BT-Drucksache 15/3466

Für eine qualifizierte Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Fusionen

Vom 30. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3466
15. Wahlperiode 30. 06. 2004

Antrag
der Abgeordneten Klaus Brandner, Doris Barnett, Dr. Axel Berg,
Hans-Werner Bertl, Wolfgang Grotthaus, Hubertus Heil, Rolf Hempelmann,
Walter Hoffmann (Darmstadt), Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner,
Christian Lange (Backnang), Christian Müller (Zittau), Karin Roth (Esslingen),
Thomas Sauer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Wilfried Schreck,
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Dr. Rainer Wend, Engelbert Wistuba,
Franz Müntefering und der Fraktionen der SPD
sowie der Abgeordneten Fritz Kuhn, Volker Beck (Köln), Dr. Thea Dückert,
Michaele Hustedt, Werner Schulz (Berlin), Katrin Göring-Eckhardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine qualifizierte Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Fusionen

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Seit vielen Jahren arbeitet die EU-Kommission an dem Entwurf einer 10. Richt-
linie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (Fusionsrichtlinie). Die
Richtlinie regelt insbesondere die Angaben, die im Verschmelzungsplan enthal-
ten sein müssen. Dies sind die Offenlegung des Verschmelzungsplans, die Mög-
lichkeit einer Verschmelzungsprüfung durch gemeinsam bestellte Sachverstän-
dige, die Rechtskontrolle sowie die Arbeitnehmermitbestimmung. Eine Lösung
scheiterte stets – ähnlich wie bei der Europäischen Gesellschaft (SE) – an der
schwierigen Frage der Regelung der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Bei der SE ist ein politischer Kompromiss im Jahr 2001 gefunden
worden, der eine Kombination von Verhandlungen zwischen Unternehmens-
und Arbeitnehmerseite und – bei Scheitern der Verhandlungen – eine zwingende
„Auffangregelung“ vorsieht. Diese Lösung stellt einen ausgewogenen Kompro-
miss dar zwischen den unterschiedlichen Mitbestimmungstraditionen in den
Mitgliedstaaten. Durch den Vorrang für Verhandlungen ist zudem die notwen-
dige Flexibilität für eine sachgerechte unternehmensspezifische Ausgestaltung
der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an unternehmeri-
schen Entscheidungen gewährleistet.
Der sich gegenwärtig in den Verhandlungen befindliche Vorschlag für die Richt-
linie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mit-
gliedstaaten, den die EU-Kommission am 18. November 2003 vorgelegt hat,
weicht bei denMitbestimmungsregelungen von dem imRahmen der Verhandlun-
gen um die SE-Richtlinie gefundenen Kompromiss ab. Anders als bei diesem soll
die Verhandlungslösung nur dann zur Anwendung kommen, wenn im Sitzland
der fusionierten Gesellschaft keinerlei Mitbestimmungsregelungen gelten. Sind
solche vorhanden, so sollen diese für die gesamte neue Gesellschaft gelten, auch
wenn somit u. U. günstigere Mitbestimmungsnormen in Unternehmensteilen in
anderen Mitgliedsstaaten verdrängt werden. Ein solches Auseinanderfallen zwi-

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schen der bereits geltenden SE-Richtlinie und der vorgeschlagen Fusionsricht-
linie stellt einen Bruch in der Systematik dar, der sachlich nicht zu rechtfertigen
ist.
Ein Regelungsziel bei der SE-Richtlinie ist, zu verhindern, dass die Gründung
einer SE dazu missbraucht wird, sich Mitbestimmungsregelungen zu entziehen.
Diesem Ziel, dem laut Begründung der EU-Kommission auch die Fusionsrichtli-
nie dienen soll, wird der Richtlinientext selbst nicht gerecht. Dieser lädt vielmehr
gerade dazu ein, den Sitz der fusioniertenGesellschaft in solcheMitgliedstaaten zu
legen, in denen zwar gesetzlich vorgeschriebene, aber niedrige Mitbestimmungs-
standards gelten. Er führt damit zu einer Diskriminierung zwischen den Mitglied-
staaten. Ziel muss sein, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland, die in den Mitbestimmungsgesetzen garantiert sind, zu sichern.
Zudem könnte die Fusionsrichtlinie die Attraktivität der Gründung einer SE ein-
schränken. Schon jetzt könnten sich die fehlenden steuerlichen Regelungen für die
SE als Hindernis für ihre Nutzung erweisen. Lässt man nun auch noch unterschied-
liche Bestimmungen hinsichtlich der Anwendung der Mitbestimmung zu, wäre
eine zusätzliche Minderung der Anziehungskraft der SE nicht auszuschließen.
II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:
Mit der 10. Richtlinie soll die seit 1957 im EG-Vertrag garantierte Niederlas-
sungsfreiheit für Gesellschaften verwirklicht werden.
Mit der Verhandlung und dem Abschluss zur Europäischen Gesellschaft ist es
der Bundesregierung gelungen, die Mitbestimmung zu sichern und die Möglich-
keit der Flucht aus der deutschen Mitbestimmung einzuschränken.
Mit der Europäischen Gesellschaft (SE) hat die Bundesregierung sich erfolg-
reich dafür eingesetzt, dass für betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ihre bestehenden Mitbestimmungsregelungen erhalten werden.
Die Freiheit desWirtschafts- und Kapitalverkehrs und der soziale Schutz der Ar-
beitnehmer sind gleichermaßen erklärte Ziele der Gemeinschaft (vgl. insoweit
Artikel 137 Abs. 1 Buchstabe f EGV). Sie stehen bei der SE in einem ausgewo-
genen Verhältnis. Gerade Erleichterungen eines grenzüberschreitenden Kapital-
verkehrs erfordern wegen der daraus entstehenden Wirtschaftsmacht eine ver-
besserte Mitwirkungsmöglichkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und nicht deren Verschlechterung. Mit dem Entwurf vom Bundesministerium
des Innern und Bundesministerium fürWirtschaft und Arbeit zur Einführung der
europäischen Gesellschaft (SEEG-E) ist die Chance gegeben, die Mitbestim-
mung zu sichern. Eine Verhandlungslösung wie sie für die SE im europäischen
Konsens vereinbart wurde, bietet die notwendige Flexibilität und erleichtert die
zunehmend geforderte Beteiligung ausländischer Arbeitnehmervertreter im
Aufsichtsrat nationaler Gesellschaften.
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
– in den Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass die Mitbestimmung bei

grenzüberschreitenden Fusionen entsprechend den Bestimmungen zur Euro-
päischen Aktiengesellschaft geregelt wird;

– zu verhindern, dass durch die europäische Regelung die „Flucht aus der deut-
schen Mitbestimmung“ ermöglicht wird;

– darauf hinzuwirken, dass europäische Regelungen die Mitgliedstaaten nicht
zu einem Wettbewerb um möglichst niedrige Mitbestimmungsrechte der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer einladen, damit sie als Sitzstaat für die
durch die grenzüberschreitende Fusion entstehende Gesellschaft in Betracht
kommen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3466

– darauf hinzuwirken, dass im Verschmelzungsplan auch Angaben hinsichtlich
der Folgen der Verschmelzung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so-
wie ihrer Vertretung und die insoweit vorgesehenen Maßnahmen enthalten
sein müssen; darauf hinzuwirken, dass die Beschäftigten über die mit der Ver-
schmelzung einhergehenden Änderungen ihrer Beschäftigungsverhältnisse
informiert werden.

Berlin, den 30. Juni 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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