BT-Drucksache 16/11188

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/10809, 16/11001, 16/11172- Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz - FamLeistG)

Vom 2. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11188
16. Wahlperiode 02. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, Ulla Lötzer,
Kornelia Möller, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/10809, 16/11001, 16/11172 –

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen
Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung behauptet in ihrem Gesetzentwurf, dass die Förderung der
Familien für sie „höchste Priorität“ genießt und deshalb Familien „in unter-
schiedlichen Lebenssituationen und mit unterschiedlichen Bedürfnissen“ geför-
dert und steuerlich entlastet werden sollten. Zu diesem Zweck sollen der Kinder-
freibetrag sowie das Kindergeld angehoben, die steuerliche Berücksichtigung
haushaltnaher Dienstleistungen ausgebaut sowie die der Kinderbetreuungskos-
ten vereinfacht werden und Schüler und Schülerinnen im Rahmen des Zweiten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB XII) eine zusätzliche Leistung für die Schule erhalten. Insgesamt sollen
die Maßnahmen dazu dienen, eine nachhaltige Familienpolitik umzusetzen.

Dieses selbstgesteckte Ziel wird aber durch die im Gesetzentwurf gewählten
Ansätze nicht erreicht. Die Erhöhung des Kindergeldes ist zwar ein richtiger
Schritt. Allerdings kommen die geplanten Maßnahmen nicht allen Kindern und
Familien zu Gute bzw. nicht in gleicher Weise. Ursache hierfür sind u. a. das zu
geringe steuerfreie Existenzminimum für Kinder, das unzureichende Kinder-
geld, die fehlenden finanziellen Verbesserungen für Kinder, deren Familien
Arbeitslosengeld II, Grundsicherung oder Unterhaltsvorschuss beziehen, die
mangelhafte Ausgestaltung der Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten
sowie des „Schulstartpakets“ im Rahmen von SGB II und SGB XII.

Im Ergebnis wird sich weder die wirtschaftliche Situation von Familien mit ge-
ringen Einkommen verbessern, noch eine tatsächliche nachhaltige Familien-
politik erreicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern und Erwachsenen kurz-
fristig neu festzustellen und anzuheben sowie in den Folgejahren realitäts-
gerecht und transparent zu ermitteln;

Drucksache 16/11188 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● das Kindergeld sofort auf 200 Euro zu erhöhen und

● die gesetzlichen Regelungen dahingehend auszugestalten, dass kurzfristig
alle Kinder, insbesondere diejenigen mit SGB II und SGB XII sowie Unter-
haltsbezug von der Erhöhung des Kindergeldes profitieren.

Berlin, den 2. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

In der Begründung ihres Gesetzentwurfs stellt die Bundesregierung bezüglich
der Anhebung des Kinderfreibetrags fest, dass die Erhöhung des Kinderfrei-
betrags „auch ohne genaue Kenntnis der Mindesthöhe für das steuerfrei zu
stellende Existenzminimum von Kindern“ erfolgt. Diese Herangehensweise ist
stellvertretend für die Politik der Bundesregierungen der vergangenen Jahre.
Ihnen wurde – in der Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
– 1995 vom Deutschen Bundestag aufgegeben, regelmäßig über die Höhe des
von der Einkommensteuer freizustellenden Existenzminimums zu berichten.
Bei der Feststellung der Höhe der in den Berichten festgestellten Existenz-
minima ging es den Bundesregierungen jedoch nicht darum, diese realitätsge-
recht zu ermitteln und entsprechend Kinderfreibeträge und Kindergeld auszuge-
stalten. Vielmehr unterliegen die Werte haushaltspolitischen Zwängen und sind
abhängig vom Verhandlungsgeschick des Bundesministeriums für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend auf der einen und des Bundesministeriums der Finan-
zen auf der Gegenseite. Dazu kommt, dass Sozialverbände von dem Verfahren
zur Ermittlung der Existenzminima ausgeschlossen sind.

Entsprechend ist die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums für
Kinder zu niedrig ausgewiesen. Zu dieser Schlussfolgerung kommen verschie-
dene Verbände, die in der Vergangenheit eigene Berechnungen anstellten. Eine
Ursache dafür sind die im Rahmen des sächlichen Existenzminimums angesetz-
ten Regelsätze: Die Bundesregierung geht für Kinder von einem jährlichen
Regelsatz in Höhe von 2 820 Euro aus. Der Paritätische Wohlfahrtsverband
errechnete hingegen in einer aktuellen Expertise „Was Kinder brauchen … Für
eine offene Diskussion über das Existenzminimum für Kinder nach dem Statis-
tikmodell gemäß § 28 SGB XII (Sozialhilfe)“, September 2008, Regelsätze in
Höhe von 3 312 Euro bis 4 296 Euro. Auch der Caritas-Verband e. V. hat bedarfs-
orientierte Regelsätze ermittelt. Im Ergebnis seiner Berechnungen hält er eine
Anhebung des Existenzminimums kurzfristig um 18 Prozent, statt um vier Pro-
zent wie vorgesehen, für notwendig. Dies zeigt, dass eine kurzfristige Neufest-
stellung eines bedarfsorientierten Existenzminimums für Kinder und dessen An-
hebung dringend geboten ist. Ein realitätsnaher Ausweis des Existenzminimums
ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da es Maßstab für die Höhe des Kin-
derfreibetrages und Kindergeldes ist.

Bei der Feststellung der Höhe des Existenzminimums kann es nicht darum ge-
hen, dass ein „Mehr immer wünschenswert“, aber haushaltspolitisch nicht mög-
lich ist, wie dies von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und
SPD in der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfs mehrfach betont
wurde. Vielmehr sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass allen Kindern
die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird. Um eine offene Dis-
kussion zu befördern, sind an dem Verfahren maßgebliche Sozialverbände und
Institute zu beteiligen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11188

Die Anhebung des Kindergeldes ab 2009 weist in die richtige Richtung. Sie
muss jedoch deutlich höher ausfallen. Dies einerseits, um den Realwertverlust
des Kindergeldes seit 2002 auszugleichen. Diesen sieht der Paritätische Wohl-
fahrtsverband für das erste bis dritte Kind bei rund 18 Euro, ab dem vierten bei
21 Euro monatlich. Darüber hinaus hängt die Entlastung der Eltern noch immer
von der Höhe des Einkommens ab. Ziel muss es aber sein, dass Familien mit ge-
ringen Einkommen den gleichen Vorteil aus der Steuerfreistellung des Existenz-
minimums erhalten wie Familien mit hohen Einkommen. Aus diesem Grund ist
das Kindergeld sofort auf 200 Euro anzuheben. Dies entspricht aktuell der Er-
stattung des Kinderfreibetrages zum Spitzensteuersatz. Perspektivisch sind
Schritte zur weiteren Anhebung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes zu
unternehmen.

Da das Kindergeld auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet wird, er-
geben sich für Haushalte mit besonders niedrigen Einkommen aus der Erhöhung
des Kindergeldes keine Verbesserungen. Für diese Kinder ist kurzfristig von
einer Anrechnung der Erhöhung des Kindergeldes abzusehen.

Die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages kann jedoch, vor
dem Hintergrund der vielfältigen Benachteiligungen von Menschen mit Kin-
dern, nur ein Teilbeitrag zur Entlastung von Eltern sein. In diesem Sinne muss
eine wirkliche Reform der Familienbesteuerung, z. B. durch Umwandlung des
Ehegattensplittings und der Berücksichtigung der besonderen Belastung von
Alleinerziehenden umgesetzt sowie gesellschaftlich günstige Rahmenbedingun-
gen für ein Zusammenleben mit Kindern geschaffen werden.

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