BT-Drucksache 16/11186

Erweiterung des Rom-Status des Internationalen Strafgerichtshofs - Verweigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11186
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Harald Leibrecht,
Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Daniel Volk, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Erweiterung des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs –
Verweigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Zyklon „Nargis“ verwüstete am 3. Mai 2008 große Teile Birmas/Myan-
mars. Mehr als 130 000 Menschen kamen bei dem Tropensturm ums Leben
oder gelten seitdem als vermisst. Insgesamt waren nach Schätzungen der Ver-
einten Nationen 2,4 Millionen Menschen insbesondere in den bevölkerungsrei-
chen Gebieten im Irrawaddy Delta und um die frühere Hauptstadt Rangun be-
troffen. Die internationale Gemeinschaft hat unmittelbar nach der Katastrophe
umfangreiche humanitäre Unterstützung angeboten.

Die dringend benötigte Hilfe wurde von der Militärregierung des Landes erheb-
lich behindert. Internationalen Katastrophenhelfern wurde die Einreise nach
Birma/Myanmar untersagt und Hilfslieferungen wurden verzögert oder ab-
gewiesen. Auch Wochen nach dem Sturm änderte sich an der abwehrenden
Haltung der Militärjunta nichts. Erst durch den verstärkten Einsatz der
ASEAN-Staaten, Chinas und des Generalsekretärs der Vereinten Nationen
Ban Ki-moon erklärte sich Birmas Militärführung teilweise zum Einlenken be-
reit.
Auch in anderen autoritären Staaten nehmen die jeweiligen Regierungen die
Verantwortung für das eigene Volk nicht wahr. In Simbabwe hat der seit 1987
regierende Präsident Robert Mugabe externe humanitäre Hilfe für die Bevölke-
rung ausgeschlagen oder vorsätzlich behindert. Die Arbeit von Hilfs- und
Nichtregierungsorganisationen vor Ort unterliegt großen Restriktionen und ge-
zielter Schikane.

Drucksache 16/11186 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Machthaber Nordkoreas haben sich trotz akuter Hungersnöte ebenfalls ab-
lehnend gegenüber humanitären Hilfsangeboten von außen gezeigt. Die Regie-
rung in Sudan und ihr Staatspräsident Omar al-Bashir behindern die Koopera-
tion mit der internationalen Gemeinschaft und nehmen eine Verschlechterung
der humanitären Lage in der Krisenprovinz Darfur bewusst in Kauf. Leid-
tragend ist die dortige Zivilbevölkerung.

Durch ihre Weigerung, den eigenen Bürgern dringend benötigte Hilfe zukom-
men zu lassen, verletzen diese Regierungen insbesondere deren Recht auf Le-
ben und körperliche Unversehrtheit. Denn jeder einzelne Staat hat die Verant-
wortung, seine Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer
Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Darauf ab-
zielende Verpflichtungen sind als Teil der staatlichen Pflicht zum Lebensschutz
der eigenen Bürger schon lange im Völkervertrags- und Völkergewohnheits-
recht verankert. Auch die Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes,
das Genfer Recht, die Völkermord-Konvention und das Völkerstrafrecht zielen
darauf ab.

Es hat sich allerdings gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft Regierun-
gen, die ihre Bürger durch die Verweigerung humanitärer Hilfe bewusst miss-
handeln, nicht ausreichend zur Rechenschaft ziehen kann. Die vorsätzliche Stö-
rung der Leistung humanitärer Hilfe ist bisher nach dem Völkerstrafrecht nicht
strafbar. Diese Lücke kann das 2002 in Kraft getretene Rom-Statut schließen.
Bisher haben 108 Staaten das Statut von Rom des Internationalen Strafgerichts-
hofs (IStGH) ratifiziert, doch gehören weder Birma/Myanmar, Sudan, Nord-
korea noch Simbabwe zu den Unterzeichnerstaaten. Jedoch hat der Sicherheits-
rat der Vereinten Nationen die Möglichkeit, Fälle an den Internationalen
Strafgerichtshof zu überweisen, auch wenn das betroffene Land nicht zu den
Unterzeichnern des Rom-Statuts zählt.

Für die Störung humanitärer Hilfe kommt deren Kodifizierung unter Artikel 7
Absatz 1 „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in Betracht. Dort heißt es: „Im
Sinne dieses Statuts bedeutet ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ jede der
folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systemati-
schen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs be-
gangen wird“. Elf Handlungen werden im Anschluss aufgezählt, die von „vor-
sätzlicher Tötung“ (a) bis „andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art,
mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der
körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit
verursacht werden“ (k) reichen.

Auch wenn das Statut des IStGH keine Regelung enthält, die ein Unterlassen
einem aktiven Handeln gleichstellt, wird in der Fachliteratur überwiegend die
Auffassung vertreten, dass es Fälle des strafbaren Unterlassens geben kann.
Nach Artikel 28 des IStGH-Statuts besteht zum einen die Möglichkeit, unter
bestimmten Voraussetzungen das pflichtwidrige Unterlassen eines Vorgesetzten
zu bestrafen. Zum anderen ist ein Unterlassen dann strafbar, wenn die Strafbar-
keit ausdrücklich für Fälle des Nichthandelns besteht. Ein solches Beispiel bil-
det die Einzeltat „Ausrottung“ (b). Hierunter fällt auch „das Vorenthalten des
Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten“. Andere Tatbestände ent-
halten allerdings keine ausdrückliche Unterlassensstrafbarkeit, obwohl die Be-
gehung durch Unterlassen gleichfalls strafwürdig erscheint. Generell herrscht
in diesem Feld erhebliche Rechtsunsicherheit. Die Kodifizierung eines entspre-
chenden Straftatbestandes im Rahmen des Rom-Statuts ist deshalb überfällig.
Dazu zählt eine geschlossene Definition von Tatmerkmalen, die neben der Ver-
wehrung humanitärer Hilfe auch das Verhungernlassen umfassen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11186

Das Rom-Statut sieht die Möglichkeit von Änderungen vor: zum einen durch
die Initiative eines Vertragsstaats (Artikel 121 des IStGH-Statuts), zum anderen
durch die Aufnahme eines Änderungsvorschlages in die Tagesordnung einer
Vertragsrevisionskonferenz (Artikel 123 des IStGH-Statuts). Ein Vertragsstaat
hat erstmals sieben Jahre nach Inkrafttreten des Rom-Statuts die Möglichkeit,
den Wortlaut zu verändern, frühestens somit ab dem 2. Juli 2009. Über die An-
nahme eines Änderungsantrags entscheidet die Versammlung der Vertragsstaa-
ten, die aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates besteht (Artikel 112 des
IStGH-Statuts). Die Möglichkeit, über die Vertragsrevisionskonferenz das
IStGH-Statut zu ändern, ist ebenfalls frühestens ab dem 2. Juli 2009 gegeben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Änderungsantrag innerhalb des Vorschlagsrechts der Mitgliedstaaten
oder der Vertragsrevisionskonferenz einzubringen, durch den die Verweigerung
und Behinderung humanitärer Hilfe unter Strafe gestellt wird.

Berlin, den 28. November 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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