BT-Drucksache 15/4552

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Volker Kauder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU -15/4285- Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Vom 17. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4552
15. Wahlperiode 17. 12. 2004

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
(1. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Volker Kauder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 15/4285 –

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

A. Problem
Der Antrag strebt eine auf die Visapolitik der Bundesregierung seit Oktober
1998 bezogene Untersuchung an. Es soll geprüft werden, ob es zu Rechtsver-
letzungen oder zur Ermöglichung oder Erleichterung krimineller Tätigkeiten
gekommen ist und worauf etwaige Missstände zurückzuführen sind. Gewon-
nene Erkenntnisse sollen ggf. zu Veränderungsvorschlägen führen.

B. Lösung
Der 1. Ausschuss empfiehlt, den Einsetzungsantrag in geänderter Fassung
anzunehmen. Die Ausschussfassung unterscheidet sich vom ursprünglichen
Antrag insbesondere dadurch, dass laut Obersatz der Ziffer II in die Prüfung
auch der Zeitraum vor 1998 einbezogen und mit Blick auf die Untersuchung
etwaiger regierungsinterner Meinungsverschiedenheiten (Ziffer III Nr. 3) die
verfassungsrechtliche Schranke des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwor-
tung ausdrücklich aufgeführt wird. Im Weiteren hat der Antrag gewisse Modi-
fizierungen erfahren, um den Untersuchungsauftrag zu präzisieren sowie un-
bestimmte Formulierungen oder Ergebnisse vorwegnehmende Formulierungen
zu vermeiden.
Annahme der Ziffern I, IIÍ Nr. 1 und 2 sowie IV mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Annahme der Ziffer II mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP
Annahme der Ziffer III Nr. 3 mit je einer Stimme der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der übrigen Mitglieder der Fraktion
der CDU/CSU

Drucksache 15/4552 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

C. Alternativen
Annahme des Antrags in unveränderter Fassung.

D. Kosten
Wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4552

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag – Drucksache 15/4285 – in folgender Fassung anzunehmen:
Es wird ein Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes ein-
gesetzt.
Dem Untersuchungsausschuss sollen 13 Mitglieder (SPD 6, CDU/CSU 5,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1, FDP 1) und die entsprechende Anzahl von
stellvertretenden Mitgliedern angehören.
I. Der Untersuchungsausschuss soll klären, ob durch Mitglieder der Bundes-

regierung oder durch andere Personen imVerantwortungsbereich der Bundes-
regierung durch Erlasse,Weisungen oder in sonstigerWeise seit Oktober 1998
bei Anwendung des geltenden Ausländerrechts die Sicherheit der Bundes-
republik Deutschland oder anderer Schengenstaaten beeinträchtigt oder ge-
fährdet wurde und dabei insbesondere durch die Visaerteilungspraxis der
deutschen Auslandsvertretungen insbesondere in Moskau, Kiew, Tirana und
Pristina
1. gegen geltendes Recht oder internationale, insbesondere Schengener Ver-

pflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, verstoßen wurde,
2. Schwarzarbeit, Prostitution, Frauenhandel, terroristische Handlungen

oder sonstige Kriminalität – auch in der Form der Organisierten Krimi-
nalität –, wie z. B. gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Aus-
ländern, ermöglicht oder erleichtert wurden.

II. Der Untersuchungsausschuss soll zur Aufklärung der Visaerteilungspraxis
der deutschenAuslandsvertretungen und dabei der Anwendung des geltenden
Ausländerrechts auch unter Einbeziehung des Zeitraums vor 1998 insbeson-
dere prüfen,
1. welche Vorgaben für die Ermessensentscheidungen in Visaerteilungsver-

fahren gemacht wurden, um eine sachgerechte und gleichmäßige Praxis
sicherzustellen,

2. welche Vorgaben für die Zusammenarbeit der Auslandsvertretungen mit
den zuständigen Ausländerämtern bestanden und wie die Zusammen-
arbeit faktisch ablief und

3. wodurch die Entwicklung des Reise- und Besuchsverkehrs zwischen
dem Schengen-Raum und den MOE- sowie GUS-Staaten wesentlich
bestimmt war.

III. Der Untersuchungsausschuss soll dabei insbesondere auch klären,
1. wie es zu den unter Ziffer I aufgeführten Missständen – wenn sie fest-

gestellt werden können – gekommen ist,
2. a) ob es Hinweise auf unter Ziffer I genannte Missstände infolge der

Visaerteilungspraxis und auf Fehlverhalten bei der Visaerteilung
gegeben hat;

b) ggf. von wem und wann diese Hinweise gekommen sind und
c) an wen diese Hinweise ggf. weitergeleitet wurden,

Drucksache 15/4552 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

3. wie ggf. innerhalb der Bundesregierung bestehende Meinungsunter-
schiede über die Anwendung des geltenden Ausländerrechts geregelt
wurden und wer sich dabei und aus welchen Gründen durchgesetzt hat,
soweit dadurch der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung nicht
in verfassungswidriger Weise berührt wird.

IV. Der Untersuchungsausschuss soll auf Grund seiner Erkenntnisse ggf. auch
Vorschläge machen, welche rechtlichen Veränderungen des Visaerteilungs-
verfahrens erforderlich sind, um die Sicherheitslage der Bundesrepublik
Deutschland und der Schengenstaaten zu verbessern, die Abwehr illegaler
Migrationsbewegungen zu verstärken und unser Interesse an Offenheit in
der globalisierten Welt nicht durch eine falsche Visapolitik zu gefährden.

Berlin, den 16. Dezember 2004

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Erika Simm
Vorsitzende

Dr. Dieter Wiefelspütz
Berichterstatter

Dr. Jürgen Gehb
Berichterstatter

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4552

Der Deutsche Bundestag hat den von Mitgliedern des Bun-
destages und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in
seiner 145. Sitzung am 2. Dezember 2004 beraten und an
den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss) überwiesen.
Die Koalitionsfraktionen hatten in der Aussprache eine Ver-
letzung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung
geltend gemacht und einen Bedarf für notwendige Ergän-
zungen des Untersuchungsauftrags angemeldet und hiermit
ihren Überweisungsantrag begründet. Die Fraktion der An-
tragsteller sah demgegenüber in der Überweisung eine Ver-
letzung des Minderheitsrechts, da der Antrag keine Verfas-
sungsbedenken aufwerfe und Ergänzungswünsche verfas-
sungsrechtlich nicht zu einer Überweisung berechtigten.
Der 1. Ausschuss hat den Antrag in seiner 29. und 30. Sit-
zung am 2. und 16. Dezember 2004 beraten. Durch ein Be-
richterstattergespräch unter Teilnahme weiterer Abgeordne-
ter wurde die abschließende Beratung in der 30. Sitzung
vorbereitet. Die in dieser Sitzung verabschiedete Beschluss-
empfehlung wurde hinsichtlich der
– Ziffern I, IIÍ Nr. 1 und 2 sowie IV mit den Stimmen der

Fraktionen der CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN;

– Ziffer II mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP;

– Ziffer III Nr. 3 mit je einer Stimme der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der übri-
gen Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU

angenommen.
Die sich aus der Beschlussempfehlung ergebende Aus-
schussfassung unterscheidet sich vom ursprünglichen An-
trag insbesondere dadurch, dass laut Obersatz der Ziffer II
in die Prüfung auch der Zeitraum vor 1998 einbezogen und
mit Blick auf die Untersuchung etwaiger regierungsinter-
ner Meinungsverschiedenheiten die verfassungsrechtliche
Schranke des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung
ausdrücklich aufgeführt wird. Im Weiteren hat der Antrag
gewisse Modifizierungen zur Präzisierung des Untersu-
chungsauftrags, zur Vermeidung unbestimmter Formulie-
rungen oder Ergebnisse vorwegnehmender Formulierungen
erfahren.
In Ziffer 1 Nr. 1 wurde bei der Frage eines möglichen Ver-
stoßes gegen internationale Verpflichtungen ausdrücklich
ein Verweis auf Schengener Übereinkommen aufgenom-
men.
In Ziffer I wurde die Nummer 3, in der die Wörter „in sons-
tiger Weise“ auf Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit
gestoßen waren, gestrichen; die dort angesprochene Beein-
trächtigung oder Gefährdung der Sicherheit der Bundesre-
publik Deutschland und anderer Schengenstaaten wurde in
den Obersatz aufgenommen.

Die Aussage zum Untersuchungszeitraum in der jetzigen
Ziffer II, wonach die Untersuchung auch der Visaerteilungs-
praxis und der Anwendung des geltenden Ausländerrechts
unter Einbeziehung des Zeitraum vor 1998 erfassen soll,
geht auf ein Änderungsbegehren der Koalitionsfraktionen
zurück. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass die
Visapolitik der jetzigen Bundesregierung nur unter Einbe-
ziehung der Regelungslage und der Praxis auch vor 1998
angesichts der Umbrüche in Deutschland und in Bezug auf
die östlichen Nachbarstaaten bewertet werden könne. Ge-
nannt wurden beispielhaft das sog. carnet de touriste oder
das sog. Reisebüroverfahren. Bliebe die Untersuchung auf
den im Einsetzungsantrag genannten Zeitraum beschränkt,
wäre nur eine verzerrte und unvollständige Beurteilung der
zu untersuchenden Gegenstände auch im Hinblick auf mög-
lichen Änderungsbedarf möglich, zumal die früheren Rege-
lungen z. T. auch noch nach dem Regierungswechsel 1998
gültig gewesen seien. Eine Verzögerung des Untersuchungs-
verfahrens werde nicht angestrebt und der Zusatz solle nicht
einer Prüfung möglicher Rechtsverstöße früherer Regierun-
gen dienen, aber eine vollständige und umfassende Würdi-
gung der Visapolitik solle möglich bleiben.
Die Koalitionsfraktionen haben auf die bei Verabschiedung
des Untersuchungsausschussgesetzes (vgl. Begründung zu
§ 2 Abs. 2 PUAG, Drucksache 14/5790 S. 14) in Bezug
genommene und vom Bundesverfassungsgericht (vgl.
BVerfGE 49 S. 70 ff., 87 f.) bejahte Befugnis zu Zusatzfra-
gen verwiesen. Danach sind Zusatzfragen, die denselben
Untersuchungsgegenstand betreffen und diesen im Kern un-
verändert lassen, auch gegen den Willen der Antragsteller
zulässig, wenn dies zur Gewinnung eines umfassenderen
und wirklichkeitsgetreueren Bildes des angeblichen Miss-
standes nötig ist.
Die Fraktion der CDU/CSU sieht dieses Vorgehen wegen
Verletzung des auch in § 2 Abs. 2 PUAG zum Ausdruck
kommenden sog. Bepackungsverbots als verfassungswidrig
an und behält sich eine Organklage zum Bundesverfas-
sungsgericht vor. Die von der Koalition angestrebte Aus-
dehnung verändere den Untersuchungsgegenstand in sei-
nem Kern. Untersuchungen über die Visapolitik aus der Zeit
vor dem Oktober 1998 beträfen andere Gegenstände und
stünden in keinem Zusammenhang zu dem insbesondere
durch den sog. Volmer-Erlass gekennzeichneten Unter-
suchungsgegenstand. In der Visapolitik habe es nach dem
Regierungswechsel einen qualitativen Wechsel gegeben.
Eine Erstreckung im Untersuchungsauftrag verletze als
allenfalls zweckmäßige Ausdehnung das in Artikel 44 GG
verbriefte Recht der Minderheit, den Untersuchungsgegen-
stand zu bestimmen.
Davon abgesehen sei nicht auszuschließen, dass über Zeu-
genaussagen oder Aktenvorlagen Aspekte aus der Zeit vor
Oktober 1998 ohnehin zur Sprache kommen könnten.
Die Fraktion der FDP hat ebenfalls eine Ausdehnung des
Untersuchungszeitraums abgelehnt.

Bericht der Abgeordneten Dr. Dieter Wiefelspütz, Dr. Jürgen Gehb und
Volker Beck (Köln)

Drucksache 15/4552 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die Ergänzung in Ziffer III Nr. 1 soll verdeutlichen, dass die
angesprochenen Missstände noch nicht als festgestellt be-
handelt werden können.
Weiterhin wurde vor dem Hintergrund eines entsprechenden
Begehrens der Koalitionsfraktionen der jetzigen Ziffer III
Nr. 3 ein Halbsatz angefügt, um die Schranke des Kernbe-
reichs exekutiver Eigenverantwortung im Rahmen der ange-
strebten Untersuchung auf etwaige regierungsinterne Mei-
nungsunterschiede aufzuzeigen.
Die Koalitionsfraktionen hatten auf den aus dem Gewalten-
teilungsgrundsatz abgeleiteten und vom Bundesverfassungs-
gericht im sog. Flick-Urteil (BVerfGE 67 S. 100 ff., 139) be-
tonten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwor-
tung verwiesen, der auch bei bereits abgeschlossenen Vor-
gängen einen Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich
einschließe, der auch von Untersuchungsausschüssen
grundsätzlich nicht ausforschbar sei. Das Bundesverfas-

sungsgericht habe hierzu die interne Willensbildung der
Bundesregierung gezählt.
Die Fraktion der CDU/CSU sah demgegenüber in dem von
ihr beantragten Untersuchungsauftrag keine Verletzung des
Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung. Abgesehen
von der Frage, ob der Kernbereich exekutiver Eigenverant-
wortung schon einem Einsetzungsantrag verfassungsrecht-
lich entgegengehalten oder sich erst bei konkreten Bewei-
serhebungen auswirken könne, sei nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts sowie der ihr folgenden
Begründung zu § 1 PUAG (Drucksache 14/5790 S. 14) bei
abgeschlossenen Vorgängen nur ausnahmsweise ein nicht
ausforschbarer Bereich anzunehmen. An einem derartigen
besonders gelagerten Ausnahmefall fehle es hier aber; der
zu überprüfende Sachverhalt sei abgeschlossen. Der im Er-
gebnis eingefügte letzte Satzteil wurde von der Mehrzahl
der Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU als triviale salva-
torische Klausel abgelehnt, da er im Einzelfall eine Ausein-
andersetzung nicht ersparen werde.

Berlin, den 16. Dezember 2004
Dr. Dieter Wiefelspütz
Berichterstatter

Dr. Jürgen Gehb
Berichterstatter

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

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