BT-Drucksache 16/11176

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat in Brüssel am 11./12. Dezember 2008

Vom 2. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11176
16. Wahlperiode 02. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Dr. Daniel Volk,
Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat in Brüssel am 11./12. Dezember 2008

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union hat in der globalen Finanzkrise ihre große Bedeutung
für wirtschaftliche Stabilität und Verlässlichkeit unter Beweis gestellt. Sie hat
einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Lage an den Finanzmärkten
geleistet. Nur durch abgestimmtes Handeln auf europäischer Ebene und durch
das Festhalten an gemeinsamen Grundüberzeugungen konnte eine weitere Ver-
schärfung der Krise abgewendet werden.

Kein EU-Mitgliedstaat allein wäre in der Lage gewesen, der Krise wirksam zu
begegnen. Dennoch hat die Bundesregierung – trotz eindeutiger Hinweise auf
eine sich abzeichnende Rezession – ein Tätigwerden gefährlich lange nicht für
erforderlich gehalten. Als sie sich angesichts der Verwerfungen auf den Finanz-
märkten schließlich doch zum Handeln gezwungen sah, war es ein Fehler – und
ein äußerst bedenkliches Signal an unsere Partner in Europa –, dass sie eine
Abstimmung und Koordinierung der Maßnahmen im europäischen Rahmen zu-
nächst für verzichtbar hielt.
Der Euro hat sich in der Krise als Stabilitätsanker bewährt. Ohne Euro hätte die
Finanzkrise schnell zu einer Währungskrise werden können, die zu drama-
tischen Auf- und Abwertungen zwischen den EU-Staaten geführt hätte. In
Staaten mit starker Währung wäre mit deutlichen Exportrückgängen zu rechnen
gewesen. Dies hätte die Krise gerade auch in Deutschland weiter verschärft. Für
EU-Staaten, die nicht der Eurogruppe angehören, hat sich der Verzicht auf den

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Euro als sehr kostspielig erwiesen, da sie ihre Währungen durch Zinsanhebun-
gen verteidigen mussten. EU-Staaten wie Dänemark und Schweden erwägen
nun in Abkehr von früheren Entscheidungen einen Beitritt zur Eurogruppe.
Dies ist zu begrüßen, denn eine Erweiterung der Eurogruppe um diese soliden
Volkswirtschaften ist gleichbedeutend mit einer weiteren Stärkung der Gemein-
schaftswährung.

Angesichts der unzweifelhaften Vorteile und des Schutzes, den die Gemein-
schaft bietet, wird in Staaten wie der Schweiz, Norwegen und Island nun sogar
die Möglichkeit eines schnellen EU-Beitritts und eines Beitritts zur Eurogruppe
intensiver diskutiert als je zuvor. Eine Aufnahme dieser Staaten, die die Kopen-
hagener Beitrittskriterien bereits heute erfüllen, liegt auch im Interesse der EU.

Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Notenbanken der Staaten der
Eurogruppe haben ihre Fähigkeiten als Krisenmanager eindrucksvoll unter
Beweis gestellt. Die Unabhängigkeit der EZB und ihre Orientierung am Ziel
der Geldwertstabilität haben sich als richtig und alternativlos erwiesen. Dies ist
auch außerhalb des Euroraums erkannt worden, nicht zuletzt in den USA, wo
die Krise ihren Ausgang genommen hat. Diese Chance sollte genutzt werden,
um gegenüber wirtschaftlich bedeutsamen Partnern auf eine Neuausrichtung
ihrer Geldpolitik nach dem Modell der EZB hinzuwirken.

Erneut gezeigt hat sich auch die große Bedeutung des EU-Binnenmarkts für
Stabilität und Wohlstand für die Bürgerinnen und Bürger in der EU. Dass die
Finanzkrise in Europa ein solches Ausmaß erreichen konnte, ist auch dem
Umstand geschuldet, dass im Bereich der Finanzdienstleistungen noch immer
kein vollständig integrierter Markt existiert. Die Struktur der Bankenaufsicht
muss endlich der bereits sehr weit fortgeschrittenen Europäisierung der
Bankenlandschaft Rechnung tragen. Bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von
Banken kann es sonst zu bedrohlichen Aufsichtslücken kommen, etwa dann,
wenn Tochtergesellschaften in einem anderen EU-Mitgliedsland der Aufsicht
unterliegen als das Mutterunternehmen. Die Tatsache, dass in der EU mehr als
70 Finanzmarktaufsichtbehörden tätig sind, die nur sehr unzureichend unter-
einander vernetzt sind, stellt eine Bedrohung für die Stabilität der Finanzmärkte
und zudem ein schwer wiegendes Integrationshindernis dar. Erstes Ziel ist des-
halb die Etablierung von Aufsichtkollegien nach dem Modell der Europäischen
Zentralbank, die sich aus Angehörigen der nationalen Bankenaufsichten zusam-
mensetzen und die Aktivitäten von nicht rein national tätigen Finanzinstituten
überwachen. Darauf aufbauend muss dann eine einheitliche EU-weite Banken-
aufsicht geschaffen werden, die bei der Europäischen Zentralbank anzusiedeln
und in den EU-Verträgen zu verankern ist.

Offene Märkte sind die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolges. Für kein
Land in Europa gilt dies mehr als für den Exportweltmeister Deutschland. Ziel
deutscher Europapolitik muss deshalb die Vollendung des Binnenmarktes blei-
ben. Ein Rückfall in überkommenes protektionistisches Denken hätte fatale
Konsequenzen für die europäischen Volkswirtschaften. In Reaktion auf die
Krise darf keine Situation entstehen, in der die EU-Mitgliedstaaten in einen
Subventionswettlauf eintreten. Auch muss sichergestellt werden, dass sich der
Staat nach Beendigung der Finanzmarktkrise als wirtschaftlicher Akteur wieder
aus dem Bankensektor zurückzieht. Anderenfalls wären Wettbewerbsverzerrun-
gen und langfristig massive wirtschaftliche Schäden die Folge. Die EU-Wett-
bewerbs- und -Beihilferegeln gehören zum Kernbestand europäischen Rechts
und dürfen nicht verwässert werden. Es muss ausgeschlossen werden, dass es
unter dem Deckmantel der Krisenbekämpfung zu europarechtswidrigen Ein-
mischungen einzelner Staaten in die Wirtschaft kommt.

Ein unter den EU-Mitgliedstaaten abgestimmtes Vorgehen wäre auch mit Blick

auf Steuersenkungen sinnvoll. Steuersenkungen sind ein wichtiger Teil des
von der EU am 26. November 2008 angeregten Maßnahmenpakets. Zahlreiche

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11176

EU-Staaten werden diese Vorschläge im Interesse der Konjunkturbelebung um-
setzen und sogar darüber hinausgehende Schritte einleiten. Auch die Bundes-
regierung sollte sich Steuersenkungen nicht weiter verweigern und zudem ihren
Widerstand in den EU-Gremien gegen die Einführung reduzierter Mehrwert-
steuersätze aufgeben.

Koordinierung und Abstimmung der nationalen Anstrengungen zwischen den
EU-Partnern sind der richtige Ansatz zur Bewältigung der Krise. Abzulehnen
ist hingegen der Versuch, die Wirtschafts- und Fiskalpolitik auf der EU-Ebene
zu zentralisieren und eigene EU-Steuern einzuführen. Eine „europäische Wirt-
schaftsregierung“, die fiskalpolitische Entscheidungen auch gegen das Votum
einzelner Mitgliedstaaten treffen könnte, steht im Widerspruch zu den vertrag-
lichen Grundlagen der EU und wäre ökonomisch kontraproduktiv. Festgehalten
werden muss auch am Verschuldungsverbot der EU.

Im Interesse einer stabilen Währung, die eine unabdingbare Grundlage für das
Funktionieren unserer Volkswirtschaften in Europa darstellt, darf der 2005
reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt unter keinen Umständen auf-
geweicht werden. Es muss deshalb auch in Zukunft strikt darauf geachtet wer-
den, dass sich das Ausgabeverhalten der Staaten der Eurogruppe im Rahmen
der Vorgaben des Paktes hält.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Dänemark und Schweden in ihren Bestrebungen zur Einführung des Euro
zu bestärken;

2. die Schweiz, Norwegen und Island zu einem EU-Beitritt und zu einem Bei-
tritt zur Eurozone zu ermuntern und auf EU-Ebene alle Vorbereitungen
dafür zu treffen, dass diese Staaten Beitrittsverhandlungen aufnehmen kön-
nen, sofern sie dies wünschen;

3. bilateral und im EU-Rahmen gegenüber wichtigen Partner – insbesondere
gegenüber den USA – für das Modell der EZB und eine Neuausrichtung
der Geldpolitik auf die Orientierung an der Geldwertstabilität zu werben;

4. auf EU-Ebene für die unverzügliche Schaffung von Aufsichtskollegien zur
Überwachung der grenzüberschreitenden Aktivitäten von Finanzinstituten
und mittelfristig auf eine einheitliche EU-weite Bankenaufsicht hinzu-
wirken;

5. sich für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes einzusetzen;

6. sich gegen die Bestrebungen zur Lockerung der EU-Wettbewerbs- und -Bei-
hilferegeln zu wenden;

7. sich im Interesse der Konjunkturbelebung Steuersenkungen nicht länger
zu verweigern;

8. allen Bestrebungen zur Zentralisierung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik
auf europäischer Ebene entschieden entgegenzutreten;

9. sich allen Versuchen, der EU eine eigene Steuerhoheit einzuräumen, zu
widersetzen;

10. entschieden für ein Festhalten am Verschuldungsverbot der EU einzutreten;

11. alles dafür zu tun, dass die Vorgaben des reformierten Stabilitäts- und
Wachstumspakts sowohl in Deutschland als auch in den anderen Staaten
der Eurogruppe weiterhin strikt eingehalten werden.

Berlin, den 2. Dezember 2008
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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