BT-Drucksache 15/1897

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -15/1112- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23) zur Einführung eines Volksentscheids über eine europäische Verfassung

Vom 5. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1897
15. Wahlperiode 05. 11. 2003

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Ernst Burgbacher,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Daniel Bahr (Münster),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 15/1112 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23)
zur Einführung eines Volksentscheids über eine europäische Verfassung

A. Problem
Für das Jahr 2004 steht die Ratifizierung der Verfassung der Europäischen
Union durch die Mitgliedstaaten an. Die Entscheidung über die Annahme einer
Verfassung ist nach Auffassung der Fraktion der FDP die grundlegendste aller
politischen Entscheidungen. Da die Europäische Union nicht mehr nur eine
Union der Staaten, sondern auch eine Union der Bürger sein wolle, müsse den
Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, sich im Wege eines Volksentscheids
zu dem Verfassungstext zu bekennen. Dazu sei es erforderlich, in Artikel 23 des
Grundgesetzes einen Absatz einzufügen, der regelt, dass für die Zustimmung
der Bundesrepublik Deutschland zur Einführung einer europäischen Verfas-
sung die Zustimmung durch Volksentscheid notwendig ist.

B. Lösung
Ablehnung des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP

C. Alternativen
Annahme des Gesetzentwurfs.

D. Kosten
Keine

Drucksache 15/1897 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf – Drucksache 15/1112 – abzulehnen.

Berlin, den 5. November 2003

Der Rechtsausschuss
Andreas Schmidt (Mülheim)
Vorsitzender

Hermann Bachmaier
Berichterstatter

Dr. Norbert Röttgen
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

Rainer Funke
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1897

Bericht der Abgeordneten Hermann Bachmaier, Dr. Norbert Röttgen,
Jerzy Montag und Rainer Funke

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf auf der
Drucksache 15/1112 in seiner 53. Sitzung am 26. Juni 2003
in erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung
dem Rechtsausschuss und zur Mitberatung dem Innenaus-
schuss und dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden
Ausschüsse

Der Innenausschuss hat die Vorlage in seiner 23. Sitzung
am 5. November 2003 beraten und mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der FDP be-
schlossen, die Ablehnung des Gesetzentwurfs zu empfeh-
len.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union hat die Vorlage in seiner 32. Sitzung am 5. No-
vember 2003 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen
SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktion der FDP beschlossen, die Ableh-
nung des Gesetzentwurfs zu empfehlen.

III. Beratung im Rechtsausschuss
Der Rechtsausschuss hat die Vorlage in seiner 30. Sitzung
am 5. November 2003 abschließend beraten. Der Ausschuss
hat mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP beschlossen, die Ablehnung des Gesetzent-
wurfs zu empfehlen.
Die Fraktion der SPD erinnerte daran, dass sie in der vor-
angegangenen Wahlperiode einen Gesetzentwurf zu Volks-
initiative, Volksbegehren und Volksentscheid eingebracht
habe, der jedoch nicht die für eine Verfassungsänderung er-
forderliche Mehrheit erhalten habe. Sie sei weiterhin der
Auffassung, dass das repräsentative System des Grund-
gesetzes durch die behutsame Einführung plebiszitärer
Elemente abgerundet werden solle. Der Gesetzentwurf der
Fraktion der FDP müsse allerdings als typischerweise von
einer Oppositionsfraktion einzubringender Entwurf quali-
fiziert werden. Es sei nämlich nicht sinnvoll nun in einem
Einzelfall einen Volksentscheid durchzuführen, während
man eine grundsätzliche Erweiterung der Verfassung um
plebiszitäre Elemente ablehne. Die Fraktion der SPD strebe
die Einordnung der Bürgerbeteiligung in das Grundgesetz
an und lehne daher eine Entscheidung lediglich für einen
Einzelfall ab. Gegen die Durchführung eines Volksentschei-
des über die Zustimmung zur europäischen Verfassung spre-
chen nach Auffassung der Fraktion der SPD allerdings nicht
nur systematische sondern auch konkrete Gründe. So würde
eine Abstimmung über die europäische Verfassung eine
europaweite Abstimmung erfordern. Diese wiederum würde

dazu führen, dass eine fehlende Mehrheit in einem einzel-
nen europäischen Land bei Vorhandensein einer Mehrheit
von Befürwortern keine Rolle spielen würde. Die Durchfüh-
rung einer europaweiten Abstimmung würde zudem vom
derzeitigen europäischen Staatenverbund zu einem euro-
päischen Bundesstaat führen. Schließlich sei das von der
Fraktion der FDP geforderte Quorum von 25 Prozent nicht
ausreichend. Denn eine Zustimmung von 13 Prozent wäre
keine ausreichende Legitimation für eine europäische Ver-
fassung.
Die Fraktion der CDU/CSU lehnte den Gesetzentwurf
ebenfalls ab. Sie betonte, dass es sich um eine Grundsatz-
frage handele, die auch als solche entschieden werden
müsse und nicht einzelfallbezogen beurteilt werden dürfe.
Nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU ist das parla-
mentarische Verfahren dem plebiszitären Verfahren überle-
gen, da es repräsentativ und zudem lernfähig sei. Plebis-
zitäre Verfahren seien demgegenüber Verhinderungsverfah-
ren und böten nicht die Möglichkeit zu gestalten. Darüber
hinaus führten sie zu einer Minderheitendemokratie, da die
Beteiligungsquote in der Regel niedrig sei. Die fundamen-
tale Frage nach der besseren Form der Demokratie in
Deutschland dürfe keinesfalls nach parteitaktischer Oppor-
tunität entschieden werden. So handele es sich bei dem Ge-
setzentwurf der FDP, der lediglich einen Teilaspekt be-
trachte, um einen populistischen Vorstoß, der abzulehnen
sei. Zudem sei der konkrete Gesetzestext so gefasst, dass
eventuelle künftige Änderungen der europäischen Verfas-
sung keines Volksentscheides mehr bedürften. Somit han-
dele es sich formell um ein Maßnahmegesetz, das auch aus
diesem Grund abzulehnen sei.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärte, dass
sie sich weiter dafür einsetzen werde, dass die Möglichkeit
eines Volksentscheides in der Verfassung verankert werde
und auch dass europaweit über die EU-Verfassung die Be-
völkerung entscheidet. Dem von der Fraktion der FDP vor-
gelegten Gesetzentwurf könne sie jedoch gleichwohl nicht
zustimmen. Der Entwurf sehe nämlich vor, dass das Volk
aufgrund einer Entscheidung des Parlamentes die Möglich-
keit erhalte, selbst zu entscheiden. Die grundsätzlich andere
Philosophie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sei
jedoch, dass einem Volksentscheid eine Volksinitiative vor-
ausgehe. Denn die Tatsache, dass aus der Bevölkerung her-
aus die Initiative ergriffen werde, zeige an, dass die Bürger
mobilisiert und motiviert sind, so dass mit einer ausreichen-
den Beteiligung gerechnet werden könne.
Die Fraktion der FDP betonte, dass die europäische Ver-
fassung entscheidende Weichen für die Zukunft der euro-
päischen Union stelle. Insofern sei der Gesetzentwurf nicht
populistisch, sondern allenfalls populär. Um die Bevölke-
rung bei einer derart wichtigen Entscheidung „mitzuneh-
men“, sei es erforderlich, sie über die Annahme der Verfas-
sung mitentscheiden zu lassen. Auf diese Weise könne der
deutschen Bevölkerung Europa bewusster und transparenter
gemacht werden und klar gestellt werden, welche Fragen

Drucksache 15/1897 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

noch auf nationaler und welche bereits auf supranationaler
Ebene entschieden würden. Hierzu müsse das Grundgesetz
geändert und für die Annahme der Verfassung der Volksent-
scheid eingeführt werden.

Berlin, den 5. November 2003
Hermann Bachmaier
Berichterstatter

Dr. Norbert Röttgen
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

Rainer Funke
Berichterstatter

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