BT-Drucksache 16/10625

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/9559, 16/10609- Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG)

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10625
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily,
Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Michael Kauch, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/9559, 16/10609 –

Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen
in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das GKV-OrgWG beschreitet den mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsge-
setz (GKV-WSG) begonnenen Weg weiter, von Wettbewerb zu reden, aber
durch die geschaffenen Regelungen stattdessen den Weg in ein zentralis-
tisches Einheitssystem zu ebnen. Den gesetzlichen Krankenkassen wird die
Beitragsautonomie genommen. Der bundesweit einheitliche Beitragssatz
wird auf einem Niveau festgesetzt, das nach Aussagen derjenigen, die die
Gesundheitsversorgung finanzieren, der gesetzlichen Krankenversicherung,
nicht geeignet ist, die Gesundheitsausgaben zu 100 Prozent abzudecken. Eine

Liquiditätsreserve ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhanden. Sie wird auch
nur in reduziertem Maße schrittweise erfolgen können, weil die Finanzmittel
zur Erfüllung der Konvergenzklausel, die einzelne Bundesländer in der Über-
gangszeit vor Überforderung schützen soll, aus diesen Mitteln für die Liqui-
ditätsreserve bestritten werden sollen und nicht durch diejenigen, die von den
Neuregelungen profitieren. Gerade auch im Hinblick auf die zu erwartende
deutliche konjunkturelle Abschwächung führt das Nichtvorhandensein einer

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ausreichenden Liquiditätsreserve zudem zu unkalkulierbaren Belastungen
für den Bundeshaushalt. Für die gesetzlichen Krankenkassen wächst die
Gefahr einer Schließung oder Insolvenz abhängig von dem Grad der Unter-
deckung. Die Schließung oder Insolvenz einer Krankenkasse belastet über
die kassenarteninternen und kassenartenübergreifenden Hilfen wiederum an-
dere Krankenkassen, die hierfür keine Reserven haben. Das kann zu einem
höchst gefährlichen Kaskadeneffekt führen, der die Leistungsfähigkeit der
gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt in Frage stellt.

2. Funktionsfähiger Wettbewerb setzt einen soliden Rahmen voraus, der mit den
allgemein anzuwendenden wettbewerbs- und kartellrechtlichen Regelungen
vorhanden ist. Sie müssen deshalb komplett auch in der GKV zur Anwen-
dung kommen und nicht nur einzelne Vorschriften. Das trifft ganz besonders
auf die Verhinderung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
zu. Je stärker die Tendenz zu Fusionen ist, umso wichtiger sind entspre-
chende Handlungsmöglichkeiten für das Bundeskartellamt.

3. § 69 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) wird gestrichen im Hin-
blick auf die Notwendigkeit, im Bereich der Beziehungen der Krankenkassen
untereinander sowie zu den Anbietern von Gesundheitsleistungen einen trag-
fähigen wettbewerbs- und kartellrechtlichen Rahmen zu schaffen, der den
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verhindert und damit uner-
wünschte Folgen für die Marktstrukturen. Die nur selektive Anwendung ein-
zelner Regelungen des Wettbewerbs- und Kartellrechts, die z. B. die Anwen-
dung des Kartellverbots nach § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän-
kungen (GWB) nicht zur Anwendung kommen lässt, führt zu unkontrollier-
baren Konzentrationsprozessen, die den Weg in eine Einheitsversicherung,
nicht jedoch in einen funktionsfähigen Wettbewerb ebnen.

4. Um zu verhindern, dass die einheitliche Anwendung der Vergaberechtsnor-
men in allen Wirtschaftsbereichen durch unterschiedliche Instanzenzüge ge-
fährdet wird und zu erheblicher Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung
führt, wird klargestellt, dass der Rechtsweg bei vergaberechtlichen Streitig-
keiten, auch wenn sie die gesetzliche Krankenversicherung betreffen, in
zweiter Instanz ausschließlich bei den Oberlandesgerichten liegt. Die vorge-
sehenen Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen sind
ebenfalls nicht zielführend. Sie führen nicht zu mehr Rechtssicherheit. Die
Ausschreibungspflicht wird durch die vorrangigen Vorschriften des EU-Ver-
gaberechts sowie des nationalen Vergaberechts geregelt. Das systemfremde
Kriterium, das bei Anwendung der, Angelegenheiten der GKV betreffenden,
Vorschriften des GWB der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkas-
sen besonders zu berücksichtigen ist, sollte nicht zur Anwendung kommen.
Es widerspricht der ordnungspolitischen Basis des deutschen Kartellrechts
und führt zu Unklarheiten darüber, wie dieses Kriterium im Verhältnis zu den
vergabe- und wettbewerbsrechtlichen Kriterien zu bewerten ist.

5. Klare insolvenzrechtliche Regelungen sind grundsätzlich zu begrüßen. Aller-
dings ist die Übertragung des Insolvenzrechts auf Körperschaften des öffent-
lichen Rechts, deren Handlungsspielraum weitgehend durch die Politik be-
stimmt wird und durch den Gesundheitsfonds mit seinen Implikationen noch
einmal drastisch reduziert worden ist, problematisch. Die Regelungen der
Insolvenzordnung lassen sich nicht einfach auf ein staatlich determiniertes
System anwenden. Gerade auch das Kriterium der drohenden Zahlungsunfä-
higkeit ist nicht zielführend. Das Bundesversicherungsamt weist zu Recht
daraufhin, dass die Prognose über eine drohende Zahlungsunfähigkeit im
Wesentlichen von der Einschätzung der zukünftigen Höhe der Zuweisungen
abhängt, die ihrerseits wieder von der Höhe des allgemeinen Beitragssatzes

abhängt. Prognosen zur drohenden Zahlungsunfähigkeit sind damit maximal
bis zum Jahresende möglich, da sich die Liquiditätssituation im darauf fol-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10625

genden Jahr aufgrund einer Anpassung des Beitragssatzes und der Zuweisun-
gen grundlegend ändern kann. Es müsste deshalb noch einmal eingehend
geprüft werden, ob das Schließungsrecht des SGB V nicht der bessere Weg
ist, nicht mehr wirtschaftlich arbeitende Krankenkassen vom Markt zu neh-
men. Es soll aber bei der Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen blei-
ben, über einen längeren Zeitraum gestreckt Deckungskapital für die Versor-
gungsverpflichtungen zu bilden. Es soll auch bei der Annäherung der für die
Krankenkassen geltenden Rechnungslegungsvorschriften an die im Handels-
gesetzbuch geltenden Grundsätze einer ordnungsgemäßen Buchführung und
Bilanzierung bleiben, um Verlässlichkeit und Transparenz zu verbessern.

6. Um den gesetzlichen Krankenkassen den Handlungsspielraum zu verschaf-
fen, der notwendig ist, um eine gute Gesundheitsversorgung im Wettbewerb
organisieren zu können, wird ihnen die Beitragssatzautonomie zurückgege-
ben, das heißt: der bundesweit einheitliche, durch die Bundesregierung fest-
gesetzte Beitragssatz in Kombination mit dem gedeckelten Zusatzbeitrag
wird abgeschafft.

7. Die Änderung des § 73b SGB V, die die Krankenkassen zum Vertrags-
abschluss mit einer Gemeinschaft verpflichtet, die mindestens die Hälfte der
an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte in einem
KV-Bezirk vertritt, wird rückgängig gemacht. Eine solche Regelung behin-
dert den Wettbewerb, gefährdet die Sicherstellung einer flächendeckenden
Versorgung und stößt auf gravierende rechtliche Bedenken.

8. Die Regelung zum Wegfall der Altersgrenze von 68 Jahren, bis zu der zurzeit
Ärzte und Zahnärzte als Vertragsärzte tätig sein dürfen, wird begrüßt. Sie
muss um eine erweiterte Übergangsregelung ergänzt werden, die es allen
Ärzten unabhängig davon, in welchem Bezirk ihre Praxis liegt bzw. lag,
ermöglicht, ihre Tätigkeit fortzuführen bzw. wieder aufzunehmen, die im
Jahr 2008 das 68. Lebensjahr vollendet haben.

9. Solange die Bedarfsplanung existiert, ist eine Mindestquote für ärztliche Psy-
chotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sinnvoll
und notwendig, um sicherzustellen, dass Patienten mit ihren spezifischen Er-
krankungen einen entsprechend qualifizierten Behandler finden, der sie opti-
mal versorgen kann. Ergänzend ist sicherzustellen, dass langfristig nicht be-
setzte Sitze aus den Mindestversorgungsanteilen bei der Ermittlung des Ver-
sorgungsgrads auch nicht berücksichtigt werden. Dadurch soll verhindert
werden, dass Bezirke fälschlicherweise als überversorgt ausgewiesen wer-
den, obwohl sie de facto unterversorgt sind.

Berlin, den 15. Oktober 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

Mit dem GKV-WSG ist den gesetzlichen Krankenkassen die Beitragsautonomie
weitgehend genommen worden. Ab dem 1. Januar 2009 werden sie nicht mehr
darüber bestimmen können, wie viel Geld sie für die Versorgung ihrer Versicher-
ten einsetzen, sondern die Bundesregierung über den festgesetzten Beitragssatz
und die Zuteilungen aus dem Gesundheitsfonds über das Bundesversicherungs-
amt. Die mögliche Erhebung eines Zusatzbeitrages ist eine zu vernachlässigende

Größe zum einen wegen der Begrenzung auf 1 Prozent des beitragspflichtigen
Einkommens der Mitglieder. Zum anderen aber auch, weil der Zusatzbeitrag

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durch entsprechende Äußerungen führender Koalitionspolitiker zu einem Indi-
kator für Unwirtschaftlichkeit erklärt worden ist. Das führt dazu, dass Kranken-
kassen die Erhebung eines solchen Zusatzbeitrages um jeden Preis verhindern
müssen, damit Versicherte sie nicht wegen vermuteter Unwirtschaftlichkeit ver-
lassen. Die Einnahmen der GKV sind damit politisch determiniert, ebenso wie
fast der gesamte Bereich der Leistungsausgaben dem Grunde nach und durch
politische Festlegungen z. B. im Hinblick auf die Vergütungen im ärztlichen Be-
reich und im Krankenhausbereich zunehmend auch der Höhe nach. Erschwe-
rend kommen unterschiedliche Belastungen der einzelnen Krankenkassen auf-
grund von Nichthandeln hinzu, so z. B. im Krankenhausbereich und im zahn-
ärztlichen Bereich mit den unterschiedlichen Basisfallwerten bzw. den unter-
schiedlich hohen Kopfpauschalen, die bei der Mittelzuweisung aus dem Ge-
sundheitsfonds keine Berücksichtigung finden.

Das Entstehen einer Insolvenz ist deshalb nach Einführung des Gesundheits-
fonds mit all seinen Implikationen für die einzelne Krankenkasse so gut wie
nicht beeinflussbar, sondern unterliegt politisch determinierten Vorgaben. Der
Staat mit der Setzung der Rahmenbedingungen ist die Hauptursache für wirt-
schaftliche Probleme gesetzlicher Krankenkassen. Unter den Bedingungen des
Gesundheitsfonds und des Festhaltens an Krankenkassen als Körperschaften des
öffentlichen Rechts ist deshalb die Anwendung des Schließungsrechts der kon-
sequentere Weg.

Die Neuregelung des Insolvenzrechts fällt in eine Zeit der massiven Unsicher-
heit für die Krankenkassen, wie viel Geld ihnen de facto für die Versorgung der
Versicherten zur Verfügung steht. Sicher werden sie das erst Ende 2010 für das
Jahr 2009 wissen. Die Verwerfungen aufgrund des neuen morbiditätsorientier-
ten Risikostrukturausgleichs und die Umstellung der ärztlichen Vergütung füh-
ren dazu, dass auf Vergangenheitswerte nicht mehr zurückgegriffen werden
kann. Die Haushaltsplanung basiert vielmehr auf vorläufigen Erkenntnissen.
Die Krankenkassen sind auf Vermutungen angewiesen, ob die Zuteilungen aus
dem Gesundheitsfonds korrekt bemessen sind oder ob sie bei der Spitzabrech-
nung Geld zurückzahlen müssen. Die Erfahrungen bei Einführung des Risiko-
strukturausgleichs haben gezeigt, dass die dabei im Nachhinein verschobenen
Finanzmittel einen erheblichen Umfang ausmachen können. Selbst wenn man
Gesundheitsfonds und Insolvenz grundsätzlich bejaht, müsste zumindest in der
Anfangsphase von zwei bis drei Jahren das Insolvenzrecht ausgesetzt werden.

Die isolierte Herausnahme der Bundesknappschaft aus den insolvenzrechtlichen
Regelungen ist vor dem Hintergrund einer gewollten Gleichstellung der Kran-
kenkassen überhaupt nicht zu rechtfertigen. Es handelt sich um eine für alle Ver-
sicherten wählbare Krankenkasse, die viel Geld aus dem Risikostrukturaus-
gleich von anderen Krankenkassen erhält. Eine Sonderstellung führt zu einer
nicht hinnehmbaren Wettbewerbsverzerrung, wie die Ankündigung der Bundes-
knappschaft, Prämien unter Fondsbedingungen ausschütten zu wollen, noch ein-
mal deutlich gemacht hat.

Die Festsetzung des bundesweit einheitlichen Beitragssatzes in Kombination
mit dem gedeckelten Zusatzbeitrag und den Zuweisungen aus dem Gesundheits-
fonds führt auch dazu, dass gesetzliche Krankenkassen überall dort, wo sie noch
bescheidene Spielräume haben, die Versorgungssituation für ihre Versicherten
zu verbessern, diese Aktivitäten zurückfahren wie das anhand der Kündigung
der Onkologienachsorgevereinbarung und der Sozialpsychiatrievereinbarung
deutlich geworden ist. Nur dann, wenn alle Krankenkassen hierfür gleich viel
Geld einsetzen, ist die Finanzierung solcher Leistungen unter den vorgesehenen
Bedingungen wettbewerbsneutral. Eventuelle langfristige Einsparpotenziale
werden deshalb bei der Entscheidung der einzelnen Krankenkassen im Hinblick

auf die Notwendigkeit, in der Zwischenzeit einen Zusatzbeitrag erheben zu müs-
sen, keine Rolle spielen. Konsequent ist entweder eine gesetzliche Verpflich-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10625

tung, solche Leistungen anzubieten, wie es der Gesetzentwurf z. B. für die
sozialmedizinischen Nachsorgemaßnahmen für chronisch kranke Kinder und
Jugendliche vorsieht. Das führt jedoch zu einer immer stärker staatlich statt
wettbewerblich geprägten Landschaft. Oder man belässt den Krankenkassen
und damit der Selbstverwaltung die Möglichkeit, ihr Einnahmevolumen in Kon-
kurrenz mit den Wettbewerbern unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen
selbst zu bestimmen und setzt damit auf Verbesserungen im Wettbewerb anstelle
von Staatsdirigismus.

Im Vertragsbereich wird der Wettbewerb weiter eingeschränkt. Zunächst ist mit
dem GKV-WSG die Verpflichtung für die Krankenkassen verankert worden, ih-
ren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung anzubieten. Nun wird
durch eine Änderung des § 73b SGB V vorgeschrieben, dass die Krankenkassen
allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis 30. Juni
2009 Verträge mit Gemeinschaften schließen müssen, die mindestens die Hälfte
der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte in einem
KV-Bezirk vertreten. Die Krankenkassen werden gezwungen, mit einem privat-
rechtlich organisierten Verband ohne rechtliche und faktische Alleinvertretungs-
befugnis im Binnenverhältnis Verträge unter Ausschluss einer Vielzahl im haus-
ärztlichen Versorgungsbereich tätiger Vertragsärzte zu schließen. Der Zwang
zum Vertragsabschluss gibt naturgemäß einem der beiden Partner eine beson-
ders starke Stellung. Das ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht unproblema-
tisch. Man zwingt auch die Krankenkassen, die bereits heute flächendeckend
Hausarztverträge abgeschlossen haben, neue Verträge mit dem im Gesetz vorge-
schriebenen Vertragspartner zu machen. Darüber hinaus stößt eine solche Vor-
schrift jedoch auch auf grundsätzliche rechtliche Bedenken. Ein Kontrahie-
rungszwang gegenüber einem Privaten muss zumindest von vernünftigen Erwä-
gungen des Gemeinwohls getragen sein. Eine solche Begründung gibt es jedoch
nicht, weil bisher eine flächendeckende hausärztliche Versorgung gewährleistet
ist. Es ist zumindest fraglich, ob es sich im Hinblick auf die nicht organisierten
Allgemeinärzte nicht um einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit
handelt, wenn sie sich aus Existenzsicherungsgründen in den Verband, der bei
dem Vertrag zum Zuge kommt, begeben müssen, um an der hausarztzentrierten
Versorgung teilnehmen zu können. Zudem ist die Vertragsfreiheit anderer poten-
zieller Vertragspartner mit der Verleihung eines Rechts auf eine Dienstleistungs-
konzeption bei selbst gewählter Inanspruchnahme tangiert. Das ist insbesondere
bedenklich, weil zu den Hausärzten nicht nur die Allgemeinmediziner zählen,
sondern auch hausärztlich tätige Internisten sowie Kinderärzte.

Die bei Festhalten an Gesundheitsfonds und gedeckeltem Beitragssatz notwen-
dige Übergangsregelung für die Bundesländer, die hierdurch besonders stark
negativ finanziell betroffen sind, die Konvergenzklausel, schafft zwar eine zeit-
weise Abmilderung der Folgen der Zentralisierung. Auf Dauer jedoch werden
die Strukturen in den einzelnen Bundesländern mehr und mehr angeglichen.
Eine regionale Vielfalt, die die Besonderheiten vor Ort berücksichtigen kann,
wird es dann nicht mehr geben. Im Gesetzentwurf heißt es, dass sich die Belas-
tungen aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds für die in einem Land
tätigen Krankenkassen in jährlichen Schritten von jeweils höchstens 100 Mio.
Euro aufbauen sollen. Wenn man das sicherstellen will, muss man die De-facto-
Situation im Jahre 2008 der De-facto-Situation im Jahre 2009 gegenüberstellen.
Das bedeutet aber, dass man Ausgleichsansprüche und -verpflichtungen auf-
grund von Risikostrukturausgleich und Risikopool nicht ausklammern darf, weil
sie Einfluss auf den Status einer Krankenkasse im Jahre 2008 haben. Es ist dann
auch nicht gerechtfertigt, willkürlich die am 30. Juni 2008 geltenden Beitrags-
sätze zu Grunde zu legen und nicht wie ursprünglich vorgesehen die zum
31. Dezember 2008 geltenden. Problematisch ist auch, dass für das Abmildern

der zusätzlichen Belastungen einiger Bundesländer durch die Neuregelungen
die Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds herangezogen werden sollen und

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der Ausgleich nicht über Finanzmittel aus den Ländern erfolgt, die von dem
Übergang auf das neue System profitieren. Insbesondere auch im Hinblick auf
die sich abzeichnende wirtschaftliche Lage und im Hinblick darauf, dass der Ge-
sundheitsfonds durch die Festsetzung des Beitragssatzes auf 15,5 Prozent ver-
mutlich von Anfang an eine Unterdeckung aufweist, wäre der zügige Aufbau
einer Liquiditätsreserve umso notwendiger.

Beim Wettbewerbs- und Kartellrecht bleibt es dabei, dass eine ausreichende
Fusionskontrolle und im Falle des Entstehens marktbeherrschender Stellungen
auch Untersagungen nicht in dem erforderlichen Maße möglich sind. Das stärkt
die Gefahr, dass die marktbeherrschenden Stellungen missbraucht werden. Im
Hinblick auf die bei den Krankenkassen zu erwartende Fusionswelle, die zu
einem deutlichen Anstieg der Kassengrößen führen wird, ist eine Übertragung
der entsprechenden kartellrechtlichen Regelungen unabdingbar.

Im Hinblick auf die vergaberechtlichen Regelungen ist es zweifelhaft, ob die
vorgenommenen Sonderregelungen für die Vergabe im Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung rechtlich haltbar sind. Sie führen dazu, dass die Einheit-
lichkeit der Anwendung der vergaberechtlichen Vorschriften unterminiert wird.
Auch die Rechtswegzuweisung an die Sozialgerichte ist nicht zielführend. Der
vergaberechtliche Rechtsschutz vor den Vergabekammern und Vergabesenaten
der Oberlandesgerichte hat sich über Jahre bewährt. Da die vergaberechtlichen
Nachprüfungsinstanzen seit jeher z. B. bei komplexen Dienstleistungsvergaben
auch Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten mit zu entscheiden hatten, be-
steht für die geplante Rechtswegaufspaltung kein sachlicher Grund. Im Gegen-
teil: Vielmehr steht zu befürchten, dass die Effektivität des Rechtsschutzes, die
ein maßgeblicher Grund für die Einrichtung dieser Rechtsschutzinstanzen gewe-
sen ist, durch die Zuweisung an die Landessozialgerichte konterkariert wird. Da
die Sozialgerichte im Nachprüfungsverfahren vornehmlich vergaberechtliche
Fragen zu klären haben, wird die bestehende Rechtsunsicherheit vertieft und
eine einheitliche Rechtsprechung dauerhaft verhindert.

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