BT-Drucksache 15/244

Keine Einbürgerungen von Extremisten und mutmaßlichen Terroristen

Vom 17. Dezember 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 15/244
15. Wahlperiode 17. 12. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
(Heilbronn), Dr. Norbert Röttgen, Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann, Clemens
Binninger, Hartmut Büttner (Schönebeck), Norbert Geis, Roland Gewalt, Ralf
Göbel, Reinhard Grindel, Martin Hohmann, Dorothee Mantel, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Stephan Mayer (Altötting), Beatrix Philipp, Dr. Ole Schröder
und der Fraktion der CDU/CSU

Keine Einbürgerungen von Extremisten und mutmaßlichen Terroristen

Deutschland ist ein ausländerfreundliches, tolerantes Land. Das darf aber nicht
dazu führen, dass die Anstrengungen bei der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus vernachlässigt werden. Die Grenzen der Toleranz liegen dort, wo
terroristische Bestrebungen befürwortet, geduldet oder unterstützt werden.
Das deutsche Ausländer- und Sicherheitsrecht schreckt islamistische Terroris-
ten und Extremisten nicht hinreichend ab. Bereits seit Jahren hält sich eine
Vielzahl – teilweise auch exponierter – islamistischer Extremisten in Deutsch-
land auf, wie die Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahre belegen.
Danach hielten sich im Jahr 2001 59 100 (2000: 58 800) Mitglieder und
Anhänger extremistischer Ausländerorganisationen in Deutschland auf. In der
Mehrzahl sind dies Anhänger islamistischer Organisationen: Im Jahre 2001
waren es 31 950, im Jahre 2000 waren es 31 450 Personen.
Islamisten lehnen das Prinzip der Volkssouveränität und alle Gesellschaftsmo-
delle ab, die auf der Entschließungs- und Entscheidungsfreiheit der Menschen,
der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Gleichstellung von Mann und Frau
und der Pluralität derMeinungen beruhen. Sie wollen nicht nur in denHerkunfts-
ländern, sondern auch in der westlichen Welt eine islamistische Gesellschafts-
ordnung etablieren.
Von besonderer Tragweite ist, dass viele dieser Personen offensichtlich mittler-
weile Deutsche sind. So betreibt beispielsweiseMilli Görüs e. V. ausweislich des
Verfassungsschutzberichtes 2001 eine Staatsbürgerschaftskampagne, in der sie
ihreMitglieder aufruft, die Staatsangehörigkeit ihrer jeweiligenGastländer anzu-
nehmen, um auch Einfluss auf die bestehenden Parteien und deren Politik neh-
men zu können. Vorgeblich dient diese Kampagne der Integration türkischer
Muslime in Deutschland. Auch beim Verbotsverfahren des „Kalifat-Staates“
stellte sich heraus, dass viele eingebürgerte Islamisten dieser verfassungsfeindli-
chen Organisation angehören. Im Verbotsverfahren des Spendensammlervereins
Al-Aqsa e. V. wollte dieser das Verbot mit der Begründung nicht für sich gelten
lassen, Al-Aqsa sei gar kein Ausländerverein, sondern ein „Deutschen-Verein“.
Die Mehrzahl der Mitglieder habe sich mittlerweile einbürgern lassen und die
seien jetzt Deutsche.
Vor dem Hintergrund, dass islamistische Extremisten eingebürgert wurden, ist
eine den Sicherheitsanforderungen entsprechende Reform des Staatsangehörig-

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keits- und Einbürgerungsrechts erforderlich. Es muss auch bei Einbürgerungen
sichergestellt werden, dass bereits bei tatsachengestütztem Terrorismusverdacht
keine Einbürgerung erfolgen darf. Dies muss nicht nur bei der Frage, ob ein Aus-
länder Deutschland verlassen muss, sondern auch bei der Frage, ob er für immer
in Deutschland bleiben kann, zumMaßstab werden.
Eine leichtfertige Einbürgerungspolitik ist bei dieser Rechtslage ein Schritt in die
falsche Richtung. So hat die letzte von der rot-grünen Bundesregierung durchge-
führteNeuordnung des Staatsangehörigkeitsrechts eine enormeZunahme anEin-
bürgerungen, vor allem unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit, zur Folge. Erfolg-
ten 1999 143 267 Einbürgerungen (unter Hinnahme derMehrstaatigkeit 19 721),
waren es im Jahre 2001 178 098 (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit 85 995).
Fast die Hälfte (48,3 %) aller nach der neuen Rechtslage Eingebürgerten erhal-
ten danach den Doppelpass, wie die Antwort der Bundesregierung vom 22. Juli
2002 auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU – Bundestagsdruck-
sache 14/9815 – ergeben hat. 1999 waren es hingegen nur 13,8 %. Es schadet
Deutschland, wenn z. B. berichtet wird, Islamisten mit deutschem Pass würden
sich amKrieg in Tschetschenien beteiligen.
Die zwingende Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Einbürgerungsverfah-
renmuss endlich gesetzlich verankert und bundesweit eingeführt werden. Entge-
gen anders lautenden Behauptungen ist dies keineswegs der Fall. Esmuss sicher-
gestellt werden, dass bei Einbürgerungswilligen in allenBundesländern gleicher-
maßen die Regelanfrage durchgeführt wird.
Die deutsche Staatsangehörigkeit, die eine Vielzahl von Rechten eröffnet, darf
nicht zumHilfsmittel von Terroristen werden. Es ist eine Ergänzung der Gründe,
die zumVerlust der deutschen Staatsangehörigkeit führen, für den Fall zu prüfen,
dass ein Deutscher, der die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung er-
worben hat und über eine oder mehrere andere Staatsangehörigkeiten verfügt,
eine terroristischeVereinigung im In- oder Ausland gründet, dortMitglied ist, sie
unterstützt oder für sie wirbt.
Um gegen extremistische Ausländer zielgenau und besonnen vorgehen, letztlich
aber auch ihre Einbürgerungsanträge sachgerecht beurteilen zu können, sind be-
reits genaue Kenntnisse des Verlaufs ihres Aufenthaltes und die Verfolgung ihrer
Biografien in Deutschland, und zwar bereits vom Zeitpunkt der Einreise an, also
Vorfelderkenntnisse, unverzichtbar.
Kommen Extremisten z. B. vorwiegend als Studenten, sind andere Maßnahmen,
aber auch eine andere Prävention erforderlich, als wenn sie beispielsweise über
das Asylverfahren einen langfristigen Aufenthalt in Deutschland begründen. Die
Bundesregierung hat hier bereits imAusgangspunkt eklatante Erkenntnislücken.
Aus der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister
des Innern, Fritz Rudolf Körper, vom 26. September 2001 auf eine schriftliche
Frage des Abgeordneten Erwin Marschewski (Bundestagsdrucksache 14/6999,
Frage 9) geht hervor, dass sie nicht in der Lage ist anzugeben, mit welchem auf-
enthaltsrechtlichen Status das „ausländerextremistische Mitgliederpotenzial“ in
Deutschland lebt.
Sollten sich ähnliche Erkenntnislücken auch bei der statistischen Erfassung der
Einbürgerungsverfahren offenbaren, beispielsweise dadurch, dass keine genauen
Erkenntnisse über die (Gesamt-)Antragszahlen, positive und negative Entschei-
dungen und die Gründe der Ablehnung eines Antrags vorliegen, sind solche
Lücken umgehend zu schließen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen, die den in den Verfassungsschutzberichten 2000 und

2001 im Kapitel „Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen

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von Ausländern“ aufgeführten Organisationen angehören oder zuzurechnen
sind, haben nach den Erkenntnissen der Bundesregierung seit Inkrafttreten
des neuen Staatsangehörigkeitsrechts einen Einbürgerungsantrag gestellt
(bitte konkrete Angaben unter vollständigerAuflistung aller Herkunftsstaaten
und nach Auswertung aller Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere
auch der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, und aufge-
schlüsselt nach Jahren)?

2. Wie vielen Einbürgerungsanträgen von Personen, die den in den Verfassungs-
schutzberichten 2000 und 2001 imKapitel „Sicherheitsgefährdende und extre-
mistische Bestrebungen von Ausländern“ aufgeführten Organisationen zuzu-
rechnensindundbeidenenTatsachendieAnnahmerechtfertigen,dassderAus-
länder einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unter-
stützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt (tatsachengestützter
Terrorismusverdacht),wurdennachKenntnisderBundesregierungseit Inkraft-
treten des neuenStaatsangehörigkeitsrechts stattgegeben (bitte konkreteAnga-
ben unter vollständiger Auflistung aller Herkunftsstaaten nach Auswertung
aller Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere auch der Verfassungs-
schutzbehörden des Bundes und der Länder, und aufgeschlüsselt nach Jahren)?

3. Wie viele Einbürgerungen von Personen, die den in denVerfassungsschutzbe-
richten2000und2001 imKapitel „Sicherheitsgefährdendeund extremistische
Bestrebungen von Ausländern“ aufgeführten Organisationen zuzurechnen
sind und bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer
einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt,
oder er eine derartige Vereinigung unterstützt (tatsachengestützter Terroris-
musverdacht), sind nach Kenntnis der Bundesregierung seit Inkrafttreten des
neuen Staatsangehörigkeitsrechts erfolgt (bitte konkrete Angaben unter voll-
ständiger Auflistung aller Herkunftsstaaten und nach Auswertung aller
Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere auchderVerfassungsschutz-
behörden des Bundes und der Länder, und aufgeschlüsselt nach Jahren)?

4. Wurden Familienangehörige des in den Fragen 1, 2 und 3 erfragten bzw. in
Bezug genommenen Personenkreises nach Kenntnis der Bundesregierung
seit Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts eingebürgert, und
wenn ja, wie viele (bitte konkrete Angaben unter vollständiger Auflistung
aller Herkunftsstaaten und nach Auswertung aller Erkenntnisquellen/-mög-
lichkeiten, insbesondere auch der Verfassungsschutzbehörden des Bundes
und der Länder, und aufgeschlüsselt nach Jahren)?

5. Haben Personen aus dem in den Fragen 1, 2 und 3 erfragten bzw. in Bezug
genommenen Personenkreis nach Kenntnis der Bundesregierung seit Inkraft-
treten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts Einbürgerungsanträge nach § 9
Staatsangehörigkeitsgesetz gestellt, wenn ja, wie viele, und wie wurden diese
entschieden (bitte konkrete Angaben unter vollständiger Auflistung aller Her-
kunftsstaaten nach Auswertung aller Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, ins-
besondere auch der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder,
und aufgeschlüsselt nach Jahren)?

6. Wie viele der in den Fragen 2 bis 5 erfragten und erfolgten Einbürgerungen
hätten nach Kenntnis der Bundesregierung nicht erfolgen dürfen, wenn im
Rahmen des „Sicherheitspaketes II“ entsprechend der Forderung der CDU/
CSU ein Regelausweisungstatbestand eingeführt worden wäre, nach dem es
für die Ausweisung ausreicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen,
dass der Ausländer einer Vereinigung angehört, die den internationalen Ter-
rorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt –
tatsachengestützter Terrorismusverdacht – (bitte konkrete Angaben unter
vollständiger Auflistung aller Herkunftsstaaten und nach Auswertung aller
Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere auch der Verfassungs-
schutzbehörden des Bundes und der Länder)?

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7. Wie viele Personen aus dem in den Fragen 2 bis 5 erfragten bzw. in Bezug
genommenen Personenkreis wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts unter Hinnahme der
Mehrstaatigkeit (s. Frage 1) eingebürgert (bitte konkrete Angaben unter
vollständiger Auflistung aller Herkunftsstaaten und nach Auswertung aller
Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere auch der Verfassungs-
schutzbehörden des Bundes und der Länder, und aufgeschlüsselt nach
Jahren)?

8. Wie viele Kinder von Personen, die den in den Verfassungsschutzberichten
2000 und 2001 im Kapitel „Sicherheitsgefährdende und extremistische Be-
strebungen von Ausländern“ aufgeführten Organisationen angehören oder
zuzurechnen sind, haben nach den Erkenntnissen der Bundesregierung seit
Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts die deutsche Staatsan-
gehörigkeit durch Geburt erworben (bitte konkrete Angaben unter vollstän-
diger Auflistung aller Herkunftsstaaten und nach Auswertung aller Er-
kenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere auch der Verfassungsschutz-
behörden des Bundes und der Länder, und aufgeschlüsselt nach Jahren)?

9. Wie viele Einbürgerungen von Staatsangehörigen „bestimmter Staaten“,
die das Bundesministerium des Innern (BMI) im Einvernehmen mit dem
Auswärtigen Amt (AA) gemäß § 64a Abs. 4 Ausländergesetz (AuslG)
durch allgemeine Verwaltungsvorschrift festgelegt hat („Problemstaaten“),
sind nach den Erkenntnissen der Bundesregierung seit Inkrafttreten des
neuen Staatsangehörigkeitsrechts erfolgt (bitte konkrete Angaben nach
Auswertung aller Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbesondere auch
der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, und aufge-
schlüsselt nach Jahren)?

10. Wie viele Einbürgerungen von „Angehörigen von in sonstiger Weise be-
stimmten Personengruppen“, die das BMI im Einvernehmen mit dem AA
gemäß § 64a Abs. 4 AuslG durch allgemeine Verwaltungsvorschrift fest-
gelegt hat, sind nach den Erkenntnissen der Bundesregierung seit Inkraft-
treten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts erfolgt (bitte konkrete Anga-
ben nach Auswertung aller Erkenntnisquellen/-möglichkeiten, insbeson-
dere auch der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, und
aufgeschlüsselt nach Jahren)?

Berlin, den 17. Dezember 2002
Wolfgang Bosbach
Hartmut Koschyk
Thomas Strobl (Heilbronn)
Dr. Norbert Röttgen
Wolfgang Zeitlmann
Günter Baumann
Clemens Binninger
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Norbert Geis

Roland Gewalt
Ralf Göbel
Reinhard Grindel
Martin Hohmann
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Stephan Mayer (Altötting)
Beatrix Philipp
Dr. Ole Schröder

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