BT-Drucksache 15/354

Versorgungsausgleich umgehend regeln - Keine Schlechterstellung von Frauen bei der Alterssicherung

Vom 28. Januar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/354
15. Wahlperiode 28. 01. 2003

Antrag
der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Dr. Norbert Röttgen, Ilse Aigner,
Peter Altmaier, Veronika Bellmann, Renate Blank, Antje Blumenthal, Dr. Maria
Böhmer, Wolfgang Bosbach, Monika Brüning, Verena Butalikakis, Gitta
Connemann, Thomas Dörflinger, Marie-Luise Dött, Vera Dominke, Maria Eichhorn,
Anke Eymer (Lübeck), Ilse Falk, Ingrid Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Peter
Gauweiler, Dr. Jürgen Gehb, Tanja Gönner, Dr. Wolfgang Götzer, Ute Granold,
Michael Grosse-Brömer, Markus Grübel, Olav Gutting, Gerda Hasselfeldt, Ursula
Heinen, Uda Carmen Freia Heller, Susanne Jaffke, Irmgard Karwatzki, Siegfried
Kauder (Bad Dürrheim), Gerlinde Kaupa, Julia Klöckner, Manfred Kolbe, Kristina
Köhler (Wiesbaden), Dr. Günter Krings, Dr. Martina Krogmann, Barbara Lanzinger,
Vera Lengsfeld, Ursula Lietz, Walter Link (Diepholz), Patricia Lips, Dorothee
Mantel, Erwin Marschewski (Recklinghausen), Conny Mayer (Baiersbronn), Doris
Meyer (Tapfheim), Maria Michalk, Marlene Mortler, Hildegard Müller, Michaela Noll,
Claudia Nolte, Melanie Oßwald, Rita Pawelski, Sibylle Pfeiffer, Beatrix Philipp,
Ronald Pofalla, Daniela Raab, Christa Reichard (Dresden), Katherina Reiche,
Hannelore Roedel, Anita Schäfer (Saalstadt), Andreas Scheuer, Andreas Schmidt
(Mülheim), Matthias Sehling, Marion Seib, Thomas Silberhorn, Erika Steinbach,
Antje Tillmann, Edeltraut Töpfer, Angelika Volquartz, Andrea Voßhoff, Marco
Wanderwitz, Ingo Wellenreuther, Dagmar Wöhrl, Elke Wülfing, Willi Zylajew,
Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU

Versorgungsausgleich umgehend regeln – Keine Schlechterstellung von
Frauen bei der Alterssicherung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Rentenanwartschaften, welche die Ehegatten während der Ehe erworben haben,
sind Ergebnis ihrer gemeinsamen, partnerschaftlichen Lebensleistung und von
vorneherein zur Versorgung beider Partner bestimmt. Sie sind deshalb im
Scheidungsfall zu teilen. Insofern dient der Versorgungsausgleich bei Eheschei-
dung nach den §§ 1587 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dem Aufbau einer
eigenständigen sozialen Sicherung des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten
im Alter und bei Invalidität. Rechtsgrundlage für einen gerechten und zügigen
Ausgleich der Versorgungsansprüche nach § 1587a Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4
BGB war in der Vergangenheit die sog. Barwertverordnung, eine von der Bun-
desregierung mit Zustimmung des Bundesrates gemäß der Ermächtigung in
§ 1587a Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB erlassene Rechtsverordnung.

Drucksache 15/354 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Mit dem 31. Dezember 2002 ist diese Rechtsgrundlage entfallen. Der Bundes-
gerichtshof hat in seinem Beschluss vom 5. September 2001 (BGH XII ZB
121/99 (München), NJW 2002, 296 ff.) eine weitere Anwendung der Barwert-
verordnung nach diesem Zeitpunkt – selbst unter dem Aspekt der Wahrung der
Rechtseinheit – ausgeschlossen. Er hat die Bundesregierung als Verordnungs-
geber dringend aufgefordert, die Barwertverordnung bis zu diesem Zeitpunkt
an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse anzupassen und durch geeignete
versorgungsausgleichsbezogene Vorgaben dem Rechtsanwender ohne versiche-
rungsmathematische Kenntnisse eine sachgerechte Barwertermittlung zu er-
möglichen (BGH aaO, 299).
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss zudem ausdrücklich ausge-
schlossen, dass die Säumnis der Bundesregierung als Verordnungsgeber die
Gerichte berechtigt, nach eigenem Gutdünken an Stelle der Barwertverordnung
„Ersatztabellen“ anzuwenden (BGH aaO, 299). Auch dieser Ausweg ist den
Prozessbeteiligten bzw. den Gerichten also versperrt.
Das Bundesministerium der Justiz selbst hatte den Handlungsbedarf bereits in
einem Schreiben vom 30. November 2000 zugestanden (BGH aaO, 299).
Gleichwohl hat es die Bundesregierung versäumt, in der vom Bundesgerichts-
hof vorgegebenen Frist bis zum 31. Dezember 2002 entweder eine einwand-
freie Nachfolgeregelung des Versorgungsausgleichs oder aber zumindest eine
tragfähige Übergangsregelung zu schaffen.
Nach fast zweijähriger Tatenlosigkeit legte das Bundesministerium der Justiz
zwar im Oktober 2002 einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Versorgungs-
ausgleichs vor. Durch diesen Entwurf wäre jedoch insbesondere für Ehefrauen,
die vor ihren geschiedenen Ehemännern in Rente gegangen oder aber berufs-
unfähig geworden wären, eine dramatische Versorgungslücke entstanden, da sie
ihren Anspruch auf Versorgungsausgleich solange nicht hätten realisieren kön-
nen, wie der ehemalige Ehegatte selbst keine Rente bezieht.
Die von der Bundesregierung beabsichtige Verweisung in den schuldrecht-
lichen Versorgungsausgleich hätte zudem zahlreiche weitere Probleme nach
sich gezogen. So hätten insbesondere Frauen keine eigenen Versorgungsan-
wartschaften erhalten, sondern häufig im hohen Alter mit eigenen Anträgen
eine monatliche Geldrente von ihrem ehemaligen Ehemann einfordern müssen.
Das Zahlungs- und Vollstreckungsrisiko wäre eindeutig zu Lasten der An-
spruchsteller gegangen. Es wäre zudem die Tendenz zu erwarten gewesen, dass
insbesondere Frauen aus Angst vor neuen Rechtsstreitigkeiten Jahre nach der
Scheidung einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich überhaupt nicht gel-
tend gemacht hätten oder sich in Folge der verbreiteten fehlenden Einsicht in
den Wert der Anwartschaften die Ausgleichsrechte gegen viel zu geringe Be-
träge hätten abkaufen lassen. Eine solche Regelung hätte dem Grundgedanken
der sozialen Sicherung durch den Versorgungsausgleich widersprochen und
unter Umständen sogar die Träger der Sozialhilfe belastet.
Nach dieser gravierenden Kritik, unter anderem durch den Deutschen Anwalt-
verein (DAV) und die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), hat das Bundes-
ministerium der Justiz den Entwurf daher wieder zurückgezogen. Einen neuen
Entwurf gibt es bislang nicht.
Leidtragende sind die Prozessbeteiligten in den Scheidungsverfahren vor deut-
schen Familiengerichten; dort insbesondere die ehemaligen Ehepartner, für die
der zügige Abschluss der Verfahren schon aus finanziellen Gründen von exis-
tentieller Bedeutung ist. In zahlreichen Verfahren muss der Wert der Anwart-
schaften nun für den jeweiligen Einzelfall gesondert durch Sachverständigen-
gutachten ermittelt werden, wodurch Parteien und Fiskus mit erheblichen
Mehrkosten belastet werden. Oft ist die einzige Möglichkeit die Abtrennung
und Aussetzung des Versorgungsausgleichsverfahrens bis zur Schaffung einer

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/354

Nachfolgeregelung der Barwertverordnung durch die Bundesregierung. Der
Zeitpunkt, in dem mit einer solchen zu rechnen ist, ist derzeit noch nicht
absehbar. Weder der zusätzliche Kostenaufwand noch der zusätzliche Zeit-
aufwand sind für die Betroffenen weiter hinnehmbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l ihrer Pflicht als Verordnungsgeber nach § 1587a Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB

nachzukommen und umgehend eine Neuregelung zu schaffen, die geeignet
ist, das durch die Unzulässigkeit der Anwendung der Barwertverordnung
entstandene rechtliche Vakuum zu füllen und den Versorgungsausgleich auf
eine verlässliche und gerechte Grundlage zu stellen,

l eine Neuregelung anzustreben, die im Scheidungsfall insbesondere nicht die
Alterssicherung der Frauen und Männer schwächt, die sich in der Ehe für
einen gewissen Zeitraum ausschließlich der Familienarbeit gewidmet haben
oder aufgrund der zu leistenden Familienarbeit lediglich einer niedriger ent-
lohnten (Teilzeit-)Beschäftigung nachgegangen sind,

l dabei durchgeeignete versorgungsausgleichsbezogeneVorgabendemRechts-
anwender ohne versicherungsmathematischeKenntnisse eine sachgerechte an
den verfügbaren aktuellen biometrischenDaten orientierte Barwertermittlung
zu ermöglichen,

l die strukturellen Probleme wie die bloße Teildynamik aussparende Rasterung
der Barwertverordnung in alter Form und die mit dem Umrechnungsmecha-
nismus des § 1587a Abs. 3 BGB verbundene Schwierigkeit einer sachgerech-
ten Bewertung von nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auszuglei-
chenden Anrechten aufzulösen,

l von einer – auch nur übergangsweisen – Verweisung in den schuldrecht-
lichen Versorgungsausgleich abzusehen, um die Alterssicherung insbeson-
dere von Ehefrauen nicht zu verschlechtern oder in Frage zu stellen,

l dementsprechend eigene Versorgungsanwartschaften für den wirtschaftlich
schwächeren Ehegatten dem schuldrechtlichen Verfahren vorzuziehen,

l ggf. bis zum Inkrafttreten dieser Neuregelung eine Übergangslösung zu
schaffen, die sicherstellt, dass Versorgungsausgleichsverfahren ohne erhöh-
ten zeitlichen und finanziellen Aufwand für die Parteien und die Gerichte
prozessökonomisch fortgesetzt und abgeschlossen werden können,

l hierzu den von der BRAK und dem DAV vorgeschlagenen Weg zu prüfen,
das bisherige Ausgleichssystem beizubehalten und lediglich die Barwertver-
ordnung zu aktualisieren.

Berlin, den 28. Januar 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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