BT-Drucksache 15/4142

Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden in der EU und Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems (SIS)

Vom 9. November 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4142
15. Wahlperiode 09. 11. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
(Heilbronn), Dr. Ole Schröder , Ralf Göbel, Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann,
Clemens Binninger, Klaus Brähmig, Hartmut Büttner (Schönebeck), Norbert Geis,
Roland Gewalt, Reinhard Grindel, Kristina Köhler (Wiesbaden), Dorothee Mantel,
Erwin Marschewski (Recklinghausen), Stephan Mayer (Altötting), Beatrix Philipp,
Anita Schäfer (Saalstadt) und der Fraktion der CDU/CSU

Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden in der EU und
Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems (SIS)

Der Austausch von Informationen und Daten zwischen den nationalen und eu-
ropäischen Sicherheitsbehörden ist in der EU von herausragender Bedeutung
für die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, des Terrorismus
und der illegalen Einreise, sowie der Wohnsitznahme von Schwerstkriminellen.
Darüber hinaus ist durch die Vernetzung der in den Mitgliedstaaten vorhande-
nen nationalen Dateien – insbesondere Fingerabdruck, DNA- und Kriminal-
aktennachweisdateien – dafür Sorge zu tragen, dass in der EU ein Europäischer
Fahndungs-, Informations- und Erkenntnisverbund der Polizei- und Strafverfol-
gungsbehörden entsteht. Ziel muss es dabei sein, dass beispielsweise die in
einem Land in das dortige Fingerabdrucksystem eingegebene Fingerspur
(„Fingerabdruck“) mit dem Bestand in den korrespondierenden Dateien aller
Mitgliedstaaten abgeglichen wird. Es ist in einem Europa, das sich als ein
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts versteht, nicht länger hin-
nehmbar, dass sich die Fingerabdrücke eines Schwerverbrechers theoretisch in
den EDV-Systemen aller 25 EU-Staaten befinden, ohne dass diese Tatsache den
Behörden der anderen Staaten trotz konkreter Abfrage im nationalen System
auch nur ansatzweise bekannt werden könnte.
Mit dem Schengener Informationssystem, dem Visa-Informationssystem und
der Einrichtung von zentralen Dateien bei Europol und Eurojust existieren
wichtige Datensätze zur Herstellung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts. Sie stellen wichtige Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der
Binnengrenzkontrollen innerhalb der EU bzw. des Schengener Raumes dar. Die
Effizienz und Effektivität der Datennutzung hängt in besonderemMaße von der
Quantität und Qualität der Daten sowie der Verfügbarkeit der Daten für unter-
schiedliche Nutzer ab. Hier lassen sich erhebliche Mängel feststellen. Zur er-
folgreichen Prävention und Verbesserung der Aufklärungsmöglichkeiten ist
eine Weiterentwicklung der oben genannten Systeme dringend erforderlich.
Außerdem sind Maßnahmen zu prüfen, die den Informationsaustausch zwi-
schen den Sicherheitsbehörden über die genannten Systeme hinaus umfassend
verbessern. In der Diskussion sind u. a. die Schaffung einer elektronischen
Liste terrorverdächtiger Personen, Vereinigungen und Körperschaften sowie die
Einrichtung eines europäischen Strafregisters.

Drucksache 15/4142 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Zur Verbesserung des Informationsaustausches und zur Weiterentwicklung der
verschiedenen Dateninformationssysteme bestehen eine Vielzahl von Vorschlä-
gen und Beschlüssen, die selbst von Experten nur noch schwer nachzuvoll-
ziehen sind. Eine transparente Entscheidungsfindung auf nationaler und euro-
päischer Ebene wird dadurch erschwert.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ist der Verfahrensstand bei der „Verordnung bzw. dem Beschluss des

Rates über die Einführung neuer Funktionen für das Schengener Informa-
tionssystem, auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung“?

2. Welche Veränderungen sind mit der Verordnung/dem Beschluss für das
SIS eingeführt worden, insbesondere im Hinblick auf die Erweiterung des
Nutzerkreises und die Erweiterung der Funktionen?

3. Welche ursprünglich in der Initiative Spaniens vorgesehenen Veränderun-
gen für das SIS sind aus welchen Gründen nicht in der Verordnung/den
Beschluss aufgenommen worden?

4. Welche nationalen Maßnahmen sind zur Umsetzung der Verordnung/des
Beschlusses notwendig?

5. Wie ist der Stand der Umsetzung der Verordnung/des Beschlusses in
Deutschland?

6. Welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Erreichung
einer höheren Effektivität des SIS, insbesondere im Hinblick auf die Nut-
zung durch die deutschen Behörden?

7. Für wann ist die Einführung des Schengener Informationssystems II (SIS II)
geplant?

8. Welche weiteren Veränderungen sind mit der Einführung von SIS II ge-
plant?

9. Welche Struktur (Beibehaltung der Verwaltung beim Rat, Ansiedlung bei
der Europäischen Kommission, Schaffung einer eigenständigen Agentur)
ist für die strategische Verwaltung von SIS bzw. SIS II vorgesehen?

10. Welche Verbindungen hinsichtlich des Datenaustausches und der gegen-
seitigen Datenabfrage bestehen zwischen dem SIS und dem Visa-Informa-
tionssystem (VIS)?

11. Welche Verbindungen hinsichtlich des Datenaustausches und der gegen-
seitigen Datenabfrage zwischen dem SIS und dem VIS sind mit der Weiter-
entwicklung des SIS und des VIS geplant?

12. Welche Synergien können bei der Weiterentwicklung des SIS und des VIS
genutzt werden?

13. Welche konkreten Initiativen plant die Bundesregierung, um die Schaffung
eines einheitlichen Europäischen Fahndungs-, Informations- und Erkennt-
nisverbundes der Polizei- und Strafverfolgungsbehörden auf den Weg zu
bringen?

14. Wie ist der Stand der Beratung und der Umsetzung bezüglich des Vorschla-
ges der Europäischen Kommission für einen Beschluss des Rates über den
Informationsaustausch und die Zusammenarbeit bei terroristischen Straf-
taten (Ratsdok.-Nr: 8200/04)?

15. Wie will die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass in Deutschland
37 verschiedene Sicherheitsbehörden mit Terrorismusbekämpfung befasst
sind (Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz, Bundes- und
Landeskriminalämter, Bundesgrenzschutz, Bundesnachrichtendienst, Zoll-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4142

kriminalamt), in Deutschland sicherstellen, dass gemäß Artikel 2 Nr. 1 des
genannten Vorschlags eine spezialisierte Polizeidienststelle Zugang zu
allen einschlägigen Informationen über Ermittlungen zu terroristischen
Straftaten hat und diese erfasst?

16. Welche Polizeidienststelle ist nach Auffassung der Bundesregierung geeig-
net, in Deutschland die Funktion der spezialisierten Dienststelle gemäß Ar-
tikel 2 Nr. 1 des genannten Vorschlags zu übernehmen, und wie begründet
die Bundesregierung ihre Antwort?

17. Welche Behörde ist nach Auffassung der Bundesregierung geeignet, ge-
mäß Artikel 2 Nr. 2 des genannten Vorschlags die deutsche Eurojust-An-
laufstelle für Terrorismusfragen zu werden, und welche Maßnahmen sind
erforderlich, damit diese Behörde Zugang zu allen einschlägigen Infor-
mationen über Strafverfahren und strafrechtliche Verurteilungen mit terro-
ristischen Hintergrund hat und diese erfasst?

18. Welche Maßnahmen sind nach Einschätzung der Bundesregierung erfor-
derlich, damit die deutsche Eurojust-Anlaufstelle für Terrorismusfragen
sowie die spezialisierte Polizeidienststelle die in Artikel 2 Nr. 4 und 5 des
Vorschlags genannten Informationen zusammentragen, auswerten und an
Europol bzw. Eurojust weiterleiten können?

19. Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung bei den
Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern erforderlich, um zu gewähr-
leisten, dass die in diesen Behörden zur Terrorismusbekämpfung gesam-
melten Informationen gemäß Artikel 2 Nr. 6 des genannten Vorschlags den
Behörden anderer EU-Mitgliedstaaten unmittelbar zugänglich gemacht oder
unmittelbar zur Verfügung gestellt werden können?

20. Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung in
Deutschland und in der EU erforderlich, um die Bekämpfung von organi-
sierter Kriminalität und Terrorismus besser miteinander zu verknüpfen?

21. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, innerhalb der EU Vorschriften
über terroristische Straftatbestände einander anzugleichen und den Straftat-
bestand „Anführen einer kriminellen Vereinigung“ einzuführen?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, innerhalb der EU eine
Elektronische Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, ge-
gen die Antiterrormaßnahmen gerichtet sind oder gegen die strafrechtlich
ermittelt wird, zu erstellen?

23. Ist der Vorschlag, innerhalb der EU eine Elektronische Liste der Terroristen
und terrorverdächtigen Personen, Vereinigungen und Körperschaften zu er-
stellen, nach Auffassung der Bundesregierung geeignet, Banken schneller
und besser zu veranlassen, die Finanzmittel dieser Personen, Vereinigun-
gen und Körperschaften einzufrieren, und wie begründet die Bundesregie-
rung ihre Auffassung?

24. Wer sollte die Elektronische Liste erstellen und wer sollte Zugang zu dieser
Liste haben?

25. Auf welchen Informationen und Informationsquellen sollte die Elektroni-
sche Liste beruhen?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag der Europäischen
Kommission, nationale Systeme für die Registrierung von Bankkonten ein-
zurichten, und für welche Zwecke sollte die Kontenregistrierung eingesetzt
werden?

Drucksache 15/4142 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
27. Welche Daten sollten bei der Registrierung der Bankkonten gespeichert
werden, und wie könnte ein solches System für die Registrierung von
Bankkonten in Deutschland umgesetzt werden?

28. Wie ist der Stand bei dem Vorhaben, ein europäisches Strafregister einzu-
führen?

29. Nach welchen Regeln sollten Daten in das europäische Strafregister aufge-
nommen und gelöscht werden?

30. Wer sollte Zugriff auf das europäische Strafregister haben, und wie sollte
die Nutzung des Registers kontrolliert werden?

31. Soll das europäische Strafregister als eine zentrale Datei geführt werden
oder durch Vernetzung der nationalen Register entstehen, und wie beurteilt
die Bundesregierung diese beiden Varianten?

32. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung sinnvoll, das europäische
Strafregister mit dem SIS und dem VIS zu koppeln, und wie begründet die
Bundesregierung ihre Auffassung?

33. Was unternimmt die Bundesregierung, um Fälle wie die des Serienmörders
M. F., der in Belgien lebte, ohne dass die dortigen Behörden über die in
Frankreich verhängten Vorstrafen informiert waren, zu verhindern?
Können hierzu die nationalen Melderegister, welche die Daten eines
Zuzugs aus dem europäischen Ausland enthalten, für den Abgleich mit
nationalen und europäischen Straf- und sonstigen Registern mit Delikts-
daten von Schwerstkriminellen oder ausländerrechtliche Instrumentarien,
wie z. B. die obligatorische Vorlage eines Strafregisterauszugs bei der Aus-
länderbehörde, genutzt werden?

34. Wird der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden der
EU-Mitgliedstaaten nach Einschätzung der Bundesregierung durch man-
gelndes Vertrauen untereinander behindert (vgl. Ratsdok.-Nr: 10745/04),
und wenn ja, wie lässt sich dieses Problem lösen?

35. Wie beurteilt die Bundesregierung Überlegungen, Ermittlungsbehörden
anderer EU-Mitgliedstaaten einen direkten Zugriff auf die Datenbanken
deutscher Sicherheitsbehörden zu ermöglichen, und welche Datenbanken
kommen dafür in Betracht?

36. Wie beurteilt die Bundesregierung Überlegungen, die Datenbanken der Si-
cherheitsbehörden der EU-Mitgliedstaaten zu standardisieren, und welche
Standards sollten gelten?

37. Wie beurteilt die Bundesregierung die Schaffung einer europäischen
„Intelligence“ in der gemeinsamen Kriminalitätsbekämpfung der EU-Mit-
gliedstaaten, und wie wird sich eine solche „Intelligence“ auf den Informa-
tionsaustausch zwischen den europäischen und nationalen Sicherheits-
behörden auswirken?

Berlin, den 9. November 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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