BT-Drucksache 16/10829

zum Antrag der Bundesregierung -16/10720, 16/10824 - Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Vom 11. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10829
16. Wahlperiode 11. 11. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Norman
Paech, Alexander Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion
DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/10720, 16/10824 –

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der
Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die
USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des
Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und
1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bislang hat die Bundesregierung den US-geführten OEF-Einsatz (OEF: Opera-
tion Enduring Freedom) uneingeschränkt unterstützt und damit erhebliche Mit-
verantwortung für das weitere Abgleiten des Krieges in Afghanistan übernom-
men. Inzwischen steht die Bundesregierung mit ihrer Unterstützung für den US-
geführten Krieg mit dem Rücken zur Wand. Die Widersprüche zwischen Ziel-
setzung und Realität, zwischen nationalen wie internationalen rechtlichen
Grundlagen und tatsächlichen Handlungen sind immer schwieriger zu über-
decken. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) beteiligte sich zumindest in den
Anfangsjahren an den Kampfoperationen in Afghanistan. Das KSK war über die
Menschenrechtsverletzungen der anderen OEF-Einheiten im Umgang mit den
festgenommenen mutmaßlichen Terroristen in Afghanistan informiert und be-
teiligte sich sogar im Rahmen einer Gefangenenüberwachung daran. Deutsche
Fregatten im Mittelmeer und am Horn von Afrika gewährten US-Kriegsschiffen
Geleitschutz für den Angriff auf den Irak und überschritten damit die Grenzen

des Bundestagsmandats. Jetzt haben sich deutsche Einheiten mit OEF-Auftrag
bereits mehrfach bei Operationen gegen Piraterie vor der Küste Somalias betei-
ligt.

Der Versuch der Bundesregierung, mit der Ankündigung, in Zukunft unter OEF
keine KSK-Soldaten mehr einzusetzen, Vorbehalte im Deutschen Bundestag
und in der Öffentlichkeit auszuräumen, ist lediglich eine durchsichtige Fortset-
zung des bisherigen Taktierens und Täuschens. Die KSK-Soldaten können nach

Drucksache 16/10829 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

wie vor in Afghanistan eingesetzt werden – eben nur im Rahmen von ISAF
(Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe). Gleiches gilt für die auch
vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Organklage der Fraktion
DIE LINKE. am 3. Juli 2007 angemahnte klare Trennung zwischen OEF und
dem UN-mandatierten ISAF-Einsatz. In der Praxis verfolgen beide längst eine
gemeinsame Kriegsführungsstrategie; die Waffen und Aufklärungsmittel für
die Luftangriffe kommen weitestgehend aus einem gemeinsamen Pool.
Gemeinsame Operationen von OEF und ISAF finden statt. Seit Oktober 2008
ist der US-amerikanische ISAF-Kommandeur de facto auch Kommandeur des
größten Teils der US-amerikanischen OEF-Einheiten.

Grundsätzlich gilt: Auch nach sieben Jahren bleibt die von den USA geführte
Operation Enduring Freedom den Beweis schuldig, dass durch diesen Militär-
einsatz der internationale Terrorismus erfolgreich bekämpft werden kann. Insbe-
sondere in Afghanistan haben die Einsätze der OEF-Truppen zu einer Ver-
schlechterung der Sicherheitslage geführt. Über die Jahre hinweg hat die Jagd
auf Terroristen in Afghanistan zum Wiedererstarken bewaffneter Gruppen ge-
führt. Inzwischen haben sich neben den Taliban weitere aufständische Gruppen
organisiert, die die Regierung Hamid Karzai und die ausländischen Soldaten
bekämpfen. Der so genannte Anti-Terror-Krieg im Rahmen von OEF führt zu
immer mehr zivilen Opfern. Im ersten Halbjahr 2008 wurden erneut mehr als
1 800 Bomben aus alliierten Kampfflugzeugen abgeworfen – bereits jetzt mehr
als im gesamten Jahr 2006. Die Instrumentalisierung von und das Schüren der
Angst vor terroristischen Angriffen hat auch im Rahmen von OEF dazu geführt,
dass elementarste Menschenrechte für viele Menschen außer Kraft gesetzt wur-
den, wie die Gefängnisse in Bagram und Guantanamo zeigen.

Der so genannte Krieg gegen den Terrorismus darf nicht dazu führen, dass einem
Staat oder einer Staatengruppe Sondervollmachten erteilt werden und deren
Streitkräfte einen „Blankoscheck“ für militärische Einsätze erhalten. Die USA
können nicht glaubwürdig belegen, dass es weiterhin notwendig ist, die Bestim-
mungen des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5
des Nordatlantik-Vertrags in Anspruch zu nehmen. Keine Veröffentlichung der
US-Regierung zum Terrorismus liefert Indizien dafür, dass ein organisierter An-
griff auf das US-Territorium bevorsteht. Die von der US-Regierung gesammel-
ten Zahlen zu terroristischen Vorfällen zeigen dagegen deutlich, dass der welt-
weite Anstieg des Terrorismus eng verknüpft ist mit der Kriegsführung der USA
und der NATO (Organisation des Nordatlantikvertrags) im Irak und in Afghanis-
tan. Auch 2007 fanden nach Angaben des National Counterterrorism Center
etwa 45 Prozent der registrierten terroristischen Vorfälle – also 7 339 von 14 999
– dort statt.

Die nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags von der NATO ausgestellte „Blanko-
vollmacht“ für den Einsatz militärischer Gewalt hat zu einer Instrumentalisie-
rung des OEF-Einsatzes für andere Zwecke geführt. 2003 dienten die im Rahmen
von OEF am Horn von Afrika und im Persischen Golf und im Rahmen der
Operation Active Endeavour (OAE) eingesetzten Schiffe dem Geleitschutz von
US-amerikanischen und britischen Kriegsschiffen für den völkerrechtswidrigen
Angriff auf den Irak. Die USA und die NATO missbrauchen den Aufenthalt ihrer
Kriegsschiffe im Mittelmeer und am Horn von Afrika für die Erfassung, Analyse
und Kontrolle des gesamten Schiffsverkehrs. Erwiesenermaßen wurden weder
bei der OAE noch bei der maritimen Komponente von OEF Terroristen gefasst
oder von Terroristen genutzte Versorgungswege entdeckt und erfolgreich gestört.
Es gab keine weiteren Versuche von Terroristen, die USA anzugreifen. Um eine
nun zusätzliche Berechtigung für ihre permanente Anwesenheit in der Region zu
erhalten, will die für das Horn von Afrika zuständige Task Force 150 der OEF
nun auch eine sichtbare Rolle bei der Bekämpfung der Piraterie spielen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10829

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist nicht in der Lage – aufgrund des
Vetorechts der USA, Frankreichs und Großbritanniens – die Inanspruchnahme
des Rechts auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Satzung der Vereinten
Nationen zu beenden. Der NATO-Rat ist nicht bereit, den „Blankoscheck“ für
militärische Unterstützungsmaßnahmen nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags
aufzuheben, da dieser Zustand den NATO-Staaten ein breites militärisches
Handlungsfeld zur Durchsetzung ihrer geopolitischen Interessen bietet. Aus
diesem Grund kann die für den internationalen Frieden und die Sicherheit
notwendige Beendigung des inzwischen völkerrechtswidrigen Kriegs gegen den
Terrorismus nur durch Beendigung nationaler Unterstützungszusagen eingelei-
tet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom und an der
Operation Active Endeavour unverzüglich zu beenden;

2. keine anderen Maßnahmen im Rahmen des 2001 beschlossenen Bündnisfalls
zu ergreifen;

3. innerhalb des NATO-Bündnisses auf die sofortige Aufhebung des 2001 be-
schlossenen Bündnisfalls hinzuwirken.

Berlin, den 4. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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