BT-Drucksache 16/11069

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/9900, 16/9902, 16/10416, 16/10423, 16/10424, 16/10425- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) hier: Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Vom 25. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11069
16. Wahlperiode 25. 11. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Alexander Bonde, Anna Lührmann, Omid Nouripour,
Kai Gehring, Winfried Nachtwei, Kerstin Andreae, Priska Hinz (Herborn),
Markus Kurth, Christine Scheel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/9900, 16/9902, 16/10416, 16/10423, 16/10424, 16/10425 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009
(Haushaltsgesetz 2009)

hier: Einzelplan 17
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Wehrpflicht ist ein nicht länger zu rechtfertigender Eingriff in die
Grundrechte, Ausbildungs- und Berufsbiographien sowie die Lebenspla-
nung junger Männer. So lange es die Wehrpflicht noch gibt, gilt es darauf zu
achten, dass die Belastungen so gering wie möglich sind. Dem Wesen der
allgemeinen Wehrpflicht entspricht es, dass sie in der Regel durch den
Grundwehrdienst erfüllt wird. Sie darf nicht zu einer sozialen Dienstpflicht
für Kriegsdienstverweigerer umfunktioniert werden. Längst kann nur noch
ein Bruchteil der Wehrpflichtigen Grundwehrdienst leisten. Viele Wehr-
pflichtige verweigern einen Dienst an der Waffe, zu dem die Mehrheit in der
Realität überhaupt nicht herangezogen werden kann. Der Zivildienst ist ein
aus Gleichheits- und Gerechtigkeitserwägungen heraus an Stelle des Wehr-
dienstes abzuleistender Ersatzdienst für Wehrpflichtige. Er ist nicht Ersatz
für einen potenziell zu leistenden, sondern Ersatz für einen tatsächlich zu
leistenden Wehrdienst. Das ist längst nicht mehr gewährleistet: Wer einen
Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt, wird zum Dienstantritt aufge-
fordert und mit größter Sicherheit zum Zivildienst einberufen. Demgegen-

über werden alljährlich zehntausende grundsätzlich wehrdienstfähige Män-
ner mangels Bedarf nicht einberufen. Damit hat die allgemeine Wehrpflicht
den Charakter einer allgemeinen Dienstpflicht für Kriegsdienstverweigerer.
Es ist aber keinesfalls hinnehmbar, dass Kriegsdienstverweigerer einen
Nachteil erleiden, weil sie vor der tatsächlichen Einberufung zum Wehr-
dienst bekannt geben, ihr Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in An-
spruch zu nehmen.

Drucksache 16/11069 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Im Bundeshaushalt sind hierfür deutlich mehr Zivil- als Wehrdienstplätze
vorgesehen. Heute leisten deshalb ca. 15 Prozent der Wehrpflichtigen eines
Geburtsjahrgangs Zivildienst und nur ca. 10 Prozent Wehrdienst. Laut Haus-
haltsentwurf sollen über 30 000 Zivildienstleistende mehr einberufen wer-
den als Wehrdienstleistende. Um diese eklatante Ungleichbehandlung von
Kriegsdienstverweigerern zu beseitigen und den Charakter der Wehrpflicht
als militärischer und nicht sozialer Dienstpflicht hervorzuheben, dürfen die
Einberufungen zum Zivildienst die Einberufungen zum Wehrdienst keines-
falls übersteigen. Die entsprechenden Haushaltsansätze der Bundesregie-
rung im Einzelplan 17 für den Zivildienst sind daher entsprechend abzusen-
ken.

3. Von einer „Allgemeinen Wehrpflicht“ kann in Deutschland keine Rede mehr
sein: Die veränderte Bedrohungslage, die neuen Aufgaben und die damit
einhergehende Transformation der Bundeswehr haben dazu geführt, dass zur
Zeit nur etwa 10 Prozent der Wehrpflichtigen eines Geburtsjahrgangs zum
Grundwehrdienst einberufen werden. Der Wehrdienst ist damit nicht mehr
die Regel, sondern die Ausnahme. Die Einführung neuer Tauglichkeits- und
Freistellungskriterien hat dafür gesorgt, dass über 75 Prozent der jungen
Männer vom Wehr- und Zivildienst am Ende keinerlei Dienst leisten. Aller-
dings haben alle Wehrpflichtigen in einer wichtigen Phase ihres Lebens oft
über Jahre hinweg keine Planungssicherheit oder Gewissheit, ob sie einberu-
fen werden, eine Ausbildung oder ein Studium anfangen können bzw. ob sie
ins Ausland reisen können oder nicht. Die Einschränkungen ihrer Grund-
und Freiheitsrechte – auch im Vergleich zu Gleichaltrigen aus vielen anderen
EU-Staaten – sind real und keinesfalls hinnehmbar. Für die Minderheit der
jungen Männer, die die Pflichtdienste noch zwangsweise erfüllen müssen,
wird das Gleichheitsgebot dadurch noch stärker verletzt. Die Wehrpflicht ist
bei weitem nicht mehr eine gleich belastende Pflicht und damit auch verfas-
sungsrechtlich nicht mehr haltbar. Wehrgerechtigkeit ist nicht mehr gegeben
und auch auf absehbare Zeit nicht herstellbar. Deshalb muss der Ausstieg aus
der Wehrpflicht vorangetrieben werden.

4. Jugendliche sind die Generation mit der größten Bereitschaft zu freiwilligem
Engagement. Sie haben ein großes Interesse, im Rahmen eines Freiwilligen-
dienstes berufliche und soziale Lernerfahrungen im In- oder Ausland zu sam-
meln. Um die aktive Bürgergesellschaft weiter zu stärken und mehr Men-
schen zu motivieren, sich gesellschaftlich zu engagieren, müssen bewährte
Formen wie die bestehenden Jugendfreiwilligendienste in ihrem Profil ge-
schärft und deutlich ausgebaut werden. Auf einen Freiwilligendienstplatz
kommen zwischen drei und vier Bewerberinnen und Bewerber. Freiwilligen-
dienste sind für die Gesellschaft und für die Freiwilligen von sehr großem
Wert. Das Interesse kann durch das bisherige Unterstützungsangebot noch
nicht hinreichend befriedigt werden. Die finanziellen Einsparungen, die
durch die Herabsetzung der Zivildienstplätze im Bundeshaushalt erzielt wer-
den, sollen deshalb vor allem zur Förderung der Jugendfreiwilligendienste
eingesetzt werden. Ziel muss es sein, die angebotenen Freiwilligendienst-
plätze mehr als zu verdoppeln und die Benachteiligungen für Wehrpflichtige
aufzuheben. Diese teilweise Umwandlung von Zivildienstplätzen in Ange-
bote der Jugendfreiwilligendienste ist ein wichtiger Schritt in dem Prozess
zum Ausstieg aus der Wehrpflicht.

5. Die Zukunft der Jugendfreiwilligendienste liegt in der Fortführung der Frei-
willigkeit, im quantitativen Ausbau und einer qualitativen Weiterentwick-
lung. Hierzu gehört vor allem eine noch konsequentere Ausrichtung der Frei-
willigendienste an Orientierung, Bildung und Qualifizierung. Die verschie-
denen Programmzweige und Modellprojekte benötigen eine kohärente

Gesamtkonzeption und -strategie. Diese Gesamtkonzeption muss die sozia-
len, ökologischen, kulturellen, generationenübergreifenden und entwick-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11069

lungspolitischen Dimensionen genauso umfassen wie die Angebote in
Europa, im außereuropäischen Ausland sowie die ungeregelten Dienste.
Freiwilligendienste müssen allen Jugendlichen gleichermaßen offenstehen.
Daher ist ein stärkeres Augenmerk auf bislang unterrepräsentierte und be-
nachteiligte Jugendliche zu richten. Um das hohe gesellschaftliche Potenzial
von Freiwilligendiensten auszuschöpfen, ist zudem eine Reform der bisheri-
gen Finanzierungsstruktur erforderlich.

6. Der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung, hat für das Haus-
haltsjahr 2009 erneut angeordnet, bis zu 6 700 Grundwehrdienstleistende
mehr einzuberufen als funktional in der Bundeswehrplanung für erforderlich
gehalten wurde. Statt wie geplant 30 000 sollen im Jahresdurchschnitt
35 000 Grundwehrdienstleistende in der Bundeswehr ihren neunmonatigen
Grundwehrdienst leisten. Angesichts von Einberufungsjahrgängen von
350 000 bis 450 000 Wehrpflichtigen ändert die Einberufung von 6 700
Grundwehrdienstleistenden nichts an der Unmöglichkeit, die allgemeine
Wehrpflicht heute noch gerecht zu gestalten. Demgegenüber stellt die funk-
tional nicht begründete Einberufung eine Belastung für die Truppe, insbe-
sondere die Zeit- und Berufssoldaten dar. Sie bindet Personal und Ressour-
cen, die an anderer Stelle fehlen. Die Wehrpflicht behindert damit den
Aufbau von modernen Streitkräften in einer freiheitlichen Demokratie. Mit
einem attraktiven freiwilligen Kurzdienst, der Frauen und Männern offen-
steht und der die Möglichkeiten verbessert, das Binnenleben der Bundes-
wehr und die Bundeswehr als Arbeitgeber kennen zu lernen, könnte der
Ausstieg aus der Wehrpflicht zum Abschluss gebracht werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Benachteiligung von Wehrdienstverweigerern bei der Einberufungspraxis
unverzüglich zu beenden,

2. nicht mehr Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einzuberufen als Wehr-
dienstpflichtige zum Wehrdienst,

3. die dadurch im Einzelplan 17 eingesparten Mittel vorrangig für den Ausbau
der Jugendfreiwilligendienste im In- und Ausland einzusetzen, um die ange-
botenen Freiwilligendienstplätze in den kommenden Jahren zu verdoppeln,

4. allen Wehrpflichtigen eine ersatzdienstfähige Freiwilligendienstoption im
In- und Ausland zu ermöglichen und die Benachteiligungen gegenüber
Nichtwehrpflichtigen zu beenden,

5. auf die außerplanmäßige Einberufung von bis zu 6 700 Grundwehrdienst-
leistenden zu verzichten,

6. in der Bundeswehr einen attraktiven freiwilligen Kurzdienst für Frauen und
Männer einzuführen,

7. eine kohärente Gesamtkonzeption für die verschiedenen Freiwilligendienste
zu entwickeln,

8. den Ausstieg aus der Wehrpflicht und die Konversion des Zivildienstes vor-
anzutreiben.

Berlin, den 25. November 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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