BT-Drucksache 16/10479

zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/10473- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Vom 7. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10479
16. Wahlperiode 07. 10. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Norman Paech,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksache 16/10473 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
(International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt
Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die militärische Strategie der NATO in Afghanistan ist gescheitert. Parallel
zur Aufstockung des ISAF-Kontingents auf etwa 48 000 Soldatinnen und
Soldaten verschlechterte sich die Sicherheitslage in Afghanistan kontinuier-
lich. Zum Vergleich: Im August letzten Jahres wurden laut Bundesregierung
etwa 600 Sicherheitsvorfälle registriert, in diesem Jahr waren es etwa 1 100.
Nach wie vor sind mehr als 1 800 bewaffnete Gruppen in Afghanistan aktiv.
Weder der Regierung Hamid Karsai noch der NATO ist es gelungen, das Ver-
trauen der Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen. Im Gegenteil: Korruption
durchzieht weite Teile der Regierung, das rigorose offensive militärische
Vorgehen der NATO minimiert alle Chancen auf eine Deeskalation der Lage
und fordert immer mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung. Bereits im laufen-
den Jahr wurden laut UNAMA 1 445 Menschen getötet. Damit ist die Opfer-
zahl bereits jetzt um 40 Prozent höher als im Jahre 2007. Davon seien 800 Zi-
vilisten durch Aufständische und 577 durch NATO, OEF und afghanische
Sicherheitskräfte getötet worden. Allein die Luftangriffe der NATO forderten

395 zivile Opfer. 68 Zivilistinnen und Zivilisten seien im Kreuzfeuer oder
durch andere Zwischenfälle getötet worden, bei denen die Verantwortlich-
keiten nicht eindeutig geklärt seien. Diese Opferzahlen schaffen einen Nähr-
boden für noch mehr Gegengewalt. Wird dieser Kurs fortgesetzt, werden die
für die nächsten Jahre anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
unter Kriegsbedingungen stattfinden. Demokratisierung und Friedensprozess
rücken in weite Ferne. Die ISAF ist kein Instrument der Problemlösung,

Drucksache 16/10479 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
sondern ein wesentlicher Teil des Problems. Die NATO erweist sich als un-
geeignet eine stabilisierende und konstruktive Rolle beim demokratischen
Wiederaufbau Afghanistans zu spielen. Der zivil-militärische Ansatz der
NATO ist in der Praxis undurchführbar.

2. Die Bundesregierung will jedoch an diesem fatalen Kurs festhalten. Genauso
wie vorher alle Eskalationsschritte mitgegangen und unterstützt wurden – wie
z. B. durch die Entsendung von Tornado-Flugzeugen für die Vorbereitung
und Führung von offensiven Militäroperationen oder die Übernahme des
Kampfverbandes der Quick Reaction Forces und Übernahme der Führung
von Militäreinsätzen in Nordafghanistan – soll die Bundeswehr nun erneut
einen wichtigen Beitrag zur Intensivierung der NATO-Kriegsführung in
Afghanistan leisten: Die Obergrenze des deutschen Kontingents soll um
1 000 Soldatinnen und Soldaten auf 4 500 erhöht werden; AWACS-Flug-
zeuge sollen mit deutscher Besatzung als Gefechtsfeldzentralen über Afgha-
nistan fliegen. Darüber hinaus bleibt das Bundeswehrpersonal sowohl im
ISAF-Hauptquartier in Kabul als auch in den zuständigen NATO-Strukturen
in Belgien mitbeteiligt und mitverantwortlich für die Planung und Umset-
zung des weiteren militärischen Vorgehens der NATO in Afghanistan.
Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Deutschland wurde viel-
mehr Teil des Krieges am Hindukusch.

3. Einer dem Frieden und der Sicherheit verpflichteten Politik des Deutschen
Bundestages kann es doch nicht darum gehen, die NATO bei der Aufrecht-
erhaltung der eigenen Glaubwürdigkeit als global handlungsfähiges Militär-
bündnis zu stützen, sondern darum, der afghanischen Bevölkerung eine reale
Friedens- und Entwicklungsperspektive zu eröffnen. Der hierfür notwendige
Strategiewechsel muss die Förderung des innerafghanischen Friedensprozes-
ses – insbesondere das Wirken der Friedens-Jirga – in den Mittelpunkt rücken.
Eine tragfähige Absicherung des Friedensprozesses kann nur erreicht werden
durch die Unterstützung des Demokratisierungsprozesses. Dazu muss der
alles erdrückende Einfluss der Warlords zurückgedrängt werden, indem die
bislang praktizierte Kooperation mit ihnen gestoppt wird. Stattdessen müssen
die demokratischen Kräfte mit zivilen Mitteln offensiv unterstützt werden.
Die Beendigung der katastrophalen Lage der Frauen muss unter der Maßgabe
der UNO-Sicherheitsratsresolution 1325 eine zentrale Aufgabe ziviler Hilfs-
maßnahmen darstellen. Einkommensalternativen für den Drogenanbau müs-
sen umfassend geplant und durch Anlauffinanzierungen abgesichert werden.
Rechtsstaatlichkeit ist zu implementieren. Diese Art der Unterstützung kann
nur von zivilen Institutionen und Personen geleistet werden – nicht von Streit-
kräften. Darüber hinaus stellt die Einbindung der Staaten der Region, ins-
besondere Iran, Indien und Pakistan, ein substantielles Erfordernis zur erfolg-
reichen Stabilisierung Afghanistans dar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF nicht zu
verlängern und unverzüglich mit dem Abzug der deutschen Soldaten aus
Afghanistan zu beginnen.

Berlin, den 7. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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