BT-Drucksache 15/3198

Auswirkungen der EU-Verfahrensrichtlinie auf die deutsche Asylrechtspraxis

Vom 25. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3198
15. Wahlperiode 25. 05. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
(Heilbronn), Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann, Clemens Binninger, Hartmut
Büttner (Schönebeck), Norbert Geis, Roland Gewalt, Ralf Göbel, Reinhard Grindel,
Volker Kauder, Kristina Köhler (Wiesbaden), Dorothee Mantel, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), StephanMayer (Altötting), Beatrix Philipp, Dr. Ole Schröder und
der Fraktion der CDU/CSU

Auswirkungen der EU-Verfahrensrichtlinie auf die deutsche Asylrechtspraxis

Der Bundesminister des Innern hat am 29. April 2004 einer EU-Richtlinie über
Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Ab-
erkennung der Flüchtlingseigenschaft zugestimmt (Ratsdokument 8771/04).
Diese Richtlinie betrifft einen Bereich, in dem in Deutschland seit der Reform
des Asyl- und Asylverfahrensrechtes vor über zehn Jahren eine bewährte
Rechtslage und Praxis besteht.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Erfordert die EU-Richtlinie eine Umsetzung in deutsches Recht, die die der-

zeit geltende Rechtslage verändern wird?
Wenn ja, in welchen Bereichen?

2. Kann die bisherige Praxis in diesem Bereich, insbesondere die so genannte
Drittstaatenregelung, wie sie derzeit in Deutschland angewendet wird, auch
nach Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht unverändert weiter
angewendet werden?
Wenn nein, in welchen Bereichen ist eine Fortsetzung der aktuellen Hand-
habung nicht mehr möglich und wie muss die bisherige Praxis geändert
werden?

3. Werden „günstigere Bestimmungen“, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 4
bei den Verfahren einführen oder beibehalten können, aus Sicht der Asyl-
bewerber oder aus Sicht der Mitgliedstaaten beurteilt, und was sind die Maß-
stäbe für eine solche Beurteilung?

4. Ist in der Richtlinie verpflichtend vorgesehen, dass die Minimalliste sicherer
Herkunftsstaaten von allen EU-Mitgliedstaaten angewendet werden muss,
und wenn nein, wie ist sichergestellt, dass sich daraus keine für Deutschland
negativen Auswirkungen ergeben?

5. Welche Drittstaaten sind bereits oder werden noch in die gemeinsame Mini-
malliste sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen?

Drucksache 15/3198 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

6. Welche Voraussetzungen muss ein Drittstaat erfüllen, um als besonders
sicher im Sinne der Richtlinie anerkannt zu sein, bzw. welche Ausschluss-
gründe gelten für die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat?

7. Wird die Bundesregierung von den Rechten aus Artikel 30a Gebrauch ma-
chen und eine nationale Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunfts-
staaten beibehalten bzw. vornehmen, und wenn ja, in welchen Punkten wird
sie sich von der gemeinsamen Minimalliste unterscheiden?

8. Reicht bei der Beurteilung, ob ein Asylbewerber über einen bestimmten
sicheren Drittstaat in den EU-Mitgliedstaat eingereist ist, der reine Gebiets-
kontakt mit dem Drittstaat aus oder sind weitergehende Anforderungen an
das Verhältnis des Asylbewerbers zum Drittstaat und die Qualität des Auf-
enthalts in diesem Drittstaat der Verfahrensrichtlinie vorgesehen?

9. Ist für die Behandlung eines Asylbewerbers aus einem sicheren Drittstaat
zu unterscheiden, ob er illegal die Grenze übertreten hat oder legal in den
EU-Mitgliedstaat gekommen ist?

10. Ist trotz der Einreise über einen sicheren Drittstaat eine Einzelfallprüfung
des Asylantrages nötig, und wenn ja, in welchen Fällen, oder kann generell
ohne weitere Prüfung ein Asylbewerber in den Drittstaat abgeschoben wer-
den, in dem er bereits vor Verfolgung sicher war?

11. Ist eine Einzelfallprüfung für einen Asylbewerber in allen Mitgliedstaaten
ausgeschlossen, falls der Asylbewerber unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet
des betreffenden Mitgliedstaat einzureisen versucht hat oder eingereist ist
und aus einem Drittstaat kommt, welcher
a) die Genfer Konvention ohne geografischen Vorbehalt ratifiziert hat und

deren Bestimmungen einhält und
b) über ein gesetzlich festgelegtes Asylverfahren verfügt und
c) die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und

Grundfreiheiten ratifiziert hat und die darin enthaltenen Bestimmungen,
einschließlich der Normen über wirksame Rechtsbehelfe, einhält und

d) als solcher vom Rat bestimmt worden ist?
Falls nein, unter welchen Umständen kann ein solcher anerkannter Asylbe-
werber aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland reisen und der
Zuständigkeit deutscher Behörden unterliegen?

12. Ist auch eine Zurückschiebung aus dem Landesinnern möglich, oder ist
eine Zurückschiebung auf Grenzverfahren bzw. grenznahe Verfahren be-
schränkt?

13. Gibt es Beeinträchtigungen durch die neue Verfahrensrichtlinie, was das
bisherige Flughafenverfahren nach dem Asylbewerberverfahrensgesetz
anbelangt?

14. Wie werden – im Unterschied zu heutigen Regelung in Deutschland – 16-
und 17-jährige Asylbewerber behandelt, die ohne Begleitung ihrer Eltern
einreisen?

15. Welche konkreten in der Richtlinie benannten Rechtsfolgen hat die illegale
Einreise in die EU aus einem sicheren Drittstaat gemäß Artikel 35A der
Richtlinie 8771/04?

16. Welchen Inhalt hat Artikel 35B des Richtlinienentwurfs 8415/04 und ist die
dort vorgesehene Vorschrift in der Richtlinie noch enthalten?
Wenn nein, aus welchen Gründen hat Deutschland einer Nichtaufnahme
dieser Vorschrift zugestimmt und welche Folgen hat sie für das nationale
deutsche Recht?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3198

17. Wird es nach Verabschiedung der Richtlinie weiterhin möglich sein, Asyl-
bewerber ohne Durchführung einer Einzelfallprüfung abzuweisen oder zu-
rückzuschieben, falls der Asylbewerber eine Gefahr für die Öffentlichkeit
darstellt, weil er z. B. mit mindestens drei Jahren Gefängnis vorbestraft ist?

18. Hat der Bundesminister des Innern bei der Sitzung des Rats der Justiz- und
Innenminister am 29. April 2004 in Luxemburg einen Parlamentsvorbehalt
geltend gemacht, und wenn ja, welche Inhalte bzw. rechtlichen Wirkungen
hat dieser Vorbehalt?

Berlin, den 25. Mai 2004
Wolfgang Bosbach
Hartmut Koschyk
Thomas Strobl (Heilbronn)
Wolfgang Zeitlmann
Günter Baumann
Clemens Binninger
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Norbert Geis
Roland Gewalt
Ralf Göbel
Reinhard Grindel
Volker Kauder
Kristina Köhler (Wiesbaden)
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Stephan Mayer (Altötting)
Beatrix Philipp
Dr. Ole Schröder
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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