“ Flüchtlinge werden der Residenzpflicht unterworfen,
was bedeute, dass sie nicht nach eigenem Ermessen den ihnen zugewiesenen
Landkreis verlassen dürfen. Dies verstößt gegen die Freizügigkeitsbestimmung
nach Artikel 13. Der wirksame Rechtsbehelf (Artikel 8) gegen staatliche Hand-
lungen wird gerade bei Abschiebungen oftmals ausgehebelt. Schließlich droht
infolge von Kettenabschiebungen und Rückweisungen in Staaten, in denen Fol-
ter praktiziert wird, das Folterverbot nach Artikel 5 unterlaufen zu werden.

Die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union regeln den Vorrang der
Binnenmarktfreiheiten vor den politischen und sozialen Grundrechten, etwa
dem Streik- und Koalitionsrecht. Das Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichts-
hofes bedroht das Prinzip „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit am gleichen
Ort in Deutschland“.

Das Menschenrecht auf Nahrung wird millionenfach verletzt: Laut UN-Schät-
zungen leiden weltweit fast eine Milliarde Menschen an Hunger. Das elementare
Menschenrecht auf Nahrung muss umfassend gewährleistet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. die deutsche Beteiligung an Militärinterventionen und Kriegen zu beenden;
2. sich international und national für die umfassende Umsetzung menschen-
rechtlicher Verpflichtungen und die Weiterentwicklung des internationalen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11189

Menschenrechtssystems aktiv einzusetzen sowie die Universalität und die
Unteilbarkeit der Menschenrechte bedingungslos anzuerkennen und zu for-
dern;

3. sich auf allen Ebenen für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einzusetzen;

4. die Gleichstellung von Frauen und Männern zu befördern;

a) reproduktive Souveränität als Menschenrecht der Frau anzuerkennen,

b) gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchzusetzen;

5. notwendige Schritte zur Lohnangleichung auch bei Leiharbeit zu unterneh-
men;

6. alle notwendigen Schritte für die Einführung eines gesetzlichen Mindestloh-
nes von mindestens 8,71 Euro/Stunde für alle Branchen in Deutschland zu
unternehmen;

7. die diskriminierende Sonderbehandlung von Flüchtlingen einzustellen und
ihre politischen Grundrechte zu garantieren;

8. Initiativen mit dem Ziel zu ergreifen, ein weiteres Protokoll zu den EU-Ver-
trägen zu verhandeln und zu vereinbaren, dass es eine sog. soziale Fort-
schrittsklausel beinhaltet und den Vorrang der Grundrechte und Grundwerte
vor den Grundfreiheiten des Kapitals (Niederlassungsfreiheit, Dienstleis-
tungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit) primärrechtlich gewährleistet.

Berlin, den 3. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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