BT-Drucksache 16/10830

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -Drucksachen 16/9415, 16/10689- Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes

Vom 10. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10830
16. Wahlperiode 10. 11. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert,
Frank Spieth und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
– Drucksachen 16/9415, 16/10689 –

Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Elterngeld ist eine sozialpolitische Mogelpackung. Erwerbslose, Studie-
rende und Eltern mit geringem Einkommen werden gegenüber dem bis 2007
geltenden Bundeserziehungsgeld schlechter gestellt. Arbeitslosigkeit, nied-
rige Löhne, prekäre Beschäftigung und unterbrochene Erwerbsbiografien
sind Gründe für die geringe Sicherungswirkung des Elterngeldes für die
Betroffenen.

2. Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Einführung eines Anspruchs auf
Elternzeit für erwerbstätige Großeltern in Fällen, in denen ein Elternteil des
zu betreuenden Kindes minderjährig ist oder sich in einer Ausbildung befin-
det, ist ohne die gleichzeitige Gewährung eines Anspruches auf Elterngeld
während der Elternzeit sozial ungerecht. Wer auf das Einkommen ange-
wiesen ist, kann einen solchen Anspruch auf Elternzeit nicht nutzen. Gerade
Familien in einer schwierigen finanziellen Situation würden von der Neu-
regelung, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, nicht profitieren. Die Einfüh-
rung eines Elternzeitanspruchs ohne finanzielle Absicherung ist außerdem
gleichstellungspolitisch problematisch, weil sie dafür sorgt, dass es gerade
die Frauen sind, welche die Unterstützungaufgabe übernehmen und auf ihr
häufig geringeres Einkommen verzichten.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine umfassende Reform des Elterngeldes auf den Weg zu bringen, die folgende
Eckpunkte enthält:

1. sofortige Anhebung des Mindestelterngeldes auf 450 Euro,

Drucksache 16/10830 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Einführung eines Elterngeldkontos von 12 Monaten pro Elternteil (24 Monate
für Alleinerziehende), welches flexibel in Mindestabschnitten von 2 Monaten
bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres des Kindes in Anspruch genommen
werden kann,

3. Verbesserung der Bedingungen der gleichzeitigen Teilzeitarbeit der Eltern
während des Elterngeldbezuges,

4. Verbesserung der Berechnung des Elterngeldes, Zuschläge und Sonder-
zahlungen sollen in die Berechnung einbezogen werden,

5. Einführung eines Großelterngeldes für Großeltern, die ihre Erwerbstätigkeit
unterbrechen oder einschränken, um den minderjährigen Elternteil bzw. ein
Elternteil in Ausbildung bei der Kinderbetreuung zu unterstützen, welches
an die Stelle des Elterngeldanspruchs der Eltern tritt,

6. Ausweitung der Anspruchsbedingungen für Großelterngeld und -zeit auf
Verwandte bis zum dritten Grad, unabhängig davon, ob sie mit dem zu be-
treuenden Kind in einem Haushalt wohnen, und auf sonstige Personen, die
zu Elternteil und Kind in einem sozialen Näheverhältnis stehen und mit
diesen in einem Haushalt wohnen.

Berlin, den 7. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Zu Abschnitt I

Die Elterngeldstatistik für das Jahr 2007 macht deutlich, dass viele Eltern mit
einem Anspruch auf das bis 31. Dezember 2006 bestehende Bundeserziehungs-
geld finanziell besser stehen würden als mit dem Elterngeld. Während das Bun-
deserziehungsgeld in Höhe von 300 Euro bis zu 24 Monate gezahlt wurde,
endet der Anspruch auf Elterngeld, welches in der Mindesthöhe ebenfalls 300
Euro beträgt, nach 12 Monaten bzw. 14 Monaten. Somit wurden gerade die
Ansprüche von Eltern mit geringen Einkommen oder ohne Arbeitsplatz
halbiert.

Die Möglichkeiten des Erreichens des Zieles des Elterngeldes, die finanzielle
Absicherung des Elternteiles nach einer Familiengründung zu gewährleisten,
ist abhängig von der Betroffenheit junger Eltern von Niedriglöhnen, Arbeits-
losigkeit, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und anderen Formen prekä-
rer Beschäftigung (Böckler Impuls 5/2008).

Zu Abschnitt II

1. Um Benachteiligungen von Erwerbslosen, Studierenden oder geringver-
dienenden Eltern zu vermeiden, ist eine Anhebung des Mindestelterngeldes
auf 450 Euro erforderlich. Diese Gruppe hatte vor der Einführung des
Elterngeldes bei 12-monatiger Bezugszeit Anspruch auf 450 Euro Erzie-
hungsgeld, beziehungsweise 300 Euro für 24 Monate. Gerade Eltern mit ge-
ringem Einkommen sind auf Unterstützung nach einer Familiengründung
angewiesen und haben Anspruch auf gesellschaftliche Solidarität. Von der
Anhebung des Mindestelterngeldes profitieren auch Eltern, die während des
Elterngeldbezuges in Teilzeit arbeiten und derzeit mindestens 300 Euro er-

halten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10830

2. Väter beantragen deutlich häufiger Elterngeld als dies beim Bundeserzie-
hungsgeld der Fall war. Deshalb ist die weitere Ausweitung des Instruments
der Partnermonate, wie sie unter anderem das Kompetenzzentrum Familien-
leistungen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt (Arbeitsbericht „Zukunft für Familie“, April 2008, S. 81), der not-
wendige nächste Schritt der Förderung des Engagements von Vätern in der
Sorgearbeit. Das Modell des Elternzeitkontos von 12 Monaten pro Eltern-
teil, welches Ausstiegszeiten bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres des
Kindes ermöglicht, wird dem Ziel erweiterter Gestaltungsmöglichkeiten für
Väter gerecht und wirkt außerdem entlastend für Familien auch über die
Kleinstkindphase hinaus. Denn so werden auch in späteren Lebensjahren
des Kindes (z. B. bei Schul- oder Vorschulbeginn) Auszeiten oder Arbeits-
zeitreduzierungen eines Elternteiles sozial abgesichert.

3. Die derzeitige Ausgestaltung des Elterngeldes führt bei gleichzeitigem Teil-
elterngeldbezug der Eltern (wenn zum Beispiel beide Eltern ihre Wochen-
arbeitszeit auf 20 Stunden reduzieren und sich die Kinderbetreuung teilen)
zu einer Halbierung ihrer Ansprüche. Nach 7 Monaten ist der Elterngeld-
anspruch im genannten Fall aufgebraucht, die Auszeit eines Elternteiles
wird stattdessen bis zum 12. Lebensmonat des Kindes gefördert (bei Auszeit
beider Eltern nacheinander bis zum 14. Lebensmonat). Dies bedeutet eine
klare Bevorzugung des Modells des vollen Elterngeldbezuges und benach-
teiligt Eltern, die bei einer gleichzeitigen Reduzierung ihrer Arbeitszeit das
Kind gemeinsam erziehen. Bereits im Jahr 2006 haben der Deutsche Juris-
tinnenbund e.V., die Arbeiterwohlfahrt und das Zukunftsforum Familie e. V.
darauf hingewiesen, dass bei gleichzeitiger Teilzeitarbeit der Eltern jeweils
nur ein halber Elterngeldmonat als verbraucht gelten sollte. Dieser Vor-
schlag ist praktikabel und beendet die Diskriminierung von Eltern, die sich
Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung partnerschaftlich teilen wollen.

4. Die Berechnung des Elterngeldes ist an vielen Stellen zu restriktiv aus-
gestaltet, um den Arbeitsbedingungen junger Menschen in der heutigen
Gesellschaft ausreichend Rechnung zu tragen und für eine angemessene
Existenzsicherung durch das Elterngeld zu sorgen. Die Nichtberücksichtigung
von Einmalzahlungen wie Weihnachtsgeld und steuerfreien Lohnbestandtei-
len wie Schichtarbeitszuschlägen führt zu geringeren Elterngeldansprüchen,
ebenso die fehlende Möglichkeit, kurzzeitige nicht schwangerschaftsbe-
dingte Erwerbsunterbrechungen im Jahr vor der Geburt (Arbeitslosigkeit),
nicht elterngeldmindernd zu berücksichtigen.

5. Die Einführung der Großelternzeit für erwerbstätige Großeltern, wenn ein
Elternteil minderjährig ist oder gerade die Schule abschließt, ist als Gestal-
tungsmöglichkeit in einer schwierigen familiären Situation zu begrüßen.
Minderjährige Eltern und Eltern in Ausbildung brauchen viel Unterstützung.
Es ist zu begrüßen, dass Großeltern die Möglichkeit erhalten sollen, ihre Er-
werbstätigkeit zu unterbrechen oder einzuschränken, um in diesen Fällen für
Kinder und Enkel da zu sein. Es ist allerdings unverständlich, warum die
Großeltern in diesen Fällen nur den Anspruch auf Elternzeit, nicht aber auch
einen Anspruch auf Elterngeld bekommen sollen. Wer auf das Einkommen
angewiesen ist, kann mit einem Anspruch auf Elternzeit allein nichts anfan-
gen. Von den betroffenen Großeltern einen Ausstieg aus dem Beruf oder eine
Teilzeittätigkeit zu erwarten, ohne ihre Existenz durch eine staatliche Geld-
leistung zu sichern, ist unrealistisch und unsozial. Außerdem ist eine solche
Regelung gleichstellungspolitisch problematisch, weil so gerade die Frauen
aufgefordert werden, die Fürsorgeaufgabe zu übernehmen und auf ihr (häufig
geringeres) Einkommen zu verzichten.

Drucksache 16/10830 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. Der Berechtigtenkreis und die Anspruchsbedingungen der Großelternzeit und
des Großelterngeldes in besonderen Fällen sind im Gesetzentwurf zu restrik-
tiv geregelt. Auch wenn der Großelternteil nicht mit dem Kind in einem Haus-
halt lebt, sollte ein Anspruch gewährt werden. Denn familiäre Solidarität
hängt nicht vom gemeinsamen Haushalt ab und kann auch in anderen Zusam-
menhängen gelebt werden. Nicht immer ist der gemeinsame Haushalt von
Großeltern, Eltern und Enkelkind in den im Gesetzentwurf benannten Fällen
die beste Lösung für alle Beteiligten. Gerade junge Eltern verdienen die Mög-
lichkeit, in einem eigenen Haushalt ihr Familienleben zu gestalten und zu
lernen, Verantwortung als Eltern zu übernehmen, ohne dass dadurch wichtige
Unterstützungsnetzwerke von Gesetzes wegen abgeschnitten werden. Solida-
rität findet aber nicht nur in einer Eltern- Kind-Beziehung statt. Deshalb sollte
der Anspruch auf Großelternzeit und Großelterngeld in besonderen Fällen auf
sonstige Verwandte ausgedehnt und unter der Bedingung des gemeinsamen
Haushalts mit Kind und Elternteil auch sonstigen Dritten, welche die Be-
treuung tatsächlich übernehmen (z. B. Freundin), die Möglichkeit der Eltern-
zeit und des Elterngeldbezuges eingeräumt werden.

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