BT-Drucksache 16/1104

Anwendung der EU-Zins-Steuer-Richtlinie und massiver Kapitalabfluss aus Europa nach dem mittleren und fernen Osten

Vom 30. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1104
16. Wahlperiode 30. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thea
Dückert, Markus Kurth, Anna Lührmann, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg,
Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Anwendung der EU-Zins-Steuer-Richtlinie und massiver Kapitalabfluss
aus Europa nach dem mittleren und fernen Osten

Die Zins-Steuer-Richtlinie gilt seit Juli 2005 in allen 25 EU-Mitgliedstaaten. Sie
soll sicherstellen, dass Anleger ihre im EU-Ausland erzielten Zinsen in ihrem
Wohnsitzland versteuern. Entsprechende Regelungen gelten auch im Verhältnis
zur Schweiz, Andorra, Liechtenstein, Monaco und San Marino sowie zu den
Kanalinseln, der Isle of Man und abhängigen oder assoziierten Gebieten in der
Karibik.

22 EU-Staaten tauschen seit 1. Juli 2005 Auskünfte über die Zinserträge von
EU-Bürgern aus. Österreich, Belgien und Luxemburg beteiligen sich nicht an
dem Auskunftsverfahren. Sie behalten eine niedrige Quellensteuer ein. Der An-
leger bleibt anonym. 75 Prozent der durch diese Quellensteuer erzielten Einnah-
men erhält der Staat, in dem der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat.

Leider enthält die Zins-Steuer-Richtlinie erhebliche Regelungslücken. Damit
bieten sich dem Anleger vielfältige Möglichkeiten, die Zinsbesteuerung auf
legalem Wege zu umgehen, z. B. durch andere Geldanlageprodukte. Deshalb
sind bisher nur geringe Steuereinnahmen aus dem Ausland in Folge der Anwen-
dung der EU-Zins-Steuer-Richtlinie erzielt worden; eine Trendwende ist auch in
Zukunft nicht zu erwarten.

Neben diesen Umgehungsmöglichkeiten gibt es vielfältige weitere Strategien,
Erträge aus Kapitalanlagen steuerfrei im Ausland zu erzielen. Uns interessiert,
was die Bundesregierung konkret gegen diese weit verbreiteten Praktiken der
Steuerflucht unternimmt: in der Europäischen Union, bei den Neuverhandlun-
gen von Doppelbesteuerungsabkommen, bei den Vereinbarungen im Rahmen
der OECD und bei ihrer praktischen Finanz- und Außenpolitik auch im Rahmen
der G8.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass

einige europäische Länder mit dem Finanzmarkprodukt der „Ein-Mann-
Fonds“ werben, die mit einem liquiden Mindestvermögen von beispielsweise
1 Mio. Franken arbeitet, die es dem ausländischen Steuerpflichtigen ermög-
lichen, sein Privatvermögen zu „institutionieren“, also juristisch von der
natürlichen Person zu trennen, um sich so aller Steuerlasten zu entledigen
(vgl. dazu Kommentar in FAZ 4. Februar 2006, S. 26)?

Drucksache 16/1104 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Betrachtet die Bundesregierung diese steuerfreien „Ein-Mann-Fonds“ als
unlauteren Steuerwettbewerb im Rahmen des Europäischen Wirtschafts-
raum (EWR) und als aktive Umgehung des Vertrags zwischen der EU auf
der Grundlage der EU-Zins-Steuer-Richtlinie mit einigen europäischen
Ländern, und wenn ja, was wird die Bundesregierung dagegen unterneh-
men?

Befinden sich die Länder, die mit steuerfreien „Ein-Mann-Fonds“ werben,
auf den Schwarzen Listen der OECD?

3. Wie werden Gewinne deutscher Staatsbürger aus Anteilen an ausländischen
„Possession Trusts“ und „Life Interest Trusts“, die sich seit der Einführung
der Richtlinie in einer rechtlichen Grauzone befinden, steuerlich behandelt?

4. In welchem Maße haben nach der Einführung der Zinsrichtlinie Umschich-
tungen in die genannten und weitere Anlagen stattgefunden, die von der
Zinsrichtlinie nicht betroffen sind, beispielsweise Altanleihen, Fonds mit
weniger als 15 Prozent schädlichen Anleihen, thesaurierende Investment-
fonds mit einem Forderungsanteil bis zu 40 Prozent oder Versicherungsleis-
tungen?

5. Was gedenkt die Bundesregierung gegen die Praxis der Kanalinseln (Guern-
sey, Jersey) zu tun, ihre Unternehmenssteuern auf Null zu senken und so
systematisch die Umgehung der Zinsrichtlinie zu ermöglichen?

6. Wie reagiert die Bundesregierung in der EU und im Rahmen der Beratungen
der G8 auf die Tatsache, dass sich deutsche und europäische Banken mit
eigenen Beratungskapazitäten sowie mit Filialen im mittleren und fernen
Osten daran beteiligen, dass finanzstarke Kunden aus Gründen der Steuer-
freiheit den verstärkten Kapitalabfluss nach außereuropäischen Finanzplät-
zen wie z. B. Singapur und Dubai vorantreiben?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die verschiedenen Möglichkeiten der
legalen und illegalen Umgehung der Zinsbesteuerung im Rahmen der EU-
Zins-Steuer-Richtlinie, und was unternimmt die Bundesregierung auch auf
EU-Ebene gegen diese verbreitete Steuerumgehung?

8. Mit welchen Ländern finden zurzeit (Neu-)Verhandlungen über Doppel-
besteuerungsabkommen statt, und seit wann laufen diese jeweils?

9. Welche Aspekte sind in den jeweiligen Verhandlungen über Doppelbesteu-
erungsabkommen von besonderer Bedeutung und spielen insbesondere fol-
gende Punkte eine Rolle: Eine breitere Anwendung der Anrechnungsmetho-
de, die Einarbeitung von Missbrauchsklauseln sowie die Verstärkung der
zwischenstaatlichen und regionalen Amtshilfe?

10. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auch ohne Veränderung
der Doppelbesteuerungsabkommen bestehende Steuerschlupflöcher bei
Kapitalerträgen unilateral zu schließen?

11. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, Steuerumgehung
durch so genannte Tafelgeschäfte, die eine vollkommen anonyme Abwick-
lungsform von Kapitalanlagen ermöglichen, zu unterbinden?

12. Inwieweit betrachtet die Bundesregierung die Anwendung der EU-Zins-
Steuer-Richtlinie als Erfolg im Kampf gegen Steuerdumping angesichts der
Tatsache, dass die Schweizer Regierung bislang für das zweite Halbjahr
2005 lediglich 40 Mio. Euro (Handelsblatt 20. Februar 2006) veranschlagt
hat, um die anteiligen Forderungen aus der anonym abgeführten Quellen-
steuer an alle EU-Länder, die sich aus dem Abkommen der Schweiz mit der
EU ergeben, erstmals bedienen zu können?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1104

13. Wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen,
dass Gewinne aus kumulierenden Fonds, Hedgefonds, Derivaten sowie
Aktiengeschäften langfristig in den Geltungsbereich der Zinsrichtlinie auf-
genommen werden?

14. Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung im europäischen und interna-
tionalen Zusammenhang ergriffen, damit sich deutsche Staatsangehörige
ihrer Kapitalertragsbesteuerung nicht völlig entziehen können und wie be-
wertet die Bundesregierung die Erfolgsaussichten ihrer Initiativen?

15. Inwieweit hält die Bundesregierung die Praxis der US-Steuerbehörde IRS,
die Erfassung von Wertpapiererträgen zu Gunsten von US-Bürgern bei aus-
ländischen Banken weltweit mittels Kontrollmitteilungen durchzusetzen,
als ein für deutsche bzw. europäische Verhältnisse anwendbares Modell?

16. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für Deutschland gegen-
über ausländischen Banken, um seine fiskalischen Interessen an einer Quel-
lensteuer auf Wertpapiererträge von deutschen Staatsbürgern weltweit
durchzusetzen?

Berlin, den 30. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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