BT-Drucksache 15/575

Keine Zustimmung zur Erhöhung der EURATOM Kreditlinie

Vom 12. März 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/575
15. Wahlperiode 12. 03. 2003

Antrag
der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren, Michael Müller (Düsseldorf),
Horst Kubatschka, Dr. Axel Berg, Günter Gloser, Dieter Grasedieck,
Monika Griefahn, Rolf Hempelmann, Ulrich Kasparick, Ulrike Mehl, Michael Roth
(Heringen), Dr. Hermann Scheer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowieMichaele Hustedt, Rainder Steenblock, Christine Scheel, Volker Beck (Köln),
Cornelia Behm, Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann,
Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske,
Friedrich Ostendorff, Albert Schmidt (Ingolstadt), Ursula Sowa,
Dr. Antje Vogel-Sperl, Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Zustimmung zur Erhöhung der EURATOM Kreditlinie

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
darauf hinzuwirken, dass die Vorschläge der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften zur Änderung der Ermächtigungsgrundlagen für die Finanzie-
rung von Kernkraftanlagen EURATOM-Anleihen aufzunehmen, im ECOFIN-
Rat abgelehnt werden.

Berlin, den 12. März 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

Begründung
Die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) wurde 1957 mit dem Ziel
gegründet, die Entwicklung der Kernenergie in Europa durch ein gemeinsames
Vorgehen zu fördern. 1977 ermächtigte der Rat die Kommission mit dem Be-
schluss 77/270/Euratom, zur Finanzierung von Kernkraftanlagen Anleihen auf-
zunehmen. Durch mehrere Beschlüsse wurde der im Beschluss 77/270/Euratom
festgelegte Anleihehöchstbetrag von ursprünglich 500 Millionen Europäischen
Rechnungseinheiten auf jetzt 4 Mrd. Euro angehoben. Mit Beschluss 94/179/
Euratom des Rates wurde der bis dahin auf den Neubau von Kernenergieanla-
gen in Mitgliedsländern beschränkte Einsatzbereich der EURATOM-Darlehen
auf die Finanzierung von Vorhaben zur Verbesserung der Sicherheit und des

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Wirkungsgrades von Kernkraftanlagen in osteuropäische Ländern ausgedehnt.
Dazu gehört unter bestimmten Bedingungen auch der Neubau von Kernkraft-
werken (92/179/Euratom).
Die Kommission hat am 6. November 2002 Vorschläge zur Änderung der Be-
schlüsse 77/270/Euratom und 77/271/Euratom beschlossen. Mit diesen Vor-
schlägen, die noch der Zustimmung des Europäischen Rates bedürfen, soll
l der Anleihehöchstbetrag von bisher 4 auf 6 Mrd. Euro angehoben und
l der Anwendungsbereich von EURATOM-Darlehen erweitert werden.
Der Deutsche Bundestag spricht sich aus folgenden Gründen gegen beide Vor-
schläge aus:
l Die deutsche Bundesregierung hat am 11. Juni 2001 mit den Energieversor-

gungsunternehmen vereinbart, die Nutzung der Kernenergie in Deutschland
geordnet zu beenden. Der Deutsche Bundestag hat am 14. Dezember 2001
das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung verabschie-
det. Es ist am 27. April 2002 in Kraft getreten. Die Bundesregierung und der
Deutsche Bundestag halten die Risiken der Kernenergienutzung nur noch
für einen begrenzten Zeitraum für hinnehmbar. Der Förderzweck der Euro-
päischen Atomgemeinschaft und die Bereitstellung von EURATOM-Darle-
hen sind mit der Zielsetzung des deutschen Atomausstiegs unvereinbar.

l Alle EURATOM-Kredite, die seit 1994 bewilligt wurden oder beantragt
sind, betreffen Atomkraftwerke in Osteuropa. Die Sicherheitswirkung dieser
Nuklearprojekte ist jedoch zweifelhaft:
1. Die Kommission hatte im Dezember 2000 Gelder für den Bau von zwei

neuen Atomkraftwerken in der Ukraine (K2R4) bewilligt. Diese 688
Mio. Euro sind bisher nicht abgeflossen, da die Ukraine die geforderten
Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsauflagen nicht erfüllt hat. Der Deut-
sche Bundestag hatte sich bereits zuvor aus Sicherheitsbedenken in der
Resolution 14/795 gegen die Unterstützung dieses Projektes ausgespro-
chen.

2. Zurzeit ist bei EURATOM lediglich ein Kreditantrag anhängig. Hier wer-
den Gelder in Höhe von 250 Mio. Euro für den Neubau des rumänischen
Atomkraftwerkes Cernavoda 2 beantragt. Dieser Kredit führt nicht zur
Erhöhung der nuklearen Sicherheit in Osteuropa, da im Gegenzug kein
älterer Atommeiler abgeschaltet wird.

3. Der Bau von sechs russischen Atomkraftwerken stockt aufgrund fehlen-
der Finanzmittel. Es wird überlegt, den Weiterbau der Atomkraftwerke in
Kalinin, Balokov, Kursk und Rostov durch EURATOM-Kredite zu
ermöglichen. Der Bau des AKW Kursk ist besonders problematisch, da
es sich hier um einen Reaktor des Typs Tschernobyl handelt, den die
Kommission als „nichtverbesserungsfähig“ eingestuft hat (COM(2000)
493 final).

Diese Projekte fördern den Ausbau der Atomenergie in Europa. Damit füh-
ren sie zu einer Steigerung des nuklearen Risikos statt zu einer Verbesserung
der Sicherheitssituation.

l Eine Grundlage des europäischen Einigungs- und Erweiterungsprozesses ist
die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in einem europäischen
Markt. Diesem Ziel dient im Bereich der Stromerzeugung, -verteilung und
-nutzung die EU-Richtlinie zum Strombinnenmarkt (Richtlinie 96/92/EG
vom 19. Dezember 1996). Die Förderung atomarer Stromerzeugungsinvesti-
tionen durch EURATOM-Darlehen widerspricht dem Nachhaltigkeitsprin-
zip und der an der Stärkung von Energieeffizienz und Erneuerbaren Ener-
gien orientierten Energiepolitik der Gemeinschaft und den Zielvorstellungen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/575

des Energiebinnenmarktes. Für den Rückbau von Kernenergieanlagen wur-
den Rückstellungen gebildet, auch schließen die Vorschläge der Kommis-
sion die Inanspruchnahme von EURATOM-Krediten für den Rückbau deut-
scher Kernkraftwerke aus. Alle Kosten der Kernenergienutzung in Deutsch-
land wurden von den Stromverbrauchern und den Steuerzahlern getragen.
Es würde den Wettbewerb im europäischen Strommarkt zu Lasten der
Stromverbraucher in Deutschland verzerren, wenn kerntechnische Investiti-
onen in anderen Ländern durch günstige EURATOM-Kredite subventioniert
würden.

l Grundsätzlich ist es zu begrüßen, osteuropäische Länder bei der Demontage
ihrer Atomreaktoren zu unterstützen. Allerdings ist die EURATOM-Kredit-
linie nicht das richtige Instrument dafür. Dessen Regelwerk sieht vor, dass
die Rückzahlung von EURATOM-Krediten aus den Betriebsgewinnen des
jeweiligen Atomprojektes erzielt werden muss. Durch den Rückbau von
Atomreaktoren können jedoch keine Gewinne erzielt werden. Mit dem „De-
commissioning Fund“, der durch die Osteuropabank verwaltet wird, existiert
bereits ein adäquates Instrument, um die betroffenen Ländern bei dieser
Aufgabe zu unterstützen. Die Bundesregierung sollte die EU unterstützen,
diese Möglichkeit weiter auszubauen.

Der EU-Konvent arbeitet an einer europäischen Verfassung. Der Deutsche
Bundestag unterstützt diesen europäischen Einigungs- und Erweiterungspro-
zess mit allem Nachdruck.
In diesem Zusammenhang verweist er auf seinen Beschluss „Reform durch
Verfassung: Für eine demokratische, solidarische und handlungsfähige Europä-
ische Union“ vom 15. Mai 2002 (Bundestagsdrucksache 14/9047), in dem er
unter anderem festgestellt hat:
– Der EURATOM-Vertrag ist nicht mehr zeitgemäß, die Förderung der Atom-

kraft durch den EURATOM-Vertrag sollte auslaufen.
– Die Mittel für EURATOMmüssen der Kontrolle durch das Europäische Par-

lament unterliegen.
Die beiden Vorschläge der Kommission stehen nicht in Einklang mit diesem
Beschluss. Deshalb werden sie abgelehnt.

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