BT-Drucksache 16/10867

Anti-Rezessionsprogramm auflegen

Vom 12. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10867
16. Wahlperiode 12. 11. 2008

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael
Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link
(Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Anti-Rezessionsprogramm auflegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland befindet sich am Rande einer Rezession. Die Finanzkrise erreicht
die Realwirtschaft. Das Geschäftsklima hat sich in den letzten fünf Monaten zu-
nehmend eingetrübt. Die Signale aus wichtigen Wirtschaftssektoren, etwa aus
der Automobilindustrie und Teilen des Maschinenbaus, sind geradezu alarmie-
rend. Auftragseinbrüche und Kurzarbeit kommen wieder auf die Tagesordnung.
Die Verunsicherung im Einzelhandel vor dem wichtigen Weihnachtsgeschäft
wächst.

In einer solchen Situation ist von einer Regierung entschlossenes Handeln ge-
fragt. Doch die Bundesregierung ergeht sich in Einzelmaßnahmen. Ein Konzept
hinter der Auflistung von Gebäudesanierungsmaßnahmen, Autohilfen und
Handwerkersubventionen ist nicht zu erkennen. Im aufziehenden Wahljahr geht
es offensichtlich um die Bedienung von Klientelinteressen. Das beweist wieder
einmal: Die schwarz-rote Koalition hat keine gemeinsame Vorstellung davon,
wie Deutschland vorangebracht werden kann. Ökonomisch ist der vordergrün-
dige Aktionismus substanzlos und damit in der jetzigen konjunkturellen Situa-
tion brandgefährlich.

Wenn die Regierung Steuersenkungen eine Absage erteilt, zeigt das, wie wenig
volkswirtschaftlich dort gedacht wird. Ihre Begründung, Steuersenkungen seien
nicht zielgerichtet, zeugt von etatistischem Denken. Offenbar hält die Regierung
die Steuerzahler für unvernünftig. Die Unternehmen und ihre Mitarbeiter mit
ihrem Fleiß und ihren Ideen sind zwar in der Lage, soviel Markterfolg zu erzie-
len, dass sie den Finanzministern in Bund und Ländern immerhin mehr als eine
halbe Billion Euro Steuern in die Kasse zahlen. Die Sichtweise der schwarz-

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roten Koalition, mit zusätzlichem Netto würden die Bürger Unvernünftiges ma-
chen, während die Staatsbeamten, die sich bürokratische Ausgabenprogramme
ausdenken oder von Lobbyisten aufdrängen lassen, „zielgerichtet“ vorgehen, ist
Ausdruck von planwirtschaftlichem Denken. Die Bundesregierung will den
Konsum lenken. Der Kauf von Autos soll gefördert werden; der Kauf von Kühl-
schränken womöglich ebenfalls. Solche Bevorzugung von einzelnen Produkten
verzerrt Marktentscheidungen oder ruft eine schädliche Abwartehaltung bei den
Verbrauchern hervor, die der Binnenkonjunktur eher schaden als nutzen.

Wie widersprüchlich die Politik der schwarz-roten Koalition ist, zeigt der
Umgang mit der Pendlerpauschale. Diese wurde gekürzt. Jetzt soll der Kauf von
Autos mit subventionierten Krediten und der Aussetzung der Kfz-Steuer geför-
dert werden.

Deutschland braucht kein – wie auch immer bezeichnetes – Konjunktur-
progrämmchen, sondern ein handfestes Antirezessionsprogramm. Deshalb
müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden, die sowohl konjunkturell als auch
strukturell wirken und somit die langfristigen Wachstumskräfte in Deutschland
stärken. Neben Infrastrukturmaßnahmen können dies nur Steuer- und Abga-
bensenkungen sein.

Bei der Infrastruktur will die Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren
jeweils 1 Mrd. Euro zusätzlich investieren. Dieser Schritt war längst überfällig.
Er reicht aber bei weitem nicht aus. Allein für den Fernstraßenbau sehen Ver-
kehrsexperten eine jährliche Investitionslücke von 2 Mrd. Euro. Schon die
Regierungskommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ (Pällmann-Kom-
mission) hatte im Jahr 2000 für die Bundesfernstraßen einen Investitionsbedarf
von 7 Mrd. Euro pro Jahr nachgewiesen. Tatsächlich jedoch standen im Durch-
schnitt der letzten fünf Jahre jährlich nur 5 Mrd. Euro zur Verfügung. Gemessen
daran, bleiben Infrastrukturmaßnahmen unter Schwarz-Rot dramatisch unter-
finanziert.

Die Bundesregierung könnte im Bereich der Steuern und Abgaben sofort kon-
krete Maßnahmen ergreifen, die beiden Anforderungen – konjunkturelle Wirk-
samkeit und strukturelle Stärkung der Wachstumskräfte – genügen. Da ist zum
einen die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge, die vom Bun-
desverfassungsgericht spätestens von 2010 an verlangt wird. Diese Maßnahme
könnte ohne weiteres um ein Jahr vorgezogen werden. Außerdem sollte die Bun-
desregierung nicht das ausstehende Verfassungsgerichtsurteil zur Pendlerpau-
schale abwarten, sondern sofort die alte Regelung wiederherstellen.

Schließlich sollten die Sozialabgaben und damit die Lohnzusatzkosten gesenkt
bzw. zumindest nicht erhöht werden, wie das seit Amtsantritt der Koalition aus
CDU/CSU und SPD entgegen der eigenen Aussagen in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung (GKV) der Fall war. Allein mit dem Gesundheitsfonds und
dem damit einhergehenden bundesweit einheitlichen Beitragssatz zur GKV ist
eine gesetzlich verordnete Anhebung von 0,6 Beitragssatzpunkten verbunden.
An die Stelle dieser zentralistischen, bürokratischen Regelung müssen deshalb
wieder die Beitragsautonomie der gesetzlichen Krankenkassen und flexible Ver-
handlungslösungen treten. Zudem ist in der gesetzlichen Rentenversicherung
genügend finanzieller Spielraum, um den Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte zu
senken. Der für 2009 prognostizierte Überschuss in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung in Höhe von fast 3 Mrd. Euro sollte angesichts der wirtschaftlichen
Lage nicht zum weiteren Aufbau der bereits hohen Rücklagen der Rentenver-
sicherung, sondern zur Entlastung von Arbeitnehmern und Betrieben eingesetzt
werden.

Als Vertrauenssignal an die Unternehmer und Bürger sollte die Erbschaftsteuer
in die Kompetenz der Länder übergehen. Es ist zu erwarten, dass der föderale
Wettbewerb die heutige Steuerlast von rund 4 Mrd. Euro deutlich senken wird.

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Das Volumen dieser Maßnahmen im Umfang von bis zu 26 Mrd. Euro jährlich
entspricht etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was Ökonomen als
konjunkturell wirksame Größenordnung ansehen. Der wachstumsstärkende
Charakter ist für die Bürger und die Wirtschaft bedeutsamer und ökonomisch
wirkungsvoller als die von der Bundesregierung beabsichtigten Maßnahmen.
Doch die Regierung verweigert sich bislang, die notwendigen Entlastungen auf
den Weg zu bringen. Das ist mutlos. Das ist phantasielos. Das ist volkswirt-
schaftlich verantwortungslos.

Der Einwand, die Menschen würden die Entlastungen bei Steuern und Abgaben
nicht zum Konsum einsetzen, ist ökonomisch nicht haltbar. Ökonomische Stu-
dien belegen, dass zwei Drittel des zusätzlichen Einkommens in den Konsum
fließen. Außerdem gilt: Solange die Menschen das zusätzliche Nettoeinkommen
in die Geschäfte oder auf die Bank tragen, ist das volkswirtschaftlich völlig in
Ordnung. Denn das Sparen der einen ist Voraussetzung für das Investieren der
anderen. Fatal wäre es nur, wenn die meisten Menschen das zusätzliche Netto-
einkommen unters Kopfkissen legten. Aber dann ginge es nicht mehr um die Be-
kämpfung einer Rezession, sondern um das Hineinschlittern in eine Depression.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die vom Bundesverfassungsgericht geforderte steuerliche Absetzbarkeit der
Krankenkassenbeiträge schon für das Jahr 2009 zu vollziehen;

2. die Pendlerpauschale in der bis 2006 geltenden Form wieder einzuführen;

3. die Infrastrukturmittel an den tatsächlichen Bedarf anzupassen;

4. die Einführung des Gesundheitsfonds unverzüglich zu stoppen;

5. den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung zu senken;

6. die Erbschaftsteuer in die Gesetzgebungskompetenz der Länder zu überfüh-
ren.

Berlin, den 12. November 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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