BT-Drucksache 15/4912

Bürokratische Auswirkungen des Antidiskriminierungsgesetzes

Vom 15. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4912
15. Wahlperiode 15. 02. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Michael Fuchs, Hartmut Koschyk,
Thomas Strobl (Heilbronn), Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann,
Clemens Binninger, Helge Braun, Klaus Brähmig, Hartmut Büttner (Schönebeck),
Monika Brüning, Gitta Connemann, Alexander Dobrindt, Marie-Luise Dött,
Klaus-Peter Flosbach, Hans-Joachim Fuchtel, Norbert Geis, Roland Gewalt,
Ralf Göbel, Peter Götz, Reinhard Grindel, Markus Grübel, Ernst Hinsken, Volker
Kauder, Kristina Köhler (Wiesbaden), Dorothee Mantel, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Stephan Mayer (Altötting), Hildegard Müller, Michaela Noll,
Beatrix Philipp, Dr. Peter Ramsauer, Hannelore Roedel, Hartmut Schauerte,
Angela Schmid, Dr. Ole Schröder, Lena Strothmann, Arnold Vaatz, Andrea Voßhoff,
Marco Wanderwitz, Ingo Wellenreuther, Klaus-Peter Willsch, Dagmar Wöhrl,
Willi Zylajew und der Fraktion der CDU/CSU

Bürokratische Auswirkungen des Antidiskriminierungsgesetzes

Die Diskriminierung eines Menschen wegen seiner äußeren Merkmale oder sei-
ner Veranlagung widerspricht dem christlichen Menschenbild, welches von der
Unverletzbarkeit der Würde eines jeden Einzelnen ausgeht. Es ist daher völlig
selbstverständlich, dass sich eine Gesellschaft Regeln gibt, die allen deutlich
machen, dass Diskriminierung strikt abgelehnt und geahndet werden muss.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben am 14. Dezem-
ber 2004 den Entwurf für ein so genanntes Antidiskriminierungsgesetz (ADG)
vorgelegt (Bundestagsdrucksache 15/4538). Die Vorlage des ADG wird mit
dem Zwang zur Umsetzung europäischer Richtlinien aus dem Jahr 2000 be-
gründet. Dies ist aber nur vordergründig richtig, denn der Gesetzentwurf geht
deutlich über die europäischen Regelungen hinaus. Diese schreiben für das
Zivilrecht beispielsweise nur Regelungen im Hinblick auf Benachteiligungen
wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft vor. Zum anderen hat es die
Bundesregierung versäumt, sich in den vergangenen vier Jahren bei der Euro-
päischen Union für eine Aufhebung der maßgeblichen Richtlinien einzusetzen.
Die Frage, ob die EU-Richtlinien, die angeblich dieses ADG erzwingen, nicht
schon durch deutsches Recht erfüllt gewesen wären, ist offenbar nicht diskutiert
worden.
Gegen den Gesetzentwurf bestehen erhebliche Bedenken. So stehen die vor-
geschlagenen Regelungen in einem klaren Widerspruch zu der Werteordnung
unseres Grundgesetzes. Sie gefährden die verfassungsrechtlich geschützte Pri-
vatautonomie und lassen eine massive Beschränkung des Wirtschafts- und des
Rechtsverkehrs befürchten. Vor allem kleineren und mittleren Unternehmen
entstehen enorme bürokratische Pflichten, ohne dass das eigentliche Ziel, keine
Diskriminierung im gesellschaftlichen Miteinander, erreicht wird.

Drucksache 15/4912 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

So wird eine Antidiskriminierungsstelle beim Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eingerichtet. Zu erwarten ist, dass An-
tidiskriminierungsverbände als „Abmahnvereine“ eine Prozesswelle auslösen
werden. Anstatt unseren weltweit am höchsten regulierten Arbeitsmarkt zu
flexibilisieren, wird mit diesem Gesetz weiter reguliert. Die Sorge der Unter-
nehmen, mit umfangreichen Dokumentationspflichten im Rahmen der Ver-
tragsverhandlungen überzogen zu werden, ist sehr verständlich. Um gegen den
möglichen Vorwurf, die Nichteinstellung bzw. Ablehnung beruhe auf dem Alter
oder der Religion des Bewerbers, gewappnet zu sein, wird zukünftig umfang-
reiche Archivierung erforderlich sein.
Das Gesetzesvorhaben konterkariert so die Bemühungen, die rechtlichen Rah-
menbedingungen in Deutschland wirtschaftsfreundlich zu gestalten, um einen
nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung zu erreichen. Es wird nach Ansicht von
Experten gerade nicht dazu führen, Diskriminierung in der Arbeitswelt präven-
tiv zu verringern, sondern vielmehr die historisch einmalig hohe Massenarbeits-
losigkeit in Deutschland weiter zementieren, Arbeitgeber aus Gründen notwen-
diger Rechtssicherheit zu mehr Zurückhaltung bei Neueinstellungen zwingen
und so die dringend notwendigen Anreize zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im
Keim ersticken.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchen Regelungsbereichen hat das bestehende deutsche Recht die

Vorgaben der EU-Richtlinien 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000,
2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 und 2002/73/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2003 (EU-Richt-
linien) bisher nicht erfüllt?

2. In welchen Einzelregelungen geht der Gesetzentwurf über die Vorgaben der
diesem Gesetzentwurf zugrunde liegenden EU-Richtlinien hinaus?

3. Ist es richtig, dass kein anderes EU-Land derart weit über die EU-Vorgaben
in der nationalen Umsetzung in der Antidiskriminierung hinaus geht wie
Deutschland?
Wenn ja, warum nicht?
Wenn nein, welche Länder sind dies und in welchen Punkten gehen diese
über die EU-Vorgaben hinaus?

4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass andere EU-Mitgliedstaaten
(z. B. Großbritannien, Irland oder Schweden) den Schutz der Arbeitnehmer
allein durch ausgeprägte Antidiskriminierungsrechte garantieren, während
Deutschland diesen Schutz in einzelnen starken Arbeitnehmerschutzgeset-
zen regelt?
Wenn nein, warum nicht?

5. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dafür, dem Arbeit-
geber eine Gefährdungshaftung für alle Arten von Personalmaßnahmen auf-
zubürden?

6. Wieso wendet die Bundesregierung über die EU-Vorgaben hinausgehend
alle Diskriminierungsmerkmale auch auf die normalen zivilrechtlichen Ver-
tragsverhältnisse an?

7. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch des ADG mit der im Grund-
gesetz verankerten Vertragsfreiheit?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die im Gesetzentwurf unter E. „Sonstige
Kosten“ getroffene Feststellung, dass „Anbietern von Gütern und Dienstleis-
tungen zusätzliche Dokumentationskosten in unwesentlicher Höhe entstehen
können“?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4912

9. Um welche Dokumentationskosten handelt es sich der Form und ihrem
Umfang nach?

10. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den genauen zusätzlichen Bürokra-
tieaufwand durch die Dokumentationspflichten der Arbeitgeber bei Neu-
einstellungen?
Wie wirkt sich diese auf Großunternehmen, mittlere und kleine Unterneh-
men aus?

11. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung von Fachkreisen und Verbän-
den auf die zu erwartenden Dokumentationskosten bei Anbietern von
Gütern und Dienstleistungen hingewiesen, und wenn ja, welche Kosten-
prognosen wurden dabei mitgeteilt?

12. Liegen der Bundesregierung Stellungnahmen von Fachkreisen und Ver-
bänden im Sinne des § 44 Abs. 4 Nr. 1 der Gemeinsamen Geschäftsord-
nung der Bundesministerien (GGO) zu den zu erwartenden Kosten vor?

13. Wurden dem zuständigen Ministerium neben der Kostenfolge für die Wirt-
schaft weitere Bedenken aus anderen Gründen von den Fachkreisen der
Wirtschaft oder anderen befragten Verbänden mitgeteilt?
Wenn ja, welche sind dies?

14. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die in dem Gesetzentwurf ge-
plante Antidiskriminierungsstelle personell besetzt sein?
In welcher Höhe werden Kosten entstehen und wie setzen sich diese Kos-
ten im Einzelnen zusammen?

15. Aus welchen Gründen sieht das ADG nach Einschätzung der Bundesregie-
rung eine Zusammenarbeit der Antidiskriminierungsstelle allein mit Nicht-
regierungsorganisationen, aber nicht mit Organisationen der Arbeitgeber-
seite vor?

16. Aus welchen Gründen ist nach Einschätzung der Bundesregierung die
Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle über die Vorgaben der Euro-
päischen Union hinaus auch auf Diskriminierungen aufgrund von Religion
oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität ausge-
weitet worden, obwohl es hierfür bereits Anlaufstellen (wie z. B. die Be-
hindertenbeauftragte) gibt?
Inwieweit sind hier inhaltliche Überschneidungen denkbar?

17. Wie viel Zeit wird die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle nach
Einschätzung der Bundesregierung voraussichtlich beanspruchen?

18. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Einschätzungen und Progno-
sen über den Umfang der zu erwartenden Arbeit der Antidiskriminierungs-
verbände, und wenn ja, welches sind deren Kernaussagen?

19. Wie lässt sich der Gesetzentwurf zum ADG mit den angekündigten Bemü-
hungen der Bundesregierung um mehr Bürokratieabbau in Deutschland
vereinbaren?

20. Aus welchen Gründen werden nach Ansicht der Bundesregierung in dem
Gesetzentwurf Begriffe wie z. B. „sexuelle Identität“ verwendet, die dem
deutschen Recht so nicht bekannt sind?
Inwieweit ist diese Vorgehensweise im Hinblick auf die Verständlichkeit
des Gesetzes gerechtfertigt?

21. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung Fachkreise aus dem Bereich von
Hauseigentümern und Vermietern im Vorfeld des Gesetzgebungsverfah-
rens um eine Stellungnahme gebeten worden?
Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 15/4912 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
22. Wie steht die Bundesregierung zu der Position des Zentralverbandes der
Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e. V., der Gesetzent-
wurf würde bei seiner Umsetzung eine beispiellose Bürokratie auslösen?

23. Welche Auswirkungen wird das Gesetz nach Einschätzung der Bundes-
regierung auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstruk-
turen haben?

24. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Position des Zentralverbandes der
Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e. V., dass es bei dem
Begriff „Massengeschäft“ im Hinblick auf die Formulierungen in § 2
Abs. 1 Nr. 8 ADG-E und § 20 ADG-E zu Auslegungsschwierigkeiten
kommen könnte?

25. Wie steht die Bundesregierung zu der Einschätzung des Deutschen An-
waltvereins, dass die Einrichtung einer gesonderten Beschwerdestelle in
Betrieben, Unternehmen und Dienststellen (§ 13 ADG-E) nicht erforder-
lich sei und zur Vermeidung von unnötiger Bürokratie unterbleiben sollte?

26. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des Deutschen An-
waltsvereins, dass das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot insbesondere
bei Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft
oder auch des Geschlechts ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit und ein
hohes Streitpotential befürchten lässt, welches vermutlich eine anhaltende
Prozessflut nach sich ziehen wird?

27. Welche Umsetzungserfahrungen gibt es mit dem Gleichstellungsdurchset-
zungsgesetz vom 30. November 2001 und wie wurden diese nach Kenntnis
der Bundesregierung in die Regelungen für den öffentlichen Dienst im vor-
liegenden Entwurf eingearbeitet?

28. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass die Befugnis der
Antidiskriminierungsverbände zur Prozessvertretung bei vermeintlichen
Diskriminierungen zu einer erheblichen Mehrbelastung der ohnehin schon
überlasteten Gerichte führen wird?

29. Warum wird nach Ansicht der Bundesregierung in dem Gesetzentwurf nicht
wie in Österreich und den Niederlanden ein Schlichtungsverfahren einge-
führt, sondern neben dem ordentlichen Gerichtsverfahren zur Durchsetzung
von Schadensersatzansprüchen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes
mit Schlichtungsbefugnissen ausgestattet (§ 28 Abs. 2 Nr. 3 ADG-E)?

30. Was sind die Vorteile und was die Nachteile der in dem Gesetzentwurf ge-
wählten Richtlinienumsetzung im Gegensatz zu dem von Österreich und
den Niederlanden gewählten Schlichtungsverfahren?

31. Inwieweit ist die Schaffung der nebeneinander stehenden Rechtsschutz-
instrumentarien der betrieblichen Beschwerdenstelle, der Antidiskriminie-
rungsstelle des Bundes und des Zivilgerichtsverfahrens mit Blick auf eine
schnelle Streitbeilegung sinnvoll und erforderlich?

Berlin, den 15. Februar 2005
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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