BT-Drucksache 15/655

Europäische Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik transparent machen

Vom 17. März 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/655
15. Wahlperiode 17. 03. 2003

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
(Heilbronn), Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann, Clemens Binninger, Hartmut
Büttner (Schönebeck), Norbert Geis, Roland Gewalt, Ralf Göbel, Reinhard Grindel,
Martin Hohmann, Volker Kauder, Dorothee Mantel, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Stephan Mayer (Altötting), Beatrix Philipp, Dr. Ole Schröder
und der Fraktion der CDU/CSU

Europäische Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik transparent machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Deutschen Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt

über alle Entwicklungen der europäischen Rechtsetzungsverfahren in den
Bereichen Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik nach Maßgabe der
nachfolgenden Begründung zu informieren und ein dem entsprechendes um-
fassendes Informationsverfahren zu implementieren,

2. ihren Verhandlungen und Entscheidungen im Bereich der Asyl-, Ausländer-
bzw. Zuwanderungsfragen als verbindliche deutsche Verhandlungsposition
bei europäischen Rechtsetzungsakten nicht den Entwurf des Zuwanderungs-
gesetzes zugrunde zu legen, sondern das geltende Ausländer- und Asylrecht.

II. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag wird, sollte die Bundesregierung bezüglich der
europäischen Rechtsetzungsverfahren in den Bereichen Ausländer-, Asyl- und
Zuwanderungspolitik nicht auf der Grundlage des geltenden Rechts verhandeln,
ein förmliches Gesetz („Mandatsgesetz“) erlassen, das das geltende Ausländer-
und Asylrecht als verbindliche deutsche Verhandlungsposition bei europäischen
Rechtsetzungsakten festschreibt.

Berlin, den 17. März 2003
Wolfgang Bosbach
Hartmut Koschyk
Thomas Strobl (Heilbronn)
Wolfgang Zeitlmann
Günter Baumann
Clemens Binninger
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Norbert Geis
Roland Gewalt
Ralf Göbel

Reinhard Grindel
Martin Hohmann
Volker Kauder
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Stephan Mayer (Altötting)
Beatrix Philipp
Dr. Ole Schröder
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

Drucksache 15/655 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung
1. Seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999 sind Asyl

und Einwanderung keine ausschließlich nationalen Angelegenheiten mehr.
Geltendes Recht muss an die Brüsseler Vorgaben angepasst und neue natio-
nale Gesetze müssen sich an dem von der EU gesetzten Rahmen orientieren.
Die Vorgaben aus Brüssel setzen damit den Rahmen für nationale Gesetze
insbesondere im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die EU-Kommis-
sion handelt jedoch nicht auf der Basis eines Gesamtkonzepts, sondern mit-
tels puzzleartiger Einzelregelungen. Indem auch Fragen des Arbeitsmarkt-
zugangs geregelt werden, überschreitet die Kommission zudem ihre Kompe-
tenz. Die Bundesregierung tritt dem nicht entgegen. Diese Vorgehensweise
von Kommission und Bundesregierung verschließt den Blick auf das Ganze
und verhindert die gebotene Transparenz. Sachlich ist dieses Vorgehen im
Hinblick auf die Komplexität der Materie nicht nachvollziehbar. Wer um-
fassende Problemstellungen ohne Berücksichtigung von Zusammenhängen
erledigen will, verliert zwangsläufig den Überblick. Es stellt keine sach-
gerechte Vorgehensweise dar, sich nur über punktuelle Regelungen in Form
einzelner Richtlinien auseinander zu setzen. Vielmehr sollte zuvor in grund-
legenden Fragen mit den Mitgliedstaaten Übereinstimmung erzielt werden.
Die Bundesregierung ist bislang nicht wirksam für eine Gesamtkonzeption
im Bereich Asyl- und Einwanderungspolitik im Rahmen des Artikels 63
EGV eingetreten. So hätte es den deutschen Interessen entsprochen, wenn
die Bundesregierung beispielsweise die weiteren Verhandlungen von der
vorherigen Vorlage eines Gesamtkonzepts abhängig gemacht hätte. Sie setzt
den Bestrebungen der EU-Kommission, die dazu führen, dass über EU-Vor-
haben das deutsche Ausländer- und Asylrecht aufgeweicht wird, nicht den
notwendigen Widerstand entgegen.

2. Der weitgehende Verlust der nationalen Gestaltungsfähigkeit in Asyl-, Aus-
länder- bzw. Zuwanderungsfragen ist im Bewusstsein der Bürger nicht ver-
ankert. Die Bundesregierung schafft angesichts der massiven Auswirkungen
europäischer Rechtssetzung auf die nationale Ebene weder den Bürgern
noch dem Deutschen Bundestag gegenüber hinreichende Transparenz. Diese
notwendige Transparenz zu fördern und die Handlungsfähigkeit Deutsch-
lands in der Zuwanderungsfrage zu erhalten, war bereits das Anliegen ver-
schiedener Anträge der Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag
(vgl. Bundestagsdrucksachen 14/5759, 14/5754, 14/4529, 14/6641).
Im Innenausschuss des Deutschen Bundestages wurde kürzlich fraktions-
übergreifend vereinbart, dass die europäischen Vorgaben im Bereich Asyl
und Einwanderung in der Zuwanderungsdiskussion im Deutschen Bundes-
tag von der Bundesregierung transparent gemacht werden müssen. Eine
erste Kurzübersicht über die anhängigen Rechtsakte wurde inzwischen zwar
vorgelegt. Doch diese ist sehr allgemein gehalten und hinsichtlich der we-
sentlichen Informationen ebenso dürftig wie die Vor- und Nachberichte zu
den Justiz- und Innenratssitzungen auf EU-Ebene. Erforderlich ist vielmehr,
dass das deutsche Parlament institutionalisiert vor und nach jeder Verhand-
lung in Brüssel umfassend informiert und am Zustandekommen des künfti-
gen EU-Zuwanderungsrechtes angemessen beteiligt wird. Fragen, die die
Voraussetzungen regeln, unter denen Ausländer nach Deutschland einreisen
und sich hier mit welchen Rechten aufhalten, berühren den Kernbereich der
Entscheidungskompetenz des deutschen Parlaments. Die Zuwanderungs-
politik der EU darf keinen verbindlichen Charakter erhalten, ohne dass sie
zuvor in Deutschland gründlich diskutiert und vom Parlament nach gründ-
licher Prüfung akzeptiert wurde. Dieser für die Zukunft unseres Landes
entscheidende Politikbereich darf nicht am deutschen Parlament und der
deutschen Bevölkerung vorbei geregelt werden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/655

3. Nahezu unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit erfolgen auf europäi-
scher Ebene entscheidende Weichenstellungen für das künftige deutsche
Asyl- und Ausländer- bzw. Zuwanderungsrecht. Bereits die Mitteilung der
Kommission über eine Migrationspolitik der Gemeinschaft und die bisheri-
gen Initiativen der EU-Kommission zeigen, dass deren Politik auf offensive
Zuwanderung gerichtet ist und dass die notwendige Zuzugsbegrenzung nicht
Anliegen der Kommission ist. Die Bundesregierung setzt dem keinen er-
kennbaren Widerstand entgegen, obgleich sie aufgrund des Einstimmigkeits-
prinzips den deutschen Interessen diametral entgegenlaufende Initiativen
verhindern könnte.
Für den Bereich des Titels IV EGV gilt das besondere Beschlussverfahren
nach Artikel 67 EGV. Während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren
ab Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, also bis zum 30. April 2004,
handelt der Rat grundsätzlich (Ausnahme: Artikel 67 Abs. 3 EGV) einstim-
mig. Auch danach setzt ein Übergang zum Mitentscheidungsverfahren nach
Artikel 251 EGV, bei dem Ratsbeschlüsse mit qualifizierter Mehrheit getrof-
fen werden, einen einstimmigen Ratsbeschluß zur entsprechenden Änderung
des Verfahrens voraus (Artikel 67 Abs. 2 zweiter Spiegelstrich EGV; Aus-
nahme: Artikel 67 Abs. 4 EGV). Das von einigen Mitgliedstaaten (u. a.
Deutschland) vertraglich ausbedungene und im Vertrag von Nizza beibehal-
tene Einstimmigkeitserfordernis versetzt die Bundesrepublik Deutschland in
die Lage, die Verabschiedung einer nach ihrer Ansicht unangemessen groß-
zügigen, gemeinschaftlichen Einwanderungspolitik zu verhindern. Sie kann
ihre Überzeugung von der Notwendigkeit einer restriktiven Einwanderungs-
politik auf Gemeinschaftsebene rechtlich uneingeschränkt geltend machen.
Hingegen zeigt das vor dem Bundesverfassungsgericht im Dezember 2002
gescheiterte und im Januar 2003 erneut und unverändert eingebrachte
Zuwanderungsgesetz, dass die Bundesregierung die offensive Zuwande-
rungspolitik der Kommission auf nationaler Ebene fortsetzt. Rechtsakte, die
auf offensive Zuwanderung gerichtet sind, sind angesichts einer Arbeits-
losigkeit von 4,7 Millionen Menschen und der Krise der Sozialsysteme in
Deutschland unverantwortlich. Das gilt sowohl für die europäische Ebene
als auch für die nationale Gesetzgebung.
Doch effektive Zuwanderungsbegrenzung ist nicht das Anliegen der Bun-
desregierung.
Die Grünen befürworten auf europäischer Ebene Regelungen für mehr Zu-
wanderung und treten für den Fall, dass sie sich auf nationaler Ebene nicht
durchsetzen können, dafür ein, dies über den europäischen Weg zu errei-
chen.
Das belegen die Aussagen der Parlamentarischen Geschäftsführerin und
frauenpolitischen Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Irmingard Schewe-Gerigk, im Deutschen Bundestag am 18. Januar 2001
anlässlich der Debatte um die Familienrichtlinie, der die Fraktion der CDU/
CSU mit einem Antrag wegen ihrer unabsehbaren migrationspolitischen
Folgewirkungen entgegengetreten war: „Die von dem neuen EU-Kommissar
für Justiz und Inneres, Antonio Vitorino, vorgelegten flüchtlings- und migra-
tionspolitischen Vorschläge zeugen von einer grundlegenden Wende weg
von den bisherigen restriktiven Konzepten hin zu einer modernen, weltoffe-
nen und gleichzeitig werteorientierten Asyl- und Einwanderungspolitik.
Endlich werden die Vorgaben des Amsterdamer Vertrages ernst genommen
und Institutionen wie der UNHCR, Amnesty International und der Europäi-
sche Flüchtlingsrat erhalten die Beachtung, die ihnen gebührt.“
Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, Volker Beck, hatte nach dem Scheitern des Zuwanderungsgeset-
zes vor dem Bundesverfassungsgericht im Dezember 2002 auf die Frage,

Drucksache 15/655 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

wie es jetzt mit dem Zuwanderungsgesetz weitergehe, geäußert, falls kein
Kompromiss zustande komme, „können wir besser mit … den Regelungen
leben, die auf europäischer Ebene sowieso kommen“ (DIE WELT vom
21. Dezember 2002 „Verschärfter Streit um Zuwanderung“).
Hinsichtlich der Haltung der SPD in Fragen der effektiven Zuzugsbegren-
zung kann nicht außer Acht gelassen werden, dass bei der Abstimmung über
die Asylrechtsneuregelung („Asylkompromiss“) im Bundesrat im Mai 1993
als einziges Bundesland Niedersachsen unter Führung seines damaligen Mi-
nisterpräsidenten und jetzigen Bundeskanzlers Gerhard Schröder gegen die
auf Zuzugsbegrenzung gerichtete Asylrechtsneuregelung gestimmt hat. Da-
bei hat allein diese Asylrechtsneuregelung in den folgenden Jahren von 1993
bis heute den Asylbewerberrückgang von 438 000 auf ca. 71 000 pro Jahr
bewirkt.

4. Da das Ausländer- und Asylrecht zu ganz wesentlichen Teilen von der
Europäischen Union gestaltet wird, müssen die deutschen Interessen in
Brüssel konsequent vertreten werden. In Deutschland leben nahezu doppelt
so viele Ausländer wie durchschnittlich in allen anderen Ländern der
Europäischen Union (9,3 % in Deutschland zu 4,8 % in den anderen EU-
Mitgliedstaaten). Es ist positiv, dass Ausländer in Deutschland die Wirt-
schaft beleben, als Selbständige Arbeitsplätze schaffen oder bereit sind, Tä-
tigkeiten zu verrichten, für die deutsche Arbeitnehmer nicht mehr zu
gewinnen sind. Gleichwohl sind Ausländer in Deutschland überproportional
an der Arbeitslosigkeit beteiligt (Deutsche: 9,9 %, Ausländer: 18,4 %, Stand
Juni 2002), sie sind überproportional Sozialhilfeempfänger (Deutsche:
2,8 %, Ausländer: 8,1 %, Stand Ende 2000) und ihr Anteil an der Kriminali-
tätsstatistik beträgt ein Vielfaches ihres Anteils an der Wohnbevölkerung
(24,9 %, Polizeiliche Kriminalstatistik 2001). Das Gefälle zwischen Deut-
schen und Ausländern bei Arbeitslosigkeit und Sozialhilfequote beruht auf
gravierenden Bildungsunterschieden. So sind von 100 deutschen Arbeits-
losen 32 ohne Berufsausbildung, von 100 Ausländern dagegen 77. Daraus
folgt, dass Deutschland es bereits nach geltender Rechtslage mit einer „Zu-
wanderung“ von Ausländern zu tun hat, die nach Deutschland kommen, weil
ihnen der deutsche Sozialstaat eine Versorgung in einem Maße garantiert,
die sie in ihren Herkunftsländern nicht einmal durch Arbeit erreichen könn-
ten.
Am 5. März 2003 hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demo-
graphie (DGD), Professor Dr. Herwig Birg, anlässlich der Jahrestagung der
Gesellschaft der Auffassung widersprochen, Deutschland sei in Sachen Zu-
wanderung ein rückständiges Land und schotte sich gegenüber Zuwanderern
ab. Vielmehr sei Deutschland nach den Feststellungen der Bevölkerungs-
wissenschaftler das Industrieland mit der höchsten Zuwanderungsrate. Der
prozentuale Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung liege drei bis
fünf Mal höher als zum Beispiel in den klassischen Einwanderungsländern
USA, Kanada, und Australien. So beklagte der Bevölkerungswissenschaftler
beispielsweise, dass die Politik und die veröffentlichte Meinung demogra-
phische Befunde ignorierten und für verstärkte Zuwanderung plädierten,
obgleich die Zahl der Zuwanderer in Deutschland etwa gleich stark sei wie
die Zahl der Geburten, in Großstädten sei sie sogar bis zu vier Mal höher als
die Geburtenzahl. Auch die Behauptung, Zuwanderung sei notwendig, um
die Sozialsysteme zu sichern, stimme nicht mit wissenschaftlichen Erkennt-
nissen überein. Nach Forschungsergebnissen übersteige die Zahl der von
Zuwanderern empfangenen Leistungen die der geleisteten Zahlungen in die
Sicherungssysteme.

5. Auch vor diesem Hintergrund ist es nicht hinnehmbar, dass die Bundesregie-
rung zu den Richtlinienentwürfen in Brüssel auf der Grundlage eines Ge-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/655

setzentwurfs, dem Entwurf des Zuwanderungsgesetzes, verhandelt und nicht
auf der Grundlage geltenden Rechts. Das, was derzeit in Brüssel ausverhan-
delt wird, ist – vor allem hinsichtlich der tragenden Elemente – zwar mit den
Regelungen des Entwurfs des Zuwanderungsgesetzes, nicht aber mit denen
des geltenden Ausländer- und Asylrechts vereinbar. So finden sich die Kern-
elemente des Zuwanderungsgesetzes, die die Zuzugsbegrenzung aufheben
und das geltende Recht auf den Kopf stellen werden, wie u. a. der weite
Flüchtlingsbegriff, die faktische Abschaffung bzw. Aushöhlung der Dritt-
staatenregelung, Aufhebung des Anwerbestopps, Ausweitung des Familien-
nachzugs, auch in den Richtlinienentwürfen. Und hierzu verhandelt die Bun-
desergierung in Brüssel auch. Es ist bereits schon hinsichtlich der Vorge-
hensweise erstaunlich, dass die Verhandlungen in Brüssel auf der Basis ei-
nes nicht existierenden Gesetzes erfolgt sind und auch weiterhin erfolgen.
Selbst einen Tag nachdem das Zuwanderungsgesetz am 18. Dezember 2002
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, wurden
in Brüssel zwei Richtlinien (Richtlinie über die Aufnahmebedingungen für
Asylbewerber und die Richtlinie über die Fortführung des Dubliner Überein-
kommes (Dublin II)) im Bereich Asyl/Zuwanderung mit Zustimmung der
Bundesregierung verabschiedet. Darüber hinaus ist die Vorgehensweise der
Bundesregierung auch wegen des Inhalts der Verhandlungsgrundlage nicht
hinnehmbar. Eine weitere Ausweitung der Zuwanderung, wie sie mit der
Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes verbunden wäre, ist nicht akzepta-
bel. Allein deswegen kann und darf dieser Gesetzentwurf nicht Verhand-
lungsgrundlage sein.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Bundesregierung doch
zu allen das geltende Ausländerrecht grundlegend verändernden Regelungen
konkrete Vorbehalte einlege. Die Bundesregierung hat noch unlängst in
Brüssel erklärt, sie gehe davon aus, die den Vorbehalten zugrunde liegenden
Fragen seien bis zur Jahresmitte 2003 erledigt, weil dann auch das deutsche
Zuwanderungsgesetz, das nur aus formalen Gründen nicht verabschiedet
werden könne, in Kraft träte und somit das alte Ausländerrecht nicht weiter
gelte.

6. Das Ausländer- bzw. Zuwanderungsrecht in Deutschland bedarf des poli-
tisch-gesellschaftlichen Konsenses und muss auch von der Bevölkerung
mehrheitlich mitgetragen werden. Es dient auch der Gewährleistung des in-
neren Friedens und der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.
62 % der Bevölkerung in Deutschland erwarten von einem möglichen künf-
tigen Zuwanderungsrecht weniger Zuzug von Ausländern aus Nicht-EU-
Staaten, nur 4 % denken aber, dass der Ausländeranteil in Deutschland noch
gesteigert werden sollte (Institut für Demoskopie Allensbach in: FAZ-Sonn-
tagszeitung vom 23. Februar 2003). An den bereits von der sozial-liberalen
Koalition 1981 aufgestellten und bis zur Bildung der Bundesregierung 1998
unumstritten anerkannten Grundsätzen der deutschen Ausländerpolitik, die
gerichtet sind auf die Integration der rechtmäßig dauerhaft in Deutschland
lebenden Ausländer und die Begrenzung des weiteren Zuzugs aus Staaten
außerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums,
muss vor diesem Hintergrund festgehalten werden. Der Versuch, das gel-
tende Ausländerrecht aus dem Jahre 1990 durch ein inhaltlich mangelhaftes
und verfassungswidrig zustande gekommenes Zuwanderungsgesetz zu
ersetzen, ist bislang gescheitert. Auf europäischer Ebene müssen geeignete
Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den Zuwanderungsdruck aus
den Staaten der Dritten Welt nach Europa zu reduzieren. Ziel einer euro-
päischen Ausländer-, Zuwanderungs- und Asylpolitik muss es sein, im ge-
samten Raum der EU gleiche Regelungen für Aufnahme, Aufenthalt und
Aufenthaltsbeendigung von Flüchtlingen und Bürgerkriegsflüchtlingen zu
schaffen, die den Interessen der Aufnahmeländer gerecht werden und die zu

Drucksache 15/655 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

hohe Zahl unberechtigter Asylbewerber nach Europa zu verhindern.
Deutschland zählte auch weltweit nach jüngsten Angaben des UNHCR
(UNHCR, Population Data Unit/PGDS, vom 3. Februar 2003: „asylum ap-
plications lodged in Europe; North America, Australia, New Zealand and Ja-
pan: January-December 2002“, table 3), ähnlich wie auch schon 2001, auch
im Jahre 2002 mit 12 % neben dem Vereinigten Königreich (19 %), den Ver-
einigten Staaten (14 %), und Frankreich (9 %) zu dem Hauptaufnahme-
ländern.

7. Die bisherigen Initiativen der EU-Kommission zeigen, dass deren Politik
auf offensive, interessenunabhängige Zuwanderung ausgerichtet ist. Weder
die vorliegenden Richtlinienvorschläge der Kommission noch die bereits
verabschiedeten Richtlinien ((1) Mindestnormen für die Gewährung vorü-
bergehenden Schutzes im Fall eines Massenzustroms von Vertriebenen und
über Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der mit der
Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbundenen
Belastungen der Mitgliedstaaten („Massenzustromsrichtlinie“ vom 20. Juli
2001, Richtlinie des Rates 2001/55/EG); (2) Richtlinie zur Festlegung von
Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaa-
ten vom 27. Januar 2003, Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar
2003; (3) Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003
zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitglied-
staates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem
Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist) gewährleisten die Berück-
sichtigung deutscher Interessen. Sie bedürfen daher, soweit sie als Entwürfe
vorliegen, der grundlegenden Überarbeitung. Soweit sie bereits verabschie-
det sind, sind sie mit den deutschen Interessen unvereinbar.
l Von besonderer Bedeutung unter den bereits verabschiedeten Initiativen

ist die Richtlinie zum vorübergehenden Schutz in Massenzustromsitua-
tionen, deren grundlegende Überarbeitung die Fraktion der CDU/CSU
frühzeitig gefordert hatte (Bundestagsdrucksache 14/5754: EU-Richt-
linienvorschlag zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines
Massenzustroms überarbeiten“ vom 3. April 2001) und deren Verabschie-
dung sich die Bundesregierung nicht widersetzt hat, obgleich sie deut-
schen Interessen diametral entgegenläuft. Die Richtlinie ist u. a. weder
hinsichtlich des Familiennachzugs zu Personen mit vorübergehendem
Aufenthalt noch hinsichtlich des Prinzips „doppelter Freiwilligkeit“
akzeptabel. Nach diesem Prinzip „doppelter Freiwilligkeit“ können näm-
lich sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Flüchtlinge ihre Verteilung
blockieren. Der für eine Aufnahme vorgesehene finanzielle Ausgleich
aus dem europäischen Flüchtlingsfonds (Es handelt sich im Wesentlichen
um einen Strukturfonds, der zum finanziellen Lastenausgleich zwischen
den Mitgliedstaaten beitragen soll.) besteht darin, dass Deutschland, einer
der Haupt-Netto-Einzahler, letztlich sein zuvor eingezahltes Geld zurück-
bekommt. Das ist keine solidarische Lastenteilung. Der richtige Weg
wäre ein objektives Verteilungssystem gewesen.

Von den vorliegenden Rechtssetzungsvorschlägen der EU-Kommission
(Richtlinienentwürfe), die zu mehr Zuwanderung nach Deutschland führen
werden und einen Anstieg der Asylbewerberzahlen durch Zuwanderungs-
anreize befürchten lassen, sind von besonderer Bedeutung:
l Die Familienrichtlinie. (Zweiter überarbeiteter Kommissionsvorschlag

liegt seit dem 2. Mai 2002 vor, Kom (2002) 225 endgültig vom 2. 5.
2002)
Diese Richtlinie ist von besonderer Bedeutung, weil sich die Familien-
zusammenführung als ganz wesentliche, wenn nicht als die eigentliche
Quelle der Zuwanderung nach Deutschland entwickelt hat (Renner, Ein-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/655

reise und Aufenthalt von Ausländern nach dem in Deutschland geltenden
Recht, Teil D, II., 2, a), Seite 194). Zwischen 1996 und 2000 lagen die
Zahlen des Familiennachzugs zu in Deutschland lebenden Ausländern
zwischen 55 886 und 75 888 Personen (nach Angaben des Auswärtigen
Amts) (1997: 61 740, 1998: 62 992, 1999: 70 750), weisen also eindeutig
eine steigende Tendenz auf. Der Bundesminister des Innern, Otto Schily,
hatte hinsichtlich der ersten Version des Richtlinienentwurfs geäußert,
dass mit einer Zuwanderung von ca. 300 000 Personen pro Jahr allein
über Familiennachzug zu rechnen sei. Da kein anderer Staat Europas so
viele Ausländer aus Nicht-EU-Staaten aufgenommen hat wie Deutsch-
land, sich also die Zuwanderungssituation in Deutschland anders darstellt
als beispielsweise in Portugal, wo deren Anteil an der Gesamtbevölkerung
nur 0,1 % beträgt, ergibt sich als Folge des hohen Anteils von Drittstaats-
angehörigen in Deutschland, dass großzügige Familiennnachzugsmöglich-
keiten Deutschland besonders belasten. Obgleich die Bundesregierung
aufgrund dieser Situation besonderes Augenmerk darauf richten müsste,
dass der Familiennachzug nicht zu einem Tor für unkontrollierbare Zu-
wanderung wird, trägt der Richtlinienentwurf den diesbezüglichen beson-
deren Interessen Deutschlands nicht Rechnung. Leitlinie der deutschen
Verhandlungsposition sind erkennbar die Regelungen im Zuwanderungs-
gesetz und nicht die des auf Zuzugsbegrenzung ausgerichteten geltenden
Ausländer- und Asylrechts. Das Ergebnis sind Deutschland bindende eu-
ropäische Familiennachzugsregelungen, die zum einen auf die Regelun-
gen im Entwurf des Zuwanderungsgesetzes, also einem nicht existenten
Gesetz, zugeschnitten sind. Zum anderen gehen sie inhaltlich über die Fa-
miliennachzugsregelungen des geltenden Rechts hinaus und sind damit
zuzugserweiternd. Zwar ist der Kreis der nachzugsberechtigten Personen
jetzt im Grundsatz auf die Kernfamilie (Ehegatte, minderjährige Kinder)
beschränkt. Gleichzeitig wird aber Nachzug übriger Familienmitglieder
(aufsteigender Linie) ins Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt und es
gibt eine Öffnungsklausel auch für nichteheliche und gleichgeschlechtli-
che Lebensgemeinschaften, wenn der Mitgliedstaat, wie Deutschland mit
dem Lebenspartnerschaftsgesetz, ein solches Recht hat. Damit wird
durch die Hintertür zum einen ein weiter Familienbegriff gelten. Und die
Fälle des Familiennachzugs übriger Familienangehöriger sind im Gegen-
satz zum geltenden Ausländerrecht nicht mehr streng auf die Ausnahme-
fälle der „Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte“ (§ 22 AuslG) be-
schränkt. Nachzugsansprüche mittels Personen, die nur einen befristeten
Aufenthalt, haben, die Gewährung eigenständiger Aufenthaltsrechte nach
fünf Jahren, Ansprüche auf Ehegattennnachzug, auch wenn Ehe erst nach
der Einreise geschlossen wurde, sind nicht sachgerecht. Inakzeptabel ist
auch, dass im materiellen Teil des Richtlinienentwurfs keine Möglichkeit
vorgesehen ist, extremistische Betätigung auch bei der Versagung der
Einreise bzw. den Ausweisungsgründen geltend machen zu können. Die
Gewährung von Familiennachzug zu Flüchtlingen auch ohne Nachweis
von Wohnraum, Krankenversicherung oder Unterhalt ist ebenfalls be-
denklich.

l Der Richtlinienentwurf über Mindestnormen für Asylverfahren und Zu-
erkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (liegt seit dem
18. Juni 2002 in überarbeiteter Version vor) ist in wesentlichen Punkten
nicht mit dem geltenden Ausländer- und Asylrecht vereinbar und bedarf
daher der grundlegenden Überarbeitung. Dies betrifft zum einen die fak-
tische Abschaffung aller wesentlichen Säulen der Asylrechtsneuregelung
aus dem Jahre 1993 (Drittstaatenregelung, Flughafenregelung, Her-
kunftsstaatenregelung) (zu den Einzelheiten vgl. Bundestagsdrucksache
14/5759: „EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren

Drucksache 15/655 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

überarbeiten“ vom 3. April 2001). Allein diese Regelungen, insbesondere
die Drittstaatenregelung, haben zu einem Asylbewerberrückgang von
438 000 auf ca. 71 000 geführt. Die Drittstaatenregelung wird vor allem
dadurch konterkariert, dass es keine Einreiseverweigerung mehr an der
Grenze ohne Einleitung eines Asylverfahrens geben darf und grundsätz-
lich eine Einzelfallprüfung zu erfolgen hat. Der deutschen Drittstaatenre-
gelung, die das Bundesverfassungsgericht 1996 für verfassungsgemäß er-
klärt hatte, liegt hingegen die Vorstellung zugrunde, dass der Gesetzgeber
abstrakt-generell ohne Möglichkeit einer individuellen Widerlegung fest-
stellt, dass Asylsuchende in einem Drittstaat Schutz vor Rückführung in
den mutmaßlichen Verfolgerstaat hätten finden können (Konzept nor-
mativer Vergewisserung, BVerfGE 94, 49, 50). Der Richtlinienentwurf
wendet sich von diesem Konzept ab, gestaltet die Drittstaatenregelung als
widerlegliche Vermutung aus und fordert eine obligatorische Einzelfall-
prüfung mit Anhörung und rechtsmittelfähiger Entscheidung. Eine Ab-
weisung an der Grenze durch die Grenzbehörden ist nicht vorgesehen.
Die Rückkehr zur Einzelfallprüfung hat zur Folge, dass die Wirkungen
der Drittstaatenregelungen rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus
trifft der Entwurf keine sachgerechten Regelungen hinsichtlich der Frage,
wann ein Staat als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Der
Richtlinienentwurf geht diesbezüglich erheblich über die Anforderungen
des Artikels 16a Abs. 2 bis 4 GG hinaus. Die Festlegung sicherer Dritt-
staaten wird inhaltlich und formal wesentlich erschwert. Die vorgesehe-
nen hohen Verfahrensstandards werden der Zielsetzung eines effizienten
und raschen Asylverfahrens nicht gerecht. Das angestrebte Niveau soll
offensichtlich noch über den Rechtszustand des geltenden Rechts hinaus-
gehen und wird daher zu Verfahrensverlängerungen führen. Die Richt-
linie legt darüber hinaus neue materielle Maßstäbe für die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft fest, indem sie die Anwendung und Aus-
legung bislang nicht zum EU-Recht gehörender Bestimmungen des
Völkervertragsrechts zum Bestandteil des gemeinschaftsrechtlichen Min-
deststandards für Flüchtlingsverfahren macht. Das bedeutet, dass künftig
jede drohende Verletzung von (u. a.) Artikel 3 Europäische Menschen-
rechtskonvention (EMRK) (auch Artikel 7 Internationaler Pakt über bür-
gerliche und politische Rechte, Artikel 3 Übereinkommen gegen Folter
und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe (UN-Folterkonvention)), wonach niemand der Folter oder un-
menschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen
werden darf, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann.
Nach nationaler Rechtslage sind diese Völkervertragsrechtsnormen Teil
des ausländerrechtlichen Abschiebungsschutzes und nicht der Asylzuer-
kennung. Darüber hinaus enthält der Richtlinienentwurf eine weitere ge-
nerelle Kehrtwende bezüglich Bedeutung und Inhalt der Genfer Flücht-
lingskonvention. Erstmals werden hieraus subjektive Ansprüche auf Asyl
und ein vorläufiges Bleiberecht bis zur Entscheidung über den Asyl-
antrag hergeleitet. Bislang ergaben sich auf nationaler Ebene subjektive
Rechte auf Nichtzurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze sowie
vorläufige Aufenthaltsrechte in Deutschland lediglich als Vorwirkungen
des Asylgrundrechts, nicht aber aus der Genfer Konvention, die kein
Recht auf Asyl, sondern nur Rechte im Asyl gewährt (BVerfGE 94, 166
[199]; BVerwGE 104, 265 [272]). Ein individueller (völkerrechtlicher)
Rechtsanspruch einschließlich gerichtlicher Kontrolle nach dem Vorbild
des deutschen Asylrechts ist bislang weltweit abgelehnt worden. Eine
Ausweitung der Zufluchtsmöglichkeiten z. B. für Personen, die vor
Nachstellungen durch Verbrecherbanden oder wegen mangelnder medizi-
nischer Versorgung flüchten, mit der Möglichkeit vollen Familien-
nachzugs, auch bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, mit

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/655

Zugang zum Arbeitsmarkt ohne jede Bedarfsprüfung, ist angesichts der
bereits bestehenden Zuwanderung nach Deutschland sachlich nicht ge-
rechtfertigt. Die betroffenen Personen sind auch nach geltender Rechts-
lage keineswegs schutzlos. Auch jetzt schon sind sie vor Abschiebung
geschützt, sofern ihnen existentielle Gefahren drohen. Im Gegensatz zur
geltenden Rechtslage sieht auch der Entwurf des erneut eingebrachten
Zuwanderungsgesetzes eine über die völkerrechtlichen Verpflichtungen
hinausgehende Ausweitung der Zufluchtsmöglichkeiten im humanitären
Bereich vor. Auch die Aufhebung der Beanstandungsklage gegen aner-
kennende Asylentscheidungen und die nach der Richtlinie erforderliche
Abschaffung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten sind zwar
im Zuwanderungsgesetz und im Richtlinienentwurf vorgesehen, nicht
aber im geltenden Recht. Im geltenden Recht sind sowohl die Institution
des Bundesbeauftragen als auch die Beanstandungsklage vorgesehen (§ 6
AsylVfG). Die Aufhebung der Beanstandungsklage und Abschaffung des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten sind der Rechtskultur in
Asylverfahren abträglich. Die Beanstandungsbefugnis ist als Korrektiv
zur Weisungsfreiheit der Einzelentscheider des Bundesamtes (§ 5
AsylVfG) eingeführt worden und daher auch verfassungsrechtlich be-
deutsam. Keine Alternative ist die ebenfalls im Zuwanderungsgesetz vor-
gesehene Abschaffung der Weisungsungebundenheit der Einzelent-
scheider, weil diese ihren Grund darin hat, die Asylentscheidungen von
jeglicher politischer Einflussnahme frei zu halten.

l Der Richtlinienvorschlag des Rates für Mindestnormen für die Anerken-
nung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz be-
nötigen (Richtlinienentwurf vom 12. September 2001, KOM (2001) 510
endgültig vom 12. 9. 2001)
Mit diesem Richtlinienentwurf ist die Vereinheitlichung der materiellen
Regelungen über das Asylrecht, den Flüchtlingsstatus und subsidiärem
Schutz beabsichtigt. Sie ist deshalb von besonderer Bedeutung. Proble-
matische Festlegungen des Richtlinienentwurfs betreffen den weiten
Flüchtlingsbegriff einschließlich der Statusaufwertung, darüber hinaus
die vorgesehene Aufenthaltsverfestigung bei Personen, die nur vorüber-
gehenden Schutz genießen einschließlich Arbeitsmarktzugangs nach
sechs Monaten. Solche Regelungen des Richtlinientwurfs widersprechen
dem geltenden Ausländer- und Asylrecht. Wie bereits in der vorgenann-
ten Richtlinie geht auch der Flüchtlingsbegriff dieses Richtlinientwurfs
über den der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) hinaus. Die Einbezie-
hung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung in der vor-
gesehenen Form in den Flüchtlingsbegriff entspricht zwar den Regelun-
gen im Entwurf des Zuwanderungsgesetzes, geht aber nicht nur über die
GFK, sondern auch über das geltende deutsche Ausländerrecht hinaus.
Darüber hinaus werden damit die bisher bezüglich des Flüchtlingsbe-
griffs auf EU-Ebene geltenden Vereinbarungen verlassen. Hinsichtlich
des Schutzes vor nichtstaatlicher Verfolgung ist festzustellen, dass in der
internationalen Staatenpraxis die Einbeziehung nichtstaatlich Verfolgter
in den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder sonstiger ver-
traglicher Schutzinstrumente nicht konsentiert ist. Auch der EU-Praxis
liegt ein Verfolgungsbegriff zugrunde, der unmittelbar staatliche oder
dem Staat zumindest zurechenbare Verfolgung voraussetzt (siehe insbe-
sondere den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 4. 3. 1996 betref-
fend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs „Flücht-
ling“ in Artikel 1 Genfer Flüchtlingskonvention, ABl. EG Nr. L 63/2
vom 13. 3. 1996). Die Mitgliedstaaten hatten sich bereits 1996 auf einen
gemeinsamen Standpunkt zum Flüchtlingsbegriff geeinigt, wonach nur

Drucksache 15/655 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

staatliche oder dem Staat zurechenbare Verfolgung zur Flüchtlingsaner-
kennung führt. Für die „nichtstaatliche“ und „geschlechtsspezifische“
Verfolgung (sofern diese keinem Staat zurechenbar sind) gilt dies aber
gerade nicht. Dies war lange Zeit auch die Ansicht der Bundesregierung
und des Bundesministers des Innern Otto Schily (vgl. Bundestagsdruck-
sachen 14/1058, 14/6682). Der Bundesminister des Innern hatte im
Jahre 2000 in einem Gutachten für den Rechtsausschuss des Deutschen
Bundestages (Ausschussdrucksache 14/0049) ausgeführt: „Der Wegfall
des Erfordernisses der Staatlichkeit (…) durch Gesetzesänderungen ließe
erheblichen Zuwanderungsdruck erwarten.“ Darüber hinaus hatte er an-
gegeben, dass auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
einem für Deutschland bedeutsamen Urteil vom 7. März 2000 (Fall T. I.
gegen das Vereinigte Königreich, 43844/98) festgestellt hatte, dass das
deutsche Rechtssystem in Fällen nichtstaatlicher Verfolgungen und
Menschenrechtsverletzungen nicht lückenhaft sei, sondern den erforderli-
chen Schutz im Rahmen des § 53 Abs. 6 Ausländergesetz biete. Noch im
September 2001, also kurz nach der Präsentation des ersten nichtförm-
lichen Entwurfs eines Zuwanderungsgesetzes im August 2001 (der aber
bereits die Statusaufwertung für den Personenkreis beinhaltete und damit
das Problem auf der Rechtsfolgenseite erledigte; hingegen umfasste der
im November 2001 in den Deutschen Bundestag eingebrachte und damit
förmliche Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes sowohl die Rechts-
grundseite, indem nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung
sowohl zu weiteren Fluchtgründen erhoben wurden als auch auf der
Rechtsfolgenseite Statusverbesserungen vorsah), hat er diese Position in
seiner Rede zu den Feiern des UNHCR zum 50-jährigen Bestehen der
Genfer Flüchtlingskonvention bestätigt. Trotz gleich gebliebener Sach-
und Rechtslage haben die Bundesregierung und der Bundesminister des
Innern, Otto Schily, diese rechtlich zutreffende und sachlich vernünftige
Position mit dem Zuwanderungsgesetz auf nationaler Ebene verlassen
und setzen dies, weil in Brüssel auf der Basis des Entwurfs des Zuwan-
derungsgesetzes verhandelt wird, auf supranationaler Ebene fort. Es ist
deswegen nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung entsprechenden
Bestrebungen auf europäischer Ebene den notwendigen Widerstand ent-
gegensetzt.

l Der Richtlinienvorschlag über Bedingungen für die Einreise und den
Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselb-
ständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit (KOM (2001) 386 endgül-
tig vom 11. 7. 2001)
Die am 12. Februar 2003 in Brüssel mit den Stimmen der Sozialisten und
Grünen im Europäischen Parlament beschlossenen Erleichterungen der
Einwanderung von Ausländern zur Arbeitsaufnahme in die Europäische
Union sind inakzeptabel. Ein einklagbarer Anspruch auf einen Aufent-
haltstitel, wenn eine freie Stelle innerhalb von drei Wochen nicht besetzt
werden kann, geht noch weit über die im Entwurf des Zuwanderungs-
gesetzes vorgesehene Aufhebung des Anwerbestopps hinaus. Die Re-
gelungen der Richtlinie sind migrationspolitisch verfehlt und rechtlich
zweifelhaft. Die Richtlinie ist migrationspolitisch bereits verfehlt, weil
durch sie der Druck auf die europäischen Arbeitsmärkte erhöht würde.
Ein Anspruch auf Einwanderung ist bei 4,7 Millionen Arbeitslosen in
Deutschland und 15 Millionen in Europa zweifellos ein völlig falsches
Zeichen an die einwanderungswilligen Arbeitswanderer aus den Staaten
außerhalb Europas, denn es besteht auf absehbare Zeit kein genereller
Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften. Zudem ist zu erwarten, dass es zu
Einwanderungsklagen und zu einer Zunahme illegaler Einwanderung
kommt, weil Anträge auch von in die EU eingereisten Touristen oder

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/655

illegal eingewanderten Ausländern gestellt werden können. Der Richt-
linienentwurf ist zudem rechtlich zweifelhaft, weil ihm in seiner jetzigen
Form die erforderliche Rechtsgrundlage fehlt. Für eine solche umfas-
sende Regelung des Arbeitsmarktzugangs in einem Rechtsakt, wie sie die
Richtlinie vorsieht, besitzt die Gemeinschaft keine Zuständigkeit. Zwar
kann grundsätzlich der Zugang zur Beschäftigung nach Artikel 137
Abs. 3 EGV und Einreise- und Aufenthalt nach Artikel 63 Abs. 3a EGV
generell von der Gemeinschaft geregelt werden. Diese Rechtsgrundlagen
sind aber wegen der Sonderrechte einiger Länder (Dänemark, Großbri-
tannien und Irland) nicht miteinander vereinbar, so dass der Richtli-
nienentwurf in seiner jetzigen Form handwerklich fehlerhaft ist. Da diese
Zweifel auf der Hand liegen, ist nicht nachvollziehbar, dass diese Fragen
von Kommissar Antonio Vitorino nicht vor der Herausgabe des Vorschla-
ges geprüft wurden. Sofern die Kommission den Vorschlag nicht von
selbst zurückzieht ist die Bundesregierung aufgerufen, den Entwurf in
Brüssel zu Fall zu bringen. Die Abstimmung am 12. Februar 2003 hat
aber auch gezeigt, dass in Brüssel Sozialisten und Grüne dem Bundesmi-
nister des Innern, Otto Schily, erneut in den Rücken gefallen sind. Es ist
bereits nicht sachgerecht, dass der Bundesminister des Innern, Otto
Schily, bei einer Arbeitslosigkeit von 4,7 Millionen Menschen mit dem
Zuwanderungsgesetz den Anwerbestopp generell aufheben will. Das aber
reicht europäischen Sozialisten und Grünen noch nicht, sie sind noch da-
rüber hinausgegangen und haben sich offen gegen den Bundesminister
des Innern und die Bundesregierung gestellt. Mit diesem Mangel an Kon-
zeption, Koordination und Handlungsfähigkeit lassen sich in Brüssel
keine Verhandlungen führen.

l Richtlinienvorschlag zum Status langfristig aufhältiger Drittstaatsange-
höriger (KOM (2001) 127 endgültig vom 13. 3. 2001)
Der Vorschlag orientiert sich weitgehend am Freizügigkeitsrecht für EU-
Bürger und sieht eine weitgehende Gleichstellung zwischen EU-Bürgern
und Drittstaatsangehörigen vor oder geht teilweise noch über deren
Rechte hinaus. Der Status der Drittstaatsangehörigen wird an zu geringe
Voraussetzungen geknüpft. So sind fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt
keine ausreichende Zeitspanne. Hingegen muss es den Mitgliedstaaten
möglich werden, die Verleihung des Status von einem Integrationsbeitrag
(Erlernen der Sprache) abhängig zu machen. Nicht akzeptabel ist auch
die Gleichstellung von EU-Bürgern beim erhöhten Ausweisungsschutz.
Erforderlich ist eine Regelung, nach der drittstaatsangehörige Straftäter
ohne weitere Erschwernisse ausgewiesen werden können. Die letztlich
mit dem Richtlinienentwurf verbundene Entwertung des privilegierten
Rechtsstatus der EU-Bürger ist nicht hinnehmbar.

8. Ähnelte die gemeinsame europäische Asylpolitik dem aktuellen Brüsseler
Strickmuster und ihrem nationalen Pendant, dem Entwurf des Zuwande-
rungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 15/420), ist es besser, bei den gelten-
den nationalen Ausländer- und Asylrechtsregelungen zu bleiben. Die Vor-
schläge der Kommission werden in unserem Land und in Europa Schaden
anrichten. Die maßgeblichen Richtlinienentwürfe werden alle wesentlichen
zuzugsbeschränkenden Regelungen der Asylrechtsreform des Jahres 1993
zur Zuzugssteuerung, Straffung und Vereinfachung der Verfahren rückgän-
gig machen oder aushöhlen, teilweise sollen sogar noch über den bis 1993
geltenden Rechtszustand hinausgehende Rechte geschaffen werden. Die
Mitglieder der Bundesregierung haben geschworen, Schaden abzuwenden.
Deshalb müssen sie sich den Brüsseler Plänen widersetzen, notfalls durch
ein Veto. In Brüssel umzustoßen, was 1993 mit der Asylrechtsreform müh-
sam aufgebaut worden war, ist destruktiv. Die Bundesregierung und der
Bundesminister des Innern, Otto Schily, sind aufgefordert, in Brüssel nicht

Drucksache 15/655 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nur hart nein zu rufen, sondern auch hart zu bleiben. Wer, anstatt über effek-
tive Zuzugsbegrenzung nachzudenken, Pläne schmiedet, die diesen Zuzug
erhöhen werden, schadet der großen europäischen Idee statt sie zu fördern.

9. Vor diesem Hintergrund ist eine neue Informationspolitik der Bundesregie-
rung erforderlich, denn ohne umfassende Information kann eine effektive
parlamentarische Kontrolle nicht erfolgen. Dazu muss das bisher praktizierte
Informationsmanagement der Bundesregierung auf das Fundament eines ge-
regelten Verfahrens gestellt werden. Dieses Verfahren muss nachfolgende
Anforderungen erfüllen:
1. Die Bundesregierung unterrichtet den Deutschen Bundestag über die

Fachausschüsse umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über
Angelegenheiten der Europäischen Union.

2. Ist die Angelegenheit der Europäischen Union rechtserheblich, unterrichtet
die Bundesregierung ab Kenntnisnahme unverzüglich, mindestens aber
zwei Sitzungswochen vor einer Gremiensitzung, den Deutschen Bundes-
tag. Die Unterrichtung besteht aus schriftlichen Grundinformationen und
dem jeweiligen Verhandlungsstand entsprechenden schriftlichen weiterfüh-
renden Informationen. Rechtserheblichkeit liegt insbesondere vor, wenn die
Handlung Auswirkungen auf die deutsche Rechtsordnung hat.

3. Mit der Unterrichtung muss der Regelungsentwurf und seine Auswirkung
auf die deutsche Rechtsordnung umfassend und erschöpfend beschrieben
werden. Insbesondere sind die deutschen Normen zu benennen, die durch
den Entwurf des Rechtsaktes verändert, aufgehoben oder geschaffen wer-
den oder die zu ändern oder aufzuheben sind. Dem Deutschen Bundestag
ist mitzuteilen, ob der Regelungsentwurf den Erlass einer bisher noch
nicht bestehenden Regelung erfordert. Im diesem Fall beinhaltet die
Mitteilung einen hypothetischen „gerade noch mit dem europäischen
Regelungsentwurf konformen“ nationalen Umsetzungsakt. Gleiches gilt,
sofern der Regelungsentwurf eine deutsche Norm abändert oder eine
deutsche Norm abzuändern ist.

4. Befindet sich der Entwurf eines Gesetzes im nationalen Gesetzgebungs-
verfahren und tangiert der europäische Regelungsentwurf den Gesetzent-
wurf, hat die Bundesregierung die Auswirkungen gleichsam zu beschrei-
ben. Dies gilt auch für Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf.

5. Wird im europäischen Regelungsverfahren von dem ursprünglich einge-
brachten Entwurf in Verhandlungen abgewichen, ist das vorstehende Ver-
fahren entsprechend anzuwenden (weiterführende Information).

6. Die Bundesregierung unterrichtet den Deutschen Bundestag über die
Positionen der anderen Mitgliedstaaten zu Angelegenheiten der Europä-
ischen Union unverzüglich nach ihrer Kenntnisnahme. Soweit es für den
Informationsanspruch des Deutschen Bundestages erforderlich ist, wird
das vorstehende Verfahren entsprechend angewendet.

7. Die Bundesregierung hat übersichtliche Listen (fortlaufendes Register)
über alle neuen Richtlinienvorschläge und sonstige Vorschläge für
Rechtsakte, auch Verordnungen im Asyl- und Zuwanderungsbereich, die
Veränderungen der deutschen Rechtsordnung mit sich bringen, auszuar-
beiten, wobei diese Listen u. a. auch anzeigen müssen, über welche Kom-
missionsvorschläge und wann die Bundesregierung automatisch eine
Unterrichtung vorlegt. Aus der Liste müssen sich die Entwicklung des
Normgebungsprozesses eines Rechtsaktes oder eines Entwurfs eines
Rechtsaktes oder eines sonstigen Vorhabens chronologisch und unter Ver-
weis auf den dem Deutschen Bundestag abzugebenden Bericht der Bun-
desregierung ergeben. Das Register weist auch die Änderung bereits be-
stehender europäischer Rechtsakte aus. Es ist ständig fortzuschreiben.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/655

8. Nachdem die Regierungsvertreter an einer Ratssitzung teilgenommen
haben, übermittelt die Bundesregierung das Protokoll der Ratssitzung
unverzüglich dem Deutschen Bundestag.

10. Für den Fall, dass auch künftig die Bundesregierung in Brüssel nicht auf
der Grundlage des geltenden Ausländer- und Asylrechts verhandeln sollte,
wird der Deutsche Bundestag ein förmliches Gesetz („Mandatsgesetz“) auf
der Grundlage von Artikel 73 Nr. 1 Grundgesetz erlassen, dass das geltende
Ausländer- und Asylrecht als verbindliche deutsche Verhandlungsposition
bei europäischen Rechtssetzungsakten festschreibt.
Festzustellen ist, dass der Erlass eines solchen Gesetzes nur als ultima ratio
in Betracht kommen kann. Der Deutsche Bundestag muss aber als letztes
Mittel eine Maßnahme zur Verfügung haben, mit der er notfalls in inhalt-
lich-verbindlicher Form auf die europäische Integrationspolitik der Bun-
desregierung Einfluss zu nehmen berechtigt ist. Dem steht auch nicht Arti-
kel 23 Abs. 2 und 3 Grundgesetz entgegen, denn der Deutsche Bundestag
als Träger der Gesetzgebungskompetenz insgesamt ist nicht gehindert, über
das Instrument des schlichten rechtlich unverbindlichen Parlamentsbe-
schlusses („Recht zur Stellungnahme“) hinaus nach Maßgabe der ihm all-
gemein zur Verfügung stehenden Regelungsmöglichkeiten tätig zu werden.
Das angemessene Mittel im Umgang von Deutschem Bundestag und Bun-
desregierung in Fragen der Europäischen Union ist und bleibt im Regelfall
aber der vom Grundgesetz in Artikel 23 Abs. 3 Grundgesetz vorgesehene
rechtlich unverbindliche Parlamentsbeschluss. Ein Verzicht auf den mög-
lichen Erlass eines förmlichen Gesetzes („Mandatsgesetz“) setzt aus Sicht
des Deutschen Bundestages aber voraus, dass das Zusammenwirken von
Bundesregierung und Parlament funktioniert. Der Harmonisierungsprozess
in Sachen Asyl-, Ausländer- und Zuwanderungsfragen dauert bereits einige
Jahre an. Die weitestgehenden Entwicklungen hat es in den vergangenen
Jahren gegeben. In dieser Zeit hat sich aber gezeigt, dass die Bundesregie-
rung ihren Informationsvorsprung und ihre Teilnahme an den Ratssitzun-
gen dazu genutzt hat, um Regelungen für Deutschland verbindlich über Eu-
ropa festzuschreiben oder voranzutreiben, die mit geltendem Recht nicht
vereinbar sind und ohne den Deutschen Bundestag umfassend im unter Zif-
fer 9 verstandenen Sinne zu unterrichten und ihm angemessene Gelegen-
heit zur Erarbeitung einer fundierten Stellungnahme zu geben.
Dies kann der Deutsche Bundestag, der sich ausdrücklich zu einer sinnvol-
len und die Interessen Deutschlands beachtenden europäischen Lösung der
Ausländer- und Asylfragen bekennt, bei so elementaren gesellschaftspoliti-
schen Entscheidungen nicht länger hinnehmen.
Es ist auch nicht zu befürchten, dass im Falle eines Erlasses eines solchen
Gesetzes die europäische Integration Schaden nähme. Wie das dänische
Beispiel zeigt, entsprechen Parlamentsvorbehalte dem Ratsalltag. Außer-
dem ist die europäische Ausländer- und Asylpolitik der Einstimmigkeit un-
terworfen, so dass auch die anderen europäischen Partner wissen, dass in
diesem Regelungsbereich besondere Rücksicht auf die anderen europäi-
schen Partner und deren nationalen Belange zu nehmen ist.

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