BT-Drucksache 15/256

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Volker Kauder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU -15/125- Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Vom 20. Dezember 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 15/256
15. Wahlperiode 20. 12. 2002

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
(1. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Volker Kauder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 15/125 –

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

A. Problem
Der Antrag strebt eine Untersuchung an, ob und inwieweit vor der Bundestags-
wahl 2002 Regierungsmitglieder den Deutschen Bundestag und die Öffentlich-
keit über die Haushaltslage, die Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Ren-
tenversicherung sowie die Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien falsch oder
unvollständig informiert haben und wer dies wie mit wessen Hilfe im Regie-
rungsbereich getan und welche Verabredungen es gegeben hat. Das Plenum hat
den Antrag dem 1. Ausschuss zur verfassungsrechtlichen Prüfung überwiesen.

B. Lösung
Der 1. Ausschuss hat zum Einsetzungsantrag eine Änderung des letzten Satz-
teils beschlossen, um Bedenken der Koalitionsfraktionen bezüglich des Kern-
bereichs exekutiver Eigenverantwortung Rechnung zu tragen. Zudem ist der
Auftrag um eine zweite Ziffer ergänzt worden, um aus der Sicht der Koalitions-
fraktionen ein umfassenderes Bild des Untersuchungsgegenstandes zu gewin-
nen.
Annahme der Ziffer 1 der Ausschussfassung mit den Stimmen der
Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Annahme der Ziffer 2 der Ausschussfassung mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN gegen diejenigen der
Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP

C. Alternativen
Annahme des Antrags in unveränderter Fassung.

D. Kosten
Nicht erörtert.

Drucksache 15/256 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag – Drucksache 15/125 – in folgender Fassung anzunehmen:
1. Es wird ein Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes

eingesetzt.
Dem Untersuchungsausschuss sollen 11 Mitglieder (SPD 5, CDU/CSU 4,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1, FDP 1) und die entsprechende Anzahl von
stellvertretenden Mitgliedern angehören.

Der Untersuchungsausschuss soll klären,
ob und in welchem Umfange Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere
Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesfinanzminister Hans Eichel, Bun-
desministerin Ulla Schmidt sowie der damalige Arbeits- und Sozialminister
Walter Riester, und Parlamentarische Staatssekretäre im Jahr 2002 Bundes-
tag und Öffentlichkeit hinsichtlich der Situation des Bundeshaushaltes, der
Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie der
Einhaltung der Stabilitätskriterien des EG-Vertrages und des europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakts durch den Bund vor der Bundestagswahl
am 22. September 2002 falsch oder unvollständig informiert haben; ob und
gegebenenfalls wer von allen Vorgenannten dieses wie und mit wessen Hilfe
insbesondere auch im Verantwortungsbereich der Bundesregierung getan
und ob und gegebenenfalls welche Vereinbarungen es dazu gegeben hat,
soweit hierdurch nicht der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung
betroffen ist.

2. Der Untersuchungsausschuss muss deshalb auch im Rahmen der Zuständig-
keit des Bundestages klären,
– inwiefern seit der Wiedervereinigung die Prognosen und Modellrechnun-

gen für die Finanzplanung des Bundes und die Haushalte der Kranken- und
Rentenversicherung zutrafen und ob die Praxis im Jahr 2002 von der
Staatspraxis seit 1990 abgewichen ist,

– ob und in welchem Umfang die Mitglieder des Bundesrates, des Finanz-
planungsrates und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages,
insbesondere die Ministerpräsidenten Roland Koch, Peter Müller und
Dr. Edmund Stoiber, im Jahr 2002 hinsichtlich
a) der Situation der öffentlichen Haushalte, insbesondere im Hinblick auf

das für 2002 zu erwartende Gesamt-Steueraufkommen,
b) der Finanzlage der gesetzlichenKranken- und Rentenversicherung, ins-

besondere im Hinblick auf die zu erwartende Gesamteinnahmen- und
Ausgabensituation 2002, sowie

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/256

c) der Problematik der Einhaltung der Stabilitätskriterien des EG-Vertra-
ges und des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes von Bund
und Ländern einschließlich ihrer Gemeinden und Gemeindeverbände,
insbesondere unter Beachtung der Aufgabenerfüllung durch den
Finanzplanungsrat,

falsche oder unvollständige Erklärungen vor dem 22. September 2002 abge-
geben haben.

Berlin, den 19. Dezember 2002

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Erika Simm
Vorsitzende

Christine Lambrecht
Berichterstatterin

Ronald Pofalla
Berichterstatter

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

Jürgen Koppelin
Berichterstatter

Drucksache 15/256 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Christine Lambrecht, Ronald Pofalla, Volker Beck
(Köln) und Jürgen Koppelin

1. Der Deutsche Bundestag hat den von Mitgliedern des
Bundestages und der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungs-
ausschusses in seiner 14. Sitzung am 5. Dezember 2002
beraten und an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) überwiesen.

2. Der 1. Ausschuss hat den Antrag in seiner 3. und 4. Sit-
zung am 5. und 19. Dezember 2002 beraten und nach Er-
örterungen auf Berichterstatterebene in der 4. Sitzung
die obige Beschlussempfehlung verabschiedet. Dabei
wurde Ziffer 1 der Ausschussfassung mit den Stimmen
der Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
angenommen, Ziffer 2 der Ausschussfassung mit den
Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen diejenigen der Fraktion der CDU/CSU
bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP.
Der in der Beschlussempfehlung vorgelegte Untersu-
chungsauftrag zeichnet sich gegenüber der Ursprungs-
fassung durch eine Änderung der des letzten Satzteils
(hierzu nachfolgend unter 3.) sowie durch eine Ergän-
zung (hierzu unter 4.) aus.

3. Die Koalitionsfraktionen haben das existierende Minder-
heitsrecht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschus-
ses unabhängig von der Frage, ob man den Ausschuss
für erforderlich hält, unterstrichen und betont, einen Ein-
setzungsantrag nicht ohne Zustimmung der Antragsteller
ändern zu dürfen. Es bestehe aber auch bei einem von
einer qualifizierten Minderheit eingebrachten Ein-
setzungsantrag die Verpflichtung, diesen auf seine Ver-
fassungsmäßigkeit zu prüfen. Nach Artikel 44 des
Grundgesetzes könne die Minderheit zwar bei Vorliegen
der Voraussetzungen die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses verlangen. Da dies jedoch zu einer
Untersuchung in der Verantwortung des gesamten Deut-
schen Bundestages führe, obliege es dem Deutschen
Bundestag, die Verfassungsmäßigkeit eines Antrags zu
prüfen. Stelle sich ein Antrag teilweise als verfassungs-
widrig dar, könne der Untersuchungsausschuss, wie
auch in § 2 Abs. 3 des Untersuchungsausschussgesetzes
(PUAG) ausdrücklich festgelegt, nur hinsichtlich seiner
verfassungsmäßigen Bestandteile eingesetzt werden.
Vor dem geschilderten Prüfungshintergrund wurde der
letzte Satzteil im Einsetzungsantrag („wer von allen
Vorgenannten dieses wie und mit wessen Hilfe im Ver-
antwortungsbereich der Bundesregierung getan und wel-
che Verabredungen es dazu gegeben hat“) mit Blick auf
den aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz abgeleiteten
und im sog. Flick-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 67, S. 100 ff., 139) betonten Schutz des Kern-
bereichs exekutiver Eigenverantwortung beanstandet.
Dieser schließe einen Initiativ-, Beratungs- und Hand-
lungsbereich ein, der auch von Untersuchungsausschüs-
sen grundsätzlich nicht ausforschbar sei. Das Gericht
habe hierzu z. B. die Willensbildung der Regierung
selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett

als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Res-
sortentscheidungen gezählt. Die Entscheidung habe wei-
terhin verdeutlicht, dass dieser Kernbereich auch einer
Ausforschung bereits abgeschlossener Vorgänge ent-
gegenstehen könne und nicht nur vor Eingriffen in lau-
fende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen
schütze. Die bisherige Fassung zielte nach Auffassung
der Koalitionsfraktionen auf die Ausforschung von Er-
örterungen und Beratungen im Kabinett bzw. auf ressort-
übergreifende und ressortinterne Abstimmungsprozesse
für die interne Willensbildung der Regierung.
Nach Beratungen auf Berichterstatterebene schlugen die
Koalitionsfraktionen in einem Änderungsantrag vor,
Satz 3 des Antrags nach den Worten „informiert haben“
wie folgt zu fassen:

„ob und gegebenenfalls wer von allen Vorgenannten
dieses wie und mit wessen Hilfe insbesondere auch
im Verantwortungsbereich der Bundesregierung ge-
tan und ob und gegebenenfalls welche Vereinbarun-
gen es dazu gegeben hat, soweit hierdurch nicht der
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betrof-
fen ist.“

Dieser Änderungsantrag fand auch die Unterstützung der
Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der Frak-
tion der FDP. Die Fraktion der CDU/CSU sah sich durch
die Fassung des Änderungsantrags in ihrer Auffassung
bestätigt, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverant-
wortung schon durch den ursprünglichen Antrag nicht
tangiert gewesen sein konnte. Die Schlussworte würden
ohnehin nur eine Selbstverständlichkeit wiedergeben.
Die Schutzfunktion des Kernbereichs werde nicht be-
rührt, wenn es um die Aufklärung eines letztlich unkor-
rekten Vorgehens bei der Gestaltung und Durchführung
von Informationspolitik im Vorfeld von Wahlen gehe.
Die Frage des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwor-
tung könne sich, wenn überhaupt, allenfalls im Zusam-
menhang mit einzelnen Beweiserhebungen stellen.

4. Der Untersuchungsauftrag ist auf Änderungsantrag der
Koalitionsfraktionen um die vorgeschlagene Ziffer 2 er-
gänzt worden. Dabei wurde angeführt, dass Bund und
Länder einschließlich der Gemeinden und Gemeindever-
bände gemeinsam die Verantwortung für die Einhaltung
der Bestimmungen des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes tragen. Danach soll die Obergrenze
für das Haushaltsdefizit von drei Prozent des Brutto-
inlandsproduktes nicht überschritten werden. Das öffent-
liche Defizit setzt sich aus den Defiziten von Bund,
Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern
zusammen. Äußerungen zu dieser Thematik müssten
sich daher notwendigerweise auf die Haushaltsdisziplin
aller staatlichen Ebenen beziehen. Die isolierte Frage
nach der Richtigkeit von Informationen über die Einhal-
tung der Stabilitätskriterien des Vertrages von Maastricht
und des EU-Stabilitätspaktes durch den Bund würden
die Untersuchung von vornherein in einer Weise einen-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/256

gen, die nur eine verzerrte und unvollständige Beurtei-
lung der zu untersuchenden Gegenstände ermöglicht.
Die Koalitionsfraktionen haben sich daher auf die auch
bei Verabschiedung des Untersuchungsausschussgeset-
zes (vgl. Begründung zu § 2 Abs. 2 PUAG auf
Bundestagsdrucksache 14/5790, S. 14) anerkannte und
vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 49,
S. 70 ff., 87 f.) herausgearbeitete Befugnis gestützt, auch
gegen den Willen der Antragsteller einen Auftrag zu er-
gänzen, wenn dies zur Gewinnung eines umfassenderen
und wirklichkeitsgetreueren Bildes des angeblichen
Missstandes nötig ist. Einwände mit Bezug auf die bun-
desstaatliche Ordnung oder den Kernbereich exekutiver
Eigenverantwortung auf Landesebene gingen fehl, da es
z. B. im Hinblick auf Ministerpräsidenten um deren
Handlungen auf Bundesebene, nicht aber um Beratungen
und Entscheidungen in Landeskabinetten gehen solle.
Die Fraktion der CDU/CSU hält die mit Ziffer 2 des
Auftrags vorgesehene Ergänzung für verfassungswidrig.
Der Einsetzungsantrag beziehe sich auf das Verhalten
und die Informationspolitik von Mitgliedern der Bundes-

regierung und in deren Verantwortungsbereich. Die Aus-
weitung auf die Ebene der Länder und Kommunen
schaffe einen weiteren zusätzlichen Untersuchungsge-
genstand und berge die Gefahr einer verzögernden und
langandauernden Untersuchung in sich. Die Ergänzung
stütze sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts, wonach derselbe Untersuchungsge-
genstand betroffen sein und dessen Kern unverändert
bleiben müsse. Überdies schließe § 2 Abs. 2 PUAG nach
seinem ausdrücklichen Wortlaut eine Änderung eines
Auftrags gegen den Willen der Antragsteller aus. Im Üb-
rigen hätte die Mehrheit, die die Notwendigkeit einer
verfassungsrechtlichen Prüfung eines Untersuchungs-
auftrags herausgestellt habe, denselben Maßstab auch an
die von ihr vorgeschlagene Ergänzung legen und die zu
beachtende Kompetenzgrenze im Verhältnis von Bund
zu Ländern und Gemeinden berücksichtigen müssen.
Die Fraktion der FDP hat sich bezüglich der Ergänzung
der Stimme enthalten und rügt insbesondere, dass die
Untersuchung auch den Haushaltsausschuss des Deut-
schen Bundestages einbeziehen wolle.

Berlin, den 19. Dezember 2002
Christine Lambrecht
Berichterstatterin

Ronald Pofalla
Berichterstatter

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

Jürgen Koppelin
Berichterstatter

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