BT-Drucksache 15/4403

Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwearebereich sichern - Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen

Vom 1. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4403
15. Wahlperiode 01. 12. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, Ulrich Kelber,
Dr. Axel Berg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Gernot Erler, Ute Kumpf,WilhelmSchmidt
(Salzgitter), Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Franz Müntefering und der Fraktion
der SPD
der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Hans-Peter Uhl und
der Fraktion der CDU/CSU
der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Katrin Göring-
Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dirk Niebel, Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern –
Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In einer globalen Wissens- und Informationsgesellschaft und einer zunehmend
wissensbasierten Weltwirtschaft gewinnen informationstechnische Lösungen
zunehmend an Bedeutung. Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung
leistungsfähiger, kostengünstiger, verlässlicher und nicht zuletzt sicherer Com-
puterprogramme oder Software werden zu einem kritischen Faktor des
deutschen Innovationssystems. Getragen wird die dynamische Entwicklung der
deutschen wie der europäischen Softwarebranche insbesondere auch durch
kleine und mittlere Unternehmen. Die EU-Kommission hat am 20. Februar
2002 ihren Vorschlag für die Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des
Rates über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vorge-
legt (KOM(2002)92 endg.). Das Europäische Parlament hat am 24. September
wesentliche Änderungen beschlossen, am 18. Mai 2004 hat der Rat der Euro-
päischen Union sich mit Zustimmung der Bundesregierung auf einen gemein-
samen Standpunkt einigen können (Ratsdok. 9713/04).

Drucksache 15/4403 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag begrüßt grundsätzlich die Initiative zur europäischen
Vereinheitlichung der Patentierungspraxis in Bezug auf computerimplemen-
tierte Erfindungen. Er bekräftigt seine Überzeugung, dass der hinreichende
Schutz des geistigen Eigentums unverzichtbar ist zum Erhalt und zur Entwick-
lung der kreativen gesellschaftlichen Potenziale im Interesse der Kreativen, der
Verbraucherinnen und Verbraucher wie der Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft
insgesamt. Zudem hängt die Innovationsdynamik in vielen Wirtschaftsberei-
chen – zunehmend auch in klassischen Wirtschaftsbereichen wie beispielsweise
Maschinenbau-, Automobil- sowie Elektroindustrie – in wachsendem Maße
von der steigenden Leistungsfähigkeit und erfolgreichen Integration von infor-
mationstechnischen Komponenten ab. Der Deutsche Bundestag teilt die Über-
zeugung, dass technische Erfindungen auch dann, wenn sie Softwarekompo-
nenten enthalten, dem Schutz des Patentrechts zugänglich sein müssen.
Gleichwohl ist der Deutsche Bundestag zu der Auffassung gelangt, dass der
gegenwärtige Meinungsstand zum Richtlinienentwurf auf Europäischer Ebene
bisher für zentrale Fragen keine hinreichenden Lösungen aufweist.
Die Definition des „technischen Beitrags“ einer computerimplementierten Er-
findung als Voraussetzung ihrer Patentierbarkeit stellt einen zentralen Punkt des
Richtlinienvorschlags dar. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss daher die
Definition des technischen Beitrages so genau wie möglich gefasst werden, um
eine genügende Qualitätskontrolle in der Patentierungspraxis zu erreichen und
insbesondere die Patentierung von so genannten Trivialpatenten zu verhindern.
Computerimplementierte Erfindungen müssen einen solchen technischen Bei-
trag leisten, um Patentfähigkeit zu erreichen. Das Europäische Parlament und
der Rat gehen grundsätzlich von derselben Definition aus, wonach ein „techni-
scher Beitrag“ ein Beitrag zum Stand der Technik auf einem Gebiet der Technik
ist, der für eine fachkundige Person nicht nahe liegend ist. Das Europäische
Parlament hat aber weiterhin in seinen Abänderungen in Artikel 2 Buchstabe b
des Richtlinienvorschlags definiert, dass eine Nutzung der Naturkräfte zur Be-
herrschung von physikalischen Wirkungen nur dann zum Gebiet der Technik
gehört, wenn sie über die numerische Darstellung von Informationen hinaus-
geht. Die Darstellung, Bearbeitung und Verarbeitung von Informationen sollen
nach dem Parlamentsentwurf aber keinen technischen Beitrag darstellen, selbst
wenn dafür technische Vorrichtungen verwendet werden.
Eine derartige einschränkende Definition fehlt im Ratsvorschlag. Der Richt-
linienvorschlag des Rates enthält in Artikel 4a Abs. 2 nur Ausschlussgründe,
die sich auf den technischen Beitrag einer computerimplementierten Erfindung
beziehen. Damit hat der Rat die Ausschlussgründe inhaltlich von der Entschlie-
ßung des Europäischen Parlamentes nur teilweise übernommen. Auch fehlt
dem gemeinsamen Standpunkt des Rates eine konkrete Definition des Technik-
begriffs, die zur Erreichung der genannten Ziele hilfreich sein könnte. Die
ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat hierzu eine praxisnahe
Bestimmung entwickelt: Technisch ist eine Lehre zum planmäßigen Handeln
unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal überseh-
baren Erfolgs, der ohne Zwischenschaltung menschlicher Verstandestätigkeit
die unmittelbare Folge des Einsatzes beherrschbarer Naturkräfte ist. Mit einer
solchen Definition wären die einzelnen Elemente des technischen Beitrags
leichter nachvollziehbar. Gleichzeitig würde dies einen wichtigen Beitrag dazu
leisten, dass die Interoperabilität zwischen verschiedenen Computersysteme
gewährleistet bleibt. Der Ratsvorschlag wird diesen Anforderungen insgesamt
nicht gerecht.
Eine zu weit gehende Patentierbarkeit von Computerprogrammen droht sich
negativ auf die Innovationsdynamik auszuwirken und zu neuen Rechtsun-
sicherheiten insbesondere für Open-Source-Konzepte zu führen. Diesen kommt
gemeinsam mit offenen Standards hinsichtlich der steigenden Anforderungen
an Interoperabilität und IT-Sicherheit eine wichtige Rolle zu. Aus technischer

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4403

Sicht genügen die urheberrechtlichen Privilegien hinsichtlich der Dekompilie-
rung und Interoperabilität diesen Anforderungen allein nicht und sind durch
eine patentrechtliche Vorschrift zu ergänzen. Insbesondere kleine und mittlere
Unternehmen befürchten zudem von einer zu weit gehenden Patentierbarkeit
von Computerprogrammen einen hohen personellen, juristischen und finan-
ziellen Aufwand sowie erhebliche wirtschaftliche und rechtliche Risiken. Aus-
ufernde Patentansprüche oder Trivialpatente bergen ferner die Gefahr, die
gesellschaftliche Akzeptanz des Patentsystems als effektives Innovations- und
Fortschrittsinstrument auszuhöhlen. Hier ist eine unabhängige Evaluierung der
umstrittenen jüngeren Patentierungspraxis des Europäischen Patentamtes
sicherzustellen.
Computerprogramme sollen laut Artikel 10 des Agreement on Trade-Related
Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) der Welthandelsorganisation
(WTO) nach den Regeln des Urheberrechts geschützt werden. Der urheber-
rechtliche Schutz von Computerprogrammen wird durch die Richtlinie 91/250/
EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computer-
programmen gewährleistet, deren Vorgaben in Deutschland durch die §§ 69a ff.
des Urheberrechtsgesetzes umgesetzt worden sind. Computerprogramme sind
dementsprechend nach den geltenden Bestimmungen des Europäischen Patent-
übereinkommens „als solche“ (ebenso wie Geschäftsmodelle) von der Paten-
tierbarkeit ausgenommen. An diesem Grundsatz ist festzuhalten. Computer-
implementierte technische Erfindungen sind daher so eng wie möglich
auszulegen. Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb die Zielrichtung der Be-
schlüsse des Europäischen Parlaments. Er bittet das Europäische Parlament, in
den kommenden Beratungen des Richtlinienentwurfes dieser Zielrichtung
weiterhin Geltung zu verschaffen. Er begrüßt die jüngste Initiative der Bundes-
regierung zu einem „Runden Tisch“, um im Dialog mit Beteiligten und Betrof-
fenen mögliche Kompromisswege auszuloten.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. bei kommenden Debatten und Maßnahmen zur Reform des Schutzes geis-

tigen Eigentums bei Computerprogrammen sowie im informationstechni-
schen Bereich verstärkt standort-, wettbewerbs- und innovationspolitische
Aspekte sowie die besonderen Entwicklungsbedingungen und spezifischen
Merkmale von Computerprogrammen zu berücksichtigen;

2. den begonnenen Dialog mit kleinen und mittleren Softwareunternehmen, der
Wissenschaft sowie mit anderen zivilgesellschaftlichen Vertretern fortzuset-
zen und zu intensivieren;

3. ihre Bemühungen zur verbesserten Information insbesondere kleiner und
mittlerer Unternehmen über die Chancen einer aktiven Patentpolitik weiter
zu führen.

III. Hinsichtlich der weiteren Beratung des Richtlinienentwurfs auf europäi-
scher Ebene fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,

1. darauf hinzuwirken, dass in den weiteren Beratungen der Richtlinienentwurf
dahingehend geändert wird, dass die Definition des technischen Beitrags in
Artikel 2 Buchstabe b konkreter gefasst und eine Definition des Begriffs
„Technik“ aufgenommen wird, die sich an der Technikdefinition des BGH
orientiert. Schon durch die Definition muss sichergestellt werden, dass
Computerprogramme als solche, Geschäftsmethoden und Algorithmen nicht
patentiert werden können;

2. darauf hinzuwirken, dass ein möglichst umfassendes patentrechtliches Inter-
operabilitätsprivileg als Vorschrift aufgenommen wird;

Drucksache 15/4403 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
3. sich dafür einzusetzen, dass in Artikel 5 des Richtlinienentwurfs der Um-
fang der zulässigen patentrechtlichen Ansprüche auf Erzeugnis- und Verfah-
rensansprüche begrenzt wird, indem selbständige Programmansprüche aus-
geschlossen werden;

4. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, eine unabhängige Evaluie-
rung der Entscheidungspraxis der Patentämter, insbesondere des EPA,
durchzuführen. Dies kann beispielsweise ein integraler Bestandteil des vor-
gesehenen Berichtes über die Auswirkungen der Richtlinie sein;

5. bei der weiteren Kompromisssuche die Zielrichtung der Beschlüsse des Eu-
ropäischen Parlaments im Sinne dieses Antrages und auch die zukünftigen
Ergebnisse des Runden Tisches beim Bundesministerium der Justiz stärker
zu berücksichtigen;

6. sich entschieden dafür einzusetzen, dass alternative Entwicklungskonzepte
wie insbesondere Open-Source-Projekte nicht beeinträchtigt werden.

Berlin, den 1. Dezember 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Dr. Angela Merkel, Michael Gros und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.