BT-Drucksache 16/1082

Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten

Vom 28. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1082
16. Wahlperiode 28. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Eva Bulling-Schröter,
Lutz Heilmann, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Roland Claus, Katrin Kunert,
Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und
der Fraktion DIE LINKE.

Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Energiepolitik der Bundesregierung ist sozial ungerecht und schürt inter-
nationale Konflikte.

Die aktuellen Entwicklungen auf dem Energiemarkt bedrohen angesichts der
bestehenden Infrastruktur die Stabilität der Volkswirtschaft der Bundesrepu-
blik. Die hohen Kosten für Energie entziehen der Allgemeinheit dringend benö-
tigte Mittel für den Ausbau einer sozialen und ökologischen Energieversor-
gung.

Die hohe Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Energieträgern und die
damit verbundene Importabhängigkeit bei den Energierohstoffen sowie die
oligopole Struktur der Energieversorgungswirtschaft in Deutschland treiben die
Preise für Energie nach oben. Die nationalen Klimaschutzziele rücken in weite
Ferne. CO2-Minderungen, die Energiewirtschaft und Industrie nicht leisten
wollen, werden auf die privaten Haushalte abgewälzt.

Die Preisentwicklung bei den fossilen und nuklearen Energieträgern kann von
Deutschland kaum beeinflusst werden. Sie hängt beim Rohöl von der hohen
Nachfrage ab, insbesondere derer aufstrebender Wirtschaftsnationen wie Indien
und China. Die Rohstoffknappheit schürt internationale Konflikte und Aus-
einandersetzungen, wie im nahen Osten und in Afrika.

Die starke nachfragebedingte Überlastung der Förderkapazitäten in den Erdöl
produzierenden Staaten birgt hohe Risiken für die Lieferstabilität. Extreme
Wetterereignisse, wie Wirbelstürme und Kältewinter sowie Spekulationen an
der Börse erhöhen dieses Risiko. Eine Bindung des Gaspreises an den Ölpreis
ist daher nicht gerechtfertigt.
Der Ausstieg aus der unbeherrschbaren Atomenergie muss beschleunigt werden.

Die Nutzung der Atomenergie ist in keiner Weise geeignet, die Versorgungs-
sicherheit, die Preisgestaltung und den Klimaschutz zu verbessern. Vielmehr
birgt die Nukleartechnik hohe Risiken für die Gesundheit der Menschen und
die Umwelt. Die Atomtechnik ist nicht beherrschbar und führt zu militärischem
Missbrauch; eine sichere Endlagerung ist kaum realisierbar. Beim Brennstoff

Drucksache 16/1082 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Uran beträgt die Importabhängigkeit für die Bundesrepublik Deutschland
100 Prozent. Die Uranvorkommen reichen nur noch wenige Jahrzehnte.

Aus diesen Gründen wird einzelnen Forderungen nach der Verlängerung von
Laufzeiten bei den noch in Betrieb befindlichen Atomreaktoren eine klare Ab-
sage erteilt. Vielmehr sind alle Maßnahmen zu prüfen, um die Laufzeiten der
gefährlichen Anlagen weiter zu verkürzen. Ein Ausbau der Atomenergie ist
abzulehnen. Der Beschluss zum Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie ist
Voraussetzung für eine seriöse Endlagerfindung.

Der Emissionshandel muss die Klimasünder wirksamer bekämpfen.

Im Energiebereich steigen die absoluten Kohlendioxid-Emissionen seit dem
Jahr 2000 wieder an. Besorgnis erregende Klimagaszuwächse sind auch im
Verkehrsbereich beim Flug- und Lkw-Verkehr zu verzeichnen. Die hier verur-
sachten Mehremissionen machen die Klimagaseinsparungen in den anderen
Bereichen nahezu vollständig zunichte. Insgesamt stagniert der Ausstoß von
Treibhausgasen auf hohem Niveau.

Die Bundesregierung bindet die Energieversorgungsunternehmen nicht kon-
sequent in den europäischen Emissionshandel ein. Vielmehr befördert die Aus-
gestaltung der Übertragungsregelung für die Emissionsrechte von alte auf neue
Kraftwerke den Bau klimaschädlicher Kohlekraftwerke.

Die Stromerzeugungsunternehmen wälzen darüber hinaus einen Großteil der
Zertifikatskosten auf die Strompreise ab, obwohl die Emissionsrechte kostenlos
von der Bundesregierung an sie ausgereicht wurden. Dadurch entstehen bei
Betreibern von fossilen und nuklearen Kraftwerken gegenwärtig beträchtliche
unerwartete Einnahmen. Diese nicht gerechtfertigten Gewinne der Energiever-
sorgungsunternehmen sind neben dem Anstieg der Rohstoffpreise der Haupt-
grund für die gestiegenen Stromkosten am Großhandelsmarkt für Strom.

Die Energiekartelle ziehen den Bürgerinnen und Bürgern das Geld aus der
Tasche.

Der erhoffte Wettbewerb durch die Liberalisierung des Energiemarkts ist er-
wartungsgemäß ausgeblieben. Vielmehr hat die unbeschränkte Marktöffnung
eine enorme Konzentration in der Energieversorgungswirtschaft nach sich ge-
zogen. Im Ergebnis wurden Oligopole mit nahezu abgeschotteten Strukturen
geschaffen.

Vier Verbundunternehmen beherrschen den Strom- und Gasmarkt, erzeugen
80 Prozent des Stroms, besitzen und betreiben 100 Prozent des Höchstspan-
nungsnetzes und kontrollieren mittels regionaler und kommunaler Tochter- und
Beteiligungsgesellschaften etwa zwei Drittel der Stromverteilung und Belie-
ferung der Endverbraucher.

Diese Unternehmen erzielen aus ihrer marktbeherrschenden Stellung erheb-
liche Gewinne, die die Hauptursache für die stark überhöhten Energiepreise in
Deutschland sind. Sie werden bewusst dazu eingesetzt, die marktbeherrschende
Stellung europaweit durchzusetzen. Das hat weiter steigende Energiepreise für
die Verbraucherinnen und Verbraucher zur Folge und behindert die Entwick-
lung einer nachhaltigen Energieversorgung zugunsten von erneuerbaren Ener-
gien, Energieeffizienz und Energieeinsparung.

Die Verbraucher mussten im Jahr 2005 rund 7 Mrd. Euro mehr für Energie auf-
wenden als im Vorjahr. Die Kosten für Strom sind für die Bürgerinnen und Bür-
ger seit dem Jahr 2000 um 40 Prozent gestiegen und liegen heute höher als vor
der Strommarktliberalisierung 1998. Die aktuellen Strompreissteigerungen sind
nicht auf die Steuer- und Abgabensysteme des Bundes zurückzuführen; viel-

mehr profitiert hiervon insbesondere die Industrie durch Sonderregelungen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1082

Staatliche Lenkungsinstrumente müssen gerecht eingesetzt werden.

Die nachhaltigen Lenkungsinstrumente Erneuerbare-Energien-Gesetz und
Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz belasten die Verbraucherinnen und Ver-
braucher nicht spürbar. Die geringen Mehrkosten werden durch die positiven
externen Effekte der erneuerbaren Energien, wie Umweltentlastung, Res-
sourcenschonung, höhere Versorgungssicherheit und deutliche Impulse für
neue Beschäftigungsmöglichkeiten, ausgeglichen.

Die Ökosteuer ist in ihrer bisherigen Form nicht geeignet, eine ausreichend
soziale und ökologische Lenkung zu erzielen: Von der Entlastung bei den
Lohnnebenkosten profitieren arme Haushalte mit geringem Einkommen sowie
Hartz-IV-Empfänger, Studierende und Rentnerinnen und Rentner kaum; die
Einnahmen werden in einem viel zu geringen Maße für den Ausbau einer
nachhaltigen Energieversorgung eingesetzt.

Das geplante CO2-Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung wird als
Schritt in die richtige Richtung angesehen. In der Höhe seiner finanziellen Aus-
stattung und durch die fehlende Schwerpunktsetzung ist es jedoch nicht geeig-
net, die Klimagasbelastungen wirksam zu bekämpfen.

Biokraftstoffe müssen nachhaltig gefördert werden.

Das Vorhaben der Bundesregierung, die Entwicklung und Markteinführung
einer breiten Palette von Biokraftstoffen durch eine unangemessene Steuerpoli-
tik zu behindern, wird missbilligt. Eine Beimischungspflicht in Verbindung der
Abschaffung der Steuerbefreiung verhindert eine nachhaltige Ausrichtung des
Mobilitätssektors und vernichtet Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen der
Bundesrepublik Deutschland.

Die Einführung von Biokraftstoffen darf zudem nicht dazu führen, die Auto-
mobilindustrie aus ihrer Pflicht zu entlassen, sparsamere und schadstoffärmere
Fahrzeuge zu produzieren. Das Ziel, den Kohlendioxidausstoß bei Neufahr-
zeugen auf maximal 120 Gramm pro Kilometer zu begrenzen, muss die Auto-
mobilindustrie ohne den Einsatz von Biokraftstoffen erreichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich eindeutig zu einer sozial gerechten und ökologisch verträglichen und
somit nachhaltigen Energiepolitik zu bekennen, die auf den Einsatz erneuer-
barer Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung begründet ist sowie
die schnellstmögliche Abkehr von fossilen und nuklearen Energieträgern
beinhaltet (Nachhaltigkeit);

2. die Stromnetze ab 110 Kilovolt und die Gasnetze ab 300 Millimeter als
Allgemeingut zu definieren und per Gesetz in die öffentliche Hand zu
übertragen sowie auf der Ebene darunter Bürgerenergienetze mit wirksamen
Instrumenten zu fördern;

3. die Energieinfrastruktur konsequent auf die Nutzung von erneuerbaren Ener-
gien, Kraft-Wärme-Kopplung und dezentrale Energieerzeugung auszurich-
ten sowie die Anzahl der Netzkuppelstellen für den grenzüberschreitenden
Energiehandel deutlich zu erhöhen;

4. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass weitere Marktkonzentrationen
bei den Energieversorgern und damit europaweite Oligopole verhindert wer-
den sowie die Schaffung einer europäischen Regulierungsbehörde unter-
stützt wird, die sowohl die Netz- als auch die Erzeugungsstrukturen wirksam
reguliert (Energiestruktur);

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5. die wirksame Einbeziehung der Kohle in den Emissionshandel vorzuneh-
men, indem die Bevorteilung bei der Übertragung von Emissionsrechten
von alte auf neue Kraftwerke aufgehoben wird;

6. im zweiten Schritt des nationalen Allokationsplans die Emissionsrechte-
Verteilung strenger zu handhaben sowie zehn Prozent der Zertifikate ver-
steigern (Klimaschutz);

7. am Beschluss zum Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie festzuhalten,
den Ausstieg zu forcieren und ihren Willen dazu dadurch zu bekräftigen,
dass Restlaufzeitüberschreibungen von neuere auf ältere Atommeiler unter-
bunden werden;

8. die indirekte Förderungen der Atomenergie über EURATOM und das
internationale Generation-IV-Forum umgehend einzustellen;

9. umgehend ein standortunabhängiges Suchverfahren für ein atomares End-
lager einzuleiten, unter der Voraussetzung einer breiten und wirksamen
öffentlichen Beteiligung, sowie bis zum Abschluss des Verfahrens eine
Nutzung von Schacht Konrad und Gorleben auszuschließen (Atomaus-
stieg);

10. mittels des Erneuerbare-Energien-Gesetzes den konsequenten Ausbau der
erneuerbaren Energien voran zu treiben, um dadurch die Versorgungs-
sicherheit und Preisstabilität auf dem deutschen Energiemarkt zu erhöhen;

11. unverzüglich analog zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ein regeneratives
Wärmegesetz auf den Weg zu bringen und die Einspeisung von Biogas ins
Erdgasnetz sicherzustellen;

12. die Ökosteuer dahin gehend auszurichten, dass mit den Einnahmen mehr-
heitlich der Ausbau erneuerbarer Energien, der Einsatz energieeffizienter
Techniken und Energieeinsparungen wirksam gefördert werden, und dass
arme Haushalte, wie Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger, einen
Ausgleich für die steigenden Energiepreise erhalten. Die Bevorteilung der
Industrie bei der Ökosteuer ist aufzuheben;

13. die Mehreinnahmen des Bundes bei der Mehrwertsteuer, die durch den
Energiepreisanstieg seit dem Jahr 2005 zustande gekommen sind, an die
Verbraucherinnen und Verbraucher über ein effektives Förderprogramm zur
Energieeinsparung zurück zu geben;

14. das CO2-Gebäudesanierungsprogramm deutlich höher auszustatten als bis-
her geplant und damit nur Maßnahmen zu fördern, die über die Energie-
einsparverordnung hinaus effektive Klimagassenkungen bewirken und den
Passivhausstandard als zu erreichenden Maßstab anerkennen sowie die
Umrüstung von Kohleheizungen in Privathaushalten auf energiesparende,
klimaverträgliche Heiztechniken zu unterstützen;

15. einen bedarfsorientierten Gebäudeenergiepass festzuschreiben, der neben
dem aktuellen Energieverbrauch auch Energieeinsparpotentiale darstellt;
Mieter müssen zukünftig das Recht haben, bei ausbleibender Energiesanie-
rung Mietminderungen geltend zu machen;

16. durch die Ausgestaltung ordnungsrechtlicher Instrumente erreichbare Ener-
gieeffizienz- und Energieeinspar-Maßnahmen durchzusetzen; dies gilt ins-
besondere für die Energiekennzeichnung bei Verbrauchsgeräten, die Strom-
kennzeichnung und den Gebäudeenergiepass (Lenkungsinstrumente);

17. die Automobilindustrie und den Flugverkehr unter Zuhilfenahme ord-
nungsrechtlicher und steuerlicher Instrumente zu verpflichten, die Kyoto
bezogenen Senkungsziele bei den Klimagasen einzuhalten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/1082

18. die Verwendung der im Inland erzeugten biogenen Kraftstoffe auf breiter
Basis mittels steuerlicher Bevorzugung und geeigneter Programme auf
Grund ihres Klimaschutzvorteils gegenüber den mineralischen Kraftstoffen
zu fördern (Verkehr).

Berlin, den 27. März 2006

Hans-Kurt Hill
Dr. Gesine Lötzsch
Eva Bulling-Schröter
Lutz Heilmann
Dr. Dietmar Bartsch
Heidrun Bluhm
Roland Claus
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dorothee Menzner
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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